Autodidaktisches Erarbeiten von Stücken - sinnvoll?

H

Hacon

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Hallo,
wie die Überschrift schon verrät, will ich hier mal fragen, für wie sinnvoll ihr es haltet, Stücke neben dem Unterricht selbst zu lernen, d.h. z.B. autodidaktisch einen oder gar mehrere Sätze einer Sonate zulernen, ohne dass der Lehrer irgendwelche Hilfestellungen gibt.

Bei mir drängt sich irgendwie das Problem auf, dass man sich im Unterricht wirklich nur auf wenige Sachen konzentrieren kann, und daher kann gar nicht soviel besprochen werden.

Momentan arbeite ich z.B. an der Chopin Etüde Op.10 Nr.3, wobei ich davon erstmal nur die erste Seite gelernt habe, weil da ungemein viel am musikalischen zu Erarbeiten ist.

Ohne ( direkte) Anleitung kann ich aber zuhause nicht länger als höchstens 20 Minuten am Musikalischen dieses Stücks üben ( weil sich das ja mit der Zeit und mit dem Gehör entwickelt)

Zwar kommen dann noch Cramer-Bülow und ein ganz klein bisschen Pathétique hinzu, aber im Endeffekt hab ich dann - wenn man mal bedenkt, wie viel ich normalerweise übe- noch ganz viel Zeit übrig.

Würdet ihr es nun für sinnvoll heißen, in der ganzen anderen Zeit sich einfach selbst Stücke zu erarbeiten?

Was dagegen spricht, und weshalb ich frage:
1. Bringt mich das irgendwie weiter? Mache ich dadurch Fortschritte? Oder ist das dann einfach nur zum Spaß?
2. Bei neuen Stücken würde ich vermutlich ohne Anregungen des Lehrers nichts Neues lernen, sondern nur Altes anweden, oder?

Naja, bin mal gespannt, was ihr dazu sagt.

LG,
Hacon
 
Wenn du neue Stücke nur aus dem Grund erarbeiten möchtest, dass du deine Übezeit füllen kannst, versteh ich nicht ganz den Hintergrund.
Du schreibst, dass du bisher genau eine Seite der Chopinetüde kannst.
Üb doch hier mal weiter :mrgreen:
Und die Pathétique hat man auch nicht mal eben drauf, kannst du denn schon alle drei Sätze?
Und Cramer-Etüden gibt es ja auch zu genüge...

Mal davon abgesehen denke ich sehr wohl, dass das Selbstständige Erarbeiten von neuen Stücken nicht sinnlos ist.
Ich mache das auch.
Als ich an der Musikschule gewesen bin hab ich manchmal nebenher neue "unterrichtsgeeignete" Stücke geübt und dann später in den Unterricht eingebaut; viele Stücke hab ich eine Zeitlang gespielt und nie beendet, weil sie mich so fasziniert haben, ich aber noch nicht gut genug war oder keine Zeit mehr hatte.

Jetzt für die Sommerferien habe ich mir auch vorgenommen, ein paar kürzere, einfachere Stücke zu üben, die geeignet sind, um sie vorzuspielen. z.B. Claire de Lune, das Regentropfenprélude usw.

Wenn man sich selber etwas erarbeitet, wird einem nicht alles "vorgekaut", man muss komplett selbstständig Denken und bekommt keine Hilfe. - So, wie das sein wird, wenn man keinen Klavierunterricht mehr hat. Dieses Gefühl schonmal auszuprobieren und dem Lehrer dann evtl fertige Stücke zu präsentieren um zu erfahren, was noch fehlt, ist bestimmt nicht schlecht.
Außerdem trainiert man sein Notenlese-Gehirn und die Auffassungsgeschwindigkeit, je mehr Stücke man übt.

Das ganze sollte natürlich nicht die ganze Übezeit auffressen, die eigentlich für die Stücke aus dem Unterricht benötigt würde, sonst wundert sich der Lehrer über die Faulheit der Schüler, die ja eigentlich eine besondere Motivation und Eifer sind.

Eine Gefahr, die ich noch sehe, ist, dass man Stellen eines Stückes falsch bzw. ungünstig übt, was den Fingersatz, die spieltechnische Umsetzung, den Notentext oder die logische Interpretation geht.
Das kann man zwar alles ausbügeln, dauert aber länger.

