Bach: Partita Nr. 6 e-Moll BWV 830

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Dilettantja

Dilettantja

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Hallo,

ich arbeite mich so nach und nach durch die 6. Partita und bin gerade bei der Sarabande angelangt. Die übe ich allerdings erst seit gestern. Von Können also noch keine Spur.
Noch nie vorher habe ich bei einem Werk von Bach so sehr darüber gegrübelt, wie der Notentext gemeint sein könnte, wie bei dieser Partita. (Phrasierungen? Punktierungen? Verzierungen? ...) Ich weiß, dass ich nichts weiß!
Gut, dass ich einen KL habe, der mir beim Denken hilft!

Ein besonderes Rätsel der Partita: Die Gigue. Die Taktbezeichnung in meiner Ausgabe (Wiener Urtext Edition, hrsg. von Engler / Picht-Axenfeld) ist ein durchgestrichener Kreis, also - ich gebe zu, das musste ich nachschlagen - eigentlich "Tempus perfectum diminutum", normalerweise ein 3er-Takt bzw. 6er - wie es für eine Gigue auch typisch ist.
In diesem Falle aber finden sich im Takt 8 Viertel, bzw. 4 Halbe. Auf diese Problematik weist auch die Anmerkung zur Ausführung hin und schlägt ein rhythmisches Modell vor, das den 4er in einen 3er-Rhythmus umwandelt. Im Gegensatz zu mir hat mein KL sofort verstanden, wie das funktioniert. Aber ob man es so auch spielen sollte? Da ist auch er bei allem Interesse an dieser Variante nicht sicher. Bisher habe ich noch keine Aufnahme gehört, bei der dies so ausgeführt wird. Kennt jemand eine? Auch andere sachkundige Hinweise zu dieser ungewöhnlichen Gigue würden mich interessieren!

Viele Grüße,
Dilettantja
 
Immer wieder aufs Neue anders - genauso, wie es niemals
gelingen wird, "Guten Morgen!" auch bloß zwomal gleich
zu wiederholen.

Unbedingt!
Nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich über die Phrase "Guten Morgen" schon mit absoluter Selbstverständlichkeit verfüge, was ich leider von den Phrasen der Bach-Partita so nicht behaupten kann.
Also denke ich nach, probiere aus, lege mir für den Anfang auch Versionen zurecht und vertraue darauf, dass die Freiheit in der Gestaltung mit Übung, Geduld und wachsendem Verständnis kommt. Ich brauche immer etwas Zeit ...

Viele Grüße,
Dilettantja
 
Hallo,

vielleicht interessiert es außer mir ja noch jemanden:
Ich habe eine Aufnahme gefunden, in der die Gigue auch nach einer Gigue klingt.
Hier der Link:
J. S. Bach - Partita n. 6 in E Minor BWV 830 - 7. Gigue (7/7) - YouTube
(Trevor Pinnock)

Im Gegensatz dazu eine Aufnahme mit der Rhythmisierung streng nach Notentext, in den Kommentaren wird hier das von mir laienhaft geschilderte Problem der Lesart thematisiert.
Bach Partita No.6 e-minor BWV 830 (8 of 8) - Roberta Pili - YouTube
(Roberta Pili)

Ich verstehe das so: Offensichtlich ist heute nicht mehr ganz sicher, wie in diesem Fall die Taktbezeichnung zu lesen ist und es gibt unterschiedliche Auffassungen:
Durchgestrichener Kreis = Tempus imperfectum (dann wird der Strich durch den Kreis so gedeutet, dass 2 Halbkreise entstehen und so nicht ein 3er sondern ein 4er-Takt gemeint ist)
oder
Durchgestrichener Kreis = tempus perfectum diminutum (dann wird der Strich durch den Kreis so gedeutet wie der Strich durch das C für Alla breve und ein 3-er Grundrhythmus bleibt).
Tempus imperfectum wird nach Meinung der Vertreter dieser Auffassung durch einen nicht vollständig geschlossenen Kreis dargestellt.
Für die Notation (an den hingeschriebenen Notenwerten, die rechnerisch einen 4-er Takt ergeben, besteht kein Zweifel) bedeutete dies, dass sie nicht so "auszuzählen" wäre, wie geschrieben sondern umgedeutet werden muss. (Beispiel Pinnock).

Mir persönlich gefällt die Version von Pinnock - gemessen an der Zahl der Aufnahmen mit der Version streng nach Rhythmisierung im Notentext, scheint es sich dabei jedoch um eine Außenseiterposition zu handeln.

Vermutlich gibt es hier nicht richtig und falsch sondern einfach nur zwei verschiedenen Auffassungen...

Viele Grüße,
Dilettantja
 
Hallo Dilettantja,

oh klasse Stück, die Partita No.6.
Da sprichst du ein kompliziertes Thema an. Ich denke, dass die Version, die der Cembalist spielt, die "richtigere" ist.
Dennoch gefällt mir manchmal die andere Version besser. Vielleicht liegt es auch daran, wer es gerad spielt. Hör dir doch ruhig die Aufnahme von Gould an. Ich finde sie richtig gut gespielt und sie hat drive (was ich bei der Pili-Aufnahme nicht behaupten kann). Natürlich ist sie nicht im Sinne der historischen Aufnahmepraxis entstanden...

