Ab wann (und wie) lernt man gezielt auswendig ?

ChristianN

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Hallo,

ich habe vor 10 Tagen die Scriabin Etüde op.2/1 begonnen zu üben und kann die nun (nach Noten) passabel spielen, ist ja nicht soviel Text. Ich finde sie abgesehen vom "Voicing" (wie nennt man das Deutsch?) technisch nicht so schwierig, aber harmonisch ist sie für mich komplex, massenweise Nonen, Sekunden, versteckte Kleinigkeiten, krasse Tonartwechsel, etc.

Nun beginnt mich wieder mein "Angst"-Thema umzutreiben: Auswendig spielen

Einiges ist im motorischen Gedächtnis schon drin, aber das versagt schnell in einer Vorspielsituation. Ich frage mich nun:
  • Macht es Sinn in diesem Stadium bereits bewusst und gezielt auswendig zu lernen oder lieber später, wenn ich sie nach Noten zuverlässig komplett fehlerfrei spielen kann ?
  • Wie gehe ich diesen Lernprozess an ? Mein Problem ist, dass ich im stillen Kämmerlein auswendig schon recht weit komme, aber das ist halt nur taktiles Gedächtnis. Mir fällt es schwer zu unterscheiden ob ich es wirklich kann oder gerade nur die Finger Gelerntes tun ?
  • Wie bekomme ich diesen Lernprozess effizient ? Ich will auf keinen Fall wieder viele Monate (wie mit dem letzten Stück) beschäftigt sein...

Habt ihr sachdienliche Hinweise ?

p.s. Bitte keine Diskussion über Sinn oder Unsinn des Auswendigspielens.
 
Kurze Antwort:
Man kann bereits beim Erlernen des Stückes am Anfang das Auswendig spielen einüben. Quasi Abschnittsweise.
 
Macht es Sinn in diesem Stadium bereits bewusst und gezielt auswendig zu lernen
Wahrscheinlich ist es jetzt schon vll. nicht zu spät, aber höchste Zeit. Am besten lernt man auswendig von Anfang an mit der ersten Notenansicht.
Die Dauer, wie lange du brauchst, um das Stück (technisch gesehen) spielen zu können, wird davon wenig beeinflusst und hängt von deinem derzeitigen Stand ab.


Zum Auswendig spielen und lernen gibt es hier schon eine Menge Diskussionen, frag mal Ms. SuFu, da ist sicher auch mehr oder weniger Hilfreiches dabei.
 
Bei mir geht das Auswendiglernen bereits Hand in Hand mit der Erabeitung der Stücke. Spätestens, wenn ich mich mit einer Stelle intensiver beschäftige, lerne ich diese Stelle nach kurzer Zeit auswendig zu spielen.
Ich weiß nicht, ob es eine Typssche ist, aber ich konzentriere mich beim Üben lieber auf den Klang und die Bewegung als auf die Noten.

Spätestens wenn ich mich mit den Feinheiten beschäftige, stehen bei mir keine Noten mehr auf dem Pult. Aber mir fällt das Auswendiglernen der Noten halt auch relativ leicht.

Ich finde es aber auch nicht verwerflich, wenn jemand bei einer Aufführung lieber Noten auf dem Pult stehen hat bzw. immer Noten benutzt.
 
Das hätte ich jetzt auch gefragt: Warum willst Du es unbedingt auswendig spielen? Musst Du es auswendig spielen oder erhoffst Du Dir davon insgesamt ein besseres Ergebnis, um das Stück zu beherrschen? Wenn das so ein Angstthema für Dich ist, meine ich. Keine Diskussion, ob Auswendigspielen jetzt gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Nur: Wenn Du so viel Angst davor hast, warum lässt Du es dann nicht einfach und spielst das Stück nach Noten? Es ist doch keine Schande, wie oben schon gesagt wurde, Noten auf dem Notenpult stehen zu haben. Selbst bei einem Vorspiel oder Konzert nicht. Ich war kürzlich in einem Klavierkonzert. Professioneller Pianist. Er hat nach Noten gespielt. Natürlich konnte er die Sachen bestimmt auch auswendig. Aber er hatte Noten auf dem Pult.
 
Das ist das Problem.