Ich bin trotzdem dafür :cool:
 
@Blüte: Das hast du bisschen falsch verstanden. Mir geht es nicht darum, Übezeit aufzufüllen. Es geht mir darum, dass ich auf manche Stücke schon seid Monaten irre Lust haben, aber ich sie nie lerne, weil im Unterricht eh nicht so viel gemacht werden kann.
Und da eben die Zeit, die ich für die Sachen im Unterricht aufwenden muss, nicht sooo lang ist ( weils eben das Musikalische ist, und das lässt sich nicht so leicht einfach mal 2 Stunden lang üben, wies bei Technik geht), könnte ich ja in der freien Zeit neue Stücke lernen.

Es heißt doch aber immer, dass der größte Fortschritt dort liegt, wo man selbst schon kaum mehr weiter weiß, also bei den letzten 80 % eines Stücks.
Diese erreiche ich aber nie beim autodidaktischen Lernen.
Das war der Punkt, der mir Sorge bereitet hat.

Eben ist mir aber ne geniale Idee gekommen:D!:
Ich werde jetzt so, wie Walter es macht, mir ein Ringbuch nehmen, und das sämtliche(!) Stücke reintuen, die ich grad übe.
Und da wird sich meine Lehrerin schon zwangsläufig wundern, warum da noch andere Stücke drin sieht.
Und dann wird sie vielleicht auch mal auf die Idee kommen, diese mit mir zu bearbeiten!
Hach, bin ich genial:D

@Ubik: Die Stücke wären die Pastorale-Sonate von Beethoven und KV 332 ( F-Dur) von Mozart.

Aber danke für eure Antworten:D

Lg,
Hacon
 
Hallo Hacon,

autodidaktisches Lernen kommt bei mir in genau 2 Fällen zur Anwendung:

1) Ein Stück fasziniert mich, ich übe mal ein paar Übeeinheiten lang daran, um zu sehen, ob ich es schaffen kann. Dann erarbeite ich es soweit es geht und wenn ich denke, dass es die Mühe wert ist, nehm ich sie mit zu meiner KL. :)

Zitat von Hacon:
Es heißt doch aber immer, dass der größte Fortschritt dort liegt, wo man selbst schon kaum mehr weiter weiß, also bei den letzten 80 % eines Stücks.
Diese erreiche ich aber nie beim autodidaktischen Lernen.
Das versteh ich nicht ganz. Warum kannst du allein gerade mal 20% des Stückes erlernen?? :confused: Ich würde eher sagen, ich kann 80% alleine lernen und die letzten 20%, die am wichtigsten sind und an denen man sehr viel lernen kann, die muss ich mit meiner KL erarbeiten.

2) Ich suche mir das nächste Stück für den Unterricht aus und arbeite schonmal daran, damit man im Unterricht nicht mehr mit Notenentziffern beschäftigt ist, sondern die Zeit sinnvoller nutzen kann.
Den Notentext (und einige spieltechnisch anspruchsvollere Stellen) kann ich ja alleine lernen.

Insgesamt könnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, nur das zu üben, was ich auf habe. Dazu ist meine Neugier zu groß und ich habe auch noch Übezeit übrig, wenn ich mit den Unterrichtsstücken "fertig" bin.

marcus
 
Zitat von .marcus.:
Zitat von Hacon
Es heißt doch aber immer, dass der größte Fortschritt dort liegt, wo man selbst schon kaum mehr weiter weiß, also bei den letzten 80 % eines Stücks.
Diese erreiche ich aber nie beim autodidaktischen Lernen.

Das versteh ich nicht ganz. Warum kannst du allein gerade mal 20% des Stückes erlernen?? Ich würde eher sagen, ich kann 80% alleine lernen und die letzten 20%, die am wichtigsten sind und an denen man sehr viel lernen kann, die muss ich mit meiner KL erarbeiten.
:oops: Ups, da hab mich verschrieben. Ich hab das natürlich schon so gemeint wie du gesagt hast, nämlich, dass man in den letzten 20 % am Meisten lernt, dass ich an diese aber ohne Unterricht nicht rankomme.

