warum gefällt manchen Leuten.....

  • Ersteller des Themas kreisleriana
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Eine Frage stellt sich mir: wenn man schon mit den fragilen Begriffen von schön und unschön operieren soll: gibt es eine Ästhetik der Hässlichkeit ?
ja, gibt es, allerdings betrifft das die jeweilge Kunst selber (Malerei, Musik, Literatur), es betrifft nicht das interpretieren/darstellen. (z.B. Heine über Berlioz macht diese Ästhetik des Häßlichen, des Bösen etc. (aus der schwarzen Romantik kommend) klar)

Kreisleriana meint aber ganz was anderes - J. Kaiser hat dasselbe mal gefragt: wie kann es passieren, dass ein so genialer Interpret wie Horowitz Chopins sensibles Andante spianato herz- und gefühllos zu Tode rast? Also ein richtig guter Pianist spielt irgendwas bekanntes überraschenderweise ruppig, pampig, völlig gegen die Musik. Nicht jedem liegt alles, Fehlentscheidungen passieren, und manchmal merkt man selber nicht, was man da angerichtet hat sondern hält es für richtig. Allerdings ist die Ursache für solche eher seltenen Fälle ganz gewiß nicht die banal-blöde "Überlegung" "au ja, ich mach´s mal totaaal anders, das kommt bestimmt ultracool rüber". Denn wäre das so, dann hätten wir von jedem Presto eine Largovariante vorliegen, von jedem pianissimo ein fortissimo, von jedem dolce ein pesante usw usf - und es ist offensichtlich, dass dem nicht so ist.
 
Also danke mal für die vielen konstruktiven Antworten für mein "Problem" ( ist ja wirklich nur meines )

Ungefähr auf dem Niveau von: "Sagt mal, warum klingt Jazz eigentlich immer so schräg und durcheinander? Können die Jazzmusiker nicht auch mal vernünftig spielen?"


Du kannst doch nicht einfach Deine Vorstellungen, was "schön" sei, als allgemeingültig und selbstverständlich voraussetzen! Es sei Dir ja völlig unbenommen, bestimmte Interpretationen, Kunstwerke nicht zu mögen oder generell Kunst zu bevorzugen, die auf eine bestimmte, sehr offensichtliche und sehr konsensfähige Weise "schön" ist.


eine Bescheidenheit nach dem Motto: "Naja, vermutlich versteh' ich davon halt nix, deswegen gibt mir dieses Kunstwerk nichts - ich muss mich vielleicht mal näher damit beschäftigen" wäre angezeigt.

Mmmh, ich glaub wir reden ein bisschen an einander vorbei Hasenbein, obwohl du grundsätzlich natürlich recht hast: niemand hat das Recht, eine Interpretation ( von einem Kunstwerk habe ich nie gesprochen !!) zu diskreditieren, weil sie den überkommenen Traditionen, wie Komponisten gewisse Tempoangaben, Dynamikvorschriften etc notiert haben, über den Haufen werfen.
Aber es wäre wohl etwas vereinfacht zu sagen, wie du implizierst, mir gefiele eben nur gefälliges hübsches Humpf-tata: um bei Schumanns zweiter Kreisleriana Variation, die ich zufällig im Eingangspost zitierte, zu bleiben,es wäre hochinteressant in diesem hingebungsvollen, schwärmerischen Gesang eine drohende Kante, einen gefährlichen Schatten herauszuarbeiten, aber dazu mit brutalem Gehämmere den ganzen melodischen Duktus zu zerstören, ist wie mit der Abbruchbirne auf den Kölner Dom einzuschlagen..

-Jazz klingt für mich nicht schräg, und ich habe höchsten Respekt vor guten Jazz Musikern.

-also das Wort "schön" habe ich übrigens in der Eingangsfrage nicht gebraucht, sondern das weniger vorbelastete aber zugegeben härtere Wort hässlich; dass dieses Empfinden jedoch weder allgemeingültig noch selbstverständlich ist, ist völlig korrekt, deswegen stellte ich ja die Frage und erhielt ja auch sehr gute Antworten.

