20 Mazurken op.50 Teil 1
Wie gesagt beginnt Szymanowskis dritte Schaffensperiode sieben Jahre nach der dritten Sonate auf dem Klavier. Um die dritte Schaffensperiode zu verstehen, muss ich etwas weiter ausholen.
Szymanowskis Familienanwesen in Tymoszówka wurde im Ersten Weltkrieg zerstört, er zog nach Ende des Krieges nach Warschau. In dieser Zeit gingen seine guten Freunde Kochanski und Rubinstein in die USA, um ihre Karrieren voranzutreiben, Szymanowski entschied sich jedoch, sich in Polen für die Volksmusik einzusetzen. Das führte dazu, dass sich seine Musik in eine höchst unerwartete Richtung wendet, aber immer der Reihe nach…
Szymanowski war nie ein Freund von übertriebenem Patriotismus. Er schätzte zwar Chopin als Komponisten sehr, hielt aber dessen Verherrlichung in Polen als größten aller Komponisten für übertrieben. So schrieb er 1910 rund um die Feiern zu Chopins 100. Geburtstag an seinen Freund und polnischen Musikwissenschaftler Zdzislaw Jachimecki: „Man darf nicht Bach und Mozart herabwürdigen, Beethoven und Wagner übergehen nur damit man in der Lage ist, noch leichter polnisch-sienkiewiczianische Tränen über das Grab unseres einzigen Genies, Chopin zu vergießen…Ich gebe nichts auf diese Art von Patriotismus! Wenn ich daran denke, dass 90% der polnischen intellektuellen und kulturellen Elite mehr oder weniger von dieser Art sind, fühle ich mich tief in meiner Seele krank…Ich bin in keiner Weise ein Kosmopolit, aber in meiner momentanen Umgebung fühle ich mich als Außenseiter.“ In dieser Zeit kümmerte ihn die polnische Volksmusik wenig. Den polnischen Nationalismus der früheren Generationen von Musikern und Künstlern wie Stanislaw Moniuszko bezeichnete er als provinziell.
Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich seine Meinung über Chopin Bedeutung jedoch. So sagte er 1924: „[Chopin`s] geistiges Vermächtnis – ein Schatz von unaussprechlicher Schönheit der sich fleißig angesammelt hat bedingt durch ein kurzes und schwieriges Leben während den dunkelsten Tagen unserer Geschichte – hat nicht einen Bruchteil seines himmlischen Glanzes verloren, sondern scheint weiter mit den wundervollsten Färbungen eines Regenbogens, wie ein klarer Diamant ohne Spur eines Fehlers oder Makel… Auf den entfesselten Flügeln des Vertrauens in die Zukunft, strahlen die Werke Chopins empor und überlebten die große Tragödie unserer Nation… Ich habe sie den Mythos unserer polnischen Seele genannt, da im Kern ihrer rätselhaften Schönheit, in der Fülle und Vielfalt ihrer Formen, immer die gleiche unveränderliche Wahrheit ihrer polnischen Seele funkelt.“ Für dieses Umdenken gab es mehrere Gründe.
Nach dem Ende des Weltkrieges nach über 100 Jahren (1795-1918 ) Besatzung durch Russland, Preußen und Österreich-Ungarn war Polen wieder unabhängig. Polen begann sich wieder neu zu identifizieren und Szymanowski war der Meinung, das Land bräuchte eine neue Volksmusik, eine Volksmusik des 20. Jahrhunderts. Großen Einfluss auf diesen Weg Szymanowskis hatte Strawinski, besonders dessen „Russische Periode“, in der Strawinski russische Volksmelodien verarbeitete. 1913 sah Szymanowski eine Aufführung von „Petruschka“. 1914 lernte er Strawinski in London kennen und hörte dessen neue Kompositionen. Szymanowski realisierte, dass man Merkmale von Volksmusik verwenden konnte, ohne sie banal zu präsentieren. 1921 lernte er Strawinskis Ballett „Les Noces“ kennen, was ihn zu seiner ersten volkstümlichen Komposition inspirierte, fünf Lieder über Gedichte von Julian Tuwins.
Neben Strawinski hatte auch Bartók Einfluss auf Szymanowskis dritte Schaffensperiode. Bartóks Bemühungen, authentische Folklore zu sammeln und sein Erfolg in der Etablierung einer neuen, ungarischen Volksmusik verbesserte sein Bild von der Volksmusik und motivierte ihn weiter, den polnischen Nationalismus auf musikalische Weise zu beleben.
Durch Szymanowskis andere Sicht auf die Bedeutung der polnischen Volksmusik, kam ihm Chopin immer mehr in den Sinn, weshalb er sich auch für das Genre entschied, dass seiner Meinung nach Chopins Volkstradition am besten widerspiegelt, die Mazurka. Dies allein reichte ihm aber nicht, da die Mazurka nur der Tanz der polnischen „Flachländler“ war. Den Oktober und Winter 1922-23 verbrachte Szymanowski in Zakopane, in der Podhale-Region des Tatra-Gebirges und lernte dort die Musik des dort ansässigen Volkes, den Goralen kennen, die ihn nachhaltig beeinflusste. 1923-24 schrieb Szymanowski diverse authentische Melodien der Goralen auf 66 Seiten nieder und verbrachte von nun an regelmäßig Zeit in Zakopane. Beim Versuch, diese Musik des Bergvolks mit der Mazurka zu kombinieren, entstanden die 20 Mazurken op.50. Herausgegeben wurden sie in fünf Bänden mit jeweils vier Stücken. Von der klassischen Mazurka übernimmt Szymanowski Elemente wie den typischen Rhythmus, Wiederholung von kleinen Motiven und Abschnitten und die Benutzung der Lydischen sowie der Ungarischen Reihe (C-D-Es-Fis-G-As-H-C).
Das traditionelle, polnische Ensemble bestand aus einem Melodieinstrument (Violine oder Fujarka, ein schrilles Hirten-Blasinstrument) und einem oder zwei Bassinstrumenten (meist ein Dudei, ein polnischer Dudelsack oder Basetla, ein polnisches Streichinstrument). Der Dudelsack ist übrigens an der ungewöhnlichen Betonung beim Mazurka-Rhythmus auf dem zweiten oder dritten Schlag schuld.
...