Frage an Klavierbauer: Umgang mit klemmenden Tastengarnierungen

Hallo Michael,
Herrr Weiblen ist Orgelbauer und führt sein Geschäft sozusagen als zweites Standbein.
Die Tastenstifte zu drehen ist im Orgelbau eine gängige Methode um ausgespielte Austuchungen zu korrigieren, weil:
Die Klaviaturen in einem mehrmanualigen Spieltisch auszubauen bedeutet einen erheblichen Aufwand, der gemacht werden kann, wenn die Orgel sowieso überholt werden muß.
Bei einer normalen Wartung und Stimmung ist das nicht drin, weswegen die Notlösung des Stiftedrehens angewendet wird.

- Manche Klaviaturen haben als hinteren Anschlag und Auflage für die Tasten in selbigen eine Schraube eingedreht um jede einzelne Taste regulieren zu können für's Ebenlegen. Das habe ich im Klavierbau so auch noch nicht vorgefunden. -

Grüße

Toni
 
Danke, Toni für die Darstellung!
Das leuchtet ein. Nun geht es aber bei Mindenblues um einen zerlegten Spieltisch. Was würdest Du raten?

LG
Michael
 
In diesem Fall ist natürlich eine neue Austuchung das Optimale. Da hat man, wenn es richtig gemacht ist, für die nächsten Jahrzehnte Ruhe.

Grüße

Toni
 
Ich habe für die Austuchung alle nötigen Materialien mitbekommen: den dünnen roten Filz (Kasimir?), Vorderstift-Garnierklötzchen für verschiedene Dicken, Knochenleimperlen, Klaviaturenstift...richter. Ich werde mir also auch noch eine Tastengarnierungszange zulegen, dann bin ich werkzeugmäßig dafür schonmal bestens ausgerüstet. Vielleicht fange ich mit dem 3.Manual mit den Außentasten an, die selten verwendet werden, um die Lernkurve zu beginnen.
Ich habe von Michael auch die lehrreichen Videos gesehen bzgl. Austuchen.

Vielen Dank für die hilfreichen Hinweise!

Eine Frage möchte ich dann doch noch gerne hinterherschicken: Wie beseitigt ihr die Kleberreste, wenn der alte Filz entfernt wird von den Vorderstift- und Waagebalkengarnierungen?
 
Nachtrag: bei meinen Orgelmanualen zumindest sind die Vorderstifte oval. Dies bedeutet, auch wenn sie gerade ausgerichtet sind, ist die Führung auch nur mehr oder weniger punktuell

Na eben - sauber erkannt!

und wenn man sie etwas dreht, wird sie dadurch auch nur etwas punktueller, in meinem laienhaften Verständnis.

Das wird immer wieder gerne behauptet. Nein, sie wird nicht punktueller als sie es ohnehin schon ist, denn der Radius des Ovalsbleibt ja derselbe. Es wird nur der Kontaktpunkt etwas verschoben, und zwar an der einen Seite etwas nach vorn, an der anderen Seite etwas nach hinten. (Selbstredend darf man den Stift nicht sooo weit drehen, dass seine Ecken/Kanten in die Garnierung drücken!! Das setze ich hier aber voraus.) Solange man also nur soviel dreht, dass die Garnierung auch weiterhin noch am runden Teil des Stifts geführt wird, bleibt der Radius genau derselbe wie vorher - also sehe ich keinen Grund für etwaigen schnelleren Verschleiß der verbleibenden Garnierung. Man könnte den Stift sogar ein paar Jahre später nochmal in die andere Richtung verdrehen.

Ich will das Stiftedrehen ja gar nicht als Reparatur erster Wahl befürworten - erst recht nicht, wenn der Stift soweit verdreht wurde, dass seine Kante sich ins Kasimir frisst (wie es der hiesige Klavierbaumeister an meinem Klavier gemacht hat). Ich verstehe nur nicht, warum das Verdrehen, sei es auch noch so moderat, aus Prinzip mit soviel Wut verteufelt wird. (Ich ahne es aber.)

