Fingersatz Initiationsritual

Dabei seit
6. Juni 2010
Beiträge
1.194
Reaktionen
40
Nach Lektüre von Threads zum Thema "allgemeine Regeln für Fingersätze" darf ich folgendes Ergebnis zusammenfassen:

Das Geheimnis der Fingersätze wird in Vollmondnächten von erfahrenen Meistern in einem Ritus an auserwählte Adepten mündlich überliefert.
Es ist bei Strafe verboten, dieses Wissen in Buchform, selbst in grober Verallgemeinerung, der neugierigen Öffentlichkeit preis zugeben.

Mir ist natürlich schon als Anfänger klar, dass jede Komposition ein Einzelwerk ist, und es nicht "den" richtigen Fingersatz schlechthin gibt.

Meine Frage:
- gibt es Literatur, die mit systematischen Beispielen bei steigendem Schwierigkeitsgrad, mit Übungsaufgaben und erklärten Lösungen die Herangehensweise an die gegen unendlich konvergierenden Möglichkeiten beschreibt?

Ich habe recherchiert, englisch und deutsch, und bin nur bei "Molsen, Fingersatzkurs" fündig geworden.
Ist das Buch ggf. zu empfehlen?

Weiß jemand, ob Molsen inzwischen für den Verrat zur Rechenschaft gezogen wurde?

Gruß aus Hamburg


Reiner
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Opa NewOldie,

ich lese Deine Beiträge so gerne, weil sie so unterhaltsam sind.:-D
Die Threads zum Thema "allgemeine Regeln für Fingersätze" hingegen habe ich noch nicht einmal gesucht, geschweige denn gelesen. Deshalb kann ich nur sehr laienhaft meine Erfahrungen mit Fingersätzen darlegen.

Ich kenne 3 Arten von Fingersätzen:
- die, die der Komponist selbst aufgeschrieben hat
- die vom Herausgeber der Noten hinzugegebenen
- die selbst hingekritzelten

In allen 3 Fällen kann man davon ausgehen, daß der Verursacher sich etwas dabei gedacht hat, es lohnt also, die Vorschläge anzunehmen und zumindest zu testen.

Nun hat ja jeder andere Hände und was für Deine wahrscheinlich riesigen Hände gut ist, muß für meine Kinderpatschen noch lange nicht taugen. Und umgekehrt.

Ich gehe also bei der Erarbeitung eines neuen Stückes wie folgt vor:
- Drauflosspielen und gucken, wo´s klemmt (also: wo der Fingersatz nicht trivial ist)
- Ausprobieren der gedruckten Fingersatz-Vorschläge. Wenn sie "bequem" sind, beibehalten
- Wenn keine Vorschläge da sind oder selbige nicht passen, selbst einen geeigneten Fingersatz erarbeiten und zu den Noten aufschreiben (ganz wichtig, sonst vergißt man´s wieder!). Da ich Mathematiker und somit von Natur aus faul bin, suche ich immer nach einem Fingersatz, bei dem ich mich möglichst wenig bewegen muß. Man sollte aber auch beachten, daß die Finger nicht gleich stark sind. Manchmal bekommt man mit einem ansonsten guten Fingersatz die Betonung nicht gut hin, dann muß man ihn eben ändern.
- Bei ganz schwierigen Stellen, wo die Finger "nicht aufgehen", lasse ich mich von meinem Klavierlehrer inspirieren. Bisher konnte er immer helfen.

WICHTIGSTE REGEL:
IMMER MIT DEMSELBEN FINGERSATZ SPIELEN!

Als ich ungefähr in der Steinzeit - als Kind - schon mal Klavierunterricht hatte, wurde der Fingersatz konservativer behandelt. Ich erinnere mich schwach daran, daß auf nicht zwingend erforderlichen Einsatz des Daumens auf einer schwarzen Taste hohe Strafen standen. Natürlich ist es auch heute noch unbequem, wenn man z.B. rechts mit 3 auf c steht, mit dem Daumen auf cis unterzusetzen. Aber man macht keine Prinzipienreiterei daraus.

