Wie integriert ihr das Klavier in euren persönlichen Alltag???

  • Ersteller des Themas Debbie digitalis
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Wie weit man musikalische Vorlieben oder Bildung weitergeben kann und soll, ist wohl auch eine Frage des Alters der zu Bildenden. Bei Teenagern wäre ich da mal ganz vorsichtig. Denn ganz schnell können gut gemeinte Aktionen ins Gegenteil abdriften. Anstatt sich der gewünschten Musik zuzuwenden, wenden sie sich möglicherweise mit Grausen und justament ab.
Ich habe jedenfalls bei meiner Tochter, die vor kurzem in eben dieser gefürchteten Pubertät war, tunlichst vermieden, meine absoluten Lieblinge, ob Klassik oder Pop/Rock/etc., als besonders cool und super anzupreisen. Ebenso wie ich vermieden habe, mich über ihre absoluten Lieblinge lustig zu machen. Gut, es war nicht schwierig, denn die gröbsten Ohrenkiller sind glücklicherweise an uns vorüber gegangen.
Inzwischen scheint sich bei ihr ein ihren Eltern entsprechender und sehr breit gefächerter Musikgeschmack zu entwickeln. Glück gehabt.

Bei allen anderen Verwandten, Freunden und Bekannten würde ich niemals an musikalische Bildung denken. Die, welche es verstehen, dürfen gerne Schumann, Bartok oder Satie hören und alle freuen sich.
Jene, die es nicht verstehen, freuen sich dann halt über Conquest of Paradise, die Elise und von mir aus auch die Comptine eh schon wissen. Und wieder freuen sich alle.
Musik ist mir wichtig und Lebenselixier, aber nicht wichtig genug, um andere, die es höchstwahrscheinlich gar nicht wollen, zu missionieren. Auch wenn es jetzt mit Klavier möglicherweise leichter wäre, als früher mit E-Gitarre ;)
Mir würde ja auch nicht einfallen, dass ich jemand beispielsweise zum Fischen mitschleppe, der damit gar nichts anfangen kann.

Das Klavier in den persönlichen Alltag zu integrieren ist bei uns recht einfach. Meine Tochter und ich spielen beide Klavier und haben dieselbe Klavierlehrerin, wenn auch nicht dieselben Stücke. Meine Frau sitzt lesend auf der Couch und fragt, ob nicht jemand Klavier üben will. Sie mag das, selbst wenn wir eine halbe Stunde an denselben vier Takten rumstümpern. Glück gehabt.

Einzig wenn abends ein Film im Fernsehen angeguckt wird, kommt ab und an die Bitte, doch ein anderes Stück zu spielen, weil das Stakkato-Geklopfe der Tasten selbst bei stummem Spielen etwas irritierend wirkt :)

Auch wenn ich mit Hasenbein prinzipiell durchaus einer Meinung bin, gehöre ich doch zu den Leuten, die sich sehr schwer tun mit objektiver Bewertung von Kunst im Allgemeinen. Kunst ist für mich im Wesentlichen und reduziert von allem Handwerklichen zuerst mal Emotion. Bewertungskriterien entstehen durch Konsens einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Für diese Gruppe ist Kunst dann auch sowas wie messbar. In einer anderen Gruppe haben diese Messkriterien aber eventuell überhaupt keine Bedeutung und Relevanz. Daher ist Kunstgeschmack für mich per se subjektiv. Und trotzdem leiste ich mir bei guten Freunden ab und an mal durchaus den Luxus ihnen zu verklickern, welchen Schmu sie denn da anhören. Bei anderen halte ich einfach meinen Schnabel und denk mir mein Teil.
Ich muss aber auch gestehen, dass ich meinen Prinzipien schon mal untreu und ziemlich rot im Gesicht werde, wenn mir jemand beispielsweise erzählt, dass es seit den 80ern keine gute Musik mehr gibt (eine Frage des Alters, die halt gerade bei mir zutrifft). Denn dieses Steckenbleiben in der musikalischen Entwicklung, das wohl auf einen Großteil der Leute zutrifft, ärgert mich in schwachen Momenten oder an feuchtfröhlichen Abenden ab und zu maßlos. Zum Missionar mit tragbarem Scheiterhaufen werde ich deswegen jedoch nicht :cool:
 
Hallo Debbie,

Dein Faden hat ja einen rapiden Aufstieg genommen, es scheint reges Interesse zu bestehen an ungekünstelten persönlichen Aussagen!