- Die Bescheidenheit, nach dem Motto "Naja vermutlich versteh' ich davon halt nix"...

da hast du eben durchaus Recht, obwohl es unbotmäßig wäre, sich selbst der Bescheidenheit zu rühmen, aber letztlich deswegen habe ich nach euren Meinungen gefragt.

Ich bringe es eben nicht so wirklich über mich zu sagen ( was echte Berufsmusiker ja sehr wohl tun !) der Gould war ein Spinner, der Pogorelic ist völlig durchgeknallt mit seinen Tempi , "warum hörst du dir so einen Schmarrn überhaupt an" (Zitat), der Horowitz hat das und jenes wirklich schlimm verspielt (wörtliches Zitat eines anderen Pianisten bei einem seiner späten Konzerte: "der hatte ja Alzheimer so wie der den Schumann verunstaltet hat, in der Pause bin ich gegangen"), auch wenn ich manches einfach musikalisch nicht mehr nachvollziehen kann.

Dass ich davon nix verstehe, trifft im Vergleich mit diesen Leuten natürlich ebenso zu , auch wenn mir deren Willkürlichkeiten umso rätselhafter und unnachvollziehbarer werden, je mehr ich mich mit dem Notentext des betreffenden Werkes auseinandersetze.

Die Frage die mich interessiert ist eben: WARUM spielen diese grandiosen Leute manches so unnachvollziehbar gegen die Musik, die da feinsäuberlich vom Komponisten mit allerhand Angaben zur Wiedergabe hingeschrieben wurde ( nicht zu verwechseln mit "meiner Vorstellung von schön"....) ( Bach ist hier natürlich von den späteren Komponisten in seinen Notationsangaben etwas abzugrenzen ).

Die Eingangsfrage war also als Versuch gemeint, Anregungen zu erhalten, was exzellente Musiker bewegen kann, Kompositionen nicht nur gegen übernommene Musiziertradition, sondern gegen offenkundige Anweisungen des Komponisten zu spielen, dass man sich damit natürlich sofort in die Rolle des Beckmessers begibt, ist klar.


Also ein richtig guter Pianist spielt irgendwas ......, völlig gegen die Musik. Nicht jedem liegt alles, Fehlentscheidungen passieren, und manchmal merkt man selber nicht, was man da angerichtet hat sondern hält es für richtig. Allerdings ist die Ursache für solche eher seltenen Fälle ganz gewiß nicht die banal-blöde "Überlegung" "au ja, ich mach´s mal totaaal anders, das kommt bestimmt ultracool rüber".

ja mit der Erklärung kann ich's eher verstehen.
 
Du hast mich immer noch nicht verstanden.

Du darfst nicht fragen: "Warum spielt XY so unnachvollziehbar gegen die Musik". Das ist genau wieder die Haltung, die ich kritisiere.

Du darfst höchstens fragen: "Warum kann ICH nicht nachvollziehen, wie XY auf seine Interpretation kommt? Und habe ich wirklich zutreffende Vorstellungen davon, wie die Musik 'sein muss' oder 'sein darf'?"
 
Es gibt ja auch Fälle, in denen sich ein Pianist explizit zu einer Interpretation äußert. Im Kopfsatz von K. 331 folgt Gould laut eigener Aussage dem architektonischen Plan von konsequent sich steigernder rhythmischer Energie und Belebung. Das hört sich auf dem Papier vielleicht interessant an, gerät aber im Ergebnis zu einer grotesken Travestie: die vorletzte, von Mozart "Adagio" überschriebene Variation wird einfach diesem Plan eingepasst und klingt eher wie ein Allegretto. Das Thema dagegen, Andante grazioso, ist ein sich quälend dahinschleppendes Adagio. Zu alldem kommen völlig unmozartsche Phrasierung, streckenweise marschartig gleichmäßige Betonungen, Ignorieren aller Artikulationsvorgaben....



