Durchspielen - VOR dem Üben?

  • Ersteller des Themas Debösi
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Wir können also zusammenfassen: Wenn man eine Beethoven-Sonate nicht durchspielen kann, bevor man beginnt sie zu lernen, sollte man das mit dem Klavier lieber lassen.
 
Oder, nie eigene eingeschlichene Fehler korrigieren, denn diese kommen ja ohnehin immer wieder durch.
 
Erzähle das nur rechtzeitig Einsteigern, die außer "Alle meine Entchen" und Tonleitern so ziemlich rein gar nichts durchfingern könnten.

Ein Stück, die man vor dem Lernen zerstückelt üben muss, um es überhaupt spielen zu können, bleibt für immer.
Durchfingerbares wird schnell gelernt und schnell vergessen – gut für den Beruf, bringt einen weniger weiter.
 
Hallo @kitium

Das deckt sich mit meiner Erfahrung, dass ich Stücke, die um 2-3 Grade über dem mir zuträglichen Schwierigkeitsgrad liegen, sehr schnell auswendig lerne, während leicht Durchfingerbares relativ schwer zu merken ist.

Ich habe das unlängst mit meiner verehrten Klavierlehrerin diskutiert. Ihr geht es darum, den Zusammenhang des Stückes zu erfassen und plausibel wiederzugeben, wobei Durchspielen durchaus helfen mag.

Das bloße Durchspielen zerstört bei mir aber die Faszination, die ich beim Zusammensetzen der geübten Bruchstücke zu einem Ganzen erlebe. (Sie und der überaus brennende Wunsch, diese Musik selbst erklingen lassen zu können, ist der Grund, warum ich mir den Wahnsinn überhaupt antue und oft jahrelang an einem Stück übe.)

Es ist immer das berühmte „non solum sed etiam“, das „nicht nur sondern auch“, das weiterhilft: Durcharbeiten des Gesamten, womöglich „trocken“ und mental, die technische und musikalische Detailarbeit an den Mosaiksteinen und das Zusammensetzen des Puzzles zum fertigen Bild.

Liebe Grüße
Debösi - Robert
 
während leicht Durchfingerbares relativ schwer zu merken ist

Das geht mir genauso. :cry2:

:teufel: Psychomachia: Ich verdächtige das Unterbewusstsein. Es verweigert sich :-(( und funkt dauernd ans Ich: Schau doch in die Noten, alles easy, kannste doch glatt runterspielen! Das Über-Ich funkt defensiv zurück: Nee, überleg doch mal, ist echt besser, wenn Du es auswendig spielst. :heilig:


Das Ich, solchermaßen in die Zange genommen, kommt zu keiner wirklichen Überzeugung und beugt sich instinktiv dem Rat, der evolutionär älter ist = den geringsten Energieaufwand verspricht. :teufel:
 
Hallo @kitium

Das deckt sich mit meiner Erfahrung, dass ich Stücke, die um 2-3 Grade über dem mir zuträglichen Schwierigkeitsgrad liegen, sehr schnell auswendig lerne, während leicht Durchfingerbares relativ schwer zu merken ist.

Betreibst Du vielleicht das Auswendiglernen am Instrument? Das könnte bedeuten, dass bei Stücken beträchtlicher technischer Schwierigkeit das kinetische Gedächtnis durch das Üben zusätzlich in Gang gesetzt wird, was bei "Durchfingerbarem" weniger beansprucht wird.
 
Das deckt sich mit meiner Erfahrung, dass ich Stücke, die um 2-3 Grade über dem mir zuträglichen Schwierigkeitsgrad liegen, sehr schnell auswendig lerne, während leicht Durchfingerbares relativ schwer zu merken ist.

Lieber Debösi,

ergänzend zu kitium

Betreibst Du vielleicht das Auswendiglernen am Instrument? Das könnte bedeuten, dass bei Stücken beträchtlicher technischer Schwierigkeit das kinetische Gedächtnis durch das Üben zusätzlich in Gang gesetzt wird, was bei "Durchfingerbarem" weniger beansprucht wird.

könnte es auch sein, dass du das "leicht Durchfingerbare" einfach weniger am Klavier übst als schwerere Stücke. Und dass das motorische Gedächtnis (Fingergedächtnis) eben weniger Input erhält, was das Auswendiglernen erschwert.

Bei schweren Stücken macht man vielleicht sehr kleine Abschnitte, die man oft wiederholt. Bei leichten Stücken lange Abschnitte, die man nicht so oft wiederholt. Wäre zumindest eine Möglichkeit.

Ich habe das unlängst mit meiner verehrten Klavierlehrerin diskutiert. Ihr geht es darum, den Zusammenhang des Stückes zu erfassen und plausibel wiederzugeben, wobei Durchspielen durchaus helfen mag.

Das bloße Durchspielen zerstört bei mir aber die Faszination, die ich beim Zusammensetzen der geübten Bruchstücke zu einem Ganzen erlebe. (...)

Es ist immer das berühmte „non solum sed etiam“, das „nicht nur sondern auch“, das weiterhilft: Durcharbeiten des Gesamten, womöglich „trocken“ und mental, die technische und musikalische Detailarbeit an den Mosaiksteinen und das Zusammensetzen des Puzzles zum fertigen Bild.

Ich kann dich sehr gut verstehen, denn mir geht es ähnlich. Vom Kleinen zum Großen, von den Details zum Ganzen.

Viele Schüler muss man erst einmal zu so einer Arbeitsweise bringen. Wer das aber schon macht und dabei seine Erfüllung findet so wie du, dem kann ein anderer Zugang einen erheblichen Gewinn bringen! Dazu ist es vielleicht erforderlich, über seinen Schatten zu springen, aber man wird reich belohnt.