Ja, ja, die eigene Familie! Ich kann mich mit keinem meiner Familienmitglieder über Sachen austauschen, die mein Klavierspiel betreffen. Auch in meinem Bekanntenkreis – alles mau.

Meine Söhne hatten in früheren Jahren beide mal Klavier zu spielen angefangen. Der Ältere hörte mit ca. 12 Jahren dann auf. Er hätte durchaus Talent. Sein Interesse galt dann Keyboard, Computer usw., heute legt er dann und wann auf.
Der Jüngere ist ein ausgesprochen menschenbezogener Typ, Klavier als (zumindest anfangs) als Einsiedlerinstrument ist nicht sein Ding. Er lernte dann Zugposaune in einem Posaunenchor, und war dann eine Zeitlang dort dabei. Jetzt macht er keine Musik mehr.

Was ich ihnen mitgeben konnte, war die Schulung des Gehörs schon in frühem Alter (Kinderlieder singen) und damit die Aufnahmefähigkeit für Musik aller Arten.

Mir würde es schon reichen, wenn sie konsequent irgendeine Art von Musik betreiben würden. Aber auch dazu kam es (bis jetzt) nicht.

Ich habe in meiner Familie nie „meine“ Musik als die allein selig machende angepriesen. Interesse daran kommt am ehesten noch auf, wenn andere Leute nach einem Konzert meiner Familie erzählen, wie es ihnen gefallen hat ….

Ich bin überzeugt, in einem Familienverband gibt es viel wichtigere Dinge, als sich auf bestimmte Musikstile fest zu legen. – Es ist zum Beispiel für das Vertrauen meiner Söhne viel wichtiger, dass ich mich für ihren Geschmack, ihr Ding interessiere und mir z.B. genau erklären und zeigen lasse, wie das geht mit dem Scratchen (schreibt man das so?) als dass ich mich für irgendeine Klassik verkämpfe – auch wenn mir der Stil nicht gefällt. Das sage ich auch offen. Oder dass ich mir im Vorfeld zeigen lasse, wo er auflegt um gleich wieder zu verschwinden. Es wäre ja peinlich für ihn, wenn sein Vater da wäre.

Wie integriere ich meine Klavieraktivitäten daheim? Oft schon früh morgens auf meinem „Roland“ noch bevor ich das Haus verlasse. Die Kopfhörer sind schon alle geschrottet, ich stelle die Lautstärke auf sehr leise. Das Tastenklappern höre ich dann ebenfalls mit, ist manchmal eine gute Kontrolle für Präzision.
Mein Flügel(chen) steht im Haus so abseits, dass die übrigen Bewohner fast nichts hören, auch wenn ich laut spiele.

"Trage Deine Familie mit Fassung" und freue Dich an anderen Qualitäten, die sie sicher hat!

Walter
 
Rocky, papperlapapp.

1) Beatles sind deutlich überbewertet.
Sie haben hübsche, oft ohrwurmfähige Melodien geschrieben und mit netten (manchmal erstaunlich amateurhaft klingenden) Harmonien unterlegt.
Weder konnten die Instrumentalisten der Band sonderlich gut spielen, noch hatte irgendwer in der Band wirklich Plan von Musik.
Sie wurden halt, weil ihre Musik einen bestimmten Appeal hatte, extrem berühmt und gelten daher als geradezu sakrosankt.
Die raffinierteren ihrer Werke konnten sie überdies live in dieser Form gar nicht aufführen, das waren reine Studio-Basteleien (wie z.B. Stücke auf "Sgt. Pepper").

2) Die meisten Menschen werden durch Peer Pressure und durch die Medien in der Teenie-Zeit in einen bestimmten Musikgeschmack hineingedrängt, bei dem sie dann im wesentlichen bleiben. Es wird in sie fest einprogrammiert, daß die übliche Rock/Pop-Musik die "normale" Musik sei, die "man" hört. Überdies wird fest einprogrammiert, daß "normale" Musik = Gesang mit Begleitung. Ein "Instrumental" ist nur was für gelegentlich zwischendurch oder als Hintergrundgedudel.
Solche "dumm" massenkonditionierten Vorlieben können keinesfalls auf eine Stufe gestellt werden mit den Vorlieben, die jemand entwickelt, der sich wirklich ernsthaft mit Musik auseinandersetzt und dadurch wirklich die Musik an sich (statt der üblichen oberflächlichen Reize) kennenlernt.