Eine ganz andere Art, faszinierende und anders als bei Gould nicht "gewollt" wirkende Exzentrik kann man bei Pogorelich hören, mehr Seelengemälde als Werkinterpretation und höchstens andeutungsweise auf Tonträger einzufangen und reproduzierbar....

 
Es gibt ja auch Fälle, in denen sich ein Pianist explizit zu einer Interpretation äußert. Im Kopfsatz von K. 331 folgt Gould laut eigener Aussage dem architektonischen Plan von konsequent sich steigernder rhythmischer Energie und Belebung.

Tobi , wenn ich "Gould's Aussagen" lese, erinnere ich mich: Es war vor JAHREN, im TV, ich hörte ein längeres Interview eines Reporters mit Gould, meine Mum hat es damals auch mitgehört:

Tobi, wir lagen SCHREIEND am Boden vor Lachen - das war sooooo geilooo:-D:-D:super:, weil: Gould hat so getan, als ob er hochanspruchsvolle wissenschaftliche und hochrelevante Erkenntnisse mitteilte - und der Reporter tat so, als ob er es verstanden hätte :-D:-D:-D

Also UNGEFÄHR so ( das folgende ist REIN FIKTIV, von MIR ! Aber so in etwa war es: )

Fiktives Interview ( R: Reporter, G: Gould ):

R: Guten Abend, Herr Gould!
G: Ja Hallo!
R: Herr Gould, Ihre Arbeit an Bachs "Kunst der Fuge" hat in Musikkreisen weltweit für Aufsehen gesorgt,...
G: Ja, genau! Ich hatte schon länger geplant, mich wieder mit dem Werk Bachs auseinanderzusetzen - auf einer sozusagen neuen, entmystifizierten Grundlage!
R: Diese Grundlage - oder das Fundament - der neuen Erwägungen, die Sie nannten: könnten Sie dies näher erläutern ?
G: Ich bin da skeptisch, denn es ist eigentlich das ICH, das gegen die Konventionen strebt, es sind inhärente, kleine Schübe großer, umfassender, einheitlicher struktureller Floskeln, die aber...
R: ja...?
G: ..eine gleichsam..tiefenwirksame Diskrepanz offenbaren: Ästhetik - und schwarze Romantik bereits im Barock vorausgeahnt, bereits vorausgenommen durch Dreiklang-Formalien :-D, die so nicht eindeutig spezifizierbar waren, bisher...
R: Das ist für die Zuschauer sehr wichtig, denn es sind auch Amateure und Laien unter ihnen, die ja meist - spezifizieren MÜSSEN, weil sie nicht anders können! Das Können und das Müssen: Das sind ambivalent-quasisynonyme Seme, ist es so ?:-D
G: Auf alle Fälle! Daher sind sie so verschieden! :-DDies - und anderes - war mein Ziel, herauszuarbeiten in einem langen Denkprozess, der zu den vielzähligen neuartigen Erkenntnissen führte.
R: Sie halten also, wenn ich das richtig verstanden habe, auch Konventionen für wichtig, Herr Gould ?
G: Janein...es ist eine Gratwanderung zwischen Bach und Schönberg: Diktion - und Kontradiktion in einem Konglomerat von Affekten!!
R: Könnte es demnach dazu führen - also ich meine, diese prozeduralen Vorgehensweisen, die Sie schilderten - dass also mehr der OBJEKTBEZUG konkretisiert wird, als dass mithin die formalen Strukturen eine Wiederbelebung hin zum Anachronistischen erführen ???
G: Das würde sich zwar problemlos realisieren lassen, da die Relevanz-Varianzen gegeben sind. Aber jedermann wird sofort einsehen, dass dies nicht realisierbar ist. :lol: Die Individualität Bachs führt meines Erachtens nicht über Anachronismen, sondern: Direkt destiniert ! Verstehen Sie ? Das Erfassen der Naturtöne...
R: Ah, jetzt leuchtet es ein, was Sie meinen: Affekte und Formalien sind mehr wertfreie Zeugen einer noch von der Ur-Natur herrührenden Subjektivität ? Haben sich also angeschickt, sich teils vom bloßen Sem-Status zu lösen ? :-D
G: Das ist ganz genau das, was ich dem Hörer der neuen Aufnahmenserie der "Kunst der Fuge" vermitteln möchte. :-DBach ist eben anders! Wirksamer in der Nachbetrachtung!
R: Schildern Sie uns doch bitte einmal Ihr persönliches Verhältnis zu Bachs Musik, Herr Gould.
G: Es ist...sie verstehen? ..eine Lebensaufgabe! Kapazität und Aufnahmevermögen, quasi..ein Kondensator, Physik..mit Ladungen behaftet, : Als kleines Kind schon wurden bei mir vielzählige Schalter umgelegt, und jeder einzelne sorgte dann am Klavier für eine Entladung des Kondensators, also der Partikel, :-D
R: Partikel ? :-D
G: Ja! Die kleinteiligen Elemente, die ein großes Werk bilden. Bachs Werk ist ein einziges, riesengroßes! Es besteht aus kleinen Elementen, die nur im Zusammenhang decodiert werden können. Daher ist Bach für viele sehr ENIGMATISCH, ...
R: Ja, das kann ich nachvollziehen! Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gould! Auch im Namen unserer Zuschauer!
G: Danke auch.