Immerhin, viel Spaß und Erfolg beim Austuchen!
 
Eine Frage möchte ich dann doch noch gerne hinterherschicken: Wie beseitigt ihr die Kleberreste, wenn der alte Filz entfernt wird von den Vorderstift- und Waagebalkengarnierungen?
Es gibt mehrere Möglichkeiten.
Ein befreundeter Klavierbauer löst die Austuchungen mit Spiritus an.
Das habe ich jetzt noch nicht probiert.
Ich verwende (das klingt jetzt vielleicht ein wenig brutal) einen Dampfreiniger.
Dadurch quellen auch die Fasern an schlackernden Waagebohrungen und diese können nach Trocknung neu angepasst werden. z.B.
http://www.thomas-philipps-onlineshop.de/suche/dampfreiniger-mit-zubehoer-fuer-ca-340ml
Die Profis verwenden bevorzugt dieses Gerät:
http://www.weiblen.de/spezialwerkze...aturen/tastenbiber-zur-garnierungsentfernung/


Grüße und viel Erfolg

Toni
 
Zuletzt bearbeitet:
Das wird immer wieder gerne behauptet. Nein, sie wird nicht punktueller als sie es ohnehin schon ist, denn der Radius des Ovalsbleibt ja derselbe. Es wird nur der Kontaktpunkt etwas verschoben, und zwar an der einen Seite etwas nach vorn, an der anderen Seite etwas nach hinten.

Nein, zumindest bei meinen Orgelmanualen ist der Radius des Ovals eben doch nicht ganz derselbe, in der Mitte ist der Radius am größten und nimmt dann immer mehr ab. Deshalb denke ich schon, dass peut a peut durch ein Verdrehen die Kontaktfläche etwas kleiner wird. Aber eben auch nur minimal kleiner bei minimaler Verdrehung. Von daher würden mich weitere Gründe auch interessieren, warum das minimale Verdrehen so sträflich sein soll.

Nur, wie schon geschrieben, ich habe bis auf die Garnierungszange wirklich alle Materialien da, bin auch motiviert, und möchte es gerne jetzt richten und viele lange Jahre meine Ruhe damit haben wollen, ohne es wieder ausbauen zu müssen.
 
Ich verwende (das klingt jetzt vielleicht ein wenig brutal) einen Dampfreiniger.
Dadurch quellen auch die Fasern an schlackernden Waagebohrungen und diese können nach Trocknung neu angepasst werden. z.B.
http://www.thomas-philipps-onlineshop.de/suche/dampfreiniger-mit-zubehoer-fuer-ca-340ml

Also mit diesem Dampfreiniger nach Filzentfernung in die Öffnung hineinpusten und z.B. mit einem Wattestäbchen die durch den Dampf gelösten Knochenleimkleberreste aufnehmen?
 
Also mit diesem Dampfreiniger nach Filzentfernung in die Öffnung hineinpusten und z.B. mit einem Wattestäbchen die durch den Dampf gelösten Knochenleimkleberreste aufnehmen?
Mit dem Dampfreiniger zum Entfernen hineinpusten.
Meist ist der Leim dann auch weg.
Achtung: nicht zu lange bei den Waage-Bäckchen dampfen, sonst sind die auch ab...:cry2:

Toni
 
@ MB:

OK, wenn der Radius zum Ende hin kleiner wird, sehe ich den Punkt ein, dass die Kontaktfläche dann noch (etwas) kleiner wird, als sie ohnehin schon ist, vor allem zum Ende hin. Ich gebe zu, das mit dem "konstanten Radius" auch bisher nur gelesen zu haben (allerdings wiederholt), nicht etwa selber gemessen zu haben. Das prickelt mich jetzt; ich schau an meinem Kalimpakästen mal nach.
 

