Hihi, ich hätte mir ja nicht träumen lassen, daß sich hier mal jemand für Wortbildung interessieren könnte. Also selber schuld, wenn jetzt ein länglicher Exkurs folgt.
Zunächst einmal die Wortbedeutungen: (1) lat. 'amare' hat einen viel weiteren Umfang als dt. `lieben', es ist einfach `jemand mögen'. `Amo te' sagt der Altmeister Cicero x-mal in seinen Briefen zu Bekannten, ohne sich damit als schwul zu outen. (2) Dt. `fürchten' hat die Verengung auf `Angst haben' erst sehr spät erfahren; vom Althochdeutschen bis zum Ende des 19. Jh. ist es daneben gleich lat. `vereri' = `jemand verehren'.Psalm 61, 6 in der Lutherübersetzung etwa lautet
denn du, gott, hörest meine gelübde, du belohnest die wol, die deinen namen fürchten.
`Fürchte-gott' war also zum Zeitpunkt seiner Bildung eine adäquate Übersetzungsmöglichkeit von `Ama-deus'.
Zum andern die Frage der Diathese (`wer liebt wen?') von philos. Völlig richtig sagst du, Marcus, daß viele Verbalabstrakta ambig zwischen aktivem und passivem Gebrauch sind, wenngleich das Deutsche hier im Gegensatz zu älteren Sprachen formal meist mittels Präposition differenziert: 'Elternliebe ist das Fundament der Kindererziehung' (~ die Eltern lieben), `Elternliebe gehörte zu den Tugenden von Häschen klein' (~ Liebe zu den Eltern: die Eltern werden geliebt); dagegen lat. ist beides `amor parentum'. Aber es gibt Ausnahmen, und zu ihnen gehören die hier in Rede stehenden griech. bzw. lat. Bildungen:
(1) theo-philos ist ein Kompositum aus einem substantivischen Vorderglied `Gott' und einem entweder adjektivischen oder ebenfalls substantivischen Hinterglied `lieb' bzw. `Liebling, Freund', das vom selben Stamm wie das Verb philein `lieben' abgeleitet ist. Bei der ersten Analyse ist 'philos' ein passives Adjektiv und dem dem theo- liegt ein Dativ zugrunde (`to: theo: philos = `dem Gott lieb'; den `:' verwende ich hier als Längungszeichen), bei der zweiten ist 'philos' substantiviert und dem theo- liegt ein ein Genitiv (`tou theou philos' = `des Gottes Liebling', letztlich also eine Possessivkonstruktion) zugrunde; genau läßt sich das nicht sagen, weil bei der Komposition in beiden Fällen derselbe Stamm theo- verwendet wird. In beiden Fällen bezeichnet aber der `philos' eine Person, die Patiens des zugrundeliegenden Verbs sein muß; also ist theo-philos ein patientives ("passives") Verbalabstraktum.
(2) ama-deus dagegen besteht tatsächlich aus einem verbalen (!) Vorderglied, dem Stamm ama- zu amare, und einem substantivischen Hinterglied, das Patiens zu amare ist. Das Kompositum ist somit Nominalisierung entweder des zugrundeliegenden Satzes `(Marcus) amat deum' oder von`deus (a Marco) amatur' (in der Wortbildung nennt man derlei ein `verbales Rektionskompositum'). Eine Interpretation `Marcus wird von Gott geliebt' allerdings scheidet da aus (es sei denn, man erläßt sie per Gemeinderatsbeschluß, was durchaus belegt ist, wie ja die Theologen überhaupt sehr "gut" in Volksethymologie sind). Es kommt aber noch etwas hinzu, was nun die passive Interpretation `deus a Marco amatur' wenig wahrscheinlich macht. Schauen wir uns mal andere `verbale Rektionskomposita' an: belli-ger (`Krieg-führer'), signi-fer (`Fahnen-träger'), agri-cola (`Feld-besteller'), luci-fugus (`Licht-Scheuer'): was fällt auf? Der verbale Bestandteil ist bei diesem Typ im Lateinischen (anders als im Griechischen, vgl. z.B. philo-sophos) immer hinten, was die unmarkierte Verbendstellung im lat. Aussagesatz wiederspiegelt. Das ama- steht demgegenüber vorn. Frontstellung eines Verbs ist im Lat. durch bestimmte pragmatische Bedingungen motiviert, z.B. wenn das Verb den Fokus trägt. Das tut es u.a., wenn das Verb im Imperativ steht, Womit wir zu einer zugrundeliegenden Bedeutung `liebe Gott' oder, frühneuhochdeutsch gesagt, eben `fürchte Gott' kämen. Eine passive Interpretation `werde von Gott geliebt' ist sinnlos, da ein Imperativ die Kontrolle des Angesprochenen über den Verbalvorgang voraussetzt. Ama-deus ist also ein agentives ("aktives") Verbalabstraktum.
Kurz zusammengefaßt: es ist so, wie pianovirus oben geschrieben hat. Ende der philologischen Pedanterie; wünsche trotzdem allerseits ein gutes neues Jahr voller Gottesfürchtigkeit.
Friedrich
PS. ich habe gerade gesehen, daß es einen WP-Artikel zu Amadeus gibt. An dem ist richtig die Erklärung als Kompositum aus Imperativ + Akkusativobjekt; falsch ist der Anschluß an den griech. Typ phere-oikos, wo im Vorderglied im Gegensatz zur Annahme des Autors kein Imperativ vorliegt, sondern eine durch -e- erweiterte Wurzel pher- (`tragen'), ein ganz geläufiger Bildungstyp (`haus-tragend', ähnlich phere-nikos `siegbringend', phere-pteros `flügeltragend' etc.), der in jeder Schulgrammatik steht.