LG,
Hasenbein
 
Hasenbein, solche Postings erweisen der Klassik und dem Jazz einen Bärendienst. Das bewirkt nämlich nur, dass die Leute denken: Oh je, für diese Musik muss ich ganz viel wissen, die ist echt schwierig. Diese Reaktion hab ich schon öfter erlebt.

Man kann aber selbstverständlich auch diese Richtungen einfach hören, weil man die Musik mag und interessant findet, ohne sie zu verstehen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Rubato, natürlich stehen die drei auf einer Stufe. Nämlich der Stufe, dass sie auch so gut wie allen gefallen, die an Klaviermusik wenig bis gar nicht interessiert sind :D
Dass es dabei auch noch andere Stufen gibt, die sie sich keinesfalls teilen, ist wohl selbsterklärend.

Hasenbein, peer pressure gibt es in beiden Richtungen. Das betrifft nicht nur Pop/Rock, auch Klassik ist davon betroffen. Letzteres allerdings und zugegeben deutlich seltener.

Das Ende der musikalischen "Entwicklung" ist meines Erachtens weniger vom Alter, sondern eher vom Eintritt ins Berufs- und/oder Familienleben geprägt. Kann also vom mittleren Teenie-Alter bis zum späteren Twen-Dasein reichen. So behaupte ich, dass die studierten Alterskollegen anderer Musik nachtrauern, als jene mit Lehre und frühem Berufsanfang. Musik scheint mit dem Beginn des "Ernst des Lebens" ihre tragende Bedeutung für viele einfach schlagartig zu verlieren. Und was nicht mehr bedeutend ist, wird sich nicht mehr weiterentwickeln und in nostalgischem "Weißt du noch?" und "DAS war noch Musik" verharren.
Menschen, die sich in jenem Alter aktiv und, ich sage mal ganz forsch, ernsthaft mit Musik (egal, ob E oder U) beschäftigt haben, scheinen davon weniger betroffen zu sein.

Dass man sich aber mit Musik ernsthaft und auf intellektueller Verstandesebene befassen muss, um "gute" Musik schätzen und lieben zu können, ist Quatsch (ohne Genehmigung von Hasenbein geklaut ;)). Dann dürfte meine Frau keine klassische Musik hören, denn ernsthaft beschäftigt hat sie sich niemals mit Musik. Ihr einziges Kriterium ist, ob ein bestimmtes Werk sie berührt oder nicht. Und dabei bleibt sie mit ihrem Sturkopf, ob es sich nun um den Totentanz von Liszt oder ein Stück von The Dead Weather handelt. Entweder es gefällt ihr auf Anhieb oder es gefällt ihr nicht, dann helfen auch alle Erklärungen, warum ein Stück doch wirklich gut sei, nichts. Das kann sich innerhalb kurzer Zeit ändern, plötzlich setzen abgegriffene CDs Staub an und andere werden vom Staub befreit. Der alte Witz mit der Wunschfee und der Autobahn nach Amerika scheint hier treffend zu sein. Erklärung gibt es keine.
Kann natürlich aber auch sein, dass ich mit der berühmten Ausnahme verheiratet bin, die die Regel bestätigt.
 
Sie haben hübsche, oft ohrwurmfähige Melodien geschrieben und mit netten (manchmal erstaunlich amateurhaft klingenden) Harmonien unterlegt.
Weder konnten die Instrumentalisten der Band sonderlich gut spielen, noch hatte irgendwer in der Band wirklich Plan von Musik.

Stimmt. Und genau das ist der Punkt.

Solche "dumm" massenkonditionierten Vorlieben können keinesfalls auf eine Stufe gestellt werden mit den Vorlieben, die jemand entwickelt, der sich wirklich ernsthaft mit Musik auseinandersetzt und dadurch wirklich die Musik an sich (statt der üblichen oberflächlichen Reize) kennenlernt.

Was ist denn aus deiner Sicht die Aufgabe von Musik im Speziellen bzw. der Kunst im Allgemeinen, einmal aus Sicht des gemeinen Konsumenten?
 
Am Anfang steht doch bei den meisten sicher das Interesse.
manchmal auch mehr als das, nämlich wirkliche Faszination - und da ist es dann eigentlich nichts unnormales, wenn man sich immer detailierter für das Faszinosum zu interessieren beginnt.