Zitat von Ubik:
Dann würde ich lieber die Finger davon lassen. Such dir lieber einfachere.
Ubik: An was hattest du denn z.B. gedacht?
(Nebenbei: Wenn Stilblüte in Eigenregie den Gnomenreigen lernt, dann kann ich das ja wohl mit den beiden Stücken machen.)
 
Warum fragst du dann noch so doof? Leg los!
Da hast du mich falsch verstanden. Was macht es für einen Unterschied, ob ich die Pastorale oder aber ein Prélude von Chopin, das nur drei Zeilen lang ist, im Selbststudium lerne?
Beide Stücke werde ich alleine nicht perfekt lernen, und an ihnen werde ich alleine auch längst nicht so viel lernen wie mit Lehrer.
Meine Frage war eher, ob die dafür verwendete Zeit nachher nicht eher verschwendete Zeit wäre.
 
Wenn du ein Stück wirklich zu 100% allein lernen willst, dann musst du wahrscheinlich erstmal klein anfangen. Also irgendein relativ einfaches Stück aussuchen, das du alleine schaffen kannst.

Autodidaktisches lernen muss man auch erst lernen (und zwar autodidaktisch :D ) Ich habe auch einige Stücke verschlissen bis ich mir Stücke größtenteils selbst aneignen konnte. Es braucht einfach Übung

Hast du denn schon mal ausprobiert ein Stück ganz allein bis ins letzte Detail zu lernen?

marcus
 
Wenn man etwas lernen will, muß man sich damit beschäftigen. Ich sehe keinen Grund, warum du dir nicht alleine Gedanken über ein Stück machen solltest. Es könnte ganz interessant sein, das später auch mit deinem Lehrer durchzusprechen. Aber erstmal geht es doch einfach darum, sich eine eigene Meinung zu bilden und das am Klavier auszuprobieren. Wenn du erstmal berühmt bist, werden dich die Leute ja vor allem deswegen lieben, weil du ihnen deine ganz persönlichen Interpretationen vorspielst und nicht das, was sie schon tausendmal von Anderen gehört haben.

Selbst wenn du beim alleine Lernen nicht alles durchschaust und vielleicht sogar Fehler machst (manchmal weiß die Musikwissenschaft sogar, wie der Komponist es tatsächlich gemeint hat), ist das eine Teilstrecke auf dem Weg zum Künstler. Es ist aber auch wichtig, die allgemein anerkannte "Wahrheit" zu kennen, sonst kann man seine eigenen Interpretationen nicht richtig einordnen.

Bestes Beispiel für letzteres: Ein klassisch ausgebildeter Pianist spielt eine jazzige Ballade und alle halten es für ein klassisches Stück, das sie nicht kennen. Warum? Weil er nicht weiß, wie man Jazz spielt. Man kann natürlich sagen, das wäre völlig egal, solange das Publikum sich freut, aber man kann bestimmt nicht behaupten, daß der Pianist der Musik gerecht wurde - und das ist eben einer der Unterschiede zwischen Kunst und Show (sowohl in der klassischen Musik, wie auch in allen anderen Genres).
 

@marcus: Was ich bisher selbst gelernt hab, waren das Regentropfenprélude und das e-moll Prélude von Chopin.
Ging beides ganz gut, aaalerdings:
Hätten wir die Zeit dazu gehabt, hätten wir da im Unterricht ne ganze Menge musikalisch dran erarbeiten können.
Insofern kann ich beide zwar gut spielen, aber ich sehe sie längst nicht als fertig an, un hoffe, dass wir so noch irgendwann im Unterricht durchnehmen werden.
 
Du siehst sie nicht als fertig an, hast aber aufgehört sie zu üben. Ich nehme an, weil du selbst nicht weißt, was du noch verbessern sollst?

Komisch finde ich, dass dir gleichzeitig bewusst ist, dass das "Potential" der Stücke noch nicht richtig ausgeschöpft ist. Du musst versuchen ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo noch verbesserungswürdige Stellen sind (und was genau noch zu verbessern ist).

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das schwierig ist. Aber meistens hat mir meine KL dann bei der Besprechung Dinge gesagt, auf die ich theoretisch auch selber hätte kommen können. :)

Was sagen denn die Klavierlehrer dazu? Koelnklavier hatte doch mal gesagt, dass er seine Schüler so früh wie möglich zum selbstständigen Arbeiten anleitet. Wie wär's mit konkreten Tipps? :)

marcus
 
Beide Stücke werde ich alleine nicht perfekt lernen, und an ihnen werde ich alleine auch längst nicht so viel lernen wie mit Lehrer.
Meine Frage war eher, ob die dafür verwendete Zeit nachher nicht eher verschwendete Zeit wäre.

