Beethoven Op111

@Peter nur kein Stress - wahrscheinlich isses eh wurscht und kommt nix, also blabla wie immer --- dann kann´s bleiben wie es ist...
Ich hab Interesse daran. Wie Mick schon sagte, erfordert die Sonate eine Beschäftigung mit ihrer selbst, die über das reine Üben der Noten hinausgeht. Generell übe ich immer gern zuerst, um möglichst unvoreingenommen zu sein und nur die Musik "sprechen" zu lassen, um anschließend in einem zweiten Anlauf auch (möglicherweise) andere Quellen mit einzubeziehen. Den 1. Satz hab ich aber schon geübt, da fände das also bereits Anwendung, und der zweite ist auch demnächst dran.
 
schön! ich auch!
Generell übe ich immer gern zuerst, um möglichst unvoreingenommen zu sein und nur die Musik "sprechen" zu lassen, um anschließend in einem zweiten Anlauf auch (möglicherweise) andere Quellen mit einzubeziehen.
ist eine sehr gute Idee!

was op.111 betrifft, so haben der Kopfsatz wie auch der Variationensatz ihre eigenen manuellen und musikalischen "Problemzonen"

was das einstudieren und üben betrifft: da bin ich ein herzenskalter Pragmatiker. Meine Empfehlung ist: um Probleme vorab auszuschließen, erst mal die gemeinsten (also lästig schwierigen) Stellen erkennen und diesen den Zahn ziehen. Wenn es darum geht, fiese Stellen zu bewältigen, dann ist das heranziehen von Sekundärliteratur im Fall der op.111 Sonate hilfreich: es gibt die von Bülow Ausgabe, wo die auf Liszt beruhenden Fingersätze und Aufteilungen (welche Hand spielt was) enorm hilfreich sind.

Du hast den ersten Satz schon intus, dann werden dir die drei gemeinsten Stellen dort bekannt sein (ich setze voraus, dass alles ohne Mogelei (Pedalsünden;-) etc) gespielt werden will) - natürlich steigert sich der Schwierigkeitsgrad mit dem jeweils anvisierten Tempo. Viertel = 120-126 (Czerny, Moscheles) ist noch völlig ok und klingt auch gut - was darüber hinaus geht (Gulda, Pollini, Gould haben das schneller gespielt) wird entsprechend schwieriger.

Der Variationensatz bietet dann wieder andere Gemeinheiten, wobei diese auf nun kompliziertere Weise vom Tempo abhängig sind. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass die beiden Trillerketten und die "Boogie-Variation" alles andere als einfach sind :-) -- beim Variationensatz muss man meiner Ansicht nach vorab entscheiden, was für eine Tempogestaltung man haben will (also Entscheidungen treffen, wie man die berüchtigten drei Taktwechsel auffasst und ob man überhaupt ein einheitliches Tempo wählen will, oder jeder Variation ein eigenes geben will (letzteres haben die meisten Interpreten gemacht...))

Im Variationensatz habe ich mich für Taktdrittel = 60-63 entschieden - und dieser Puls bleibt über alle Taktwechsel erhalten (einzig die orchestrale Erweiterung des Themas nach der Kadenz spiele ich schneller, weil´s mir da gefällt) - ok, die "Boogie-Variation" ist in diesem Tempo (60-63) sehr gemein, aber da muss man durch (weiß man ja vorher, wenn man sich für ein bestimmtes Tempo bei sowas entscheidet)

Vielleicht gibt´s hier ja peu a peu einen interessanten Austausch über die Taktwechsel und über die Tempogestaltung der Variationen - das wäre schön!

Noch ganz allgemein über die fünf späten Sonaten von Beethoven:
der grimme Ludwig van scheint seine berühmten Bonmots "was kümmern mich eure elenden Fideln" und "wer´s nicht greifen kann, soll´s bleiben lassen" in seinen späten Werken ernst gemeint zu haben!... Die Instrumentalisten wie die Solisten in der Missa Solemnis können ein Lied davon singen, wie katastrophal schwierig manche Abschnitte sind (da gab´s schon Zoff bei den Proben der Uraufführung bzgl. Sing- und Spielbarkeit...) ABER damit das nicht falsch verstanden wird: die letzten fünf Beethovensonaten inklusive Diabellivariationen sind zu ca. 80% der kompletten Spieldauer nicht schwieriger als Waldstein oder Appassionata, sogar eher leichter!! Aber die fehlenden 20%*) sind dann gleich so katastrophal, dass man sich ebenso mit Rach 3 oder Petrouchka plagen kann, das macht manuell keinen Unterschied. Und das verblüffendste daran ist gleich zweierlei: einerseits sind die schwierigsten Abschnitte keine virtuosen Höhepunkte (also sie werden nicht als besondere Effekte angesteuert, wie das in der spätromantischen Musik üblich ist), andererseits hatte Beethoven sich, wie seine Manuskripte zeigen (Fingersätze, Radierungen) sehr wohl Sorgen um die Spielbarkeit gemacht (!!! berühmt ist sein ringen um das finden eines Fingersatzes für die E-Dur Girlanden in op.110 - ulkig daran ist, dass die eigentlich einfach sind...) Was man allerdings festhalten kann ist: die manuellen Probleme sind zwar vereinzelt extrem, aber sie sind keine anvisierten Effekte, sondern eher nebenbei (kein einziger klanglicher Kulminationspunkt in den späten Klaviersachen von Beethoven gehört zu den katastrophal fiesen Stellen!!!)

...krass gesagt: die frühen Sonaten (op.10, op.13 usw) und die viruosen mittleren Sonaten (op.32, op.53, op.57) sind praxisnäher oder wenn man so wsagen will: "normaler"**) -- in den späten Sonaten funken extreme Schwierigkeiten hinein, ohne dass sie sonderlichen Effekt machen!...

der war schon irgendwie krass drauf, der grimme Ludwig van...
_________________
*) fugato im Finale op.101, Finale op.106, Trillerkette op.109, Inversion der Fuge op.110, 5 Abschnitte aus op.111, Fuge Diabellivariationen streckenweise
**) in Waldstein und Appassionata sind die Höhepunkte zugleich auch manuell-virtuose Kulmination
 
Danke Rolf für deine Ausführung. Ich bin gerade nicht ganz sicher, welche Stellen du im 1. Satz meinst, aber ich kann ihn vermutlich auch noch nicht gut genug, um das abschließend zu beurteilen. Etwas gemein finde ich die Stelle mit dem Triller in der rechten Hand im Fugato am Anfang der DF, allerdings kann man da leicht was mit der linken Hand übernehmen, was das Problem halbiert und so verkürzt, dass man es kaum noch hört.
Die engen Terzläufe etwas später sind auch nicht so bequem, aber da ich verhältnismäßig kleine Hände habe (verglichen mit manchen Männern) habe ich es da wohl auch noch einigermaßen gut getroffen. Mal sehen wie es weitergeht. Ich muss erst die Begleitung für die Tzigane fertig üben :D
 
@gastspiel
was soll der Schwachsinn???
Zu Beethovens Lebenszeit ist die Sonate op.111 nicht aufgeführt worden (und wenn es doch fiktiv so gewesen wäre, hätte der taube Ludwig es nicht gehört!!)

...ist es dir möglich, das zu begreifen?

Die praktische Rezeptionsgeschichte der späteren Chopinetüden ist älter (also länger) als die der Sonaten op.101-111 (wann wurden op.106 oder op.111 öffentlich uraufgeführt?)

Ich habe dir zwei Notenbeispiele gezeigt (Abschrift zur Korrektur und Bülow Ausgabe) und dazu die Frage gestellt, ob du bemerkst, worum es da geht ---- bis jetzt ist keine Antwort gekommen, die erkennen ließe, dass du kapiert hast, was da vorliegt... ...ich gestehe, dass ich keinen Bock habe, mich mit jemandem über die Tempi und Temporelationen der späten Beethovensonaten zu unterhalten, der diese einfache Frage nicht beantworten kann!

Aber ich bin kein Unmensch: im Variationensatz von op.111 haben wir für jeden Esel sichtbar drei Taktwechsel - die ersten beiden haben die Anweisung l´istesso tempo, der letzte hat diese Anweisung nicht --- und nu? was fängt man damit an?

@Peter keine Ahnung, vielleicht könnte man die Beiträge zu op.111 in einen eigenen faden verschieben - sofern Interesse und Beteiligung...
tja dann sollte der auch der letzte Esel von Möchtegern Konzertpianist verstanden haben, dass er keinen Tempowechsel wollte, sonst hätte er doch bestimmt darauf hingewiesen. Aber wenn dir 2mal jemand sagt, leg nicht die Hand auf die heiße Herdplatte, legst du sie bestimmt sobald Warnung nicht mehr kommt, Hand direkt drauf.
Mir ist vor allem cantabilesempre aufgefallen, also sind zumindest alle ausgewalzten Interpretationen, wo jeder "Gesang" nicht sichtbar ist Schrott.

Alles langsamer als das am Anfang,


View: https://www.youtube.com/watch?v=Ndv73B-pVas


macht doch gar keinen Sinn. Zwischendurch ist es schon gehetzt.

