Gleichwertigkeit der Hände in Theorie und Praxis

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Gwalchafed

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Liebe Mitforisten,

vor kurzem bin ich mal wieder auf Emil Frey gestoßen (den Pianisten, der mit Arthur Rubinstein damals beim Anton- Rubinstein-Wettbewerb mitgemacht hatte und dort den 1.Preis in Komposition gewonnen hat, obwohl er ja auch - als Busoni-Schüler - ein hervorragender Pianist war). Was ich noch nicht wusste: dass er Autor einer Klavierschule ist mit dem Titel "Bewusst gewordenes Klavierspiel und seine technischen Grundlagen". Im Anhang dieser Schule sind Beispiele für seine Überzeugung zu finden, dass linke und rechte Hand grundsätzlich gleichberechtigt sind: Er hat einige Stücke des Repertoires quasi "spiegelverkehrt" bearbeitet. Meines Wissens hat vorher nur Godowsky in dieser Deutlichkeit den Fokus auch auf die linke Hand gelegt und die Spiegelbildlichkeit der Tastatur bei der Ausbildung der Hände hervorgehoben - wenn auch Alkan mit seinem op.76 das Prinzip der Gleichberechtigung der Hände vorweggenommen hat (sehen wir mal etwa von barocker Polyphonie ab). Oder irre ich mich? Vielleicht habt Ihr andere / weitere Informationen? Es würde mich interessieren, wie Ihr in Eurer Ausbildung / Lehre das erlebt (habt). Z.B. zu einer Chopin-Etüde eine entsprechende Godowsky- Bearbeitung, um die linke Hand auf den Stand der rechten zu bringen? ;) Ich kann mich erinnern, dass Marc-André Hamelin einmal davon gesprochen hat, dass seine Ausbildung unter dieser Prämisse erfolgte. In der Praxis dürfte eine völlige Gleichwertigkeit der Hände (aus pianistischer Sicht) dennoch schwer zu erreichen sein, bzw. sind die Anforderungen, je nach Repertoire, verschieden und es kommt dann nicht so sehr darauf an. Und doch: ein Ravel-Konzert für die linke Hand gehört nun mal zum Standard-Repertoire und viele andere Stücke mit entsprechendem Schwerpunkt auch. Aber nochmal zurück: Da ich zu der Klavierschule von Emil Frey und den darin enthaltenen Bearbeitungen leider noch nichts Genaueres weiß, vielleicht kann jemand von Euch etwas dazu sagen? Das Buch ist kaum aufzutreiben bzw. nur noch antiquarisch erhältlich. Auch bei imslp findet man nichts. Ich freue mich auf Eure Kommentare.

Viele Grüße

Gwalchafed
 
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Was mir noch eingefallen ist: Es gab natürlich auch den durch einen Jagdunfall seiner rechten Hand beraubten Geza Zichy (auch ein Schüler von Liszt), der sich Ende des 19. Jhds./ Anfang des 20. mit seiner linken Hand eine beeindruckende Meisterschaft auf dem Klavier erarbeitet hat, was man an etlichen furchterregend schwierigen Kompositionen und Bearbeitungen (z.B. von Schuberts Erlkönig) sieht. Ich kann mir vorstellen, dass die späteren kriegsversehrten Pianisten wie Paul Wittgenstein sich diesen Zichy auch zum Vorbild genommen haben. Und gerade Wittgenstein wurde ja zum Auslöser einer Vielzahl an Kompositionen für die linke Hand, allen voran Ravels Klavierkonzert (wobei ich auch das von Korngold sehr mag, eine geniale Komposition!). Naja, man müsste hier mal tiefer graben und das Ganze etwas fundierter angehen...
 
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Im Anhang dieser Schule sind Beispiele für seine Überzeugung zu finden, dass linke und rechte Hand grundsätzlich gleichberechtigt sind
sie sind es nicht nur grundsätzlich, sondern in eher linear strukturierter Musik auch musikalisch - in der Fuge op.106 hat die linke Hand dieselben Probleme zu bewältigen wie die rechte; oder volkstümlich formuliert: da müssen beide Hände dasselbe drauf haben.

Was gespiegelte Inversion betrifft: das ist eine rein mechanische Angelegenheit, was Hamelin auch deutlich formuliert. Deshalb sollte das auch nur rein mechanisch, sozusagen gymnastisch praktiziert werden. Warum? Wenn die Tugenden der r.H. (aufwärts crescendo; in Doppelgriffen den hohen Ton stärker) wirklich gespiegelt werden, dann "lernt" die linke Hand kontraproduktiv das Gegenteil (nämlich abwärts crescendo und tiefer Töne lauter) - - genau das gilt es, zu vermeiden. Kurzum die Dynamik (und Binnendynamik) darf nicht gespiegelt ausgeführt werden, es geht einzig um mechanische Koordinationsabläufe.
(das muss man, wenn man damit "trainiert", aushalten können, denn an d oder as gespiegelte Figuren klingen gleichzeitig zumeist heftig scheußlich!)

Freilich kann das alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass die linke Hand ganz anders vorgehen muss, wenn sie wirklich dasselbe wie die rechte Hand zum klingen bringen soll: das zeigt sich an einem einfachen Beispiel, Schubert Impromptu As-Dur Mittelteil: eine Oberstimmenmelodie, begleitet von repetierten Doppelgriffen. die r.H. spielt die Melodie mit den Außenfingern (4 und 5), die Doppelgriffe mit den Innenfingern (1,2,3) - soll die l.H. diesen Part übernehmen, muss es genau umgekehrt sein (1 und 2 für die Melodie etc) -> es wäre sinnlos, hier real gespiegelt zu spielen.