Partita No. 6 in E minor, Part 3 - YouTube

Gruß
pp
 
Ich denke, dass die Version, die der Cembalist spielt, die "richtigere" ist.
pp

Hallo Pianissimo,

danke für deine Einschätzung. Hast du auch eine Begründung? Was denkst du, wie kommt es, dass trotzdem die überwiegende Zahl der Interpreten die Gigue-untypische Variante wählen?

Natürlich habe ich schon verschiedenste Aufnahmen angehört, auch die von Gould. Goulds Interpetationen finde ich eigentlich immer spannend. Den Link zu der Einspielung von Pili habe ich für meinen Beitrag wegen der beigefügten Kommentare ausgewählt, die noch einmal in anderen Worten meine Fragestellung aufgreifen.

Viele Grüße,
Dilettantja
 
Moin!




Selbstverständlich!


Ein lediglich summarischer Blick offenbart den Bach
wesenseignen Formenreichtum:



partita 1

praeludium

allemande

corrente

sarabande

menuett

giga C triolisch




partita 2

sinfonia

allemande

courante

sarabande

rondeaux

capriccio



partita 3

fantasia

allemande

corrente

sarabande

burlesca

scherzo

gigue 12/8



partita 4

ouverture

allemande

courante

aria

sarabande

menuet

gigue 9/6



partita 5

praeambulum

allemande

corrente

sarabande

tempo di minuetta

passepied

gigue 6/8



partita 6

toccata

allemanda

corrente

air

sarabande

tempo di gavotta

gique


Alle ersten Sätze sind unterschiedlich - und Partita No. 6 erinnert
an das Alte: Die Toccata ist eine der ganz frühen Formen Bachs,
seine Muttermilch sozusagen.

Und so denke ich, daß eine Gique ein Dreier ist, und Bach ganz bewußt
- wie auch sonst: es gab selten ein umfassenderes Bewußtsein als dasjenige
Johann Sebastian Bachs - die alte Notation gewählt hat, man siehe bloß die
Taktvorzeichnung.....,,

Ein ganz hübscher Aufsatz



gruß

stephan
 
Selbstverständlich!
(...)
Ein ganz hübscher Aufsatzstephan

Hallo Stephan,

der Aufsatz stützt alle Mutmaßungen meines Lehrers, der sich seiner Sache aber nicht sicher war. Mich überzeugt die Argumentation. Und die gehörte Variante von Pinnock sowieso. Spaß habe ich auch am Bild der "intellectual somersaults" der heutigen Musikwissenschaftler. Böser Bach! Ich bin jetzt fest entschlossen, die Gigue für mich in dieser 3-er Variante zu erarbeiten. Allerdings wird mich mein Klavierlehrer dabei sehr unterstützen müssen, aber das wird ihm Spaß machen - da bin ich mir sicher (zumindest solange ich mich nicht zu blöd anstelle). Und die Aufnahmen von Schiff und Gilbert werde ich mir auch noch beschaffen ...

Herzlichen Dank!

Dilettantja
 

Ein wahnsinnig tolles Werk ist das!
Stellst Du eine Aufnahme von Dir rein, wenn Du fertig bist?

Hallo Pianissimo,

danke für deine Antworten! Freut mich, dass dir die Partita auch so gut gefällt. Vor ungefähr 10 Jahren (!) habe ich die 2. Partita c-Moll gespielt, seitdem kein Solostück mehr von Bach. Eigentlich ist es etwas verrückt, nach so langer Bach-Abstinenz gleich eine komplette Partita spielen zu wollen, aber was soll's? Ich hatte große Lust darauf und mein Klavierlehrer hatte auch keine Einwände. Die Arbeit an der Partita wird immer mal durch andere Projekte verzögert. Ausdauer ist gefordert, aber die Arbeit lohnt sich.

Hab' ich eigentlich was Kleingedrucktes überlesen? Gehört es zur Forum-Etikette, die Stücke, die man hier diskutiert auch in der eigenen Interpretation einzustellen? ;-)
Nein, ganz im Ernst: 1. habe ich die technische Ausstattung nicht und 2. bezweifle ich, dass die Internetgemeinde auf eine zwar mit Begeisterung erarbeitete aber doch letztendlich immer noch laienhafte Interpretation gewartet hat. Ein Stück öffentlich vorzuspielen ist für mich dann noch etwas anderes - eine Momentaufnahme, die nicht wieder und wieder abrufbar ist. Und 3. wird es jetzt auch eine ganze Weile dauern, bis ich ein präsentables Ergebnis habe. Ich habe ja noch nicht einmal angefangen, die Gigue zu üben. Bisher ist alles nur Vorgeplänkel. Und wirklich "fertig" werde ich vermutlich nie.

Viele Grüße,
Dilettantja
 
Und wirklich "fertig" werde ich vermutlich nie.

Hallo Dilettantja. Dieser Satz ist Gold wert! Denn mit Werken von Bach kann man nie "fertig" werden. So ist es zumindest bei mir. Ich entdecke immer wieder was Neues. Und das macht auch den Reiz aus! Es wird nie langweilig.

Es ist kein Problem, wenn Du keine Aufnahme reinstellen möchtest. Deine Argumentation kann ich zu 100% nachvollziehen.
Tatsächlich gibt es nichts Kleingedrucktes diesbezüglich *G*.

Also, noch viel Spaß weiterhin beim "Entdecken".

Gruß
pp
 

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