Die Sonaten von Alexander Skrjabin

Sonate Nr.9 op.68 „Schwarze Messe“

„Wenn die 7. Sonate Dämonen exorziert, so holt die 9. Sie wieder zurück. Verwesung, Perversion und Diabolisches kehren wieder. Von den samtweichen Harmonien der 8. stechen diejenigen der 9. mit ihren dissonanten kleinen Nonenakkorden ab und ersetzen die toten, wohlklingenden Oktaven.“

Ja, wie Bowers richtig bemerkte, haben wir hier ein düsteres Werk vorliegen. Eine schwarze Messe und das so kurz nach Christi Himmelfahrt. Der Beiname „Schwarze Messe“ stammt dennoch nicht von Skrjabin, sondern von seinem Freund Alexej Podgajetski in Anlehnung an die Weiße Messe, Skrjabins 7. Sonate. Skrjabin hat den Beinamen gekannt und ihn nicht abgelehnt, denn tatsächlich wollte Skrjabin hier etwas Böses darstellen.

Entstanden ist sie zwischen 1912-13 zeitgleich mit der 8. und 10. Sonate, wurde aber vor der 8. Sonate fertiggestellt. Uraufgeführt wurde sie 1913 in Moskau durch Skrjabin selbst. Sie war eines der am häufigsten gespielten Werke durch Skrjabin in seinen letzten Lebensjahren.

Der erste Takt ist neben der Tempobezeichnung „Moderato, quasi Andante“ mit „légendaire“ überschrieben. Die meisten der wichtigen Motive dieser Sonate finden sich bereits in den ersten Takten in sehr konzentrierter Form. Das erste Motiv besteht aus zweistimmigen, gleichrhythmischen Abwärtsbewegungen zunächst in der rechten, dann in der linken Hand. Es handelt sich um abwechselnde Terz- und Sext-Intervalle. Dabei fällt die obere Stimme chromatisch, während die untere Stimme im Zickzack verläuft. Die Sequenz des ersten Taktes wird im zweiten Takt um einen Tritonus nach unten geschoben. Der Anfang der Sonate basiert auf dem Klangzentrum f.

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Nachdem die Sequenz wiederholt wurde, also nach vier Takten, tritt in der Mittelstimme eine aufsteigende Tonleiter in Erscheinung, bestehend aus den Tönen e-f-g-as-b-h-cis-d begleitet von einer abwärts gerichteten Figuration bestehend aus gebrochenen Sept- und Nonenakkorden und dem Anfangsmotiv in der rechten Hand. Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei diesen acht Tönen um eine Rimski-Korsakow-Leiter (Halbton-Ganzton-Halbton…), die auch für diese Sonate wieder von Bedeutung ist.

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Nach 4+3 =7 Takten kommt das nächste Motiv. Es ist ein düsteres, repetierendes Stacatto-Motiv, das wohl das Böse darstellen soll. Überschrieben ist es mit „mysterieusement murmuré“ (geheimnisvolles Geflüster/Gemurmel), die Stimme des Bösen. Die gesamte Sequenz wird abgewandelt wiederholt, bis ein flatterndes, flirrendes, auf- und absteigendes Trillermotiv einsetzt, das zum nächsten Abschnitt überleitet.

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Solche flirrenden Motive sind gerade für die letzten drei Sonaten von Bedeutung, was ich bereits im Beitrag zu Vers la Flamme beschrieben habe. Das Seitenthema (von der Terminologie der Sonatenhauptsatzform ausgehend) bzw. das weibliche Thema wird in Takt 32 durch den Sekundschritt bereits angedeutet und entfaltet sich ab Takt 34. Überschrieben ist es mit „avec une langueur naissante“ (mit aufkeimender Sehnsucht).