Sie sind gleichberechtigt, müssen irgendwie klanglich/musikalisch gleich gut spielen können, haben aber relativ oft unterschiedlich gewertete Aufgaben beim Zusammenspiel.

Nebenbei: die Godowski-Chopin Etüden spiegeln nichts.
 
Was mir noch eingefallen ist: Es gab natürlich auch den durch einen Jagdunfall seiner rechten Hand beraubten Geza Zichy (auch ein Schüler von Liszt), der sich Ende des 19. Jhds./ Anfang des 20. mit seiner linken Hand eine beeindruckende Meisterschaft auf dem Klavier erarbeitet hat, was man an etlichen furchterregend schwierigen Kompositionen und Bearbeitungen (z.B. von Schuberts Erlkönig) sieht.
Dann nenne ich noch Otakar Hollmann und Siegfried Rapp, die infolge von Kriegsverletzungen ihren rechten Arm verloren haben.
In jüngerer Zeit sind vor allem Leon Fleisher und Gary Graffman als linkshändige Pianisten in Erscheinung getreten, jedoch aufgrund fokaler Dystonie.
 
@rolf Danke für Deine Ausführungen, denen ich voll zustimme. Das war von mir auch nur kurz angerissen und z.T. wohl auch missverständlich formuliert. Ich bin von dem Ideal einer Gleichwertigkeit der linken Hand ausgegangen im Sinne von: die l.Hd. ist technisch genauso gut gerüstet wie die r.Hd., hat die gleiche Kraft, kann alle Spieltechniken mit der gleichen Geschwindigkeit usw. Die Idee der Spiegelbildlichkeit der Tastatur korrespondiert dabei mit der Symmetrie des Körpers. Sie ist, wie Du sagtest, nicht eins zu eins in die Praxis umzusetzen. Dazu müsste man sich als Option ein Linkshänder-Klavier in den Überaum stellen. Auf der normalen Tastatur hat die l.Hd. demzufolge andere Anforderungen, damit es in unseren Ohren musikalisch klingt (Daumen für Melodie etc.). Das hast Du aber sehr richtig ausgeführt. Das heißt aber nicht, dass nicht auch spiegelbildlich bearbeitet wurde (ja, Godowski hat es nicht gemacht), z.B. von Friedrich Wührer:
Bei Polyphonie ist es tatsächlich anders. Nicht umsonst sind Bachs Fugen sehr gut (bis zu einem gewissen Grad) für das Training der l.Hd. geeignet.
@Stefan379 Hollmann kannte ich noch nicht, danke!
Im Übrigen: Bei Stücken für eine Hand (die linke hat sich seit dem 19.Jh. "eingebürgert", vielleicht auch als Reminiszenz an das große Violin-Vorbild Paganini) liegen die Anforderungen häufig so hoch, dass selbst fertige Pianisten ihre Schwierigkeiten damit haben (s. Lang Langs Sehnenscheidenentzündung durch Ravels Konzert). Oder wer kann sagen, eine Übung 36 von Godowsky geht ihm so leicht von der Hand wie Chopins Pendant (op. 25/6)? Insofern bleibt die Gleichwertigkeit der Hände wohl ein Ideal (vielleicht sollte man mal mit Links Zähneputzen oder Schreiben üben; die versehrten Pianisten mussten das notgedrungen).
 
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Einem fertigen (Konzert-)pianisten müssen die Chopin-Etüden leicht von der Hand gehen, sonst ist es eben kein Profi. Aber "leicht" ist natürlich relativ. Jedenfalls sollte keine Anstrengung hörbar sein.
 
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Okay, das Wort Profi ist überlegenswert. Ich kenne auch welche, die früher sehr gut gespielt haben, jetzt im Alter es aber ( technisch) nicht mehr so können. Es sind trotzdem "professionelle" Pianisten, wenn auch nicht unbedingt mehr konzertierend (meist sind sie als Lehrer tätig).
 
Das heißt aber nicht, dass nicht auch spiegelbildlich bearbeitet wurde (ja, Godowski hat es nicht gemacht), z.B. von Friedrich Wührer:
Da sind die Sechzehntelfiguren weder gespiegelt (Tastenfolgen) noch als Folge gebrochener Intervalle identisch.
Diese Bearbeitung ist lediglich der Versuch, die Aufgabenstellung für die Hände des Originals zu vertauschen (nach meinem Eindruck kein klanglich sonderlich überzeugendes Unterfangen)
 
Es ist keine Eins-zu-eins-Spiegelung, aber das spieltechnische Prinzip wurde "gespiegelt". Offensichtlich sollten wir bei dem Begriff etwas aufpassen (auch eine Spiegelung eines Fugenthemas muss aus harmonischen Gründen nicht immer eins zu eins erfolgen). Vielleicht sollte man hier besser von "seitenverkehrter Nachahmung" sprechen? ;) Es hat mich aber schon etwas gewundert, dass in der Literatur (ich weiß nicht mehr, wo) von "Spiegelung" bei Emil Freys Bearbeitungen die Rede war, deswegen bin ich auch daran interessiert. Vermutlich ist es aber ähnlich wie in dem Beispiel von F. Wührer. Hast Du die Noten von Frey? Oder die von Wührer?
 

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