Und Schiff spielt es beim Erklären vernünftig, und beim Konzert auch Show Off, aber der Kommentar von ihm zum Boogie Woogie...Herr Lass Hirn Regnen. Was für einen spießigen Klassiker nicht sein darf....Solche Leute müssen für Bach, Beethoven, Mozart zu ihrer Zeit die Schlimmsten gewesen sein. Er spielt ja toll, aber musikalischer Horizont, Kreativität..


View: https://www.youtube.com/watch?v=wk-iqxqixhY


View: https://www.youtube.com/watch?v=Y0pQxrgjlag


Das folgende ist doch quasi Richard Claydermann, furchtbar, jeden Moment denke ich, fall nicht schlafend um, Beethoven hätte bestimmt mit Tomaten geschmissen. Völlig unmusikalisch. Sehe aber schon die 60jährigen Groupies die hier völlig verzückt im Saal sitzen.


View: https://www.youtube.com/watch?v=hKk-nntXrn4
 
Zuletzt bearbeitet:
tja dann sollte der auch der letzte Esel von Möchtegern Konzertpianist verstanden haben, dass er keinen Tempowechsel wollte, sonst hätte er doch bestimmt darauf hingewiesen.
Du machst es dir da zu einfach... In den Noten (Manuskript, Abschrift, Erstausgabe usw.) finden sich Taktwechsel:
9/16 l`istesso tempo wird zu 6/16
6/16 l`istesso Tempo wird zu 12/32
12/32 ohne l`istesso tempo wird zu 9/16
Man kann nicht entscheiden, ob hier das Taktmass (Takt = Takt) oder die Notenwerte (Achtel = Achtel) gemeint sind. Später hatten Komponisten wie Liszt oder Verdi bei solchen bzw. bei missverständlichen Taktwechsel exakt angewiesen, wie sie es meinen. Aber hier in op.111 ist das nun mal nicht so eindeutig.
Hinzu kommt, dass niemand weiss, ob beim letzten Taktwechsel das l`istesso tempo vergessen oder absichtlich nicht notiert wurde! Schon das allein macht unentscheidbar, ob hier verschiedene Arten von Taktwechseln gemeint sind oder nicht.

Es gibt also mehrere Möglichkeiten für die Tempogestaltung im Variationen Satz.

Meine Ansicht ist, dass trotz differierender Notationen überall das Taktmass bleiben soll - das ist aber nur eine Möglichkeit, keine Wahrheit ex cathedra. Man muss es in der Praxis probieren und dort überzeugen - notabene gibt es sehr unterschiedliche überzeugende Aufnahmen der Sonate!

Also Vorsicht mit apodiktischen Behauptungen ;-)
 
Mir ist vor allem cantabilesempre aufgefallen, also sind zumindest alle ausgewalzten Interpretationen, wo jeder "Gesang" nicht sichtbar ist Schrott.
Wenn Beethoven tatsächlich cantabilesempre geschrieben hätte. wäre mir das auch aufgefallen. Hat er aber nicht, das Wort gibt es nämlich gar nicht. Er hat nicht mal sempre cantabile geschrieben, sondern nur semplice e cantabile. Und das ist eine Vortragsbezeichnung, die mit dem Tempo nichts zu tun hat, dafür aber umso mehr mit der Art der Phrasierung und dem hier gewollten "sprechenden" Legato. Ein Adagio molto e cantabile gibt es beispielsweise auch in der 9. Sinfonie, dort allerdings im "großen" 4/4-Takt. Beethovens eigene Metronomangabe ist hier Viertel=60, was zu deutlich längeren Phrasen führt als dasselbe Tempo in der Arietta. Die cantabile-Vorschrift spricht deshalb überhaupt nicht dagegen, die Arietta langsamer zu spielen als Viertel=60. Das tun viele Pianisten, und deshalb ist es noch lange kein Schrott.

Und Schiff spielt es beim Erklären vernünftig, und beim Konzert auch Show Off, aber der Kommentar von ihm zum Boogie Woogie...Herr Lass Hirn Regnen. Was für einen spießigen Klassiker nicht sein darf....Solche Leute müssen für Bach, Beethoven, Mozart zu ihrer Zeit die Schlimmsten gewesen sein. Er spielt ja toll, aber musikalischer Horizont, Kreativität.
András Schiffs musikalischer Horizont geht weit über deinen hinaus, da kannst du völlig unbesorgt sein. Was genau soll an seinem Kommentar denn falsch sein? Dass die dritte Variation kein Boogie Woogie ist? Wenn man weiß, dass der Boogie Woogie ein Modetanz des frühen 20. Jahrhunderts ist, liegt er damit wohl nicht so falsch.

Das folgende ist doch quasi Richard Claydermann, furchtbar, jeden Moment denke ich, fall nicht schlafend um, Beethoven hätte bestimmt mit Tomaten geschmissen. Völlig unmusikalisch. Sehe aber schon die 60jährigen Groupies die hier völlig verzückt im Saal sitzen.
Dass deine offenbar an Helene Fischer geschulte Aufmerksamkeitsspanne mit sowas nicht umgehen kann, dafür kann Pogorelich nichts. Sicher ist die Aufnahme extrem, aber unmusikalisch ist sie auf keinen Fall. Ganz im Gegenteil - ein solches Tempo ohne Spannungsabfall durchzuhalten, das spricht für eine musikalische Höchstbegabung. Ich würde die Sonate sicher nicht so spielen, finde Pogorelichs Interpretation trotzdem faszinierend.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn Beethoven tatsächlich cantabilesempre geschrieben hätte. wäre mir das auch aufgefallen.
@mick :-D:-D:-D
Ich würde die Sonate sicher nicht so spielen, finde Pogorelichs Interpretation trotzdem faszinierend.
@mick komplett d´accord - trotzdem halte ich eine ausufernde Diskussion a la mimimi der da spielt aber scheiße versus elender Depp, der spielt nicht scheiße, du schnallst das nur nicht für eine lästige Sackgasse (in der sich dann letztlich nur Eseleien anhäufen)

Was @gastspiel ganz offensichtlich immer noch nicht begriffen hat, ist der nachprüfbare Umstand, dass die Partitur der Sonate op.111 selbst bei redlichster Untersuchung keine absolut eindeutigen Ergebnisse ermöglicht:
1. weiß niemand (!), welches Tempo genau (Metronomangabe) mit dem adagio der Arietta im 9/16 Takt gemeint ist*)
2. kann niemand mit absolutem Wahrheitsanspruch beweisen, wie die Taktwechsel im Variationensatz gemeint sind (Takt = Takt oder Notenwert = Notenwert?)
3. weder bei klassisch-romantischen figuralen Variationen noch bei klassisch-romantischen Charaktervariationen kann eine stur durchlaufende Tempoeinheit als allgemeingültige Aufführungsregel praesupponiert werden (!!) **)

Damit haben wir gleich ZWEI variable Größen: 1. das Tempo selber (irgendwo zwischen 40 und 60) und 2. die rhythmische Progression abhängig von der Entscheidung, wie die Taktwechsel realisiert werden (s.o.) ...und als ernst zu nehmende DRITTE variable Größe kommt hinzu, dass es rezeptionsgeschichtlich nicht falsch ist, jeder Variation ein eigenes atmendes Tempo zu geben (!!)

=> da ist es im außerordentlich speziellen Fall der Sonate op.111 kein Wunder, dass die Aufführungsdauer extrem unterschiedlich ausfällt!!! In seinem Essays über die Temporelationen on op.111 weist Vitaly Margulis ausdrücklich darauf hin, dass die enorm unterschiedlichen Interpretationen von Arrau, Gulda, Yudina, Gould, Kempff, Serkin usw. allesamt text- und werktreu sind (!!!!)