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Das Klangzentrum basiert nun auf as. Das Thema braucht relativ lang um sich zu entwickeln. Das Böse ist nun völlig ausgeblendet. Eine träumerische Atmosphäre entsteht. Im weiteren Verlauf der Sonate wird sich das noch ändern. Das erneute Trillermotiv ab Takt 59 bis 68 schließt den ersten Abschnitt ab, den man als Exposition bezeichnen kann. Von Takt 69 bis 154 werden die vorgestellten Themen nun im Sinne einer Durchführung weiterentwickelt, beginnend wieder mit dem Anfangsmotiv, ab Takt 87 dann wieder das Seitenthema, diesmal mit „pur, limpide“ (rein, klar) überschrieben. Ab Takt 93 wird das Motiv aber immer wieder vom dunklen Stacatto-Motiv unterwandert. Über Takt 95 schreibt Skrjabin sogar „perfide“ und kurz danach „avec une douceur de plus en plus caressante et empoisonnée“ (mit einem sanften Streicheln und zunehmend vergiftet). Skrjabin verbindet hier also das Sanfte mit dem Bösen, ähnlich wie er es bereits beim Poème satanique op.36 gemacht hat, bei dem ein „dolce“-Motiv vom Gelächter des Satans kontrapunktiert wird. Das Tempo wird weiter gesteigert, ab Takt 119 wird „Allegro“ vorgeschrieben, ab Takt 137 „Più vivo“. Der Satz verdichtet sich, ganz im Sinne der für den späten Skrjabin typischen, progressiven Entfaltung. Takt 155 sieht fast wie ein neues Thema aus, tatsächlich handelt es sich aber um das Anfangsthema, nur mit halbierten Notenwerten, forte und Allegro molto. Man kann diese Stelle als Beginn der Reprise, auch wenn „Reprise“ im klassischen Sinne wegen der Steigerung nicht mehr ganz zutreffend ist, ansehen. Ab Takt 179 setzt dann etwas Einzigartiges in Skrjabins späten Sonaten ein. Ein skurriler, düsterer, martialischer Marsch (Alla marcia) der aus dem Nachsatz des ursprünglich zarten Seitenthemas hervorgeht, begleitet vom stampfenden, glockenähnlichen Quartfall e-h. Dieser Marsch kann wohl zum Genialsten gezählt werden kann, was der späte Skrjabin hervorgebracht hat. Das Seitenthema nimmt hier Satanische Bosheit an und fegt wie ein unaufhaltsamer „Zug der Teufelsmächte“ über den Zuhörer hinweg.

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Nach einer kurzen Unterbrechung durch das Trillermotiv schreitet der Marsch unaufhaltsam voran und steigert sich bis zur Ekstase, bis ins Presto, bevor alles wieder zusammenbricht und zum Schluss noch einmal fast unverändert das Anfangsmotiv erklingt, in dem die Sonate endet, so als wäre nichts geschehen.

Diese Sonate ist die mit Abstand am häufigsten gespielte Sonate des späten Skrjabins und die einzige der letzten Sonaten, die man ruhigen Gewissens zum Standardrepertoire zählen kann. Demzufolge liegen auch viele Einspielungen der Sonate vor. Allerdings kommt meiner Meinung nach keine an Horowitz heran. Bei ihm bekommt man wirklich Angst, wenn er das Böse marschieren lässt.



Viele Grüße!
 
Nachtrag: Sonate Nr.5

Nun endlich zu der Sonate:
...ich persönlich empfinde den Anfang eher als dämonisch. Unsere Gefühle und Assoziationen beim Hören dieser Musik beschreiben aber nur, wie diese Musik auf uns wirkt! Sie hat viel mit uns zu tun und beschreiben nicht die Intention des Komponisten! Was Skrjabin für Assoziationen bei diesem Anfang hatte, wissen wir nicht, und da wir ihn nicht mehr fragen können, müssen wir, wenn wir SEINE Assoziationen, SEINE Vorstellungen erfahren wollen, uns wohl mit dem Notentext begnügen, in dem freundlicherweise eine ganze Menge steht. Dann können wir seine Vorstellungen mit unseren abgleichen und diese Auseinandersetzung ist für etwas, was sich Interpretation (man kann ja nur "etwas" interpretieren und das "etwas" ist in diesem Fall der Notentext) nennen will, unabdingbar.

Um nun der Wirkung der Pause näher zu kommen, reicht es nicht, einen allgemeinen Gefühlseindruck zu beschreiben, sondern die Pause steht u.a. am Ende einer Entwicklung . Beschränken wir uns auch hier zunächst auf das Hören und stellen die von dir geschätzte Splett-Aufnahme der von Feinberg gegenüber.