Dagegen weiß ich kein Mittel. Aber ich kann mir vorstellen, dass zunehmend weniger mit Noten spielen dir eher angstfrei gelingen wird, wo du nicht zusätzlich manuell gefordert bist (du schreibst ja, dass dir das melancholisch-melodische cis-Moll Stück nach 10 Tagen keine Hindernisse mehr bietet) - und dafür wäre doch nützlich, bei den typischen Hauptthema-Einsätzen peu a peu weniger in die Noten zu schauen. Irgendwann sitzen die von allein. Danach eine der komplizierten Stellen, die dir besonders gefällt, ebenso allmählich von den Noten "befreien".
So schaffst du dir "bekannte gekonnte Zonen" in dem Stück, die - ohne sie bewusst auswendig zu lernen - ohne Noten entspannt gelingen.
Mehr würde ich wegen der "Angst" davor erstmal nicht zu erzwingen versuchen.
 
Warum willst Du es unbedingt auswendig spielen?
Wenn man besser werden will, muss man da ansetzen wo man schlecht ist ... es einfach eine Challenge für mich, vtl. auch etwas "old school"-Denke.

Nein, vlt. werde ich es irgendwann mal beim Schülervorspiel zum Besten geben...

erhoffst Du Dir davon insgesamt ein besseres Ergebnis, um das Stück zu beherrschen?
Genau. Ich glaube, dass ein Stück nur dann wirklich gut wird, wenn man es total verinnerlicht hat = Auswendig.

Naja, die Hauptangst ist rauszufliegen, nicht das Auswendigspielen an sich.

Das ist auch nicht mein Problem.
 
Mehr würde ich wegen der "Angst" davor erstmal nicht zu erzwingen versuchen.
Ich will halt nicht mittendrin rausfliegen, das ist die eigentliche "Angst". Außerdem frage ich mich wie ich mir sicher sein kann, dass es auch "unter Beobachtung" funktioniert, denn alleine kann ich durchaus viel und lang auswendig spielen. Aber sobald "Zuhörer" da sind, wird's kritisch, weil sich dann machmal der Kopf einschaltet und die Finger nicht machen lässt.
 
Aber sobald "Zuhörer" da sind, wird's kritisch, weil sich dann machmal der Kopf einschaltet und die Finger nicht machen lässt.
das hört sich jetzt nach was anderem an, nämlich nach der "klassischen Angst vor einem Schmiss" " solche Befürchtungen stellen sich ein, wenn man vor einem auftritt den Fehler macht, sich "was kommt nach der Kadenz" oder "wie geht nochmal dieser Takt" fragt - dagegen hilft nur, sich erst gar nicht sowas zu fragen.
Ich will halt nicht mittendrin rausfliegen, das ist die eigentliche "Angst".
jepp, das ist die genannte Befürchtung, stecken zu bleiben.
Außerdem frage ich mich wie ich mir sicher sein kann, dass es auch "unter Beobachtung" funktioniert
das hat nichts mit lernen, wissen, können zu tun, das klingt eher nach Selbstzweifel, nach geringem Selbstvertrauen. Sich selber sowas zu fragen, ist kontraproduktiv (und auch irgendwie absurd: man fragt sich ja auch nicht, wie man sich sicher sein kann, dass man nicht beim Klassenausflug (unter Beobachtung!) stolpert...)

Möglicherweise hilft dir eine andere Perspektive: wenn du was vor Leuten spielst, bist du es, der ihnen die Klänge/Klangfolgen erklärt - beschäftige dich damit, den Verlauf des Stücks "zu erklären". Erklären, überzeugen, darstellen wollen ist eine Perspektive, die von der "Angst" ablenken, sie Wegblenden kann.

"man darf keine Angst haben" (Pollini)
 
wenn du was vor Leuten spielst, bist du es, der ihnen die Klänge/Klangfolgen erklärt - beschäftige dich damit, den Verlauf des Stücks "zu erklären". Erklären, überzeugen, darstellen wollen ist eine Perspektive
Das ist eigentlich genau mein Problem. Wenn ich jemandem etwas vorspiele, will ich kommunizieren (manchmal würde ich auch gerne etwas dazu sagen - und ja, mir ist klar, dass das beim Vorspielen nicht geht, aber der Wunsch ist trotzdem da). Außerdem reflektiere ich, wie die Passage gerade denn beim Publikum angekommen ist - und schon bin ich geistig in einem ganz anderen Zustand als ich es beim Üben war und dann geht es auch nicht mehr so, wie es beim Üben gegangen ist - manchmal auch Stellen, die nie ein Problem waren.
Das hängt wohl auch damit zusammen, dass ich selten jemandem etwas vorspiele und die Situation ungewohnt ist.