=====bevor weiter gelesen wird, ist zu beachten, dass bis hierher noch kein einziges Wort über die Bedeutung, die Stimmung, den Charakter dieser Musik gewagt worden ist - es geht zunächst einzig darum, vorab den Notentext zu verstehen bzw. Entscheidungen für die Realisierung zu treffen (kurzum blabla wie "XY spielt das sehr ätherisch, YX lässt es sehr jenseitig klingen, ZY macht a la Thomas Mann" blabla - das alles spielt erstmal gar keine Rolle)======

Margulis hat in seinem Essay über die Temporelationen Dutzende berühmter Aufnahmen und Referenzaufnahmen gleichsam positivistisch vermessen: welche Tempi nimmt Michelangeli, wie macht das Backhaus usw usf. Das Ergebnis der Vermessung ist ... erschütternd...
...der Verdacht, dass frei gewählte Tempi für jede Variation technische Schwierigkeiten kaschieren, scheint sich zu bestätigen: wer die 1. und 2. Variation etwas beschleunigt (Bewegungsenergie), der schafft die 3. Variation nicht in diesem Tempo und hat plötzlich einen etwas langsameren Puls (scheißegal wie fantastisch die 3. Variation gespielt wird: ist die 2. schneller, dann wird eine langsamere 3. Variation zur manuellen Konkurserklärung) - das machten/machen trotzdem viele (!!)
...wer die Taktwechsel als Notenwert = Notenwert deutet, der realisiert in der 2. Variation eine Verkürzung des Taktes um ein Drittel der Dauer (!!) Wählt man ca.50 für Arietta und 1. Variation, dann kann man die rechnerisch beschleunigte 2. Variation durchaus in diesem flott-tänzerisch wirkendem Tempo spielen und das klingt auch überzeugend und schön - aber die 3. Variation schafft niemand im dann erforderlichen Tempo***): das übersteigt die Grenzen der Spielbarkeit!!! Und entsprechend, wie die Vermessungen bewiesen haben, spielt jeder, der den Taktwechsel als Notenwert=Notenwert deutet, die 3. Variation langsamer als es die eigene Entscheidung erfordert...
=> Margulis witterte hier manuellen Pfusch (krass, oder?)
Des weiteren haben bzgl. der schwierigen 3. Variation die Messungen ergeben, dass hier nahezu alle für diesen furiosen Vitalitätsausbrauch (der so gar nicht in die vermeintlich ätherisch-jenseitige Sonate passt) ein Tempo von Taktdrittel ca. 40-54 realisieren****) - was darüber hinaus geht, kriegt man nur sehr selten zu hören (wobei hier die Obergrenze bei 60 liegt)

Margulis meinte, mittels dieser Vermessungen Indizien dafür gefunden zu haben, dass die ersten beiden Taktwechsel als Takt = Takt aufgefasst werden müssen: denn tatsächlich sind dann, egal ob man 40 bis 60 als Grundtempo für ein Taktdrittel wählt, alle Variationen in einem Puls spielbar (er selber wählte Taktdrittel = 40, was meiner Ansicht nach zu behäbig ist)

Beim dritten Taktwechsel - 12/32 wird zu 9/16 ohne l´istesso tempo (!) - meint Margulis, dass wegen der fehlenden Angabe nun Notenwert gleich Notenwert gemeint sei, und spielt alles ab hier ganz extrem langsam (Taktdritte ca.30)... hierbei argumentiert er, dass Beethoven ab hier einen nicht notierbaren Takt gemeint hat, den man als "neun punktierte Sechzehntel in Relation zu den vorangegangenen Werten" bezeichnen müsste - - - plausibel oder zumindest nicht abwegig ist das, aber das Ergebnis ist schon sehr sehr langsam... Wie auch immer, in seiner als außerordentlich text- und werktreu gelobten Aufnahme spielt er das so. Übrigens vergleichbar extrem langsam spielen hier Pogorelich und Ugorski.

Das Tempo bei Margulis leidet für meinen Geschmack an der unerfreulich langsamen Entscheidung für Taktdrittel = 40, ich finde 52-60 cantabler und schöner (und gottlob gerade noch spielbar, wo es schnell wird) Aber das ändert nichts daran, dass sowohl seine Messungen als auch seine Argumente für die Deutung der Taktwechsel plausibel sind*****)

ist schon ein rästelhaftes, und je nach Tempowahl sauschwieriges Ding, diese "Testament-Sonate"
____________
*) Czerny/Moscheles geben hier Taktdrittel = ~60 an (woher sie das haben, sei einfachheitshalber dahingestellt (man bräuchte hier zu viel blabla))
Artur Kolisch hat in seiner umfangreichen Untersuchung der Beethovenschen Metronomangaben durch Vergleich (Taktarten/Tempo) Taktdrittel = ~50 als relativ wahrscheinliche Richtlinie ermittelt
die Rezeptionsgeschichte (Aufnahmen) der Sonate zeigen, dass hier zwischen Taktdrittel =40-60 gewählt wird
**) hier gibt es (wie auch innerhalb von Sonatensätzen) nicht nur atmendes Tempo (Anpassung an den jeweiligen Bewegungs- und Stimmungsverlauf), sondern auch ohne regulierende Tempovorgabe können Variationen ihr eigenes, vom Thema abweichendes Tempo erhalten (sehr oft wird in Variationenzyklen nach dem Thema das musikalische Material in Bewegung gebracht (auch hier in op.111) und dabei beschleunigt - einzig wo bestimmte Vatriationen gleichsam als Zäsur ganz anders organisiert sind, wird von den Komponisten extra ein anderes Zeitmaß vorgeschrieben (vgl. Mozart KV 331)
***) das wäre hier rechnerisch bei ca. Taktdrittel = 76 MM, und das ist schlichtweg nicht spielbar
****) wer hätte gedacht, dass Kempff zu denen zählte, die die 3. Variation sehr schnell spielen? Übrigens Peter (nicht Rudolf) Serkin auch.
*****) hier gäbe es noch einiges zu einem Triolenzeichen im Manuskript zu sagen, welches laut Margulis nicht von Beethoven sein soll - - - das weiß niemand, aber es entscheidet über die Temporelationen... hierzu vielleicht ein andermal mehr
 
Ich verstehe die folgende Behauptung nicht ganz:
"...wer die Taktwechsel als Notenwert = Notenwert deutet, der realisiert in der 2. Variation eine Verkürzung des Taktes um ein Drittel der Dauer"

Ein Takt in der Ariette hat 3 punktierte Achtel = 3 x 6 32-tel
Var. 1 idem
Ein Takt in Var. 2 hat auch 18 32-tel. Irreführend ist nur die "Kurzschrift", die Punkte auszulassen.
Ein Takt in Var. 3 enthält 12 Gruppen von einer 32-tel + 64-tel = 12 x 3 64-tel. Hier sind im Manuskript die Punkte teilweise da, teilweise nicht.

Die Anweisung "Notenwert = Notenwert" ist eigentlich seit der ars nova im Mittelalter immer anhand der kleinsten Notenwerte (damals minima, hier 32-tel im Übergang Var. 1 zu Var. 2, 64-tel im nächsten) zu verstehen.

Warum heißt es also 6/16 bzw. 12/32? Richtig wäre, nach heutigen Konventionen, 18/32 bzw. 36/64. Ich glaube, wir können uns einigen, dass dies Monstrositäten sind. (Die Progression 9/16 - 18/32 - 36/64 ergibt jedoch einen klaren Sinn, der dem Musiklesenden zuerst nicht evident wäre.)

Ähnliche "Kurzschrift"-Taktzeichen haben eine lange Tradition. Man sieht oft bei Couperin zB einen aus 6 16-teln bestehenden Takt, als 2/4 bezeichnet.

Wenn im Manuskript ein paar Triolenzeichen am Anfang der 2. Variation stehen würden, könnte man das alles anders deuten. Das sehe ich aber nicht:

ErXeOZt.jpg


Des Weiteren sieht man hier in dem letzten Takt, dass die 16-tel in der untersten Linie ursprünglich punktiert waren. Ich behaupte, dass Beethoven zuerst alles "richtig" in 18/32 notiert hat, dann aber sich der komplizierten Folgen davon bewusst wurde, die Punkte also ausradierte, um das Zeichen 6/16 zu berücksichtigen.

In der Aufführung soll man nicht vergessen, dass metronomisch identische Geschwindigkeiten bei zwei verschiedenen "Mouvements" (im ursprünglichen Sinne von Bewegung) nicht zur selben gefühlten Geschwindigkeit führen. Will man die Übergänge "hemiolisch" gestalten (i.e. wenn die Takte alle gleich lang sind, hat man vor dem Übergang die Gruppierung 3x2, danach 2x3), ist eine unmerkliche Verlangsamung nicht von Nachteil.

Übrigens ist meines Erachtens das Boogie-Woogie-Gefühl der Musik von Beethovens Zeit fremd (nicht jedoch der des 16. Jahrhunderts!). Als kleines aber aufschlussreiches Beispiel cf. die Charakteranweisungen von Ausgaben aus der Zeit bei der zweiten Nummer in Bachs Kunst der Fuge.
 