Was hörst du?
Ich kann sagen, was ich höre: der Triller klingt bei Feinberg trotz der schlechten Aufnahmequalität schneller, leiser und ausdrucksvoller, dann die Akzente nach den Quintolen sind energischer und kontrastreicher als bei Splett. Anschließend schwingt sich die Phrase in die Höhe, wie ein irrwitziger Ausbruch mit zunehmender Geschwindigkeit und Lautstärke. So höre ich es bei Feinberg. Bei Splett höre ich etwas ganz anderes. Die Phrase gewinnt nicht an Dramatik und Intensität, sondern sie wird gegen Ende hin eher leiser und kaum schneller. Tatsächlich hat Splett am Ende technische Probleme mit den Quintolen. Von einem Ausbruch ist nichts zu spüren, die Energie verpufft, die tiefen Töne sind lauter als die höheren.
Vom reinen Hören her ist Feinbergs Interpretation des Anfangs Welten über der von Splett. Feinberg schöpft die Möglichkeiten des Instruments voll aus, ist klanglich unglaublich kontrastreich und aus einem Guss. Um aber diesen subjektiven Höreindruck auf eine bessere und breitere Basis zu stellen, schauen wir nun in den Notentext:

http://petrucci.mus.auth.gr/imglnks/usimg/b/bb/IMSLP01910-Scrison5.pdf

Es könnte ja sein, dass dort ein decresc. und ein ritardando im Notentext steht und Skrjabin sich etwas ganz anderes vorstellte als Feinberg spielt. Und, nanu, was lesen wir da:
accel., Presto, accel., cresc., ff, all dies von dem besagten piano-Triller im Bass ausgehend. Was schließen wir daraus? Wer setzt diese Anweisungen besser um, tatsächlich sogar unglaublich gut? Und wer erzählt die intensivere Geschichte, zeichnet die zwingendere Entwicklung, bei wem zerfällt die letzte Phrase vor der Pause nicht in ihre Einzelteile?
Wenn du allerdings das Kriterium der "Schönheit" zur alleinigen Qualitätsbestimmung heranziehst, mag die Splett-Einspielung "schöner" im Sinne von "gefälliger" sein. Bei Feinberg bin ich erschüttert, aus der bequemen Ruhe meines Konzertsessels herausgeworfen, bei Splett kapiere ich nicht, was dieser Anfang soll.

All dies hat Wirkung auf die Pause. Wer so eine Entwicklung spielen kann wie Feinberg, braucht auch als Zuhörer etwas mehr Zeit, um das Gehörte zu verarbeiten.[...]
Die Pause ist keine Erholung, sie ist eine Fortführung der Entwicklung. Der Klang endet nach dem ff abrupt durch die plötzlich eintretende Stille und der Zuhörer wird davon geschockt. Die Pause ist keine "Pause" im eigentlichen Sinne, sondern bedeutet eine Erhöhung der schon sowieso hohen Spannung. Deshalb steht auch, wenn man denn in den Notentext schauen möchte, dort eine Fermate! Das heißt, die erste Linie ist eine ansteigende und es wäre schade, diesen wichtigen Moment, den du offensichtlich nicht hörst, durch eine zu kurze Pause abzubrechen. Ich möchte dir allerdings nicht unrecht tun, denn favorisiert man Spletts Aufnahme, findet diese Explosion, dieser Ausbruch vor der Pause ja gar nicht statt und deswegen hat bei ihr die Pause auch keine Spannung. Kein Wunder, dass sie kürzer ist. Schade drum.
Die Fermate im Notentext zeigt uns, dass Skrjabin diese Pause sehr wichtig war und im Kontext mit der vorangegangenen Entwicklung kann man sagen, dass Feinberg das sensationell umsetzt. Die Beschäftigung mit dem Notentext ist also durchaus fruchtbar. :)


Weil mir dieser Text sehr gefallen hat, habe ich ihn hier einfach mal importiert. Chiarina zeigt hier sehr schön, wie viele Gedanken man sich um eine vermeintlich simple Pause mit Fermate im entsprechenden Kontext machen kann.

Vielen Dank dafür und viele Grüße!
 