Ich will das Stiftedrehen ja gar nicht als Reparatur erster Wahl befürworten - erst recht nicht, wenn der Stift soweit verdreht wurde, dass seine Kante sich ins Kasimir frisst (wie es der hiesige Klavierbaumeister an meinem Klavier gemacht hat). Ich verstehe nur nicht, warum das Verdrehen, sei es auch noch so moderat, aus Prinzip mit soviel Wut verteufelt wird. (Ich ahne es aber.)
Eben aus diesem Grunde verteufle ich das. Er hat Dir das Klavier womöglich als "generalüberholt" verkauft? Tastenstifte verdrehen dauert ein paar Minuten... Ergebnis: Die Tasten fühlen sich nicht so wackelig an als vorher... (vorläufig) - und Klaviertasten werden glaube ich seitlich bestimmt stärker beansprucht als Orgeltasten.

Es ist eben ein gewaltiger Unterschied, ob man so vorgeht wie Toni, der zum stimmen gerufen wird und die Stifte an den Orgelmanualen verdreht und dazu sagt: "Beim nächsten größeren Service bzw. spätestens in 2 oder 3 Jahren müssen die Garnierungen gemacht werden und das hier ist eine Notlösung."

Mark!, man kann auch Saiten knüpfen und Knoten lernen. Irgendwann wird man das vielleicht tun, weil keine andere Möglichkeit besteht irgendwo in der Wüste, ohne Material oder für diesen einen Auftrag, das Klavier fürs Konzert in 2 Stunden fit zu machen, aber eine fachlich einwandfreie Vorgehensweise erfordert, dass man dies später korrigiert, wenn das Material bestellt ist und genügend Zeit für die Arbeit. Merkst Du den Unterschied? :coolguy:

LG
Michael
 
OK, wenn der Radius zum Ende hin kleiner wird, sehe ich den Punkt ein, dass die Kontaktfläche dann noch (etwas) kleiner wird, als sie ohnehin schon ist, vor allem zum Ende hin. Ich gebe zu, das mit dem "konstanten Radius" auch bisher nur gelesen zu haben (allerdings wiederholt), nicht etwa selber gemessen zu haben.

Mark, konstanter Radius in einem gewissen Bereich würde "kreisförmig" bedeuten für diesen Bereich. Das sind meine Vorderstifte an keiner Stelle. Wohl aber ändert sich der Radius im Mittelbereich über einen gewissen Bereich kaum. Also sollte sich auch die Kontaktfläche bei einem ganz wenig verdrehten Vorderstift entsprechend wenig verringern. Von daher würden mir rationale Argumente für das ganz sachte Verdrehen, die über das nackte Verteufeln hinausgehen, auch besser gefallen und vor allem mehr einleuchten.

Bei meinen Orgelmanualen stellt sich vor allem im obersten Manual, was ohnehin am wenigsten genutzt wird, mindestens bei der Hälfte der Tasten die Frage, ob das geringe Spiel nicht ohnehin zu tolerieren ist, oder ob man es durch ganz gelindes Verdrehen, so um ein paar Grad (Grädchen...), nicht doch beseitigen darf. Auf der anderen Seite breche ich mir keinen ab, einfach komplett neu auszutuchen - vielleicht sieht es spätestens so ab der 100. Taste auch ganz gut aus, entsprechend der Lernkurve...
 
Ich verstehe nur nicht, warum das Verdrehen, sei es auch noch so moderat, aus Prinzip mit soviel Wut verteufelt wird. (Ich ahne es aber.)

Es gibt auch Klavierbauer die das Abziehen der Hammerköpfe verteufelt und zum Austausch der Köpfe raten.

Das Drehen der Stifte bei zu weiten Garnierungen ist absolut legitim wenn man dem Kunden dafür auch nur 15-30min berechnet.
Am Garnieren ist mehr verdient.
 
@ Michael:

Natürlich verstehe ich den Unterschied! Die Frage ist m.E. vielmehr, ob die Arbeit als neuwertig, generalüberholt usw. verkauft werden soll. Und ja, "mein" Klavierbauer hat mir das Klavier als generalüberholt verkauft:
* Neue Tastenbeläge (aber die Waagebalkenstifte derbe verbogen, weil (a) die Tastenhölzer verzogen sind, und (b) die neuen weißen Beläge nicht weit genug für die alten Ebenholzbeläge ausgefeilt wurden)
* Anfangs schön feste Tastatur, an der ich später derb verdrehte Vorderstifte fand, auch kunterbunt gemischte Garnierungen (Leder, mindestens zwei Sorten Kasimir), verschlissen von "kaum" bis "mausetot"
* Neue Hammerköpfe (die sich später bei unabhängiger Begutachtung, und als ich selber mehr dazulernte, als steinharte Billigware herausstellten; eine Nadel kriegt man da gar nicht hinein.)