Fiktives Interview Ende.

:-D:-D:-D LG, Olli!
 
Die Interpretationen von Lang Lang gefallen ja sehr sehr vielen, zb auch Dreiklang, und viele Profi Pianisten haben damit auch ein PERSÖNLICHES Problem, denn sie mögen fachlich besser urteilsfähig sein, aber sie sind halt in der Minderheit. Minderheiten genießen bei uns einen besonderen Schutz, aber das ist ja nicht überall so auf der Welt. Wieder einmal, gut dass es dieses Fofum gibt, in China zb gibt es kein Clavio, und dort darf man sicher auch nicht LL einfach so öffentlich kritisieren.
 
Die Frage die mich interessiert ist eben: WARUM spielen diese grandiosen Leute manches so unnachvollziehbar gegen die Musik, die da feinsäuberlich vom Komponisten mit allerhand Angaben zur Wiedergabe hingeschrieben wurde


Die Hinwendung zum Unkonventionellen und "Häßlichen" ist ein Phänomen, das immer in Spätphasen von Kulturepochen auftritt, und das wir in der bildenden Kunst seit dem Hellenismus, in der Literatur das erstemal klar, weil von einer ästhetischen Diskussion begleitet, in der 2. Hälfte des 1. Jh.n.Chr. beobachten können (1). Sie speist sich regelmäßig aus dem Überdruß an einer übermächtigen Tradition, die dem Kunstschaffenden keinen Möglichkeit mehr zu einer neuen Leistung im Rahmen der traditionellen ästhetischen Bahnen lasse. Nicht erst in unseren Tagen tritt dazu der (schon von Aristoteles kritiserte) Überdruß des Interpreten, wie er sich am zeitgenössische Regietheater, das ebenfalls in diesen Rahmen gehört, deutlicher als in der Instrumentalmusik zeigt. Dessen Erfolg beruht nicht zuletzt darauf, daß auch die Kritiker diesen Überdruß teilen. Hinzu kommt, daß in unseren Tagen der Anspruch des Interpreten auf künstlerische Eingeständigkeit gegenüber, wo nicht Gleichrangigkeit mit dem Autor immer weiter zunimmt und an die Stelle des traditionellen Verständnisses tritt, der Interpret sei Mittler zwischen dem Autor und dem Publikum. Drittens haben die Zivilisations- und Kulturbrüche des vergangenen Jahrhunderts ohnehin allen ästhetischen Genuß unter den Generalverdacht des Banausentums gestellt. Der von @walsroderpianist genannte Adorno hat dazu das theoretische Fundament geliefert, konzediert interessanterweise allerdings selbst: »wäre die letzte Spur von Genuß exstirpiert, so bereitete die Frage, wozu überhaupt Kunstwerke da sind, Verlegenheit« (2).