...aber die hier hau-ruck-soziologisch vorgebrachte Qualitätsdebatte hat für mich wenig mit der Ausgangsfrage zu tun - aber ich kann zu dieser mal eine ganz gegensätzliche Umgangsweise mitteilen: ich klapp die Tasten-Kiste zu, wenn ich Feierabend habe :D:D oder anders gesagt: die Klimpergerätschaften werden bei mir nicht immer permanent integriert
 
...aber die hier hau-ruck-soziologisch vorgebrachte Qualitätsdebatte hat für mich wenig mit der Ausgangsfrage zu tun - aber ich kann zu dieser mal eine ganz gegensätzliche Umgangsweise mitteilen: ich klapp die Tasten-Kiste zu, wenn ich Feierabend habe oder anders gesagt: die Klimpergerätschaften werden bei mir nicht immer permanent integriert

Genau, klären wir mal die Ausgangsfrage ;) das juckte mich auch schon zwischen den Gehirnwindungen :D:D

Wie so oft, könnte es gegensätzlicher nicht sein: ich schalte die Tastenkiste ein, wenn ich Feierabend habe... und so oft mir der Sinn danach steht, setze ich mich für ein paar Minuten daran...:D
 
Hallo miteinander,

ich bin wirklich sprachlos, dahingehend, was sich hier in diesem Faden an guten und diskussionswürdigen Beiträgen entwickelt hat! Leider habe ich jetzt nicht die Zeit, auf all eure lesens- und beantwortenswerten posts im Einzelnen einzugehen!! Das werde ich aber alsbald nachholen!

Jetzt kann ich leider nur pauschal antworten - und zwar so:

Heute morgen habe ich autofahrend einen Beitrag im Radio zum Thema "Warum ist Kultur - speziell Musik - so wichtig und warum sollte man den Kulturetat (insbesondere für die Musik) in Zeiten größter finanzieller Bedrängnis nicht an erster Stelle streichen sondern eher fördern???" gehört.

Die Antwort der befragten Fachfrau war, dass Musik u.a. einen Friedensauftrag habe - Musik sei eine die Menschen über Alters-, Gesinnungs- und nationale Grenzen hinweg einende, universale, die landestypischen Sprachen übergreifende Angelegenheit und habe in erster Linie vereinenden und nicht spaltenden Charakter!

Hinzu komme, dass das musikalische Verständnis/Empfinden schon - und insbesondere - in frühester Jugend vorhanden und abrufbar/zu entwickeln sei...damit sei die klare Legitimation und auch der Auftrag gegeben, nicht nur Erwachsene sondern insbesondere auch Kinder für Musik aller Art zu interessieren.

Weitere Antworten zu euren posts kommen später!;)

LG

Debbie digitalis
 

Hallo Debbie...wenn Du Dir darüber Gedanken machst..."unreflektiert....Musik....konsumieren....
klingt es für mich doch so, dass Du da was ändern möchtest oder Dich zumindest dazu verpflichtet fühlst...

Warum denn? Soll doch jeder erst mal nach seiner Facon hier sein dürfen, schon allen mit dem "Konsumieren" wertest Du die Musik deiner Lieben ab.
Es muß Dir ja nicht gefallen.

Gruß Klimpertante

Hallo Klimpertante,

habe deinen Beitrag bisher leider nicht beantwortet!

ich möchte ja niemanden - weder innerhalb meiner Familie noch außerhalb aufgrund seines Musikgeschmacks abqualifizieren! Solches liegt mir wirklich fern!!!

Allerdings liegt die Schwierigkeit m.E. darin plausibel zu machen (oder einfach auch festzustellen), wo sich die Gemüter aufgrund von "Geschmacksgrenzen" scheiden, bzw. aufgrund von der Bevorzugung von Musik ganz unterschiedlicher Stilrichtungen/Epochen/Eigenarten oder was auch immer auseinanderdriften...