Ich verstehe die folgende Behauptung nicht ganz:
"...wer die Taktwechsel als Notenwert = Notenwert deutet, der realisiert in der 2. Variation eine Verkürzung des Taktes um ein Drittel der Dauer"

Ein Takt in der Ariette hat 3 punktierte Achtel = 3 x 6 32-tel
Var. 1 idem
Ein Takt in Var. 2 hat auch 18 32-tel. Irreführend ist nur die "Kurzschrift", die Punkte auszulassen.
@kitium
Zunächst müsste man dazu Vitaly Margulis (1928-2011) fragen, denn auf seinen Essay über die Temporelationen beziehen sich meine Ausführungen (den Essay kann man inklusive Margulis´ bedenkenswerter Einspielung der Sonate erwerben, bei aurophon - ich gestehe, dass mich die Einspielung des Variationensatzes nicht überzeugt)

Aber zurück zu rein rechnerischen banalen Angelegenheiten:
Thema und Variation 1 haben als Takt 9/16
Variation 2 hat als Takt 6/16
=> wenn die Notenwerte beim Taktwechsel gleich bleiben, dann ist ein 6/16 Takt rechnerisch um exakt drei Sechzehntel kürzer als ein 9/16 Takt, also um ein Drittel der ursprünglichen Taktdauer kürzer. Denn 9 - 6 = 3 :-) und das immer und überall :-)

(diese banale Rechnung rechtfertigt, dass nicht wenige Interpreten die 2. Variation recht flott im Vergleich zur 1. Variation spielen - ob sie damit wirklich richtig liegen, ist eine andere Frage (wozu ich im Beitrag zuvor schon paar Anmerkungen gemacht hatte))

Aber natürlich ist fraglich, ob Beethoven das mit seiner Notation gemeint hat... Ärgerlicherweise fehlen im ersten Takt der 2. Variation Triolenzeichen!!! Genau dieses fehlen führt dazu, dass eben ungewiß (uneindeutig) ist, was hier gemeint ist:
op.111 Taktwechsel Bülow Ausgabe.png
oben der Taktwechsel in der Bülow-Ausgabe (Achtung: die eingeklammerte Anweisung Achtel = punktiertes Achtel ist von Bülow, nicht von Beethoven!!)
op.111 Taktwechsel Bülow Ausgabe Kommentar.png
oben Hans von Bülows Kommentar zum (Deutung des) Taktwechsels

...wie man sich auch dreht und wendet: der erste Takt der 2.Variation weist kurioserweise zwei verschiedene Sorten von Sechzehnteln auf!! Die ungeklärte Frage ist, ob dort ein Triolenzeichen in der Oberstimme (Sexten) oder eine Punktierung in der Unterstimme fehlt -- aber das wäre entscheidend darüber, ob hier Takt=Takt oder Notenwert=Notenwert gelten soll.

Margulis meinte, dass hier Takt = Takt gemeint sei.
Völlig unabhängig von fehlenden Punktierungen oder Triolenzeichen meine ich das auch, aber aus einem ganz blöd-naivem rechnerischem Grund:
Der Taktwechsel findet innerhalb eines Taktes statt (Thema und Variationen beginnen allesamt auftaktig!) - zu Beethovens Lebzeiten und davor war es Usus, Auftakte genau "auszurechnen" und dem letzten Takt dann den fehlenden Auftakt abzuziehen. Genau das geschieht auch im allerletzten Takt der Sonate, sowohl im Manuskript als auch in der Abschrift, Erstausgabe und weiteren Ausgaben. Rechnerisch also war üblich, das Taktmaß einzuhalten (das änderte sich freilich, wie man bei Liszt und später nachsehen kann) Unter dieser rechnerischen Voraussetzung muss die Taktlänge eines Taktes von Variation 2 identisch mit der Taktlänge von Variation 1 sein! Denn wenn das nicht der Fall ist, dann ist der Takt, innerhalb dessen der Taktwechsel stattfindet, von irregulärer Dauer. (kann man unschwer nachrechnen)
=> streng genommen ist das aber nur ein Indiz, das auf Notationskonventionen beruht!! Ich maße mir nicht an, sicher zu wissen, was an dieser Stelle gemeint ist. Ich habe mich nach langem überlegen für Takt = Takt entschieden.

Ich habe das Faksimile des Manuskripts (Drei Mohren Verlag) und habe das oft genug angeschaut: da gibt es keine Punktierungen bei den kritischen Taktwechseln! Wo siehst du diese? (viel interessanter und entscheidender ist das Triolenzeichen im MS, das evtl nicht von Beethoven stammt (?) was ich allerdings nicht entscheiden kann)
 
@kitium
Zunächst müsste man dazu Vitaly Margulis (1928-2011) fragen, denn auf seinen Essay über die Temporelationen beziehen sich meine Ausführungen (den Essay kann man inklusive Margulis´ bedenkenswerter Einspielung der Sonate erwerben, bei aurophon - ich gestehe, dass mich die Einspielung des Variationensatzes nicht überzeugt)

Aber zurück zu rein rechnerischen banalen Angelegenheiten:
Thema und Variation 1 haben als Takt 9/16
Variation 2 hat als Takt 6/16
=> wenn die Notenwerte beim Taktwechsel gleich bleiben, dann ist ein 6/16 Takt rechnerisch um exakt drei Sechzehntel kürzer als ein 9/16 Takt, also um ein Drittel der ursprünglichen Taktdauer kürzer. Denn 9 - 6 = 3 :-) und das immer und überall :-)

(diese banale Rechnung rechtfertigt, dass nicht wenige Interpreten die 2. Variation recht flott im Vergleich zur 1. Variation spielen - ob sie damit wirklich richtig liegen, ist eine andere Frage (wozu ich im Beitrag zuvor schon paar Anmerkungen gemacht hatte))

Aber natürlich ist fraglich, ob Beethoven das mit seiner Notation gemeint hat... Ärgerlicherweise fehlen im ersten Takt der 2. Variation Triolenzeichen!!! Genau dieses fehlen führt dazu, dass eben ungewiß (uneindeutig) ist, was hier gemeint ist:
Den Anhang 14422 betrachten
oben der Taktwechsel in der Bülow-Ausgabe (Achtung: die eingeklammerte Anweisung Achtel = punktiertes Achtel ist von Bülow, nicht von Beethoven!!)
Den Anhang 14423 betrachten
oben Hans von Bülows Kommentar zum (Deutung des) Taktwechsels

...wie man sich auch dreht und wendet: der erste Takt der 2.Variation weist kurioserweise zwei verschiedene Sorten von Sechzehnteln auf!! Die ungeklärte Frage ist, ob dort ein Triolenzeichen in der Oberstimme (Sexten) oder eine Punktierung in der Unterstimme fehlt -- aber das wäre entscheidend darüber, ob hier Takt=Takt oder Notenwert=Notenwert gelten soll.

Margulis meinte, dass hier Takt = Takt gemeint sei.
Völlig unabhängig von fehlenden Punktierungen oder Triolenzeichen meine ich das auch, aber aus einem ganz blöd-naivem rechnerischem Grund:
Der Taktwechsel findet innerhalb eines Taktes statt (Thema und Variationen beginnen allesamt auftaktig!) - zu Beethovens Lebzeiten und davor war es Usus, Auftakte genau "auszurechnen" und dem letzten Takt dann den fehlenden Auftakt abzuziehen. Genau das geschieht auch im allerletzten Takt der Sonate, sowohl im Manuskript als auch in der Abschrift, Erstausgabe und weiteren Ausgaben. Rechnerisch also war üblich, das Taktmaß einzuhalten (das änderte sich freilich, wie man bei Liszt und später nachsehen kann) Unter dieser rechnerischen Voraussetzung muss die Taktlänge eines Taktes von Variation 2 identisch mit der Taktlänge von Variation 1 sein! Denn wenn das nicht der Fall ist, dann ist der Takt, innerhalb dessen der Taktwechsel stattfindet, von irregulärer Dauer. (kann man unschwer nachrechnen)
=> streng genommen ist das aber nur ein Indiz, das auf Notationskonventionen beruht!! Ich maße mir nicht an, sicher zu wissen, was an dieser Stelle gemeint ist. Ich habe mich nach langem überlegen für Takt = Takt entschieden.

Ich habe das Faksimile des Manuskripts (Drei Mohren Verlag) und habe das oft genug angeschaut: da gibt es keine Punktierungen bei den kritischen Taktwechseln! Wo siehst du diese? (viel interessanter und entscheidender ist das Triolenzeichen im MS, das evtl nicht von Beethoven stammt (?) was ich allerdings nicht entscheiden kann)

Wir sind uns über das Wesentliche einig: dass das Taktmaß (i.e. die zeitliche Länge jedes einzelnen Taktes) im ganzen Satz unverändert bleibt. Alles andere ist aus den musikalischen Gründen, die Du auch ausgeführt hast, auszuschließen.

Die Frage ist hier, inwiefern die Notation darauf hinweist.

da gibt es keine Punktierungen bei den kritischen Taktwechseln! Wo siehst du diese?

In dem Bild, das ich angehängt hatte, sieht man 4 Radierungen genau da, wo Punkte hätten stehen können. (In meiner vorigen Nachricht äußerte ich meine Vermutung über deren Entstehung.)

...wie man sich auch dreht und wendet: der erste Takt der 2.Variation weist kurioserweise zwei verschiedene Sorten von Sechzehnteln auf!! Die ungeklärte Frage ist, ob dort ein Triolenzeichen in der Oberstimme (Sexten) oder eine Punktierung in der Unterstimme fehlt -- aber das wäre entscheidend darüber, ob hier Takt=Takt oder Notenwert=Notenwert gelten soll.

In der alten Mensurnotation macht das alles Sinn, was Beethoven geschrieben hat. Nehmen wir mal, "without loss of generality", wie ein Mathematiker sagen würde, die Skala 32-tel=minima. Var. 1 steht dann im tempus perfectum prolatio minor, Var. 2 im tempus imperfectum prolatio major (das ist der "klassische" Mensurwechsel, oft durch Farbenwechsel allein bezeichnet). Im letzteren beträgt eine normale 16-tel genau 3 32-tel, es sei denn, eine Imperfektion durch eine folgende 32-tel vorliegt. Also ist die Notation von Beethoven ohne Punkte genau richtig. Beim Wechsel bleibt automatisch der Minima-Wert unverändert. Davor haben wir Takte mit 9 imperfekten Semibreven, danach mit 6 perfekten. Da beide Taktarten 18 Minimen enthalten, sind die Gleichungen "Notenwert=Notenwert" und "Takt=Takt" beide behalten, nur die Mensur ist anders. Auf die Frage "wie viele Semibreves sind in einem Takt" wäre die Antwort "6"; ergo 6/16.