Nachtrag: Sonate Nr.5
(...)
wie viele Gedanken man sich um eine vermeintlich simple Pause mit Fermate im entsprechenden Kontext machen kann.
das alles hat Chiarina ja prachtvoll deutlich gemacht:
Es könnte ja sein, dass dort ein decresc. und ein ritardando im Notentext steht und Skrjabin sich etwas ganz anderes vorstellte als Feinberg spielt. Und, nanu, was lesen wir da: accel., Presto, accel., cresc., ff, all dies von dem besagten piano-Triller im Bass ausgehend.

Wenn du [meint: Dreiklang] allerdings das Kriterium der "Schönheit" zur alleinigen Qualitätsbestimmung heranziehst, mag die Splett-Einspielung "schöner" im Sinne von "gefälliger" sein. Bei Feinberg bin ich erschüttert, aus der bequemen Ruhe meines Konzertsessels herausgeworfen, bei Splett kapiere ich nicht, was dieser Anfang soll.
...wer sagt eigentlich, dass der furiose Beginn der 5. Sonate in landläufig oberflächlichem Sinn schön=angenehm sein will?
chaotisch und brodelnd, alles andere als beschaulich-hübsch setzt die Sonate ein, rasant beschleunigend jagt der Klang aufwärts, schießt empor --- und dann die lange Fermate: das ist nicht nur eine Pause mit Fermate, das ist deutlich sichtbar eine ganztaktige Generalpause. Dergleichen ist kein kurzes atemholen. Zudem muss diese Generalpause lang genug sein wegen des ungeheuerlichen Kontrastes zwischen dem chaotisch-rasanten Beginn und dem nachfolgenden hypertristanesken Languido (im eher seltenen 5/8 Takt)

dass Feinbergs Interpretation dieser Sonate nicht nur an dieser Stelle sehr viele andere Versuche überflüssig macht, bedarf eigentlich weiteren keiner Begründung mehr. (dass 2 + 2 = 4 hundertmal neu erklärt werden müsste, ist ja auch unnötig)
 
[...] schießt empor --- und dann die lange Fermate: das ist nicht nur eine Pause mit Fermate, das ist deutlich sichtbar eine ganztaktige Generalpause. Dergleichen ist kein kurzes atemholen. Zudem muss diese Generalpause lang genug sein wegen des ungeheuerlichen Kontrastes zwischen dem chaotisch-rasanten Beginn und dem nachfolgenden hypertristanesken Languido (im eher seltenen 5/8 Takt)[...]

Hi Rolf,

das klingt einleuchtend...und...Generalpause wollte ich drüben, im anderen Thread, auch schreiben. 3 Dinge waren es, die mich etwas vorsichtig sein ließen:

1. ) Das Klavierstück Nr 2 aus 4 Klavierstücke von Friedrich Goldmann
( "Ganze Pause mit Fermate" nur in der RECHTEN HAND, während in der linken ein Akkord DURCHKLINGEN soll )

2. ) Allgemeine "Sinnhaftigkeit" von "Generalpausen" bei Klavierstücken... . Wenn man interpretiert wie WIR bisher, reicht "Pause plus Fermate" ja aus, um anzusagen, dass Pause "beliebig länger" sein kann ( als etwa der Takt ) .

3. ) http://de.wikipedia.org/wiki/Generalpause

Zitat daraus:
Ist die Generalpause mit einer Fermate versehen, wird sie nicht verlängert, sondern verkürzt.

Aber alles in allem scheint wohl eine LÄNGERE Pause hier angebracht. Außerdem: Wie war das noch: Kannte Feinberg Skriabins Vorstellungen / Spielweise der Stelle ?

LG, Olli!
 
3. ) http://de.wikipedia.org/wiki/Generalpause

Zitat daraus: "Ist die Generalpause mit einer Fermate versehen, wird sie nicht verlängert, sondern verkürzt."

Aber alles in allem scheint wohl eine LÄNGERE Pause hier angebracht. Außerdem: Wie war das noch: Kannte Feinberg Skriabins Vorstellungen / Spielweise der Stelle ?
...Dirigent Thielemann (Bayreuth, Ring, Dorst-Inszenierung) schien bei seiner Generalpause kurz vorm Schluß der Götterdämmerung nicht von Tante Wikis Musikweisheiten überzeugt zu sein... der hatte die Generalpause regelrecht zelebiert :-D
und der Feinberg war Schüler von? ... erraten :-)
 