Nun kann ja es jedem, der nicht Teil des Kulturbetriebs ist, herzlich egal sein, ob ein schwarzbebrillter Ästhet der Negativität, sei er Regisseur, Interpret oder Kritiker, ihn als Banausen betrachtet, kann auf seinem Wunsch nach ästhetischer Erfahrung beharren und damit die von @kreisleriana aufgeworfene Frage stellen. Ich glaube auch nicht, daß sie mit dem Einwand, "Schönheit" sei ohnehin eine durch und durch subjektive Angelegenheit, erledigt ist. Konsequent angewandt, würde der auf die Unmöglichkeit jedes ästhetischen Urteils hinauslaufen. Natürlich erheben wir nicht mehr, wie noch manche unserer Lehrer, den Anspruch, zu wissen, was dieser oder jener Komponist "gewollt" habe, aber die Ästhetik der musikgeschichtlichen Epochen ist uns doch recht gut zugänglich, so daß wir uns wenigstens ein Urteil erlauben dürfen, welche Interpretation einem Werk mehr und welche ihm weniger gerecht wird, auch wenn es über jeden Zweifel erhabene Erkenntnisse in Kunst und Literatur nur äußerst selten gibt.

(1) Vgl. die berühmt geworenen Abhandlungen in H.R. Jauß (ed.), Die nicht mehr schönen Künste - Grenzphänomene des Ästhetischen, 1968.

(2) zit. nach H.R. Jauß, Kleine Apologie der ästhetischen Erfahrung, 1972.
 
Zuletzt bearbeitet:
@sla 019, danke für die ausführliche Analyse.


Du darfst nicht fragen: "Warum spielt XY so unnachvollziehbar gegen die Musik". Das ist genau wieder die Haltung, die ich kritisiere.

Du darfst höchstens fragen: "Warum kann ICH nicht nachvollziehen, wie XY auf seine Interpretation kommt? Und habe ich wirklich zutreffende Vorstellungen davon, wie die Musik 'sein muss' oder 'sein darf'?"

ja, da hast du schon recht.

PS: die großen Berufsmusiker sind da (wie erwähnt ) aber weniger tolerant ihren Kollegen gegenüber, wie ich erlebt habe: im Auto saß mal ein Pianist neben mir, und ich spielte ihm Kempffs sehr flotte und fast unverzierte (für mich aber keineswegs uninteressante) Aufnahme der Aria der Goldbergvariationen vor, mit dem vorsichtigen Kommentar: "das ist natürlich etwas gewöhnungsbedürftig", Antwort des Profis: " An so was will ich mich aber nicht gewöhnen: Abdrehen!" :-)
 
nein, da hat er nicht recht.
Selbst wenn Jehovah persönlich samt seinem Engelschor ein Adagio lamento im munteren Prestotempo jubiliert, kannst du, ich, Hasenbein und sogar Romeo völlig richtig urteilen, dass das Pfusch bzw. falsch ist.
So gräßlich schwierig ist es nicht, einen verbindlichen Notentext mit einer Realisierung zu vergleichen und dann schlicht festzustellen, ob letztere ersterem gerecht wird.
Dass Horowitz zahlreiche romantische und spätromantische Werke exemplarisch, ja maßstabsetzend gespielt hat, ändertnichts daran, dass seine Version des chopinschen Andante spianato mißlungen ist.
 
Kreisleriana, vergleich es z.B. mit Essen:

Jemand hat eine starke Abneigung gegen eine bestimmte Speise und mag vielleicht schon den Geruch überhaupt nicht. Also kann es, je nach Temperament desjenigen, vorkommen, dass er ausruft: "Bloß weg mit dem Zeug! Uaaah!"