So muss man die Bezeichnung 6/16 deuten – 6/16 ist eine Kurzform von 18/32, mit demselben Verhältnis wie 4/4 und 24/16 im Bachschen Beispiel, und kein "echtes" 6/16. Wenn man versuchen würde, 6/16 als (9-3)/16 und die 16-tel+32-tel-Gruppierungen als Triolen zu sehen, was Du anscheinend anhand der Notation für möglich hältst, gibt es ein Problem, wie Bülow auch erkannte: die Musik von Variation 2 hat nichts mit 6/16 zu tun, denn sie ist eindeutig in 3/8. Das heißt, bei meiner Lösung muss man akzeptieren, die Bezeichnung "6/16" nicht wörtlich nach modernen Regeln zu nehmen; bei der anderen muss man dasselbe tun und, zusätzlich, die Zeitskala hin und her verschieben.

Wie gesagt haben wir uns beide für dasselbe Ergebnis entschieden. Mit meinen Beiträgen hoffe ich, diese Meinung zu unterstützen.

PS Ich will nicht behaupten, dass Beethoven die Mensurnotation in der Form kannte, oder dass es eine ununterbrochene Vermittlungstradition gibt, aber wir wissen, dass sich Beethoven in seinen späteren Jahren sehr für die Musik einer Periode interessiert hat, in der einige Rudimente des echten Mensursystems immer noch vorhanden waren. Die vielschichtige 3fache Teilung der Notenwerte, die in unserer Notation zu so vielen Schwierigkeiten führt, ist eine res evidens in der Mensurnotation.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wir sind uns über das Wesentliche einig: dass das Taktmaß (i.e. die zeitliche Länge jedes einzelnen Taktes) im ganzen Satz unverändert bleibt.
Ja, da sind wir uns einig (evtl. mit unterschiedlichen Argumenten), aber das ändert nichts daran, dass wir letztlich nicht beweisen können, dass diese Deutung des Notentextes (Takt = Takt) die einzig richtige ist.

Die Frage ist hier, inwiefern die Notation darauf hinweist.
Wie du völlig richtig dargestellt hast, macht Beethovens Notation aus gewohnter Lesart (Ende 18.Jh. bis heute) Probleme - die haben wir ja dargestellt (Punktierung oder Triolenzeichen wären nötig, sind aber nicht notiert)

Dann aber stellt sich eine weitere Frage: warum haben zwei Taktwechsel die Anweisung l´istesso tempo, der dritte aber nicht? Margulis meint, dass der letzte Taktwechsel ein sonderbar-ungewöhnliches, nicht sinnvoll notierbares Taktmaß meine, nämlich neun punktierte Sechzehntel in Relation zu den vorangegangenen... (das halte ich für abwegig) - möglicherweise hielt Beethoven bei der Rückkehr zu 9/16 (dem anfänglichen Taktmaß) keinen Hinweis mehr für nötig (?) --- wie dem auch sei, warum das so in den Noten steht, wissen wir nicht.

In dem Bild, das ich angehängt hatte, sieht man 4 Radierungen genau da, wo Punkte hätten stehen können. (In meiner vorigen Nachricht äußerte ich meine Vermutung über deren Entstehung.)
was natürlich spekulativ ist.

In der alten Mensurnotation macht das alles Sinn, was Beethoven geschrieben hat.

PS Ich will nicht behaupten, dass Beethoven die Mensurnotation in der Form kannte, oder dass es eine ununterbrochene Vermittlungstradition gibt, aber wir wissen, dass sich Beethoven in seinen späteren Jahren sehr für die Musik einer Periode interessiert hat, in der einige Rudimente des echten Mensursystems immer noch vorhanden waren.
das ist ein letztlich auch wieder spekulatives Indiz für Takt = Takt

ps.: so wie derzeit hier macht das diskutieren über Notentexte richtig Freude!
 

Ja, da sind wir uns einig (evtl. mit unterschiedlichen Argumenten), aber das ändert nichts daran, dass wir letztlich nicht beweisen können, dass diese Deutung des Notentextes (Takt = Takt) die einzig richtige ist.

Grob gesagt, ist unsere Hauptschwierigkeit, dass in unserer Interpretation einige Zeichen etwas bedeuten müssen, was sie streng genommen nicht bedeuten. (zB dass mit nicht punktierten 16-teln punktierte 16-tel gemeint seien.) Mein Argument ist, dass diese aus heutiger Sicht unpräzisen Notationsanwendungen durch historische Präzedenzien gerechtfertigt sind. (Akzeptiert und richtig sind 2 verschiedene Sachen.) Ich halte es für viel unwahrscheinlicher, dass es sich um ein Weglassen der Triolenzeichen, und, zusätzlich, eine Verwechslung von 6/16 und 3/8, handle. Letzteres mag gelegentlich vorgekommen sein, aber nicht akzeptiert. Denn es ist ein Fehler, wie es auch zu jedem Zeitpunkt eindeutig war, und keine Kurzschrift, was bei 6/16=18/32 naheliegt (2/4=6/8, wie so oft in der Barockmusik vorkommt, ist ein direkter Vergleich).

Dann aber stellt sich eine weitere Frage: warum haben zwei Taktwechsel die Anweisung l´istesso tempo, der dritte aber nicht? Margulis meint, dass der letzte Taktwechsel ein sonderbar-ungewöhnliches, nicht sinnvoll notierbares Taktmaß meine, nämlich neun punktierte Sechzehntel in Relation zu den vorangegangenen... (das halte ich für abwegig) - möglicherweise hielt Beethoven bei der Rückkehr zu 9/16 (dem anfänglichen Taktmaß) keinen Hinweis mehr für nötig (?) --- wie dem auch sei, warum das so in den Noten steht, wissen wir nicht.

Ich finde dein Argument gut. Es gibt ja hier auch genügend historische Präzedenzien, wo ein Komponist bei der Rückkehr ins Anfangszeitmaß kein "Tempo I" notiert. Oder, als Kontrapositiv ausgedrückt: wir hätten sonst mit allen möglichen absurden Zweifeln zu kämpfen.

"In dem Bild, das ich angehängt hatte, sieht man 4 Radierungen genau da, wo Punkte hätten stehen können. (In meiner vorigen Nachricht äußerte ich meine Vermutung über deren Entstehung.)"

was natürlich spekulativ ist.

Wir wissen:
1. in einer buchstäblich richtigen Notation (oder in einer der zwei möglichen richtigen Notationen, wenn man will) wären tatsächlich da Punkte.
2. es sind genau 4 kleine Radierungen zu sehen, die genau dort sind wo Punkte zu setzen sind
3. (was ich der Kürze halber nicht erwähnt hatte) in Var. 3 kommt das gleiche vor, nur sind hier einige Punkte bei der Radierung nicht komplett beseitigt worden.

In einem solchen Fall erlaube ich mir die Spekulation gerne.
 
Grob gesagt, ist unsere Hauptschwierigkeit, dass in unserer Interpretation einige Zeichen etwas bedeuten müssen, was sie streng genommen nicht bedeuten. (zB dass mit nicht punktierten 16-teln punktierte 16-tel gemeint seien.) Mein Argument ist, dass diese aus heutiger Sicht unpräzisen Notationsanwendungen durch historische Präzedenzien gerechtfertigt sind. (Akzeptiert und richtig sind 2 verschiedene Sachen.)
Wobei sich zwei Fragen stellen:
1. ist unsere heutige Leseweise (kurz gesagt: da fehlen entweder Punktierungen oder Triolenzeichen) weit weg von Beethovens Notationsweisen?
2. kannte Beethoven nachweislich die von dir (glänzend!) referierten älteren Notationen (dann müsste eine Traditionslinie nachweisbar sein) und wenn ja, hat er bei rhythmisch prekären Abschnitten öfter auf diese zurückgegriffen, oder sind die Taktwechsel (bzw. ist die rhythmische Progression) im Variationensatz op.111 ein Unikat innerhalb von Beethovens Werken?

bei 1. tendiere ich dazu, unserer Leseweise eher Nähe zum frühen 19. Jh. zu attestieren*) der grimme Ludwig mühte sich, Notenwerte ganz exakt auszuzählen**) und einen möglichst übersichtlichen und möglichst eindeutigen Notentext zu liefern; rhythmische Uneindeutigkeit(en) gibt es weder im Kopfsatz (adagio Abschnitte) von op.109 noch in der sehr verwunderlich notierten Überleitung zur Fuge in op.106 (und gerade da notierte der grimme Ludwig rhythmisch sehr kompliziertes Zeugs...)

