Begrifflichkeiten: Stimme versus Motiv/Phrase/Thema

Danke. Dann kann man also sagen, dass Motive, Phrasen und Themen(?) einstimmige Konstrukte sind? Oder ist das zu verallgemeinert?
 
Die Wikipedia unterscheidet an einer Stelle primär melodische, rhythmische und harmonische Motive, leider ohne das genauer zu erläutern oder zumindest nicht zu meiner Zufriedenheit (Erläuterung = Erklärung anhand von Beispielen und evtl. Gegenbeispielen einschließlich Begründung). Die Gralsakkorde basieren auf letzteren, kann man das so sagen? Dann ließe sich vielleicht wenigstens verallgemeinern, dass, wann immer harmonische Motive vorliegen, die sie umfassenden Phrasen oder Themen (Phrasenverbindungen) folgerichtigerweise nicht stimmbezogen, also als mehrstimmig zu betrachten sind?

UPDATE 31.3.: Statt darauf zu warten, dass auf clavio.de verwertbare Wissenskrümel für mich abfallen, versuche ich es jetzt mit Papier. Habe mir (zunächst aus der Stadtbücherei) das Lexikon der Harmonielehre von Reinhard Amon, 2. Auflage 2015 besorgt. Ein ganz schöner Schinken mit seinen ca. 400 engbeschriebenen 100g/m³-Seiten, ganz bestimmt kann ich ihn nicht auf einmal verdauen, sondern muss immer mal wieder hineinschauen. Ob sich ein Kauf lohnt? Darin im Kapitel »Akkordentstehung durch Melodik« steht:
Zitat von S. 19:
Viele Akkorde, die in der Harmonielehre zum Standardrepertoire gehören, sind nicht als die Akkorde bzw. Akkordumkehrungen entstanden, welche seit langer Zeit in den Lehrbüchern stehen und gelehrt werden. Ihre Herkunft und Entstehung ist melodisch-kontrapunktischer Art. Nachdem über lange Zeit nur linear-melodische Bewegungen im Blickpunkt standen (auch für die beginnende mehrstimmige Musik), erstarrten im Zuge der Entwicklung einer vertikal-akkordischen Sichtweise besonders häufig vorkommende Wendungen zu Standardakkorden und Kadenzmodulen [...]
(Ich lasse es lieber mit allzu umfangreichen Zitaten, von wegen Urheberrecht und so)

Selbst die Didaktiker beschränken sich auf historisierende Kategorien – Entwicklung, Erstarrung etc. Es scheint demnach also tatsächlich so zu sein, dass Motive/Phrasen/Themen mehr mit melodischen und harmonischen Tonintervallen zu tun haben, als dass sie in der Lage wären, direkt eine Stimme zu charakterisieren.
Wenn ich also insgeheim – das kam noch nicht explizit so zur Sprache – gemutmaßt habe, dass es doch ein durchaus interessanter Ansatz sein könnte, jedem Motiv, jeder Phrase oder Thema einen eigenen Klang zu geben (mit einem Synthesizer wäre das kein Aufwand), dann wäre dies der schnellste Weg fort von der Musik, hin zur Kakophonie und eine effektive Saat von Kopfschmerz und Übelkeit. Oder auch nicht, ich meine, sonst müsste der Vogelgesang im Wald auf ähnliche Weise wirken, da buhlen auch Stimmen um Dominanz, ohne sich inhaltlich aufeinander zu beziehen. Das wäre im Ergebnis eine nicht-musikalische Art von Klangkunst, wo eben viele Stimmen zu irgendwelchen Zeiten irgendetwas sagen. Wie auch das Getümmel auf einem Platz für den Beobachter etwas ganz anderes ist als ein Theaterstück: er erwartet weniger Muster und Zusammenhänge in den Handlungen der einzelnen Personen, die er sieht, macht lediglich hier und da Gruppierungen aus und schnappt zufällige Gesprächsfetzen auf.

Und die einzelne Stimme (bzw. die einzelne Hand an Tastatur-Instrumenten) wiederum kann oder kann nicht, abhängig von ihren physischen Möglichkeiten, neben melodischen Intervallen auch harmonische Intervalle und/oder rein rhythmische Intervalle realisieren, und damit jeweils maximal eine Melodie. Eine Melodie also kann oder kann nicht von der Stimme, der sie gehört, harmonisch begleitet sein. Wenn ich hier zuweilen also lese als Ratschlag »Auch die Stimmen neben der Melodiestimme sollten sanglich sein, damit die Gesamtkomposition in sich stimmig ist«, dann sagt das mehr über den Urheber des Ratschlags aus – dass dieser eher konservativ sein könnte, alte Kirchen- oder Orchester-Musik mag, u.ä. – als über die konsensuelle Musiktheorie und -praxis der Gegenwart.
 
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