Denn man bekommt eine andere Perspektive auf das Stück. Es werden plötzlich Dinge hörbar und spürbar, die bei der Detailarbeit nicht zu hören sind. Die großen Bögen, die Gesamtstruktur, die Stringenz der Gesamtentwicklung eines Stücks, die unterschiedlichen Klangräume in der Gesamtwirkung etc..

Manchmal hat es auch mit Kontrolle zu tun bzw. mit dem Loslassen derselben. Wenn man immer an Details feilt, hat man immer alles unter Kontrolle. Das Ganze zu spielen bedeutet ein Risiko, besonders wenn man es noch nicht perfekt kann. Es wird höchstwahrscheinlich was daneben gehen und vielleicht gefällt einem dann einiges nicht.

Gerade aber das Loslassen von Kontrolle kann etwas ganz Neues erschaffen! Z.B. auch, dass man spontan auf das gerade Gespielte reagiert und plötzlich etwas ganz anderes dabei herauskommt, als man je für möglich gehalten hat. Dass man neue Möglichkeiten der Deutung entdeckt u.v.a..

Ich war bei meiner letzten Lehrerin einmal sehr unzufrieden mit einer Stelle - ich fand, ich hatte sie viel zu laut gespielt und brach ab. Meine Professorin fragte mich: "Warum brichst du denn ab???" Ich: "Ich war sehr unzufrieden. das war viel lauter, als ich mir vorgestellt hatte!" Sie:" Meine Liebe, damit beraubst du dich sehr vieler Möglichkeiten, etwas im Stück zu entdecken, was du bisher nicht für möglich gehalten hast. Das scheinbar zu Laute so weiter zu führen, dass die Entwicklung trotzdem logisch ist, schafft Neues."

Für mich ein absolutes Schlüsselerlebnis! Die Spontanität, die dies erfordert, ist ein wesentliches Element des Musizierens. Es verhilft auch dazu, weniger Angst vor Vorspielen zu haben! Niemals gibt es nur eine Lösung, ein 100%, dessen, was möglich ist. Wenn man vorspielt mit dem Anspruch, das jetzt genau das zu möglichst 100% herauskommen muss, was man sich zu Hause am eigenen Instrument vorgestellt hat, wird man unfrei und eng und beraubt sich des herrlichen Abenteuers des Musizierens, bei dem die Musik unter den eigenen Händen entsteht.

Eine Klangvorstellung zu haben ist wichtig und von Nöten! Aber sie darf kein Dogma sein und man sollte sich nicht sklavisch dran halten müssen.

Wenn du mehr durchspielen würdest, bevorzugt VOR dem eigentlichen Üben, also am Anfang des täglichen Übens, würde sich das vielleicht positiv auswirken. :)

No risk, no fun. :003:

Liebe Grüße

chiarina
 

Hallo zusammen,

nachdem ich das oben geschrieben habe, habe ich meine Im-Kopf-Literatur Revue passieren lassen. Jetzt bin ich nicht mehr so sicher, ob die schwierigeren Stücke einen größeren Anteil als "durchspielbare" im Gedächtnis haben.
Ich halte mich für einen sehr stark auditiven, aber auch haptischen Lerntyp. Für letzteres spricht, dass besonders geübte Passagen binnen weniger Tage im Gedächtnis sind.
Wichtiger ist aber ersteres: Meine Umgebung berichtet, dass ich schon als kleines Kind versucht habe, auf dem Klavier irgendeine Musik nachzuspielen, die ich im Radio oder auf dem Schallplattenspieler gehört habe und wichtig: die mich beeindruckt hatte. Das erreichte leider bei weitem keine Wunderkindqualitäten, zeigt aber schon das heute geltende Muster: Hören - Haben müssen - Spielen wollen - Üben - Entstehen hören. Ganz nebenbei landet so etwas sehr schnell im Gedächtnis.

Betreibst Du vielleicht das Auswendiglernen am Instrument?
. Erwischt! Ich bekenne mich schuldig.
Denn meine Vorgehensweise ist leider nicht die eines Profis, der kognitiv voranschreitet, über musiktheoretisches Wissen gebietet, strukturiert, und im Kopf ein sauber konstruiertes Gebäude aus Musik entstehen läßt. Man fragt sich fast: Kann es hier überhaupt noch Gedächtnislücken geben? { Zum Glück - Ja - , denn es zeigt: Nicht alles in der Musik ist nur Konstruktion. (;-)).}

Immerhin hat meine geduldige Klavierlehrerin (ihr kennt sie) in der letzten Unterrichtsstunde einem eher-gedankenlos-Mozart-dahinträllernden Klavierschüler die oben angedeutete Arbeitsweise durchaus überzeugend näherbringen können:puh:.

@chiarina, ich glaube, Du rennst eine Tür ein, die @Stilblüte zumindest schon angelehnt hat. Beim Mozart hatte mich das Durchspielergebnis derart abgeschreckt, dass ich sehr nahe dran war, Mozart ganz zu verbannen. Das hat er wirklich nicht verdient - und mir war NACH der Unterrichtsstunde einiges vollkommen klar, was ich VORHER eher nur geahnt habe.

Und so ein Kontrolle-Freak bin ich auch nicht - Also keine Sorge!

Was Du en passant über das Vorspielen gesagt hast - mein Horror ! - werde ich mir durch den Kopf gehen lassen - da ist was dran. Davon vielleicht später mal...

Viele Grüße
Debösi - Robert
 

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