...wer sagt eigentlich, dass der furiose Beginn der 5. Sonate in landläufig oberflächlichem Sinn schön=angenehm sein will?
rolf, etwas brachiales oder dramatisches kann auch schön sein. Schön ist nicht gleich Sommerwiese (ich sagte das schon zwei, dreimal... ein viertes mal: njet)
chaotisch und brodelnd, alles andere als beschaulich-hübsch setzt die Sonate ein, rasant beschleunigend jagt der Klang aufwärts, schießt empor --- und dann die lange Fermate: das ist nicht nur eine Pause mit Fermate, das ist deutlich sichtbar eine ganztaktige Generalpause. Dergleichen ist kein kurzes atemholen. Zudem muss diese Generalpause lang genug sein wegen des ungeheuerlichen Kontrastes zwischen dem chaotisch-rasanten Beginn und dem nachfolgenden hypertristanesken Languido (im eher seltenen 5/8 Takt)

dass Feinbergs Interpretation dieser Sonate nicht nur an dieser Stelle sehr viele andere Versuche überflüssig macht, bedarf eigentlich weiteren keiner Begründung mehr.
rolf, sei vorsichtig: Musik, die man lange erklären oder begründen muß, Du weißt... Musik spricht aus sich selbst und für sich selbst, in Bezug auf den Hörer. Sie braucht keine vielen Worte. Entweder sie wirkt, und spricht den Menschen an, oder nicht.

Ich kenne zumindest einen (mit einem gut entwickelten Sinn für musikalische Schönheit und Ästhetik) der die Interpretation von Feinberg schlicht als "gräßliche Klaviermusik" empfindet. So kann's manchmal gehen...

Ich sag' immer: man sollte den Hörer nicht allzu stark beeinflussen. Wenn jemand Splett gefällt, gut. Wenn Feinberg, dann auch gut. Vielleicht werden beide Interpretationen in dreihundert Jahren keinen Menschen mehr wirklich interessieren - wer weiß das schon...
(dass 2 + 2 = 4 hundertmal neu erklärt werden müsste, ist ja auch unnötig)
Wie recht Du manchmal hast :-D
 
Mhh.

@rolf : Feinberg ? Schüler von Goldenweiser. Oder hat Skriabin ( Safonow-Schüler ) ihn auch unterrichtet ? Dann müsste es aber zwischen 1898 und 1903 gewesen sein, denn da war Skriabin Klavierprofessor in Moskau. Feinberg, geboren 1890, absolvierte sein Studium in Moskau 1911. Könnte nat. sein, dass es Privatunterricht gab - genauer weiß ich das nicht. Gehe aber dennoch davon aus, dass sie sich kannten. War es so ?

@ Wikipedia - Aussage zur Generalpause "Verkürzung durch Fermate": Die beruft sich ansch. auf das Uralt-Lexikon..wer weiß, was da drin steht *gg*

Also ich wollte wie gesagt, nichts Falsches sagen. Obgleich ich die von Dir genannte Wagner-AUfführung nicht kenne, meine ich aber, dass wir, wie ebenfalls gesagt, mit der langen "Pause" richtig liegen. Eine Verkürzung per Fermate war mir bisher jedenfalls unbekannt - ganz gleich ob NOTE, oder PAUSE, oder GENERALPAUSE.

LG, Olli!
 
...leider muß man ein paar Worte verbrauchen, um deine Fehlurteile zu korrigieren: darum ging es bzgl. des Beginns der 5. Sonate. Und bei so einer Korrektur muß man nicht vorsichtig sein.
(ich wollte mit meinen Einlassungen übrigens nicht andeuten, daß Deine Ausführungen falsch, obsolet o.ä. wären. Ich bin sicher, sie werden von Anderen mit Interesse gelesen. Viele Grüße.)
 
(ich wollte mit meinen Einlassungen übrigens nicht...)
sind deine Einlassungen in der Lage, den Beginn der 5. Sonate in Sachen Harmonik zu klären? was passiert denn da sooo "schönes", dass der Feinberg nicht in der Lage ist, es rüber zu bringen? hast du klärende Einlassungen dazu? ...oder sind Harmonik, Agogik, musikhistor. & musikalischer Kontext etc. unaussprechbare Nonverbalitäten?

