Wenn du versuchst, dich einzufügen, fügt sich ja das was du spielst in das, was du schon verstehst. Du wirst dich schwer in Akkorde und Skalen einfinden, wenn du sie nicht kennst, oder noch nie gespielt hast.
Wieso nicht? Jemand, der nach Gehör improvisieren kann, wird auch zu einer x-beliebigen japanischen Pentatonik eine Lösung finden, obwohl er noch nie was davon gehört hat und deren Ursprung nicht kennt. Der Tonvorrat wird beim Spielen und Hören erarbeitet. Perfektioniert wird das Ganze natürlich, indem man sich darüber Gedanken macht, was das gerade eben war und warum es funktioniert hat. ;) Die Kausalität hat aber in diesem Fall die Theorie am Schluss.
Ich möchte nur ungern dahin kommen, Theorie und Spielen getrennt voneinander zu betrachten, weil das wirklich sinnlos wäre. Mir lag lediglich daran darauf hinzweisen, dass die Theorie nicht immer
vor dem Ton bemüht werden kann, sondern es auch Situationen gibt, in denen der Zusammenhang andersherum ist. Als Improvisator :D im Jazz ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, beide Wege zu beherrschen. Ich fände es schade, wenn diese Materie an der Verwendung des Wortes "irgendwas" zerschellt, obwohl meine Wortwahl durchaus Absicht war, denn das ist genau das Wort, das du in solchen Situation hörst: Theoretisch gebildete Pianisten sitzen ratlos da, während die tradtionell eher praktisch veranlagten Gitarristen losdudeln, und auf Nachfragen ("Was spielst du da?") kommt dann die Antwort: "Egal, spiel halt irgendwas...".
Edit: Und selbst ohne den Kontext des Mitspielers finde ich freies Experimentieren wichtig. Es ist beim Üben genauso ein Weg, sich über Spiel und Gehör neuen Skalen und Kadenzen zu nähern. Wenn man an etwas hängen geblieben ist, was dem eigenen Ohr interessant erscheint, und die Struktur etwas gefestigt hat, wird sich hinterher mit Hilfe der Theorie auch eine schlüssige Erklärung finden lassen. Du kannst einem Kind hundert Mal erklären, dass Brennnesseln weh tun und man sich davon lieber fernhält, und es wird die elterliche Belehrung meistens wieder vergessen. Aber wenn sich der Junior bei der Erkundung seiner Umwelt einmal mit nacktem Hintern hineingesetzt hat, wird der Eindruck ein Leben lang bleiben.