bei 2. muss ich gestehen, dass ich Beethovens Werke nicht komplett kenne (ich kenne nur die Sonaten und Variationen gründlich und komplett, die Sinfonien nur eher summarisch, die restliche Kammermusik nur teilweise) In den Klavierwerken finde ich nirgendwo die Tendenz, frühbarocke Schreibweisen bei rhythmisch komplizierten Abschnitten einzusetzen. Kennst du andere Beethovensachen, denen du Beethoven beim notieren rhythmisch komplexer Abschnitte den Rückgriff auf Mensurnotation attestieren würdest? Kurios ist das irgendwie innerhalb der op.111 Sonate, wenn es so sein sollte: die Sonate ist gemessen an der Musik ihrer Entstehungszeit immens fortschrittlich, aber die Notation dieser fortschrittlichen Musik erfordert einen Rückgriff auf weit ältere Notationen?... Mich überzeugt die Spekulation nicht - aber kapieren tuich die Argumentation :-)

1. in einer buchstäblich richtigen Notation (oder in einer der zwei möglichen richtigen Notationen, wenn man will) wären tatsächlich da Punkte.
2. es sind genau 4 kleine Radierungen zu sehen, die genau dort sind wo Punkte zu setzen sind
3. (was ich der Kürze halber nicht erwähnt hatte) in Var. 3 kommt das gleiche vor, nur sind hier einige Punkte bei der Radierung nicht komplett beseitigt worden.

In einem solchen Fall erlaube ich mir die Spekulation gerne.
...das bleibt Spekulation (zumal bei allen Sechzehnteln, die die Dauer von "anderem" Sechzehntel plus Zweiundreissigstel haben, die vermeintlichen Radierungen vorhanden sein müssten - sind sie aber nicht)
...sodann das ominöse isolierte Triolenzeichen zwischendurch (in der letzten Variation), das laut Margulis nicht von Beethoven ins Manuskript gekritzelt sein soll (in der Erstausgabe findet es sich allerdings)
... aber Triolenzeichen hin, Triolenzeichen her - die letzte Variation (9/16) weist ja weitere Absonderlichkeiten auf, z.B. kurz vor der Trillerkette: da erscheinen Gruppen von vier 64steln, welche genau die Dauer von drei 32steln haben (!!) ...da hilft nun auch keine Mensurnotation mehr, um dieses Kuriosum zu erklären (entweder sind die 32stel triolisch, oder den 64steln fehlt ein Quartuolenzeichen (wobei dann auch korrektwerweise statt 64steln 32stel als quartuolische Vierergruppe hätten notiert werden können))

Missversteh´ mich bitte nicht! Meine Widerworte haben nicht den Zweck, deine Argumentation zu kritisieren - wir kommen ja zum selben Ergebnis (Takt = Takt)!!! Ich bin mir aber nicht ganz sicher, dass diese Deutung die einzig richtige ist. Ich meine, dass wir nur - aus verschiedenen Richtungen - Indizien für diese Deutung finden. Leider keine eindeutigen Beweise.

Wie gesagt: mir fehlen die Beweise für permanentes Takt = Takt im Variationensatz, deswegen hatte ich meine Deutung als Entscheidung, die ich ausprobiere, bezeichnet. Egal ob man Takt = Takt oder Notenwert = Notenwert oder jede Variation mit eigenem Tempo spielt: es ist immer ein Experiment.

...manchmal neige ich zu der absurd erscheinenden Überlegung, dass der grimme Ludwig hier möglicherweise absichtlich so vieldeutig notiert hat... (??)
______________________
*) einzig die sich entwickelnden Pedalvorschriften bzw. Notation des Pedaleinsatzes ist bei Beethovens Klavierwerken uneinheitlich - das liegt allerdings daran, dass innerhalb der Zeitspanne ~1790-1825, in welcher Beethovens Klavierwerke entstanden, noch keine allgemeingültigen Regeln für die Notation vorlagen; man kann Beethoven hier als eine Art Pionier bezeichnen. Die nachfolgenden Komponistengeneration (Chopin, Schumann, Liszt) war da etwas präziser (wobei auch da - Pedal - genügend offene Fragen bestehen...)
**) was gelegentlich misslang, wie z.B. in der Einleitung von op.13
 
ops, hab ich mich hier in diesen Faden verirrt, zu dem ich nichts beitragen kann:girl:Doch ich genieße es hier mitzulesen. Danke und weiter so :super:
 
Wobei sich zwei Fragen stellen:
1. ist unsere heutige Leseweise (kurz gesagt: da fehlen entweder Punktierungen oder Triolenzeichen) weit weg von Beethovens Notationsweisen?
2. kannte Beethoven nachweislich die von dir (glänzend!) referierten älteren Notationen (dann müsste eine Traditionslinie nachweisbar sein) und wenn ja, hat er bei rhythmisch prekären Abschnitten öfter auf diese zurückgegriffen, oder sind die Taktwechsel (bzw. ist die rhythmische Progression) im Variationensatz op.111 ein Unikat innerhalb von Beethovens Werken?

bei 1. tendiere ich dazu, unserer Leseweise eher Nähe zum frühen 19. Jh. zu attestieren*) der grimme Ludwig mühte sich, Notenwerte ganz exakt auszuzählen**) und einen möglichst übersichtlichen und möglichst eindeutigen Notentext zu liefern; rhythmische Uneindeutigkeit(en) gibt es weder im Kopfsatz (adagio Abschnitte) von op.109 noch in der sehr verwunderlich notierten Überleitung zur Fuge in op.106 (und gerade da notierte der grimme Ludwig rhythmisch sehr kompliziertes Zeugs...)

bei 2. muss ich gestehen, dass ich Beethovens Werke nicht komplett kenne (ich kenne nur die Sonaten und Variationen gründlich und komplett, die Sinfonien nur eher summarisch, die restliche Kammermusik nur teilweise) In den Klavierwerken finde ich nirgendwo die Tendenz, frühbarocke Schreibweisen bei rhythmisch komplizierten Abschnitten einzusetzen. Kennst du andere Beethovensachen, denen du Beethoven beim notieren rhythmisch komplexer Abschnitte den Rückgriff auf Mensurnotation attestieren würdest? Kurios ist das irgendwie innerhalb der op.111 Sonate, wenn es so sein sollte: die Sonate ist gemessen an der Musik ihrer Entstehungszeit immens fortschrittlich, aber die Notation dieser fortschrittlichen Musik erfordert einen Rückgriff auf weit ältere Notationen?... Mich überzeugt die Spekulation nicht - aber kapieren tuich die Argumentation :-)

Nein, ich kann weder das noch das Gegenteil dokumentarisch nachweisen. Ich kenne keine vergleichbare Stelle in Beethovens Werken, aber meine Kenntnis in Sache Beethoven ist alles andere als gründlich. Es geht schließlich nicht um Stellen, die rhythmisch komplex sind, sondern um Stellen, die eine auf 3-teiligem basierte Rhythmusstruktur aufweisen. Dieser Satz aus Op111 ist nicht rhythmisch komplex; er ist nur furchtbar unpraktisch zu notieren in unserem modernen System (aber nicht in der Mensurnotation, die scheint fast dafür gemacht worden zu sein).

Auch wenn sich Beethovens Notation von der modernen oberflächlich nicht wesentlich unterscheidet, war vielleicht ein Vestigium älterer Konventionen präsenter im Bewusstsein der Komponisten damals als jetzt. Vergessen wir nicht, dass sich J.S. Bach noch mit dem Hexachordsystem auskannte (das ist glücklicherweise anhand seines FABER-Kanons nachzuweisen), obwohl es, zumindest nach heutiger Sicht, völlig irrelevant für die Harmonie der Barockmusik war; und Varro, dessen Sprache für uns heute so gut wie ganz verständlich ist, konnte auch Etruskisch, das schon damals praktisch ausgestorben war und heute als unentziffert gilt.

Ich glaube, wir haben jetzt so viel Klarheit, als wir bei dieser Frage jemals haben können!
Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist die Kontroverse um die ausradierten Punkte im Manuskript. Ich bin kein Forensiker für Handschrift, aber die Lage sieht für mich deutlich genug aus...

Wie dem auch sei, versuche ich jetzt zum Schluss zu kommen.

die letzte Variation (9/16) weist ja weitere Absonderlichkeiten auf, z.B. kurz vor der Trillerkette: da erscheinen Gruppen von vier 64steln, welche genau die Dauer von drei 32steln haben (!!) ...da hilft nun auch keine Mensurnotation mehr, um dieses Kuriosum zu erklären (entweder sind die 32stel triolisch, oder den 64steln fehlt ein Quartuolenzeichen (wobei dann auch korrektwerweise statt 64steln 32stel als quartuolische Vierergruppe hätten notiert werden können))

Die erste Frage ist, wenn ich richtig verstanden habe, eine ähnliche wie bei Var. 2: ob die 32-tel Triolen sind, oder die 16-tel implizite Punkte haben. (In letzterem Fall müssten die 64-tel Quartolen sein.)
Bei den Variationen 1-3 kamen wir auf folgende Argumente pro und contra:
1. es wäre angesichts einiger unpräsizer aber akzeptierter Kurzschriftkonventionen denkbar, die Punkte auszulassen. Dass sich Beethoven ausdrücklich darauf berufen hat, ist, wie Du völlig richtig sagst, nicht nachweisbar.
2. es ist hingegen auch eine denkbare Kurzschrift, Triolenzeichen auszulassen. Aber: auch wenn wir alle {16-tel+32-tel}-Gruppen für Triolen halten, so dass jeder Takt aus 6 normalen 16-teln besteht, haben wir immer noch keine Musik im 6/16-Takt (sondern im 3/8-Takt).

