Beethoven Sonate op.110

...übrigens ist da doch auch Albinonis "good ol'" Adagio drinne...
 
Die letzten 10 Prozent (ok, 20)
eine Frage allgemeinerer Natur - ich stelle sie jetzt mal hier, weil ich gerade op 110 übe:
Ich habe mich jetzt durch die Fuge gekämpft und kann die irgendwie spielen. In moderatem Tempo theoretisch sogar fehlerlos. Theoretisch. Praktisch schaffe ich das aber eigentlich fast nie: immer fliege ich irgendwo aus der Kurve - Betonung auf irgendwo: ich kann kaum Hürden ausmachen, die ich jetzt systematisch angehen könnte. Natürlich gibt es schwere Stellen, etwa in der Inversion das 16tel-Gefummel, aber im Grunde kann ich fast an jeder beliebigen Stelle den Faden verlieren - oder aber sie wunderbar hinkriegen.
Die letzten 10 Prozent sind die schwersten, sacht man ja so...
Was habt Ihr da für Erfahrungen? Wie geht man das an? Immer wieder spielen bis zum Umfallen?
Klar ist das bei so einem komplizierten polyphonen Text besonders schwierig...
 
Irgendwie finde ich heute gar keinen Schlaf ... deshalb:

Oute ich mich mal als leidenschaftlicher Fan dieser für mich sehr besonderen Sonate. Sie gehört ... sentimentaler Räusper ... zu den Ereignissen, durch die sich mein Leben in ein Vorher und ein Nachher teilt ... mannomann ... ja, lacht ruhig! Ich habe sie 2012 gespielt und seitdem allerdings nicht wieder angerührt, es wäre jetzt die falsche Zeit dafür. Im Verlaufe des Übens habe ich zwei Aufnahmen kennen gelernt, die mir sehr gefallen haben, S. Richter und Solomon Cutner, ohne dass ich jetzt noch Details davon parat hätte.
Zur Fuge habe ich nur ganz altbackene Tipps.
- Sie hat aus dem Gesamtkontext heraus ein moderates, schreitendes Tempo - Schnelligkeit braucht man dafür nicht, Deine Hände werden normalerweise das vorgestellte Tempo von selbst erreichen (Du brauchst keine Rhythmusübungen oder so etwas).
- Nimm Dir die Zeit, die Hauptstimme und die Nebenstimmen abschnittsweise mitzusingen, auch ausdrucksvoll mitzusingen. Sie sind so berührend schön.
- Ich hatte bezüglich des Rauskommens die gleichen Probleme wie Du. Geholfen hat, sehr streng am Anfang jedes Taktes anfangen zu können und das konsequent über einen längeren Zeitraum immer wieder zu festigen. Durch diese Anfangspunkte konnte ich die Fuge am Tag des Auftritts mit einem Hänger durchspielen und während des Hängers ... ich weiß es noch genau ... fanden die Hände und Ohren in den nächsten Stützpunkt "von selbst" hinein.
- Versuche jetzt, wo Du sie schon recht gut kannst, Dir die Fuge nur klanglich und vom Bewegungsempfinden her vorzustellen. Das könnte für Dich schwer oder leicht sein, probiere es aus. Es ist in jedem Falle sehr nützlich für die Stabilität, kann aber Zeit brauchen, bis Du es geistig kannst.
- Ich fürchte einfach, durch "Spielen bis zum Umfallen" wird es nicht sicher genug. Geholfen hat mir auch, den (prinzipiell einfachen) harmonischen Auszug darüber zu schreiben und bei der Stützpunkt-Bildung bewusst mitzulernen. Sozusagen als kognitive Stütze.
- Wenn Du keinen Zeitdruck hast (wegen Vorspieltermin), lasse sie reifen: übe im ersten Zeitabschnitt (2-3 Monate?) täglich daran, bis auf ein möglichst hohes Level, bis Du spürst, dass es nicht mehr besser wird, dass Du wirklich nicht mehr weiterkommst (Plateauphase); da liegst Du möglicherweise so bei 60 % ... jaja, fragt ruhig, was sind denn 60 %? Ich habe keine Ahnung! ... Dann leg die Sonate für 1 Monat zur Seite und denke nicht an sie und übe etwas dazu völlig Kontrastierendes in einer anderen Tonart, Stilistik etc. Danach nimmst Du sie wieder auf und übst wieder so erschöpfend wie möglich. Sie dürfte besser geworden sein und Du könntest in dieser Phase neue Ideen haben, die das Stück voran bringen. Ich denke, Du kannst in dieser Zeit die Sonate alle zwei Tage üben und anderes Repertoire dazunehmen. Dann sollte zu gegebener Zeit eine weitere Pause folgen. Möglicherweise wirst Du erst jetzt ein Gefühl relativer Sicherheit haben.

Die Tipps sind deswegen altbacken, weil sie einem eigentlich für jede Fuge helfen, überhaupt für jedes polyphone Werk. Ich glaube aber, dass man sich oft die Mühe nicht konsequent genug macht und es deswegen lange Zeit unsicher bleibt. Bei mir brauchte diese Sonate schon Zeit, zu reifen. Diesen Prozess kann man vielleicht optimieren, aber ich konnte ihn nicht x-beliebig beschleunigen.
 
Zum Finale fällt mir ein, dass ich da diese schnellen Notenwerte in der linken Hand sah und - brave Schülerin - dachte: "Ui, das ist bestimmt schwer! Das übe ich mal zuerst!" Und rumms, paar Tage gedonnert und rhythmisiert und rechts gebrettert.
Im Verlauf der ... räusper ... Reifung vollzog sich eine entscheidende Änderung meiner Sichtweise. Isoliert betrachtet (also würde nicht die ganze Sonate noch vorne dranhängen), ist das Finale harmonisch und figurativ sehr konventionell (in meiner Erinnerung so As-Dur/Es-Dur-Pendel, paar Dominantseptakkorde) gehalten - ich hatte den Rest noch kaum geübt, also dachte ich, ein Bravourstück! Wenn man dann aber diese ganzen gravierenden Tiefs durchschritten hat (Rezitativ, Ariosi), ist dieser Schluss ein unheimlich erlösender Moment, den ich eher mit dem Wort Seligkeit beschreiben würde. Wenn man es so im Geiste hört, neigt man garnicht mehr dazu, zu donnern oder davonzurasen. Es ist dann sehr farbig und eher flächig weitläufig, durchaus kraftvoll ... wenn man es denn klanglich so umzusetzen schafft .. Das Tempo ist dann schon schnell aber nicht virtuos.
 
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