Geringschätzung vereinfachter Versionen - eine Deutsche Ideologie?

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Bernhard Hiller

Bernhard Hiller

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28. Aug. 2013
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Sobald hier im Forum jemand nach vereinfachten Versionen fragt, schallt ihm eine ziemliche umfassende Ablehnung entgegen. Nicht nur unnütz seien sie (sie klingen ja gar nicht so gut), sondern behindern sogar noch sein Fortkommen, machen später das Erlernen der "richtigen" Version noch schwerer. Kurzum: verplempere deine Zeit nicht damit!

Ich stelle mich dem entgegen. Ich spiele gerne vereinfachte Versionen.
Und augenfällig ist: alle von mir dabei verwendeten Noten stammen aus den U.S.A., nichts aus Deutschland oder den umliegenden eurpäischen Landen.
Egal ob "Really Easy Piano - More Classical Favorites" oder "Joplin for Students": Spaß macht's.
"Bach for the Cello" nach einjährigem Lernen statt langjährigem Studium? Eine schöne Bearbeitung von Francis Krane macht's möglich.

Etwas weniger Ideologie scheint hierherüben zu herrschen, wenn das Original nicht für das spezifische Instrument geschrieben wurde. Der Heumann-Band "Eine kleine Nachtmusik" mit Übertragungen von Orchesterwerken stößt nicht auf dieselbe Ablehnung. "Klavierauszüge" waren in der Zeit vor den Tonträgern verbreitet und paßten die Schwierigkeitsgrade an das Publikum an.

So, nun ist Zeit für Feuer und Flamme - auf den Scheiterhaufen mit dieser Ketzerei!
:teufel:
 
Warum muss die Ablehnung vereinfachter Ausgaben denn direkt Ideologie sein?

Grüße
Häretiker
 
Das sehe ich nicht ideologisch. Wer Leichtversionen spielen will, kann das natürlich gerne tun. Ich habe nur noch keine Leichtversion gesehen, die mit dem Klang des Originals mithalten kann.

CW
 
Sobald hier im Forum jemand nach vereinfachten Versionen fragt, schallt ihm eine ziemliche umfassende Ablehnung entgegen.
Grundsätzlich finde ich meist Beides blöd: Vereinfachte und verkomplizierte Versionen (die gibt´s nämlich auch), weil sie in der Regel sch... klingen. Bei guten Stücken ist es halt so, dass keine Note zu viel oder zu wenig geschrieben wurde.
Was aber viel wichtiger ist: Es gibt für jedes Niveau so unglaublich viel gute Musik, dass es gar nicht nötig ist, irgend was zu vereinfachen.

Bei Transkriptionen sehe ich mehr Spielraum.
 
Ich bin da etwas durch meinen Job angefressen. Fast jedesmal, wenn ich Schüler von anderen Klavierlehrern übernehme, kommen sie mit irgendeinem Heft von G. Heumann an, d.h. also mit unterkomplexen Arrangements.Es scheint irgendwie nichts anderes an "pädagogischer" Spielliteratur zu geben.
Ich spiele das Büchlein durch und fühle mich hinterher als hätte ich Sand im Mund.
Wie die Vorredner sagten: es gibt keinen Grund, solche Versionen zu spielen bei den Massen an wohlklingender Originalliteratur.
Ich habe auch außerhalb diesen Autors, der sich inzwischen vermutlich die Nase aufgrund seiner Tätigkeit vergolden kann, nichts an gutklingenden vereinfachten Bearbeitungen gefunden.
Aber wenn der Betreffende Spaß daran hat: warum nicht.
 
Das sehe ich nicht ideologisch. Wer Leichtversionen spielen will, kann das natürlich gerne tun. Ich habe nur noch keine Leichtversion gesehen, die mit dem Klang des Originals mithalten kann.

CW
Leichtversionen haben etwas von einer Mogelpackung: es wird mehr Inhalt suggeriert als tatsächlich drinsteckt. Gute Komponisten reihen nun mal nicht nur schwierige Aufgaben aneinander, vielmehr ist die Satzweise vom künstlerischen Gehalt nicht zu trennen. Das wäre mit einem Ausdauersportler vergleichbar, der sich bei jeder Gelegenheit einfach durchmogelt - wozu? Etwa vergleichbar also mit einem Marathonläufer, zwischendurch einfach mal in ein mitfahrendes Auto einsteigt, solange keiner guckt? Nur um einem Personenkreis anzugehören, mit dem man objektiv gar nicht mithalten kann?

Freilich gehören immer mindestens zwei dazu - und es gibt dafür eben auch einen Markt, egal ob man das gutfindet oder nicht. Vielen genügt wohl bereits der schöne Schein.

LG von Rheinkultur
 
Man lernt ja nicht nur spielen, man lernt auch hören. Weil ich schon immer auf klassischen Musik gestanden habe, hatte ich erst einmal einen Vorsprung im Bezug auf das Hören, dieser Vorsprung reicht, dass Heumann für mich unerträglich ist. Es ist irgendwie so, als würde es Stress erzeugen, wenn die Klangerwartung nicht erfüllt wird.

Was ich mir jetzt denke ist: Wenn Klavierschüler diese Stücke spielen und die Vorstellung wie es eigentlich klingen müsste gar nicht entstehen kann, dann wird die Klangvorstellung dieser Schüler künstlich niedergedrückt.