Im Normalfall ist demjenigen jedoch völlig klar, dass das einfach sein persönliches Empfinden ist und deswegen die Speise noch lange nicht per se schlecht oder scheußlich ist.

Bei einem intelligenten, gebildeten, differenzierungsfähigen Musikprofi ist das genauso.
Daher wäre, um sich ein Urteil über die Situation bilden zu können, das Wissen notwendig, inwieweit jener Profi möglicherweise persönliche Präferenzen verabsolutiert. Leider gibt es solche Kollegen, z.B. gerne mal im Bereich der Wichtigtuer unter den Hochschullehrern.

Das sind dann manchmal dieselben, die, wenn sie neue Schüler/Studenten bekommen, grundsätzlich, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, ihnen sagen, dass sie "nun komplett umlernen müssen" und "3 Monate ausschließlich Technikübungen" machen müssen, sonst sei alles aussichtslos...
 
Wenn ich all die Beiträge, Pro und Contra von abartigen Interpretationen lese, bin ich der Meinung, der Interpret soll das Werk in Sinne des Komponisten wiedergeben, nicht mehr und nicht weniger. Er ist ja Interpret und nicht der Komponist. Dort wo klare Anweisungen vorhanden sind, wie Tempi, Legato, Staccato, Phrasierungen u.ä. sollen sie diese befolgen. Wenn da z.B. Andante Cantabile notiert ist, dann soll es wirklich als Cantabile interpretiert bzw. als solches erkannt werden.

Was sich da einige Starpianisten wie Horowitz, Glenn Gould und und und und erlauben, sorry …. da kann ich nur den Kopf schütteln. Ja nu, zum Glück sind es bei den zwei erwähnten Pianisten nur kleine Ausrutscher, Aufmerksamkeit, PR-Gag oder was auch immer. Ich nehme an, sie selbst haben das nicht ganz ernst genommen, was sie da gespielt bzw. experimentiert haben. Jeder Schüler der das Mozart Adagio Cantabile wie Glenn Gould gespielt hätte (Siehe Pianovirus Beitrag #302), wäre sehr wahrscheinlich bei jeder Prüfung durchgefallen (ob die Erklärung, ich wollte in dem Stück die Energie für die folgende Takten aufbauen gereicht hätte?). So habe ich es vor 40 Jahre gespielt, wenn ich noch überlegen müsste, welche Taste zu betätigen ist und dazu noch mitzählen.

Die Star Interpreten sollen halt selbst komponieren, statt irgendwelche klassische Werke zu überinterpretieren. Aber dazu sind sie in der Regel nicht fähig. Horowitz brachte es auf wenige unbedeutende Stücke und von Glenn Gould ist mir überhaupt nichts bekannt. Also Schuster bleib bei deiner Leiste (= interpretiere und nicht ändere), wäre das Motto. Wenn sich ein Pianist austoben möchte, dann hat er gute Gelegenheit in der Jazz Sektion, so wie es Friedrich Gulda praktiziert hat.

So jetzt kann mich Haselbein als Kultur Banause abstempeln, ist mir auch egal. Ist einfach meine Meinung zu solchen Interpretationen mit verschleppten bzw. gehetzten Tempi die die Struktur einer Komposition zerstören.

LG Antoine
 

Die Star Interpreten sollen halt selbst komponieren, statt irgendwelche klassische Werke zu überinterpretieren. Aber dazu sind sie in der Regel nicht fähig. Horowitz brachte es auf wenige unbedeutende Stücke und von Glenn Gould ist mir überhaupt nichts bekannt. Also Schuster bleib bei deiner Leiste (= interpretiere und nicht ändere), wäre das Motto.
nun wetz´ das Gehörn mal nicht so zornig, @Steinbock44 ;-)
Horowitz hat eine hübsche danse exzentrique sowie eine sehr lisztsche Carmenparaphrase komponiert, zudem seine kobolzige stars and stripes Transkription
Gould hat ein Streichquartett komponiert und eine sehr gelungene Transkription des Karfreitagszauber

Extrem gut spielen konnten beide - aber wie das nunmal menschlich ist, gelingt nicht jedem restlos alles und auch Irrtümer kommen vor.
 
der Interpret soll das Werk in Sinne des Komponisten wiedergeben, nicht mehr und nicht weniger. Er ist ja Interpret und nicht der Komponist.