Ich finde, wie Du weißt, den zweiten Punkt entscheidender. Warum soll man Beethoven einen groben Fehler unterstellen, wenn das gleiche durch einen historischen Vorgang (den Beethoven vielleicht kannte und vielleicht nicht) zu erklären ist?

Die Situation bei Var. 4 sehe ich anders als bei den Variationen 1-3, denn das Argument im Punkt 2 trifft hier gar nicht zu. 9/16 passt ganz zu der Musik.

Bei der Stelle mit den 64-teln, sind die Verhältnisse der Notenwerte klar. Nur die Notation wird hier in Frage gestellt.

Nehmen wir an, dass es sich um eine echte 9/16-Taktart mit 32-tel-Triolen handelt.
Wenn man also die impliziten Triolenzeichen ergänzt, ist alles richtig. 4 Töne innerhalb der Zeit einer 16-tel => 64-tel.

Jetzt schauen wir mal, was passiert wenn wir die 16-tel so verstehen, als ob sie alle punktiert wären, und das Zeichen 9/16 als Kurzform von 27/32 betrachten. Ähnliches haben wir ja bei Var. 2 gemacht.
Dann macht die Notation von den 64-teln aber nicht mehr so viel Sinn, wie Du schon erklärt hast.

Für mich spricht das dafür, die erstere Variante zu bevorzugen. Warum eine Lesart auswählen, die nur richtig wäre, wenn Beethoven etwas falsch geschrieben hat, wenn es eine gibt, die genau das vorsieht, was geschrieben steht? (... und die, weil sie zum Ergebnis "Takt=Takt" führt, uns auch musikalisch lieber ist!)

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Übrigens:

da erscheinen Gruppen von vier 64steln, welche genau die Dauer von drei 32steln haben

Direkt Vergleichbares siehst Du in der Gavotte von Bachs E-moll Partita. Wie bei Var. 4 im Beethoven, ergänzt man die impliziten Triolenzeichen; dann, und nur dann, macht alles Sinn: Taktangabe und Schreibweise der 3er und 4er Gruppen.

In der darauffolgenden Gigue hat man ein Kuriosum kuriosorum für eine Taktangabe. Tempus perfectum diminutum ist hier definitiv nicht gemeint, aber instinktiv verstehen wir das Zeichen irgendwie schon.

Das führt mich letzten Endes zu der Erkenntnis, dass die Musiknotation in erster Linie versucht, von Musikern, von denen anzunehmen ist, dass eine gewisse Sympathie mit dem Komponisten und mit dessen Musikstil besteht, verstanden zu werden. Dass ein teilweise logisches System dadurch entsteht ist zu erwarten; dieses System zu bewahren ist aber kein Hauptziel bei der Anwendung der Notation. Das ist ein bisschen wie manchmal in der Sprache – zB: wie sagt man auf Lateinisch "den Töchtern"? filia -> filiis. Aber filiis bedeutet auch "den Söhnen". Also? filiabus!
 
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@kitium erst mal DANKE!! für deine ausführlichen und wohldurchdachten Ausführungen (auch wenn sie ein wenig "mensurnotationslastig" sind...;-)...) - missversteh mich nicht: mir leuchtet ein, was du schreibst - aber wir wissen beide, dass es sich bei deinen (wie auch bei meinen) Überlegungen nicht um eindeutige Beweise, sondern lediglich um argumentative Indizien handelt. Bon, das müssen wir nicht weitschweifig ausufern lassen, denn die Argumente sind mehr oder weniger vollständig aufgereiht.
Nein, ich kann weder das noch das Gegenteil dokumentarisch nachweisen. Ich kenne keine vergleichbare Stelle in Beethovens Werken, aber meine Kenntnis in Sache Beethoven ist alles andere als gründlich. Es geht schließlich nicht um Stellen, die rhythmisch komplex sind, sondern um Stellen, die eine auf 3-teiligem basierte Rhythmusstruktur aufweisen. Dieser Satz aus Op111 ist nicht rhythmisch komplex; er ist nur furchtbar unpraktisch zu notieren in unserem modernen System (aber nicht in der Mensurnotation, die scheint fast dafür gemacht worden zu sein).
also hierbei muss ich dir ein wenig widersprechen! Aber das weniger aus rechnerisch-rhythmischen Gründen, als aus spielpraktischen Gründen: den Taktwechsel von 9/16 zu 6/16 exakt mit der Vorgabe Takt=Takt zu realisieren, ist alles andere als einfach... Und insgesamt ist die rhythmische Progression im Variationensatz durchaus staunenswert (dergleichen findet man nicht alle Nase lang in der Klaviermusik) --- aus schnöde praktischer Sicht (also das Zeugs zu spielen) empfiehlt es sich, eben nicht in 9/16 oder 6/16 oder 12/32 zu denken, sondern stur in 3/8 (!!) zu denken [also als rhythmische Orientierung, als Puls, das Taktdrittel zu nehmen] und sich dabei einhämmern, dass allerlei verschiedenes innerhalb von einem Taktdrittel erforderlich sein kann.

Damit könnten wir peu a peu zu den spielpraktischen Problemen kommen - hast du Interesse, diese detailliert anzuschauen und beizutragen? Das würde mich freuen!

Ich fang mal an:
Der 1.Satz ist "schwierig" im herkömmlichen Sinn: wenn man das Finale der Appassionata oder Chopins op.10 Nr.4*) noch nicht beherrscht, wird man im Kopfsatz technisch scheitern. Damit ist ganz grob und ungefähr das technische Niveau umrissen. Aber leider gilt das nur für ca 95% des Kopfsatzes: darüber hinaus gibt es ~ 5% Notentext, dessen Schwierigkeitsgrad deutlich darüber hinaus geht (das ist gelegentlich das praktisch ärgerliche an den späten Beethovensonaten, dass sie Momente enthalten, die katastrophal schwierig zu spielen sind und obendrein gar nicht mal als herausragende Effekte eingesetzt sind - dem fiesen Beethoven war schnurzegal, ob es nur schwer oder ob es fürchterlich sauschwer ist: "wer´s nicht greifen kann, soll´s bleiben lassen")
Also kurzum op.57 Finale und ähnliches sollte man drauf haben, wenn man den 1.Satz gerne spielen können möchte.
Wählt man hier Viertel = 120-126 dann ist das alles noch (vorausgesetzt man kann die Etüde und das Appassionatafinale) ganz passabel, steigert man das bis 144 oder darüber hinaus, ja dann wird´s ganz verflucht schwierig...

Der Variationensatz...
...wenn man sich für Taktdrittel =40 entscheidet, dann gibt es keine besonderen technischen Probleme, vorausgesetzt dass man unermüdlich trillern kann ;-)
...aber Taktdrittel=40 ist schon sehr behäbig...
Taktdrittel~50 klingt schon fließender, aber dann wird die 3.Variation technisch schon sehr sehr anspruchsvoll...
Taktdrittel~60 ist das möglicherweise*) authentische Czerny/Moscheles-Tempo - spielt man (was noch sehr einfach ist!) Thema und Variation 1 in diesem Tempo, stellt man fest, dass das sehr fließend und angenehm cantabel ist: gewöhnt man sich an dieses Zeitmaß, dann erscheint es einem geradezu ideal (!! das spricht sehr für das Czerny/Moscheles-Tempo) Auch die 2.Variation lässt sich mit Taktdrittel=60 noch ganz angenehm spielen und klingt auch sehr schön, ohne dass man sonderlich viel dafür technisch üben müsste***) Aber bei der 3.Variation stellt man dann ernüchternd fest, dass das wunderschön ideal wirkende Tempo Taktdrittel=60 plötzlich an der Grenze der Spielbarkeit angelangt ist!! (wer´s nicht glaubt, der bewaffne sich mit einem Metronom und probiert´s aus :-D:-D:-D in diesem Tempo befindet man sich hier in einem Bereich, der sämtliche Hüpferchen in Liszts La Campanella****) harmlos erscheinen lässt (!!) [wer´s nicht glaubt: Metronom anmachen, in Campanella herumspielen, dann die Synkopen in der 3. Variation probieren... viel Spaß dabei!!;-)...]
=> derartiges erfährt jeder, der sich mit den letzten fünf Beethovensonaten befasst: man wird gelegentlich mit absurd fiesen technischen Schwierigkeiten konfrontiert.