@Troubadix sorry, dass noch mal zur 5. zurück gesprungen wird - eigentlich wäre ja die 10. an der Reihe (passend zur Jahreszeit mit den vielen brumm-summ-Tieren) :-)
 

Die fünfte Sonate kommt aus der Unhörbarkeit und verschwindet in der Unhörbarkeit. Die ersten elf Takte durchmessen den Klangraum des auf dem Klavier Hörbaren; dasselbe wiederholt sich am Schluß, auf fünf Takte verkürzt. Takt 12 (Pause mit Fermate) entspricht dem letzten Takt (Takt 456, Pause mit Fermate).

Alle Lust will Ewigkeit, und in seiner fünften Sonate realisiert Skrjabin diese Lust (sein Dauerthema), indem er die Musik an den Punkt zurückführt, an dem sie wieder von vorn beginnen könnte: mit Takt 13, Languido, 5/4-Takt. Die Pausen sind der Rahmen für dieses Kontinuum der Lust. Es ist ins freie Ermessen eines Pianisten gestellt, wie lang er diese Pausen sein läßt - wichtig ist nur, daß sie gleichlang sind.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sonate Nr.10 op.70

Skrjabin starb genau heute vor 100 Jahren. Es könnte wohl kaum einen besseren Tag geben, um diesen Faden zu Ende zu bringe.

Zur selben Zeit wie die 8. und 9. Sonate, also im Spätsommer 1913 wurde auch diese Sonate fertiggestellt. Wie ich bei der 8. Sonate bereits erwähnt hatte, wurde die 10. Sonate jedoch bereits vor der 8. finalisiert. Oft hört man den Beinamen „Trillersonate“, der Komponist selbst jedoch hat sie als „Insektensonate“ bezeichnet. Gegenüber Sabanejew charakterisierte er sie wie folgt: „Das ist der Wald. Klänge und Stimmungen des Waldes…Hat es das bei mir etwa früher gegeben? […] Sie wird ganz anders, diese Sonate. Sie wird licht und fröhlich, irdisch.“

Bereits bei Vers la Flamme bin ich auf die Bedeutung von Trillerketten in Skrjabins letzten Werken eingegangen, aber in keiner anderen Sonate sind diese Trillerketten, die beim Hörer einen rauschenden, flatternden Eindruck hinterlassen so vorherrschend, wie in dieser Sonate. So lassen sich die beiden Beinamen erklären. Man darf allerdings den Beinamen „Insektensonate“ nicht falsch verstehen. Skrjabin hat hier keine programmatischen Hintergedanken. Es geht ihm um keinen Hummelflug oder lästige Wespen, die im Sommer um die süßen Getränke und Speisen herumschwirren, es geht also nicht um ein Abbild eines Lebewesens. Skrjabins symbolistisches Weltbild kommt hier wieder ins Spiel. Wie ich in einem früheren Beitrag bereits erwähnt habe war Skrjabin davon überzeugt, dass die Welt um ihn herum von ihm ausgeht, dass sein Geist sie erschafft und ausstrahlt, dass er selbst Gott ist und genau wie alle anderen Objekte um ihn herum, war das Rauschen eines Insektenschwarms nichts anderes, als die Manifestation einer seelischen Regung. So schrieb Skrjabin in den „Prometheischen Phantasien“: „Man muss begreifen, dass das Material, aus dem das Weltall gemacht ist, Einbildungskraft, schöpferischer Gedanke, Wollen ist und dass im Hinblick auf das Material kein Unterschied ist zwischen dem Bewusstseinszustand, den wir Stein nennen und in der Hand halten, und jenem anderen, den wir ein Luftschloss nennen.“ Mit Bezug auf die 10. Sonate erklärte er das Sabanejew genauer: „Ein Vogel beispielsweise ist eine beflügelte Zärtlichkeit. Ich sehe diese Vögel über mir umherflattern, und ich empfinde ganz deutlich ihre Identität mit meinen eigenen inneren Bewegungen – einen beflügelten Kuss in mir selbst, bereit, wieder von mir fortzufliegen. […] Wichtig ist das Symbolische. Welch ein Irrtum zu glauben, die Tiere seien bloß Tiere! […] Die Insekten sind aus der Sonne geboren, die sie nährt. Sie sind die Küsse der Sonne, wie meine 10. Sonate, die eine Insektensonate ist.“ Die Trillerketten der Sonate sind also nichts weiter als ein Symbol des Lichts, wodurch die ganze Sonate heiter, voller Zuversicht und Fröhlichkeit erstrahlt.