Ist das die Richtung, in der Du Antworten suchst und vielleicht noch Vertiefung wünschst, oder hast Du was ganz anderes gemeint?

(Zu Molsen kann ich nichts sagen. Ich hoffe, er war nicht mit dem Daumen auf schwarzen Tasten, sonst haben ihn am Ende die Nachtmahre gefressen?)


Liebe Grüße nach Hamburg von der
Klavieroma
 
Hallo liebe Klavieroma,

vielen Dank für deine Antwort.
Das sind wichtige Aspekte, die du dort beschreibst. Vielen dank.
Das Problem für mich ist, dass das Thema nur schwer zu packen ist. In allen Beiträgen und tollen Ratschlägen zu Einzelfragen hier im Forum steckt viel Wahrheit und Erfahrung. Das hätte ich gerne alles in einem Regelwerk.
Insofern verstehe ich nicht, dass es keine Bücher gibt, die sich diesem Thema systematisch annehmen.

Die Antwort ist eigentlich schon klar.
Warum halten sich nur so wenige Leute Pferde auf dem Balkon?
Antwort: weil es nicht geht. Punkt.

Du bist Mathematikerin; ich bin Chemiker (Ingenieur). Insofern versteht du doch sicher ( hoffentlich) dass ich mich trotzdem nach einem ganz un-künstlerischen technischen Lösungsansatz sehne.

Ich bin ja in der komfortablen Lage innerhalb eines halben Jahres drei Klavierlehrer kennengelernt zu haben.

Mit dem hübschen Stück, an dem ich als Autodidakt scheiterte, erschien ich beim ersten. Nach meinem Vorspiel, sagte er: "Kein Wunder", nahm einen Bleistift und korrigierte die Fingersätze.
Ich bewunderte ihn.
Nach etwas Gewöhnung konnte ich deutlich mehr Klang in das Stück bringen.

Klavierlehrer Nummer zwei, zückte sofort ungefragt ein Radiergummi und löschte fast alle Zahlen seines Vorgängers und setzte dafür seine neuen Duftmarken. Auch das ließ sich sehr flüssig spielen.

Mein jetziger Lehrer, der für mich über alle Zweifel erhaben ist, griff reflexhaft zum Radierer, hielt dann aber inne und knurrte: "An sich ist das ja ..., aber wenn du damit klarkommst.."

Und alle drei mussten das Stück nicht einmal selbst spielen.

Jetzt frage ich mich: auf welchen Harry Potter Zauberschulen lernt man das?:confused:

Natürlich ist mir schon klar, dass dies letztendlich Lebenserfahrung/Klaviererfahrung und persönlicher Stil ist.
Aber dies Zauber-Buch wird wohl so lange ein Wunschtraum bleiben, bis ich es selbst geschrieben habe.

Lieber Gruß aus Hamburg

Reiner
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Nein, die Fingersatzgeheimnisse werden nur bei Neumond weitergegeben, bei Vollmond könnte ja jemand zusehen.

Das blöde an den Geheimnissen ist, daß die Lehrer erst selbst dahinter kommen müssen, was den Fingern ihrer Schüler schmeckt. Natürlich gibt es viele grundsätzliche Prinzipien und dazu auch ein Thema hier im Forum aber das größte Geheimnis bleibt die Systematik (???), die hinter den Fingersätzen mancher Notenausgaben steckt. Ich bin immer ganz erstaunt, wenn ich mal eine plausible Erklärung für einen solchen bekomme.

Für Anfänger ist es wohl am besten, dem Lehrer zu vertrauen, denn nicht jeder Fingersatz ist von anfang an bequem oder leicht. Aber bevor man sich ein persönlich angepaßtes Repertoire zulegen kann, muß man erstmal einige "schulmäßige" Varianten durchprobieren. Das einfachste Beispiel sind Tonleitern, am besten die C-Dur Tonleiter. Viele weiße Tasten, die alle gleich aussehen und dann noch mit 1-2-3-1-2-3-4 gespielt werden sollen. Warum nicht 123-123 oder 1234-1234? Weil man dann mehrere Oktaven mit unterschiedlichen Fingersätzen bekommt und das im Endeffekt viel verwirrender ist als 123-1234, vor allem dann, wenn man nur kleine Ausschnitte der Tonleiter spielt ("in welcher Oktave war ich noch? Ach ja, Mittelfinger auf G").