LG

Debbie digitalis
 
Allerdings liegt die Schwierigkeit m.E. darin plausibel zu machen (oder einfach auch festzustellen), wo sich die Gemüter aufgrund von "Geschmacksgrenzen" scheiden, bzw. aufgrund von der Bevorzugung von Musik ganz unterschiedlicher Stilrichtungen/Epochen/Eigenarten oder was auch immer auseinanderdriften...

liebe Debbie,
warum so verklausuliert und vorsichtig formulieren?
Es gibt guten und schlechten Geschmack, es gibt Kunst und Kitsch, es gibt Qualität und Trivialität - schau mal: cineastisch bin ich ein derber Prolet :D wenn andere gerne in filmische Meisterwerke mit tiefer Botschaft und feiner Bildsprache gehen, so bevorzuge ich doch das Genre Peng-Peng-Totmach-Römer-Cowboy-Raumschiff und habe meine Freude daran; ich weiß das, mag aber solche B-Movies lieber sehen, und eine humorvoll frozzelnde Diskussion über Filmgeschmack macht mir immer Spaß (und wenn man mir, was ein leichtes ist, nachweist, dass meine Peng-Peng-Totmach-Filme nichts taugen, dann seh ich das durchaus ein - aber was soll man machen: auch der grimmste Eber suhlt sich gern) :D:D freilich erwarte ich nicht, dass so ein Peng-Peng-Totmach ne Palme in Cannes erringt, und buhuhe auch nicht, weil die das nicht kriegen.
 
Die Antwort der befragten Fachfrau war, dass Musik u.a. einen Friedensauftrag habe - Musik sei eine die Menschen über Alters-, Gesinnungs- und nationale Grenzen hinweg einende, universale, die landestypischen Sprachen übergreifende Angelegenheit und habe in erster Linie vereinenden und nicht spaltenden Charakter!
So sehr ich Musik in Ausübung, Vermittlung und (man verzeihe meine Wortwahl) Konsum befürworte, halte ich bezüglich gerartiger Zuschreibungen etwas mehr Zurückhaltung für geboten. Zum einen gab und gibt es in der Geschichte genug Beispiele dafür, daß Musik (mehr oder weniger bereitwillig) in den Dienst von Abgrenzung und Aggression gestellt wurde. Zum anderen kann eine derartige Argumentation sehr leicht ins Gegenteil umschlagen, nämlich sobald diese außermusikalischen Erwartungen nicht erfüllt werden. Und schließlich: Werden diese Zuschreibungen auf die Musikausübenden projiziert, führt das schnell zu einer Abwertung all jener, die sich nicht so sehr für Musik interessieren. (Das ist jetzt nicht so weit hergeholt: "Wo man singt, da laß Dich nieder,...")

Natürlich kann (und soll) man sich für Kultur und speziell für Musik einsetzen, aber dazu muß man nicht gleich die "Jeder-soll-Musik-machen-und-dann-wird-alles-gut"-Keule schwingen.

(Ich konnte mich bei Deiner Zusammenfassung des Interviews des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich be genannter Fachfrau in erster Linie um eine Kulturfunktionärin handelt.)
 
So sehr ich Musik in Ausübung, Vermittlung und (man verzeihe meine Wortwahl) Konsum befürworte, halte ich bezüglich gerartiger Zuschreibungen etwas mehr Zurückhaltung für geboten. Zum einen gab und gibt es in der Geschichte genug Beispiele dafür, daß Musik (mehr oder weniger bereitwillig) in den Dienst von Abgrenzung und Aggression gestellt wurde.
...trotz der Animositäten 1870-71 gab es davor wie danach verblüffend viele Wagnerianer in Frankreich... ;):) ...auch heute noch
 
2) Die meisten Menschen werden durch Peer Pressure und durch die Medien in der Teenie-Zeit in einen bestimmten Musikgeschmack hineingedrängt, bei dem sie dann im wesentlichen bleiben. Es wird in sie fest einprogrammiert, daß die übliche Rock/Pop-Musik die "normale" Musik sei, die "man" hört. Überdies wird fest einprogrammiert, daß "normale" Musik = Gesang mit Begleitung. Ein "Instrumental" ist nur was für gelegentlich zwischendurch oder als Hintergrundgedudel.
Solche "dumm" massenkonditionierten Vorlieben können keinesfalls auf eine Stufe gestellt werden mit den Vorlieben, die jemand entwickelt, der sich wirklich ernsthaft mit Musik auseinandersetzt und dadurch wirklich die Musik an sich (statt der üblichen oberflächlichen Reize) kennenlernt.

LG,
Hasenbein


Sehr schön zusammengefasst!

Mir fällt dazu noch ein Zitat ein, dass 1834 ein Spiegelredakteur im Zusammenhang mit Dieter Bohlens Schmuddel-Memoiren geschrieben hat: Er (nein, Dieter Bohlen und die Beatles darf man nicht in einen Topf werfen, aber es geht nun einmal um Pop-Radio-Gedudel) ist unter anderem deshalb so (kommerziell) erfolgreich, weil es ihm gelungen ist einen völlig neuen Markt anzuzapfen: Musik für Leute, die eigentlich gar kein besonderes Interesse an Musik und auch keine Ahnung davon haben.