Bei mir geht das Auswendiglernen bereits Hand in Hand mit der Erabeitung der Stücke.
Geht mir auch so. Man könnte sagen, das liegt daran, dass die Erarbeitung bei mir so lange dauert... ;-)
 
Ich lerne schon seit langer Zeit meine Stücke auswendig, bevor ich anfange, sie am Instrument zu üben. Das hat viele Vorteile - man weiß bereits vor dem Üben, wie man phrasieren und artikulieren wird und kann entsprechende Fingersätze wählen. Außerdem ist man gezwungen, das Werk quasi nachzukomponieren - anders kann man sich ein längeres Stück gar nicht in vertretbarer Zeit erarbeiten und merken. Das erspart einem später so manche interpretatorische Beliebigkeit. Und nicht zuletzt vermeidet diese Herangehensweise eine Menge Krach und schont die Nerven der Mitbewohner, denn die Übezeit am Instrument verkürzt sich ganz erheblich.
 

Außerdem reflektiere ich, wie die Passage gerade denn beim Publikum angekommen ist
@Flieger das ist schon ungünstig und geht in Richtung Befangenheit, hat nichts mit der "erklärenden" Perspektive zu tun. "Kommt das an? Gefällt es den Leuten?" ist dieselbe falsche Richtung wie "was kommt als nächstes? Weiß ich da oder dort den Notentext? Schaffe ich das?"

Mit solchen Überlegungen manövriert man sich in Befangenheit und Unsicherheit.
 
Das hängt wohl auch damit zusammen, dass ich selten jemandem etwas vorspiele und die Situation ungewohnt ist.
Daran kann man ja zum Glück arbeiten.
Einfach öfter mal jemanden was vorspielen ("Ich habe solche Kopfschmerzen und mein Hund hat Fieber .. Chef, ich KANN heute nicht arbeiten").

Bestimmt gibt es Menschen in deinem Bekanntenkreis, die dir gerne hin und wieder das Ohr leihen. Und je öfter du Bekannten und Freunden vorgespielt hast, desto gewohnter ist diese Situation auch bei Fremden.

Vor allem kannst du dabei lernen, dir besser zu vertrauen ... und den Gedanken "hilfe ich bin so nervös und mache bestimmt alles falsch" als das zu sehen, was es ist (nützliche) Panikmache. Nützlich, weil diese Angst dazu führen kann, dass man viel übt, was dazu beiträgt, dass diese Angst unbegründet ist.
 
@rolf Ich weiß eh, dass ich es nicht sollte, aber das heißt noch nicht, dass man es einfach abschalten kann. "Denke nicht an den rosa Elefanten"...
Aber es kann auch etwas Positives sein, wie "Diese Stelle hat jetzt gut geklungen, hurra!", und schon bin ich für einen halben Takt nicht mehr bei der Sache und muss geistig wieder reinkommen. Es ist nicht Versagensangst, ich bewerte das eigene Spiel in einer Vorspielsituation einfach detaillierter. Aber da ich keine Auftritte in dem Sinn habe, ist es auch gar nicht so wichtig.

Einfach öfter mal jemanden was vorspielen ("Ich habe solche Kopfschmerzen und mein Hund hat Fieber .. Chef, ich KANN heute nicht arbeiten").
Ich sehe, dass du mit dem Wort vorspielen spielst. :D

Bestimmt gibt es Menschen in deinem Bekanntenkreis, die dir gerne hin und wieder das Ohr leihen. Und je öfter du Bekannten und Freunden vorgespielt hast, desto gewohnter ist diese Situation auch bei Fremden.
Semiparadoxerweise habe ich kein Problem damit, wenn man mich üben hört und ich übe in Anwesenheit anderer (fast) nicht anders. Aus Rücksicht übe ich dann Dinge, die halbwegs nach etwas klingen.

