Auf zwei vergessene bzw. hierzulande nur wenig bekanntgewordene Konzerte möchte ich hinweisen.
Nr.1 ist das Klavierkonzert von Franz Reizenstein (1911-1968 ), einem Hindemith-Schüler,
der 1933 seiner jüdischen Abstammung wegen nach England emigriert ist,
wo er den Kompositionsunterricht bei Ralph Vaughan Williams fortsetzen konnte.
Seinem einzigen Klavierkonzert mit dem anrüchigen Titel "Concerto popolare" merkt man
diese Herkunft nicht an. Sein hübscher Untertitel
"A Concerto to end all Piano Concertos"
parodiert nicht nur Roosevelts Ausspruch, mit dem letzterer den Einstieg der USA
in den zweiten Weltkrieg zu beschönigen versuchte ("a war to end all wars"), sondern ist auch
musikalisch gerechtfertigt - als ein Zusammenschnitt beliebter Konzertsaal-Klassiker:
Tschaikowsky, Grieg, Gershwin - kombiniert mit einer hierzulande unter dem Titel "Rosamunde"
bekanntgewordenen Polka des tschechischen Komponisten Jaromír Vejvoda.
Geschrieben wurde das Stück für den legendären Gerard Hoffnung (1925-1959),
dessen Biographie der Reizensteins sehr ähnlich ist: als Jude 1933 nach England geflohen,
hatte er im dortigen Musikleben Fuß gefaßt - allerdings als ein freiwilliger Außenseiter.
In seinen Karikaturen und den von ihm initiierten Musik-Festivals tritt ein hintergründiger Witz zutage,
der kompositorische Klischees und die Rituale des bürgerlichen Konzertbetriebs aufs Korn nimmt.
Zwei sehr würdige Nachfahren Gerard Hoffnungs sind Loriot und Peter Schickele alias P.D.Q.Bach.
Die Aufnahmequalität ist leider miserabel, das Gelächter des Publikums übertönt manche Pointe -
es ist trotzdem sehr kurzweilig, die Musik zu hören:
http://www.google.de/url?url=http:/...sg=AFQjCNGsrWzsb7DrIpIZ2Ut8N-bXx8aqfQ&cad=rja
Alles, was in Reizensteins Konzert vorsätzlich geschieht, bietet die Nr.2 der hier zu besprechenden Werke
eher unfreiwillig:
das Klavierkonzert "Der gelbe Fluß". Es besteht aus einem Sammelsurium pianistischer Unsitten
und Kraftgesten à la Tschaikowsky, Rachmaninow, wiederum Gershwin(!) - mitsamt einer Portion musikalischer Chinoiserie,
die an Partituren zu einem in China spielenden Hollywood-Film der 40er Jahre denken läßt.
Das Stück hat eine sehr verwickelte Entstehungsgeschichte, die den musikalischen Charakter teilweise erklärt.
Grundlage ist das 1939 entstandene Oratorium "Der gelbe Fluß" von Xian Xinghai (1905-1945), eines in der Sowjetunion
ausgebildeten Komponisten. Die Originalwerk ist mir nicht bekannt - es soll sich dabei um ein hochpatriotisches
Agit-Prop-Vokalstück handeln, das das chinesische Volk zum Widerstand gegen die japanischen Okkupanten
im zweiten Weltkrieg aufruft und nebenher die Führung der Arbeiter und Bauern durch die Kommunistische Partei Chinas preist.
Seine Umarbeitung zum Klavierkonzert erlebte das Werk angeblich auf Geheiß von Jiang Qing, der Ehefrau Mao-Tse-Tungs.
Verantwortlich zeichnete ein Komponistenkollektiv - die Überarbeitung stammt aus den Jahren der Kulturrevolution.
Heute wird der Pianist Xin Chenzong als Bearbeiter angegeben, der angeblich auch die Zitate der "Internationale"
und des Liedes "Der Osten ist rot" in den Tonsatz hineingeschmuggelt hat.
Der Sinn dieser Umarbeitung erschließt sich beim Hören sofort - es geht um das auskomponierte Führerprinzip.
Das Klavier gibt die Parolen vor, das Orchester übernimmt sie mit revolutionärer Begeisterung.
Man kann darüber die Nase rümpfen - wie auch über die Ansammlung musikalischer und pianistischer Klischees.
Aber die Naivität im Umgang mit diesen Klischees hat für mich etwas Entwaffnendes, genauso wie der Gegensatz
zwischen angestrebter Monumentalität und der Schlichtheit des musikalischen Materials:
http://www.google.de/url?url=http:/...sg=AFQjCNHUZcG9_e7_CysKyWV-ejv949vxgg&cad=rja
http://www.youtube.com/watch?v=U_FdVYhT1q0
http://www.google.de/url?url=http:/...sg=AFQjCNHEfauG8EURYtCaL-38sgXjpOr1Pg&cad=rja
http://www.youtube.com/watch?v=0u6-TCg9p_s&feature=related
Viel Freude beim Hören!
Gomez