Das Initiationsritual ist eigentlich sehr einfach und dauert nur wenige Jahre, da ja jeden Monat ein Neumond kommt. Es werden auch nur selten Blutopfer gefordert, meistens reicht es, in bar zu zahlen :D
 
Nein, die Fingersatzgeheimnisse werden nur bei Neumond weitergegeben, bei Vollmond könnte ja jemand zusehen.

Runenstäbe werfen, einen schwarzen Hahn opfern, altehrwürdige Zaubersprüche murmeln - auch das findet bei der Weitergabe der druidischen Geheimnisse statt. Das große geheime Buch der Fingersätze befindet sich übrigens auf der im Nebel verborgenen, nur von Eingeweihten auffindbaren Insel Avalon und wird dort zusammen mit dem Gral von König Artus und seiner Tafelrunde bewacht.

no chance, dass es irgendwann mal in die Printmedien gerät...

:D :D :D
 
Fingersätze lernt man wahrscheinlich, wie fast alles, am besten wenn man es selbst macht.

Ich habe meine Fingersätze von Anfang an selbst gemacht. Mein Klavierlehrerin korrigiert diese dann und erkärt mir warum sie etwas korrigiert. Es kommt aber auch immer mal wieder dazu, dass sie etwas korrigieren will und wir dann doch bei meiner Version bleiben. Unsere Hände sind halt auch nicht ganz gleich.
 
Vorgegebene Fingersätze

Hallo

Nun habe ich auch mal eine Frage zu der Diskussion.
Wie verhält es sich denn generell bei Etitüden, bei denen mitunter auch der Fingersatz dabei steht?
Da dies ja Übungsstücke sind, die also dem Klavierschüler etwas vermitteln wollen, ging ich bisher davon aus, dass auch die Fingerfertigkeit über den Fingersatz vermittelt werden soll.
Mir als Anfänger erscheint mir jedoch der eine oder andere Satz etwas "verkrampfend". Mit einem eigenen würde ich evt. besser klarkommen.

Frage also: Soll man sich bei Etitüden mit dem vorgegebenen Fingersatz "geiseln" oder etwa doch lieber einen eigenen kreieren?
 
Hallo Tom Rice,

ich befürchte, daß es auch für Etüden keine generelle Lösung gibt. Manche Etüden sind nett verpackte Fingerübungen, da kommt es schon darauf an, genau der Vorschrift zu folgen. Es gibt ja aber ein breites Spektrum bis hin zur großen Konzertetüde. Bei denen darf man den Fingersatz vielleicht doch an die eigenen Hände anpassen.

Kleine Korrektur am Rande: Etüden sind lt. Lexikon spieltechnische Übungsstücke. Etitüde kenne ich nicht und mein Lexikon auch nicht, nur Atitüde (=Körperhaltung, komödiantenhaftes Auftreten, tänzerische Stellung beim Ballett, ...). Aber vielleicht steht es ja auch so komisch auf Deinem Notenheft? Sollte ich eine neue Vokabel verpaßt haben, lasse ich mich gern belehren.

LG Klavieroma
 
Erstmal Hallo Tom Rice und herzlich willkommen im Forum!

Aus meiner Anfängererfahrung: manchen empfohlene Fingersatz empfand ich anfangs ziemlich "akrobatisch". Aber nach einiger Zeit wurde er geläufiger und am Ende haben meine Finger ihn als "natürlich richtig" empfunden. Daher lasse ich mich bei einem Stück, das ich hauptsächlich des Übens wegen lerne, ruhig darauf ein und probiere ihn aus (egal welchem Genre das Stück jetzt zuzuordnen ist).