Für all das habe ich gezahlt. (Und dies ist ja schon das kleinere der beiden Übel, nachdem er das Seiler, welches ich ursprünglich gekauft hatte, gegen dieses Zimmermann ausgetauscht hatte.)

Soweit zu (un)professioneller Dienstleistung. Wenn aber Mindenblues seine eigene Tastatur wartet oder überholt, ist das keine Generalüberholung für einen (teuer zahlenden) Kunden. Deswegen finde ich, dass man in solch einem Fall auch flexibler über alternative Methoden reden sollen dürfte, ohne sie gleich zu verteufeln.

Um beim Beispiel gerissener Saiten zu bleiben: Ich habe an meinem Ibach eine Seite vom zweichörigen d geknüpft, die bei der ersten Tonerhöhung gerissen war, weil der Sechskant-Kerndraht sich in den (zu weichen) Umlenkstift an der Silie eingefressen hatte und sich dort verkantet hatte.
https://lh3.googleusercontent.com/-...ZBKCSZs/w1049-h415-no/TerminationsD3D%233.jpg
Ich habe nicht vor, das Klavier in absehbarer Zeit zu verkaufen, also lasse ich den Knoten (auf den ich übrigens nicht ganz unstolz bin) drin. Nachdem ich den Umlenkstift geglättet habe, ist an der Stelle wieder ein normaler Reibungswert, die Saite ist wieder stimmbar und mit ihrer Nachbarin chorrein. Beim Stimmen lächelt mich der Knoten jedesmal freundlich an.
https://lh6.googleusercontent.com/-...AAAAABag/i-_vUHQzvOY/w373-h881-no/Splice3.jpg
Würde ich das als fachlich einwandfreie Profi-Arbeit oder gar Generalüberholung verkaufen? Nein. Bin ich mit der Ergebnis für den Eigengebrauch zufrieden? Sehr.
 
Nachdem ich die interessante und kontroverse Diskussion über Drehen/Nichtdrehen gelesen habe, tendiere ich bei meinen Orgelmanualen zu folgendem Vorgehen:
- stark verschlissene Vorderstift- und Waagestiftfilze erneuern (komplettes 1. Manual, vom Vorgänger fast vollständig bereits gemacht, evtl. 2. Manual oder dort nur teilweise)
- bei gering verschlissenen Filzen, bei denen die Tasten nur wenig seitlich wackeln (komplettes 3. Manual), erstmal die Vorderstifte sachte drehen - wenn sich herausstellen sollte, dass dies nicht lange hält, kann ich immer noch die Filze erneuern und die Stifte wieder gerade richten, da sich auch bei fertig aufgebautem Spieltisch bei mir die Manuale leicht ausbauen lassen.
 
Ich oute mich hier auch mal als Vorderstiftevedreh-Versteher. Solange man nur ein klein wenig dreht, ist das okay. Wenn es nach einiger Zeit nicht hält, dreht man halt in die andere Richtung. Wenn es dann irgendwann auch nicht mehr gut ist, garniert man neu. Das ist natürlich sowieso die bessere Methode, aber als schnelle Lösung ist ein klein wenig drehen durchaus in Ordnung (solange man es nicht bei einer Generalüberholung macht).

Und Saiten knoten würde ich auch gerne können. Ich hab das mal probiert, aber nach etlichen Versuchen genervt aufgegeben. Ich kenne aber einige Klaviere, die geflickte Bass-Saiten haben und bei denen man es weder hört noch beim Stimmen spürt. Aber auch das ist nichts für eine Generalüberholung.
 

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