Wie weiter oben bereits geschrieben wurde, ist jeder Eigenversuch ein Versuch Wert. Ich erziele damit Erfolgserlebnisse, auf die ich stolz bin, die mir das Gefühl geben, dass ich etwas beherrsche. Weiterhin stoße ich irgendwo an meine spieltechnischen Grenzen. Ich mach mir diese bewusst und kann (am besten mithilfe meines KLs) genau an diesem Punkt angreifen und für Abhilfe sorgen.

Ich sehe das autodidaktische Aneignen eines Stückes keinesfalls als verschwendete Zeit an. Man muss sich immer wieder auch klar machen, dass man hauptsächlich für sich spielt und genießen kann, was man produziert, auch dann, wenn das Gespielte noch nicht perfekt ist.

Beste Grüße, Madita
 
Nur mal so als Denkanstoß: Welche irreversiblen Schäden könnten denn auftreten, wenn man ein Stück alleine ohne Lehrer studiert?
 
Irreversibel sicherlich nicht. Aber "falsche" Fingersätze zu korrigieren/neu zu lernen ist auch ein nicht zu unterschätzender Aufwand.
 
Nur eine kleine Überlegung zum Begriff "autodidaktisch":

Ist denn Lernen nicht immer autodidaktisch?
Oder umgekehrt gefragt: welchen Sinn hätte ein "Lernen", daß nur darin bestünde, etwas, das jemand anderer (der Lehrer) schon weiß bzw. kann, nur nachzuäffen?

Das andere Extrem zu autodidaktisch wäre Dressur.

Die Aufgabe des Lehrers kann höchstens sein, den selbständigen Lernvorgang zu begleiten, gelegentliche Anregungen zu geben und den Schüler davor zu bewahren, daß er sich in Sackgassen verrennt. Aber "Fehler" zu machen gehört zum Lernprozeß dazu.
 
autodidaktisches

Hallo Hacon und alle anderen auf dem Weg (Thread),

Stücke in Eigenregie zu erarbeiten sind in den letzten Jahrzehnten mein tägliches Brot.

Es gibt vielleicht da einen Unterschied, ob man (noch) Klavierunterricht hat oder keinen mehr.

In meiner „vita“ in meinem Blog kannst Du nachlesen, wie ich früher parallel zum Unterricht z.B. Oktavenstudien betrieben habe und viel in den alten Notenstößen meines Vaters herumgeklimpert habe. – Das war kein ernsthaftes Erarbeiten – aber ich habe vieles kennen gelernt.

Heute bin ich gescheiter – siehe im Blog „meine Art als Klavieramateur zu arbeiten“.

In einem vorstehenden Beitrag war von irreversiblen Schäden die Rede. Ich nenne solche Stücke meine „Leichen im Keller“.

Das sind bei mir leider mit die schönsten Stücke der Klavierliteratur. Stücke, die nicht sauber erarbeitet waren und die voll sind mit eingeschliffenen geschluderten Fingersätzen.
Darunter ist z.B. das b-moll Scherzo von Chopin. Es wäre ein Riesenaufwand, das alles zu berichtigen. Mit der Pathetique habe ich das mal gemacht, die ganze Sonate überarbeitet, aufpoliert und im Konzert vorgespielt.

Es bleiben bei mir aber immer die Unsicherheiten, die von früher herrühren. Die anderen Leichen lasse ich lieber tot und freue mich am Rest der übrigen riesigen Klavierliteratur.

Wie es schon andere im Faden erwähnt haben, finde auch ich es richtig, neben dem Unterricht her selbständig zu werden. Am besten wäre es, wenn der Klavierlehrer diese Absicht unterstützen könnte und Hilfestellung zu echter Selbständigkeit geben könnte. – Ich glaube nicht, dass ein KL arbeitslos wird, wenn er dieses Ziel nebenher mit seinen Schülern verfolgt. :D

Viel Erfolg beim Weiterkommen!

Walter
 

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