Du unterstellst eine Dichotomie zwischen Komponist und Interpret, die es nicht gibt. Am perfektesten hält das Metrum und das Tempo ein Computer ein... und doch klingt der Notentext üblicherweise ziemlich bescheiden, wenn man ihn derart buchstabengetreu runterspielt.

Das, was auf dem Papier steht, ist nicht "die Musik". Der Interpret ist kein Plattenspieler, kein Roboter. Die Musik entsteht zwischen Komponist und Interpret, beide sind unverzichtbare Bestandteile. Und die Grenzen sind fließend, es sei nur mal Volodos' sehr eigene Version des Rondo alla Turca erwähnt. Zur Interpretation gehört auch die Freiheit der Uminterpretation.

Anderes Beispiel: Mozart hat u.a. Händel bearbeitet. Durfte er das dann auch nicht? Wenn doch das, was der Komponist einmal aufgeschrieben hat, ja anscheinend sakrosankt ist? Oder gilt für Mozart eine Spezialausnahme.:denken:

Diese Vergötterung des Komponisten bei gleichzeitiger Herabwürdigung der Leistung des Interpreten, in Verbindung mit dem impliziten Verbot, ein existierendes Werk zu verändern, ist meiner Meinung nach eine geradezu kunstfeindliche Einstellung. Jede Form der Bearbeitung ist dann nicht mehr legitim: sie ist lediglich ein Plagiat, eine Raubkopie, sie ist Diebstahl, sie ist Verstümmelung, kurz: ein Verbrechen. Da hat die moderne Medienindustrie ja ganze Arbeit geleistet... :dizzy:
 
Wenn ich all die Beiträge, Pro und Contra von abartigen Interpretationen lese, bin ich der Meinung, der Interpret soll das Werk in Sinne des Komponisten wiedergeben, nicht mehr und nicht weniger. Er ist ja Interpret und nicht der Komponist. Dort wo klare Anweisungen vorhanden sind, wie Tempi, Legato, Staccato, Phrasierungen u.ä. sollen sie diese befolgen. Wenn da z.B. Andante Cantabile notiert ist, dann soll es wirklich als Cantabile interpretiert bzw. als solches erkannt werden.

Bezüglich Deiner Bemerkung zu Tempi:
Schumanns Kinderszenen zB. werden von vielen Menschen tempotechnisch völlig anders gespielt, als es vom Komponisten vorgegeben war. Darf man sie nur spielen, wenn man sich exakt daran hält?
Die "Hammerklaviersonate" von Beethoven ist in dem Tempo, das vom Komponisten angegeben wurde, unspielbar. Sie wird deswegen langsamer gespielt. Soll sie deswegen gar nicht gespielt werden?

Es gibt nicht umsonst den Begriff "künstlerische Freiheit"... Außerdem ist es manchmal hochinteressant, ein Klavierwerk neu zu interpretieren. Ich habe eine Interpretation des Solfeggio von C. P. E. Bach: wesentlich langsamer, und arbeite eine deutliche Melodie heraus. Das gibt dem Stück einen ganz neuen Charakter.

Außerdem möchte ich nicht wissen, bei wie vielen Werken nachträglich (von Verlagen) andere Tempi oder andere Dynamikzeichen aus Versehen oder aus Absicht eingefügt wurden.
Ich habe da vor sehr langer Zeit einen Artikel gelesen mit konkreten Beispielen, an die ich mich aber leider nicht konkret erinnere.
 
Ist gut .... kein Problem. Ich sprach hier von extremen Interpretationen die die melodische Struktur zerstören. Wen es einem gefällt ist OK, kein Problem damit.