Allerdings weiß ich auch, dass es Menschen gibt, die gar nicht an ihrem Klangempfinden arbeiten wollen, da finde ich Heumann durchaus in Ordnung. Was allerdings eine kognitiv erzwungene Toleranz bei mir ist, meine Empfindung ist totales Unverständnis: Warum will man Klavier lernen, wenn man nicht verstehen will, was man da tut? Also für mich ist hören können und verstehen an der Stelle das Gleiche.
 
Warum will man Klavier lernen, wenn man nicht verstehen will, was man da tut?

Die Frage stelle ich mir regelmäßig ... :-)

Zum Thema, besonders schlimmes Erlebnis einer mir wohl bekannten Organistin: Hochzeit, Streichquartett spielt 'Can You Feel the Love Tonight". Ob das Lied die schon mal das Mind Setting für die Hochzeitsnacht setzen sollte weiß ich nicht, war aber vom Brautpaar gewünscht. Es wurde ein vereinfachtes Arrangement gespielt: Alle Off-Beats aus der Melodie raus. Grausam.

Die "Apassionata" von Heumann spielen ist wie eine Lamborghini-Kunstoffkarosserie auf einer Toyota-Plattform. Manchen gefällt's, anderen nicht. Ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, wenn ich sowas nicht fahren würde.

Grüße
Häretiker
 
Gute Einwürfe für den Anfang.

Machen wir mal weiter: zur Zeit der Romantik entwickelte sich eine Musikerkaste, die Musik so betrieb, wie Spitzensportler heute den Sport: höher, weiter, schneller => möglichst unspielbar schwierig. Schumann wollte ausdrücklich der weltbeste Pianist werden (und hat sich dabei die Finger verdorben), Liszt und andere drangen in immer neuere Welten an Schwierigkeiten vor. (Zumindest aus Sicht des Publikums oder anderer Musiker sollte es so erscheinen.)

Ob die vielen Vorzeichen der Lisztigen Glöckchen-Sonate sie nun tatsächlich schwieriger machen, als wenn sie in C-Dur vorzeichenlos wäre, sei dahingestellt - ich weiß es nicht. Aber ich traue es einem Liszt zu, genau aus dem Grunde des Vorführens seiner spiel-technischen Überlegenheit auf die vielen Vorzeichen gekommen zu sein.

Man kann die Alpen zu Fuße erkunden. Ist schön, macht Spaß. Man kann dort mit dem Gleitschirm fliegen, und - wie wir in einem anderen Thread alltäglich zu sehen bekommen - übersteigt das die Erlebniswelt des Bergwanderns erheblich. Wenn man also nur das Niveau zum Spaziergang hat statt das zum Gleitschirmflug, warum soll man dann die Alpen auswählen, wenn es doch auch im Gleitschirm-untauglichen Flachland schöne Wanderwege gibt? Warum habt ihr da nicht die gleichen Hemmungen?
:teufel::-D
Viel Spaß beim Antworten!
 
Ob die vielen Vorzeichen der Lisztigen Glöckchen-Sonate sie nun tatsächlich schwieriger machen, als wenn sie in C-Dur vorzeichenlos wäre, sei dahingestellt - ich weiß es nicht. Aber ich traue es einem Liszt zu, genau aus dem Grunde des Vorführens seiner spiel-technischen Überlegenheit auf die vielen Vorzeichen gekommen zu sein.
Oh oh, damit hast du dich aber als ahnungsloser Kommentator geoutet...
 

Als absoluter Anfänger mag ich die vereinfachten Versionen, Flowkey gibt mir ja die Möglichkeit unter verschiedene Versionen zu wählen, ich nehme gerne die gelbe Version nicht die einfachste aber auch nicht schwer.
 
Ob die vielen Vorzeichen der Lisztigen Glöckchen-Sonate sie nun tatsächlich schwieriger machen, als wenn sie in C-Dur vorzeichenlos wäre, sei dahingestellt - ich weiß es nicht. Aber ich traue es einem Liszt zu, genau aus dem Grunde des Vorführens seiner spiel-technischen Überlegenheit auf die vielen Vorzeichen gekommen zu sein.
Nun ja.
Nur am Rande, aber nicht sehr wichtig: die Glöckchen -Sonate ist keine Sonate und wenn man sie nach C-Dur transponieren würde, klänge sie wirklich lustig.!
Und von wegen dass der Liszt Ferenc hätte seine spieltechnische Überlegenheit mit dem Friedhof an Kreuz-Vorzeichen beweisen müssen: In a-moll und dem dauernden Gefummel auf den Untertasten würden die Händchen niemals so elegant hin und her fliegen können.
Die Transponiererei in andere, vermeintlich leichtere Tonarten hat durchaus Tradition: Schuberts herrliches Ges-Dur Impromptu hat zeitweise epidemisch in G-Dur (!) ganze Landstriche heimgesucht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mich erinnert das Ganze an das Konzept der vereinfachten Schul-Lektüren (sowohl in den Fremdsprachen als auch - mittlerweile - in der Muttersprache).

Und die sind so ätzend langweilig! Unglaublich viel geht sprachlich verloren, aber auch einiges an inhaltlicher Komplexität.

Dann lieber gleich - egal ob in der Musik oder der Literatur - etwas Einfacheres.

Anders ist es bei Volksliedern, Popsongs und Filmmusik. Da gibt es ja Bearbeitungen auf verschiedenen Levels, und wenn sie halbwegs gut gesetzt sind, kann man sie tatsächlich gut für Prima Vista benützen.
 
Noch kürzer: (Ballade von Bürger)

Lenore fuhr ums Morgenrot
und als sie rum war, war sie tot.
 

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