Guten Abend Christoph und Rolf,
wieder einmal habt Ihr, indem Ihr das Füllhorn Eures
Wissens über mir ausgeschüttet habt, mich nahzu geplättet.
Aber dennoch ("mich erhebend und entschlossen weiterlebend")
möchte ich gerne eine Punkt aufgreifen:
ohne Affinität zum parodierten Objekt keine Parodie.
Gute Parodien sind im Grunde heimliche Liebeserklärungen -
und gleichzeitig die Distanzierung davon.
Das ist sehr schön gesagt, ich glaube aber nicht, daß es das
ganze Spektrum der Wirkungsintentionen von Parodie
abdeckt. Tatsächlich gibt es wohl auch hier eine Skala,
deren eines Ende in vorstehendem Zitat charakterisiert wird.
Es gibt aber auch Parodie als reines humoristisches Mittel
und schließlich sogar als Mittel der komischen Vernichtung
eines Gegners.
Ob es für letzteres in der Musik gute
Beispiele gibt, würde ich gerne wissen; in der Literatur
gibt es sie. Eine (vielleicht nicht so gut bekannte) Instanz
aus der antiken Literatur wäre die Parodie von Lukans
Bürgerkriegsepos in Petrons Abenteuer- und Schelmenroman
Satyricon. Dieser Lucan gehört sozusagen als Nichtrömer,
Spanier und Neffe des zeitweiligen Regenten Seneca zur
Konkurrenz des altadeligen Römers Petron am Kaiserhof. P.s
Verfahren der Parodie ist sehr einfach: er spießt die
Vorliebe des Literatenzirkels um Seneca für eine Ästhetik
des Häßlichen, für übersteigertes Pathos und Manierismen
auf und imitiert diese Charakteristika in hoher
Komprimierung; was bei Lucan alle drei Verse vorkommt,
bringt er dreimal pro Vers (ähnlich verfahren etwa Brecht
in der "Kleinbürgerhochzeit" und Fitzgerald Kusz in "Schweig
Bub", nur daß hier der polemische Bezugspunkt kein
literarischer, sondern ein sozialer ist). Rein humoristisch
dagegen ist Petrons Homerparodie: der Zorn des "Gottes"
(eigentlich ist er eher eine Art Gartenzwerg) Priap als
Ursache der Irrfahrten des Protagonisten bringt vor dem
Hintergrund des homerischen Zorn des Poseidon eine komische
Komponente herein, nicht aber einen polemischen Bezug zu
Homer. In diesen beiden Fällen setzt Parodie auch keine
Affinität zum Vorbild, sondern nur dessen gute Kenntnis
voraus. Und natürlich gibt es auch für die von Gomez
angesprochene Verwendung von Parodie schon in der Antike
schöne Beispiele. Ich möchte hier an das bereits genannte
Beispiel der "Musiktheater"-Komödie des Aristophanes, die
"Frösche" anknüpfen. Zweifellos will Aristophanes dem eben
verstorbenen Tragiker Euripides ein Denkmal setzen. Und aus
diesem Grunde veranstaltet er eine Art Werkschau, indem er
den toten Euripides in der Unterwelt die Prologanfänge
seiner bekanntesten Tragödien rezitieren läßt. Gleichzeitig
aber arbeitet er die oft kritisierte Schematizität dieser
Prologe heraus, indem er den Diskussiongegner Aischylos dem
Euripides an passender Stelle immer mit derselben Phrase in
die Parade fahren läßt ("lek'ythion apólesen", wtl. "verlor
sein Ölfläschchen" - das Ö. ist eine Metapher für den Penis
samt Zubehör, was nicht nur Gaudi ist, sondern der Verlust
der Manneskraft symbolisiert, daß in den Prologen keine
"Power" steckt). Hier haben wir tatsächlich Parodie als
Mittel einer Art von distanzierter Liebeserklärung, die
literarische Größe anerkennt, ohne früher bereits
beanstandete Schwächen zu verschweigen.
Ende des Exkurses - ich wiederhole meine Frage: gibt es in der Musik
ebenfalls klare Beispiele für Parodie mit polemischem Bezugspunkt?
Einen schönen Abend wünscht
Friedrich