@kalessin die Tempi sind nicht absolut, es ist richtig ... jedoch sollen sie im Verhältnis zueinander stehen.
Largo, Lento, Adagio, Andante, Moderato, Vivace, Allegro, Presto ....
 
die Tempi sind nicht absolut, es ist richtig ... jedoch sollen sie im Verhältnis zueinander stehen.
Largo, Lento, Adagio, Andante, Moderato, Vivace, Allegro, Presto ....
Auch das unterschreibe ich schon so nicht. Der Komponist notiert "Teil B wird schneller gespielt als Teil A" und der Interpret sagt "ich probiere mal aus, wie das andersherum klingt". Das ist legitim, das ist Kunst, Feierabend. Es gibt daran nichts Unanständiges. Der Komponist ist da nicht mehr Herr seines Werks: ich kann auch als Urheber Bearbeitungen nicht per se verbieten, schon zu Lebzeiten nicht.

Der Rezipient hat immer die Freiheit zu sagen: "ich mag das nicht, mir gefällt das nicht, ich höre lieber etwas anderes". Das ist natürlich ebenso legitim. Dieses rein persönliche Geschmacksurteil des Einzelnen lässt sich aber nicht zur Norm für alle erheben, selbst wenn er sich damit sogar mit der Mehrheit einig ist.

Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: je mehr die Mehrheit sich einig darin ist, eine ungewöhnliche Interpretation abzulehnen, desto wichtiger ist diese Interpretation für die Auseinandersetzung mit dem Werk im Speziellen und für die Kunst im Allgemeinen. Weil sie den arroganten und unflexiblen Mainstream zumindest ein wenig demütig hält. Just my $0.02.
 
ich kann auch als Urheber Bearbeitungen nicht per se verbieten, schon zu Lebzeiten nicht

Meinst Du?

Zitat von § 23 UrhG:
Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen des Werkes dürfen nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden. Handelt es sich um eine Verfilmung des Werkes, um die Ausführung von Plänen und Entwürfen eines Werkes der bildenden Künste, um den Nachbau eines Werkes der Baukunst oder um die Bearbeitung oder Umgestaltung eines Datenbankwerkes, so bedarf bereits das Herstellen der Bearbeitung oder Umgestaltung der Einwilligung des Urhebers.

Grüße, Jörg
 
Weil sie den arroganten und unflexiblen Mainstream zumindest ein wenig demütig hält.

Danke für die Blumen .... demütigt bin ich sicher nicht. Nur ich kann mir sowas als "NICHT STAR" Pianist nicht erlauben. Ich begleite sehr oft Sopranistinnen und da darf ich mir null Freiheit erlauben. Ich bin leider kein Glenn Gould und auch kein Horowitz. Wenn du die Bachs Fuge in der falschen Tonart und im Schneckentempo als künstlerische Highlight betrachtest, ja nu. Sowas kann ich auch spielen und mache ich auch, nur in der Öffentlichkeit würde ich sehr wahrscheinlich ausgepfiffen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: je mehr die Mehrheit sich einig darin ist, eine ungewöhnliche Interpretation abzulehnen, desto wichtiger ist diese Interpretation für die Auseinandersetzung mit dem Werk im Speziellen und für die Kunst im Allgemeinen. Weil sie den arroganten und unflexiblen Mainstream zumindest ein wenig demütig hält. Just my $0.02.
Und genau das gilt zb für meine wichtigen Posts hier! Danke, dass diese Aussage das jetzt nochmal unterstreicht ! :-)

Ansonsten denke ich @rolf hat unrecht, warum soll ein Pianist nicht mal eine total seltsame Interpretation bringen, nur um cool zu sein, um Aufmerksamkeit zu erregen ? Aufmerksamkeit heisst Geld, Ruhm, etc, um Aufmerksamkeit dreht sich doch alles, gerade in einem Zirkus, wo es mehr Artisten als Trapeze gibt, wie lange wurde hier schon über die Rocklänge junger Pianistinnen diskutiert !!
 

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