Der Untergang des Abendlandes....;)
 
Was Spiegelredakteure teilweise so zusammenschreiben, da müsste man glatt eine ganze Kuhherde dafür häuten ;)
Der Dieter Bohlen hat halt schon im vorletzten Jahrhundert (ich wusste immer schon, dass der Mann nur ein Zombie sein kann :D) von vielen, vielen Vorgängern gelernt, dass Musik für die Massen und für bestmögliche Radiotauglichkeit keine Ecken und Kanten haben darf. Er hat geklaut wie eine Elster und daraus seinen eigenen Brei gekocht, der alle erforderlichen Klischees bedient und damit erfolgreich wurde. Ohne gelungenes Marketing und vielem mehr wäre trotzdem nichts daraus geworden. Denn probiert wird das Jahr für Jahr von vielen Leuten ... Malen nach Zahlen, Hits nach den Regeln des Mainstream-Radios. Erfunden hat das der Bohlen keinesfalls.

Dieter Bohlen als Stellvertreter für das gesamte Genre der Popmusik anzuführen ist so, als ob man Yann Tiersen als Stellvertreter für klassische Musik nehmen würde.
In beiden Fällen, würde ich sagen, fehlt dann das Wissen und die Beschäftigung mit dem jeweiligen Genre.

Ich frage mich auch, was "Musik an sich" sein soll. Auf welcher Ebene erlebt und erfährt man "Musik an sich"? Wie tief und intensiv muss man sich beschäftigen, um auf diese hehre Ebene zu gelangen? Reden wir hier noch von Kunstgenuss oder eher von Musikwissenschaft? Wo ist die Grenze?
Und wie definiere ich den Unterschied zwischen "oberflächlichen Reizen" und der "Musik an sich"?
Mir drängt sich bei solchen Ansprüchen gerne der Verdacht auf, dass es sich um nichts anderes handelt als um die Abgrenzung einer bestimmten peer group zu allen anderen.

Die ewige Streitfrage "Kunst oder Kitsch" wird gerade in der Popmusik viel heftiger und heißer geführt als in der Klassik. Nicht nur von Teenies, die mit roten Ohren über Lady Gaga streiten, sondern und gerade auch von Leuten, die sich ernsthaft (man kann diesen Begriff irgendwie nur schlecht vermeiden) damit beschäftigen. Das nur für jene, die sich selbst mit Popmusik nicht auseinander setzen. Eine Lösung der Frage würde es wohl nur geben, wenn wir plötzlich eine völlig heterogene Gesellschaft hätten, was aber eine recht üble Utopie wäre.
Die Grenzen sind hüben und drüben so dermaßen fließend, dass eine Kartierung einfach sinnlos scheint.

Gerade die Abgrenzung zwischen Kunst und Kitsch, als Synonym für "Gut und Böse", innerhalb einer Gruppe kann man eben als friedensstiftendes und verbindendes Element sehen. Man einigt sich darauf, was gut oder schlecht ist und findet damit ein probates Bindeglied für die Gruppe. Jemand, der Bruce Springsteen liebt und Dieter Bohlen zum Kotzen findet, kann kein schlechter Mensch sein. Wir nehmen ihn/sie freudig in unserer Gruppe auf. Und gemeinsam machen wir uns lustig und ätzen über diese andere Gruppe, die Dieter Bohlen zu ihrem Hero erkoren hat. Und wenn wir sie nächstes Mal wieder in ihren saublöden und provokanten Bohlen-Shirts sehen, können sie was erleben. Dann gibt's was auf die Fresse ... gut, und damit wären wir beim gegenteiligen Effekt von Musik, den es leider genauso gibt.
Musik ist nur das, wozu sie benutzt wird. Und damit keinesfalls per se gesellschaftlich nur gut.

Wer glaubt, sich diesen gesellschaftlichen Mechanismen entziehen zu können, dessen Weg ist mit Holz gepflastert. Ich selbst bilde mir ein, gerade in punkto Musik ein sehr offener Mensch zu sein. Wer diesen Beitrag aufmerksam liest, wird bemerken, dass dieser Offenheit jedoch durchaus auch die üblichen Grenzen gesetzt sind.
 

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