Etwas anders ist es bei Stücken, die mir am Herzen liegen und die ich für längerfristig in mein Repertoire aufnehmen möchte. Da gilt es, sich auf einen festzulegen und den später nicht mehr zu verändern, um das Fingergedächtnis nicht zu verunsichern. Da probiere ich anfangs kurz, kläre eine Modifikation evtl. mit der KLin und bleibe dann beim festgelegten.

Nach meiner Ansicht kann ein momentaner Fingersatz unterschiedlich sein, je nachdem
a) ob er sich aus dem vorangegangenem Spiel "organisch" ergeben hat oder
b) ob er, per Überlegung gewählt, das nachfolgende Spiel erleichtern soll.

Nun ist meine Erfahrung, dass die Variante b) leichter in Vergessenheit gerät. Wenn ich ein mal auswendig gekonntet Stück wieder aus der Versenkung hole ist die Tonfolge und das Tastaturbild präsenter als das Fingergedächtnis, was zur Folge hat, dass meine Finger sich eher von Ton zu Ton bzw. Taste zu Taste hangeln und sich eher in Stellung a) befinden.
Hatte ich nun einen Fingersatz nach b) gelernt kommt es zur Kollision: das Fingergedächtnis protestiert und leitet fehl. :confused:

Wenn nichts sehr gravierendes dagegen spricht, bevorzuge ich daher einen Fingersatz nach a), auch wenn b) noch eleganter wäre. Was sagen die Profis dazu?

LG
Hanfred
 
Meine Frage:
- gibt es Literatur, die mit systematischen Beispielen bei steigendem Schwierigkeitsgrad, mit Übungsaufgaben und erklärten Lösungen die Herangehensweise an die gegen unendlich konvergierenden Möglichkeiten beschreibt?

Ich bin zwar kein Experte, aber ich gehe davon aus, daß es sowas nicht gibt.

Zum einen, weil keiner sich diesen drakonischen Strafen aussetzen will (diesen Molsen kenne ich nicht, aber er muß lebensmüde gewesen sein...) und zum anderen, weil es da keine allgemein gültigen Richtlinien geben kann/wird.

Jeder hat andere Hände und einen Fingersatz, den der eine bequem findet, wird ein anderer kaum spielen können.

Wenn du an einem Stück mit vorgeschlagenem Fingersatz übst, würde ich dir empfehlen, diesen erst mal auszuprobieren. Meistens paßt er und du fühlst dich dabei wohl. Wenn deine Finger aber permanent was anderes machen wollen, solltest du diesem 'Hinweis' auch ruhig nachgehen, oft paßt es dann viel besser.

Davon abgesehen gibt es auch sehr viele Stücke, die keinen Fingersatz vorschlagen und bei diesen würde ich dir raten, erst mal zu versuchen, das Stück vom Blatt zu spielen, der Fingersatz ergibt sich dann sehr bald. Und wenn du den richtigen hast, ist es halt wichtig, daß du dann auch dabei bleibst!
 
...Kleine Korrektur am Rande: Etüden sind lt. Lexikon spieltechnische Übungsstücke. Etitüde kenne ich nicht und mein Lexikon auch nicht, nur Atitüde (=Körperhaltung, komödiantenhaftes Auftreten, tänzerische Stellung beim Ballett, ...). Aber vielleicht steht es ja auch so komisch auf Deinem Notenheft? Sollte ich eine neue Vokabel verpaßt haben, lasse ich mich gern belehren.

LG Klavieroma[/QUOTE]


Ups, da hat mein Gedächtnis das Wort wohl falsch abgespeichert!
Du hast natürlich recht, es heißt Etüden.
Ich bitte um Nachsicht, bin erst seit einem halben Jahr mit dem Klavierspielen dabei, insbesondere als blutiger Laie in Sachen Musiktheorie gibt es da ´ne ganze Menge zu lernen. Da schmeißt man halt mal was durcheinander ;)
 

Zurück
Top Bottom