Strukturell hält sich die Sonate überraschend klar an die Sonatenhauptsatzform, deutlich klarer als die 8. oder 9. Sonate. Sie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Moderato) über 38 Takte, in der die einzelnen Motive exponiert werden. Die streng viertaktige Form ist klar erkennbar.

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Das erste Prologmotiv ist mit „très doux et pur“ (sehr weich und rein) überschrieben. Ober- und Unterstimme bewegen sich in großen und kleinen Terzen abwärts, woraufhin eine Art Echo in höherer Lage folgt. Es folgt ein kurzes, chromatisch aufsteigendes Motiv ab Takt 8, das mit „avec une ardeur profondeet voilée“ (mit tiefer und verhüllter Glut) überschrieben ist.

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Das erste Motiv wird variiert wiederholt, woraufhin ein drittes Motiv zum nächsten Formteil überleitet. Dieses dritte Motiv besteht aus in Terzen aufsteigenden Trillerfiguren, die Insekten kommen also zum ersten Mal zum Vorschein. Der Takt 37 ist mit „lumineux vibrant“ (vibrierendes Leuchten) überschrieben, wodurch hier bereits klar die Symbolik der Triller verdeutlicht wird.

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Ab Takt 39 nimmt die Sonate dann fahrt auf (Allegro). Das Abwärtsgleitende Motiv kann man formal als Hauptthema der Sonate bezeichnen. Ab Takt 73 geht das Thema in das Terzenmotiv des Prologs über, das hier als Seitenthema fungiert und von trillernden Figuren umschwirrt wird. Überschrieben ist das Seitenthema mit „avec une joyeuse exaltation“ (mit freudiger Begeisterung).

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Es folgt ein weiteres, aus Terzen gefügtes Thema, das die Exposition zum Abschluss bringt. Die einzelnen Themen werden hier bereits polyphon vereinigt, was wiederum zu neuen Motiven führt. Dieser Prozess wird in der Durchführung von Takt 116 bis 223 noch gesteigert. Der Klaviersatz verdichtet sich zunehmend. Die Triller und Akkord-Tremoli werden immer weiter gesteigert, zum Ende der Durchführung bis an die Grenze des mit zwei Händen Möglichen. Es kommt zu regelrechten Tontrauben, die beinahe an Cluster erinnern.

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Ab Takt 224 setzt die Reprise mit dem Hauptthema der Sonate ein. Bis auf den Anfang, ist die Reprise um eine Terz tiefer transponiert, was man als Erbe Tonartendisposition der klassischen Sonaten sehen kann. Der letzte Großabschnitt beginnt ab Takt 294. In dieser Coda wird die Sonate ab Takt 306 (Più vivo) im zarten Pianissimo und „frémissant, aile“ (zitternd, beflügelt) wieder durch Trillerfiguren noch mal in eine andere Ausdruckswelt geführt, bevor die Sonate leise, ebenso wie die 9. Sonate durch Wiederaufnahme der Anfangstakte verklingt.

Wirklich detailliert betrachtet geschieht natürlich noch viel mehr. So werden die Prologterzen zum Beispiel ab Takt 158 in die Durchführung geschickt eingeflochten. Eine interessante Eigenart dieser Sonate ist, dass das Terzenmotiv der Anfangstakte dreimal wiederkehrt (Takt 116, 184, 372), aber jeweils auf unterschiedlichen Transpositionsstufen. Dadurch scheint es fast so, als würde die Sonate viermal beginnen, was man neben der Sonatenhauptsatzform als weiteres Konstruktionsprinzip dieser Sonate sehen kann.