Vor allem kannst du dabei lernen, dir besser zu vertrauen ... und den Gedanken "hilfe ich bin so nervös und mache bestimmt alles falsch" als das zu sehen, was es ist (nützliche) Panikmache. Nützlich, weil diese Angst dazu führen kann, dass man viel übt, was dazu beiträgt, dass diese Angst unbegründet ist.
Es ist keine Angst in dem Sinn. Ich habe keine bezahlten Auftritte und daher ist es eigentlich völlig egal. Wenn ich mich verspiele und rauskomme, mache ich halt kurz Pause und setze zwei Takte oder so vorher wieder an.
Ich wollte nur sagen, dass mein Hirn sich beim Vorspielen mehr Tätigkeiten aufhalst und dass ich merke, dass ich dadurch anders (und etwas fehleranfälliger) spiele.
 
Ich wollte nur sagen, dass mein Hirn sich beim Vorspielen mehr Tätigkeiten aufhalst und dass ich merke, dass ich dadurch anders (und etwas fehleranfälliger) spiele.
eventuell solltest du deinem Hirn klarmachen, dass es sich während des Vorspielens nur auf produktive und sachdienliche Angelegenheiten konzentrieren muss ;-) Spaß beiseite: was du zuletzt mitgeteilt hast, klingt nach zu wenig fokussierter Konzentration.
 
  • Macht es Sinn in diesem Stadium bereits bewusst und gezielt auswendig zu lernen oder lieber später, wenn ich sie nach Noten zuverlässig komplett fehlerfrei spielen kann ?
  • Wie gehe ich diesen Lernprozess an ?
Ich finde, es macht auf jeden Fall Sinn, mit dem Auswendiglernen zu beginnen, noch bevor man ein Stück fehlerfrei spielen kann. Ansonsten "dürfte" ich gar kein Stück auswendig spielen, weil ich immer Fehlern reinhaue ;-) .

Was den Lernprozess angeht, so gehe ich dabei unterschiedlich vor. Es gibt Stücke, die kann ich nach mehreren Malen Anhören (meist auf youtube) schon vom Hören halb auswendig, und wenn ich sie dann relativ kurz gespielt habe, kann ich sie ganz auswendig. Das geht aber nur bei von der Harmonie und dem Aufbau her (in meinen Ohren) eingängigen Stücken.

Bei (für mich, das ist sicherlich individuell unterschiedlich) harmonisch komplexeren Stücken (z.B. Etüden von Skrjabin, Rachmaninoff, oder noch modernere Schinken) höre ich mir das Stück ebenfalls vorher öfter an. Dann kämpfe ich mich durchs Notenlesen. Noch bevor ich es einigermaßen flüssig spielen kann, analysiere ich schon den Notentext, ähnlich wie ich einen Prosatext oder Fachartikel oder Computerprogramm hinsichtlich ihres/seines Aufbaus analysieren würde.
Bei der Analyse achte ich darauf, welches Thema wann gespielt wird (welche Blöcke), und insbesondere, wo die "Abzweigungen" sind, die wo von einem Block in einen Unterblock oder anderen Block abgezweigt wird. Diese Abzweigungen schaue ich mir dann genauer im Notentext an und präge sie mir ein. Dieses Einprägen geht außerhalb des Klaviers vor sich. So war ich z.B. neulich beim morgendlichen Duschen mit dem Durchdenken dieser Abzweigungen beschäftigt, beim Kochen, Abspülen, Einkaufen. Diese Abzweigungen haben mich so beschäftigt, dass ich sogar nachts davon träumte und davon aufwachte. Nach einigen Tagen "saß" die Erinnerung aber, und ich kann das aktuell angepeilte Stück von Rachmaninoff von vorne bis hinten auswendig durchspielen. Nun kann die eigentliche "Arbeit" an dem Stück für mich beginnen, weil ich nicht mehr auf die Noten schauen muss.

Mein Fazit: Die Abzweigungen sind das Allerwichtigste. Wenn die sitzen, sitzt auch der Rest.

Wichtig ist auch noch, dass man lange genug nachts schläft. Nur so kann sich das Gedächtnis festigen.

Ergänzung: Als Beispiel, was ich mit den "Abzweigungen" meine: Im folgenden Stück wird dreimal das gleiche Thema gespielt, von dem aus mit jeweils nur einem "anderen" Ton in der rechten Hand in ein neues Unterthema abgezweigt wird, und zwar (ca.)= in Min. 0:12, 0:28 und 1:01.
 
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