Dann noch die Trillerketten... zwei solche hat op.111 - - ich kann da nicht viel sinnvolles sagen: Triller und Tremoli machen mir keine Mühe, für mich sind sie einfach (ich muss sie nicht üben) Viele beklagen, dass die Trillerketten in op.106, op.109 und op.111 schwierig seien - das geht mir nicht so und ich kann es nicht nachvollziehen.

Hoffentlich ergibt sich zu den spieltechnischen Angelegenheiten in op.111 eine ebenso erfreulich interessante Diskussion wie zu den Problemen des Notentextes!!!
__________
*) das ist quasi Chopins kleine Toccata
**) unabhängig voneinander haben Czerny und Moscheles Taktdrittel~60 als Richtlinie für die Arietta angegeben: natürlich haben beide Beethoven nie diese Sonate oder op106 spielen gehört, denn Beethoven hatte aufgrund seiner Taubheit seine späten Klaviersachen gar nicht mehr praktisch ausprobiert (merkwürdig hierbei ist, dass er selber nur in op.110 und op.111 Fingersätze notiert hatte) -- die zeitlich unabhängig voneinander mitgeteilten Tempi von Czerny und Moscheles beruhen aus (nicht prüfbaren) Gesprächen mit Beethoven über Tempovorstellungen
***) das gilt freilich nur für Spieler, die Zeugs wie Appassionata und Chopinetüden schon drauf haben!
****) einzig die Oktavrepetitionen in der Coda dieser beliebten Etüde sind schwieriger als die 3.Variation - aber die sind ein ganz anderes manuelles Thema, welches nirgendwo in Beethovens Klavierwerk auftaucht: dergleichen erscheint erst in der (spät)romantischen Virtuosität als Effekt
 
Ich danke euch beiden schonmal für eure Ausführungen, die ich noch nicht gelesen habe. Bin gerade sehr eingespannt und sollte den 2. Satz vermutlich auch erst zu ende üben, bevor ich mich bemühe irgendetwas Interessantes zu sagen... Bis dahin macht bitte fleißig weiter! :super:
 
Tut mir leid, ich bin gerade damit beschäftigt, mich zum Affen zu machen (nein, keine Fotos). Wie gesagt freue ich mich immer, wenn ich ein Stück ohne zu starke vorgefasste Meinung angehen kann, was nicht immer möglich ist. Diese Sonate habe ich mir extra "aufgehoben" und sie auch noch nicht so detailreich angehört oder studiert. Diesen seltenen Zustand möchte ich mir nicht durch eure hochwertigen Ausführungen vorzeitig zerstören :-D
 
Auch wenn die Diskussion über die Tempi hier nun als beendet erklärt wurde, will ich doch noch einmal ein paar kleine Denkanstöße einwerfen, die mir gekommen sind, als ich eure Diskussion gerade mit sehr großem Interesse gelesen habe (ich bedanke mich sehr dafür! - obwohl ich op. 111 selbst nicht spiele). Vorweg: Ich bin der selben Meinung wie @rolf und @kitium, dass 1. das "L'istesso tempo" als Takt = Takt gespielt werden sollte und 2. man nicht sicher sagen kann ob das wirklich so gemeint ist oder nicht. Und ich entschuldige mich im Voraus dafür, dass dieser Beitrag deutlich länger geworden ist als ich eigentlich geplant hatte...

Meine Gedanken hierzu:

1. Nehmen wir mal an, Beethoven hat in Var. 2 entweder Triolen oder Punktierungen vergessen. So etwas kann im Eifer ärgerlicherweise schon einmal passieren, auch einem Beethoven. Und es ist wohl ziemlich genau gleich wahrscheinlich das eine zu vergessen als das andere - soll heißen die Tatsache dass eines von beidem fehlt hilft zunächst einmal gar nicht weiter. Jetzt nehmen wir aber weiterhin an, Beethoven hat da wirklich Punktierungen gesetzt und dann wieder herausradiert. "Aus Versehen" viele Punkte wegzuradieren halte ich für deutlich unwahrscheinlicher als zu vergessen etwas aufzuschreiben. Soll heißen, wenn die Punkte herausradiert wurden, dann war das eine bewusste Tat. Und gibt es einen Grund zu radieren? Nun offensichtlich schon, wenn man 6/16 als Taktvorgabe schreibt. Denn mit Punktierung hätte man bei betreffenden Noten ja nicht 6/16 sondern 9/16, was ja rechnerisch falsch wäre.

2. Beim anderen Motiv mit den "vergessenen Triolen" hat man zähltechnisch 9/16, obwohl 6/16 vorgegeben ist - wie ärgerlich, denn das scheint ja sofort meinen vorigen Punkt zu widerlegen. Doch dazu komme ich nachher noch zurück...

3. Wenn Beethoven "L'istesso tempo" hier als Takt = Takt versteht, warum dann überhaupt der Wechsel von der Vorgabe 9/16 auf 6/16? Beethoven hätte doch eigentlich einfach sowohl die Vorgabe "6/16" als auch "L'istesso tempo" beide komplett weglassen können, die entsprechenden Sechzehntelnoten punktieren und dann wäre rhythmisch alles absolut eindeutig gewesen. Unter der Annahme, dass Beethoven später tatsächlich Punktierungen wegradiert hat, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass in der allerersten Notation das auch genauso gedacht war (also mit Punktierungen, ohne Taktwechsel und ohne den in diesem Fall sinnlosen Kommentar "L'istesso tempo". Wenn es so gedacht war, dann wäre "Takt = Takt" auf jeden Fall das richtige Tempo, das Beethoven bei seiner ersten Notation im Kopf hatte.

4. Angenommen mein Punkt 3 wäre soweit richtig, warum steht da dann 6/16? Meine Vermutung: Weil sich der zähltechnisch und tempobezogen korrekt als 9/16 notierte Takt absolut nicht als 9/16-Takt spielen lässt - Selbstversuch: ab ans Klavier und Variation 2 (in beliebigem Grundtempo) als 9/16 spielen (mit dazu gedachten Punktierungen bei den jeweiligen Sechzehnteln die das erfordern würden) - das ist ein fürchterlicher Schluckauf und sorgt für ganz böse Knoten im Kopf, obwohl es doch rechnerisch aufgeht. Als 6/16 lassen sich aber beide Hände logisch und ohne allzu große gedankliche Stolperfalle spielen (die Verbindungen aus Sechzehntel und Zweiunddreisigstel entsprechend aber triolisch gedacht). Soll heißen: Es ergibt durchaus Sinn, hier nicht 9/16, sondern 6/16 zu schreiben - wie von euch schon angemerkt ergäbe 3/8 vermutlich noch mehr Sinn als 6/16, aber das selbe gilt auch schon für Thema + Variation 1, die gefühlt auch eher 3/8 als 9/16 sind. (Nebenbemerkung: Ein kleiner Blick auf z.B. das Arioso in op. 110 zeigt etwas ähnliches - gefühlt ist das dort ein 4/4- bzw. 4/8-Takt, notiert ist er aber als 12/16. Man könnte also sagen, Beethoven hat diese eher kleinwertige Taktaufteilung nicht singulär in op. 111 benutzt.)

5. Mutmaßung: Beethoven will schön im selben Tempo bleiben, notiert brav punktierte Sechzehntel wo nötig, alles geht rechnerisch wunderschön auf und dann merkt er (Punkt 4), ja sapperlot, das Tempo an sich stimmt, aber diese Variation lässt sich ja gar nicht auf 9 Schläge pro Takt sinnvoll aufteilen. Wie nervig! Also weg mit den dummen Punktierungen, hin mit der neuen Vorschrift 6/16. Gesagt, getan. Und die fehlenden Triolen? Die bleiben leider trotzdem ein Rätsel, denn das Problem was ich in Punkt 2 angesprochen habe, kann ich leider nicht lösen. Nehmen wir an, dass Beethoven die wohl dann eventuell wirklich vergessen hat (oder davon ausgegangen ist, dass der Pianist selbst zählt, 9 Sechzehntel vorfindet - in einem Takt der nur 6 Sechzehntel fassen kann und der rhythmisch schön auf 6 Schläge verteilt werden kann - und dann von selbst triolisch denkt).

6. Nun hätte Beethoven hier also nach kürzerer Überlegung eventuell einen Wechsel von 9/16 auf 6/16 notiert, da sich der Rhythmus nicht als 9/16 weiter fühlen lässt. Wenn dort nun kein "L'istesso tempo" stünde und auch sonst keine weitere Tempovorgabe, dann wäre es absolut naheliegend dort mit Sechzehntel = Sechzehntel über den Taktwechsel weiterzuspielen. Wenn man (bzw. Beethoven) das nicht will, muss da also noch dringend etwas dazugeschrieben werden. Und was denn sonst, außer "L'istesso tempo", wenn das gefühlte Tempo (der 3/8-Puls) gleich bleiben soll? Eine Tempovorgabe a la "Langsamer" würde noch für viel mehr Verwirrung sorgen (und würde dem Pianisten theoretisch dann erlauben, den Grundpuls zu ändern).

ABER: All das bleibt natürlich trotzdem nur Spekulation. Und ich hoffe, ihr könnt überhaupt nachvollziehen, wie ich denke.
 

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