Harmonisch steht die Sonate zwar im Zeichen der weiterentwickelten Prometheus-Harmonik, allerdings geht Skrjabin dabei recht undogmatisch vor. Das Klangzentrum zu Beginn ist diesmal nicht der typische, tiefalterierte Dominantseptnonakkord mit hinzugefügter großer Sexte oder eine leichte Modifikation davon, sondern ein Septakkord mit reiner Quinte und Septime im Bass. Die kleine Septime ges wird ab Takt 9 durch Einführung der großen Septime g instabil. Es entstehen zwei Fassungen des Klangzentrums, was ab Takt 17 dann voll auskomponiert wird. In Takt 33 werden beide Töne sogar tremoliert. Das Hauptmotiv ruht auf einem F-Dur-Akkord, gleich der erste Ton ist aber ein e, also die große Septime, die aber umgehend nach es in die kleine Septime aufgelöst wird. So wird auch hier die Harmonik labil gehalten. Erst das Seitenthema kommt aufgrund der Tritonusspannungen der Prometheus-Harmonik wieder näher.

Zum Schwierigkeitsgrad brauch ich wohl nicht viel sagen, denn sie ist kaum leichter, als der Rest der späten Sonaten. Durch die durchschimmernden tonalen Ansätze, mag sie vielleicht etwas leichter zugänglich sein. Leider gehört auch diese Sonate zu den eher wenig gespielten Sonaten. Immerhin weiß ich von zwei Clavio-Mitgliedern sicher, dass sie diese Sonate bereits gespielt haben und vielleicht auch noch Ergänzungen zu diesem Beitrag haben, was ich natürlich gerne begrüße.



Hier sind die Noten

Und damit bin ich in diesem Faden am Ende angelangt. Letztendlich ist er umfangreicher geworden und hat sich über einen viel längeren Zeitraum gezogen, als ich ursprünglich geplant hatte, was auch persönliche Gründe hatte. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht und ich danke all denen, die mich hier begleitet haben. Diese Sonaten sind so unglaublich tolle, lohnenswerte Stücke, dass es mir manchmal richtig weh tut wenn ich daran denke, was manche von ihnen für ein Schattendasein fristen. Vielleicht habe ich sie ja dem einen oder anderen hier etwas näher bringen können.

Viele Grüße!

Sebastian
 
Ich bin auch über das Todesdatum auf Skrjabin gestoßen. Moment, ich kämpfe noch mit der Schrift.

Jetzt ist besser.
 
Ich bin auch über das Todesdatum auf Skrjabin gestoßen.

Noch eine kleine Anekdote dazu...

Rachmaninoff war bei der Beerdigung Skrjabins anwesend. Er beschrieb sie anschließend mit folgenden Worten: "Die ganze literarische, musikalische und künstlerische Prominenz Moskaus war versammelt [...]. Der Erzbischof von Moskau hielt eine wunderschöne Ansprache, in der er den göttlichen Willen zur Freiheit pries; die Rede fand allgemeine Aufmerksamkeit. Der Synodalchor sang fast überirdisch schön [...]. Außer einem oder zwei Werken von Katalski und Tschesnokow sangen sie das Gebet des Herrn aus den "Oktoechos", das nur aus D-Dur-Dreiklängen und deren Dominante besteht, aber der liebliche Klang dieser neun- oder zehnstimmigen Harmonien in allen Stärkegraden war so unbeschreiblich schön, dass er die störrischsten Heiden zu Tränen rühren und die Herzen der abgehärtetsten Sünder erweichen musste. In jenem Moment beschloss ich, im folgenden Winter eine Konzertreise durch alle großen Städte Russlands zu unternehmen und ausschließlich Klavierwerke von Skrjabin zu spielen."

Rachmaninoff hielt sein Wort, konnte als Skrjabin-Interpret aber nicht überzeugen. Die Presse titelte: "Salieri spielt Mozart!" :schweigen:
 
Zum Schwierigkeitsgrad brauch ich wohl nicht viel sagen, denn sie ist kaum leichter, als der Rest der späten Sonaten.
...wer sich die Mühe macht, schwarze Messe oder Insekten zu üben, wird erkennen, dass beide technisch enorm schwierig sind. Was die Akkordtriller/Tremoli betrifft, so wird man später bei Ornstein und Strawinski in diesem Bereich technisch nichts neues finden (!) Gegen Ende der Insektensonate gibt es eine kurzes Presto (T. 330), das extrem bösartig zum Spieler ist... (es wird auch kaum je wirklich presto gespielt...)

Wunderschön hatte Horowitz die 10. Sonate gespielt (ich weiß nicht, ob es diese leuchtende live Aufnahme auf YT gibt)

und ein großes Dankeschön @Troubadix für sein akribisches Skrjabin-Playdoyer!
 

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