Stakkato beim Hasche-Mann

Hallo in die Runde,

weil ich mich gerade auch mit den Kinderszenen-Tempi beschäftige, hier ein Hinweis auf einen Artikel von Kämper von 1964 (Link unten), der sicher für viele nichts neues enthält, aber die angebliche Streitfrage recht deutlich klärt.
Da wahrscheinlich nicht jeder an einem Rechner sitzt, der Vollzugriff darauf bietet, wiederhole ich hier seine beiden (sehr gut belegten) Hauptargumente gegen die s.E. unhaltbare These vom kaputten Metronom:

1) Clara hat die Metronomzahlen oftmals unverändert gelassen, und wenn sie sie geändert hat, dann manchmal nach oben, manchmal nach unten - wenn diese Änderungen aber aufgrund eines defekten M. erfolgt wären, hätten sie aber wohl stets in eine Richtung gehen müssen (und auch immer im gleichen Verhältnis). Dieses Muster zieht sich quer durch alle Opuszahlen, es lässt sich also auch schwer argumentieren, dass das M. halt eben mal kurz hinüber gewesen wäre. Als Erklärung bietet sich daher vielmehr 2) an, dass nämlich Robert (und andere Zeitgenossen) an Claras Klavierspiel mitunter manches auszusetzen hatten (belegt durch Einträge im Ehetagebuch, Zeitungskritiken, etc.). Es gab zwischen den Eheleuten also schlichtweg divergierende Auffassungen über den korrekten Vortrag.

http://www.jstor.org/stable/930275
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
für mich ist nicht einmal schrecklich, dass du in diesem "Austausch" weder Ironie noch Humor bemerkst :D:D

Wie auch, wenn weder Ironie noch Humor drin ist? Offensichtlich denken wir beide über Kreuz genau gas gleiche über die Beiträge des jeweils anderen.

(a la Colombo) ob jeder so spielt, wie es ihm gefällt? ...bezweifel ich erheblich: die meisten spielen gerade so, wie sie "können"...

Ja, da ist sicher ein Funken Wahrheit dran - allerdings in beide Richtungen. Wer es nicht besser kann, spielt es so, wie er kann. Und wer es besser kann, spielt es dann auch so wie er kann, nur weil er es kann. Was dann wirklich "besser" ist, wrd im Einzelfall zu beurteilen sein.
 
Tempi in den Kinderszenen

Hallo in die Runde,

weil ich mich gerade auch mit den Kinderszenen-Tempi beschäftige, hier ein Hinweis auf einen Artikel von Kämper von 1964 (Link unten), der sicher für viele nichts neues enthält, aber die angebliche Streitfrage recht deutlich klärt.
Da wahrscheinlich nicht jeder an einem Rechner sitzt, der Vollzugriff darauf bietet, wiederhole ich hier seine beiden (sehr gut belegten) Hauptargumente gegen die s.E. unhaltbare These vom kaputten Metronom:

1) Clara hat die Metronomzahlen oftmals unverändert gelassen, und wenn sie sie geändert hat, dann manchmal nach oben, manchmal nach unten - wenn diese Änderungen aber aufgrund eines defekten M. erfolgt wären, hätten sie aber wohl stets in eine Richtung gehen müssen (und auch immer im gleichen Verhältnis). Dieses Muster zieht sich quer durch alle Opuszahlen, es lässt sich also auch schwer argumentieren, dass das M. halt eben mal kurz hinüber gewesen wäre. Als Erklärung bietet sich daher vielmehr 2) an, dass nämlich Robert (und andere Zeitgenossen) an Claras Klavierspiel mitunter manches auszusetzen hatten (belegt durch Einträge im Ehetagebuch, Zeitungskritiken, etc.). Es gab zwischen den Eheleuten also schlichtweg divergierende Auffassungen über den korrekten Vortrag.

JSTOR: An Error Occurred Setting Your User Cookie

Guten Tag,
auch wenn ich bisher eigentlich nur mitlese, gebe ich jetzt doch meinen Senf zur Tempofrage der Kinderszenen hinzu.
Ich finde es seltsam, dass kaum ein Pianist die angegebenen Tempi zumindest bei einigen Szenen ernst zu nehmen scheint. Das Problem ist ja, dass wir ausser poetischen Titeln sonst keinerlei Angabe zum Tempo ausser diesen Metronomzahlen haben.
Zudem ist es keineswegs so, dass die Metronomzahlen von Schumann grundsaetzlich viel schneller sind als das von vielen Pianisten gewaehlte Tempo, es gibt naemlich eine Ausnahme: "Glueckes genug" wird von vielen, soweit ich es im Ohr habe, viel schneller gespielt als es der Metronomangabe von Schumann entspricht. Selbst wenn Schumann ein "kaputtes" Metronom gehabt haette, muesste man ja wenigstens versuchen, die Temporelationen zwischen den Stuecken einigermassen Schumann gemaess zu realisieren. Dies wird aber haeufig nicht gemacht. Hier nur meine ganz persoenliche Meinung zu den Tempi, die ich sozusagen "werksimmanent" motivieren moechte:

"Von fremden Laendern und Menschen": Wenn man die Melodie der rechten Hand ohne jede Begleitung singt, wird fuer mich klar, dass das ueblicherweise gewaehlte Tempo viel zu langsam ist. Die Triolenachtel der Mittelstimme sollen nur Farbe geben und nicht zur eigentlichen (zweiten) Singstimme werden. Schumann wiederholt auszerdem das Thema viele Male. In langsamem Tempo verliere ich irgendwie den Zusammenhang in dem Stueck.
"Kuriose Geschichte" und "Haschemann" werden meist in etwa in dem von Schumann geforderten Tempo gespielt.
"Bittendes Kind": Schumann verlangt ein relativ rasches Tempo. Die einzelnen Phrasen scheinen mir die jeweils gleiche Bitte mit gewissem Nachdruck vorzutragen und koennten fast etwas "quengelig" sein. Meiner Auffassung nach waere ein "meditativ" bittendes Kind auch tatsaechlich unnatuerlich und damit Schumanns Tempo gerechtfertigt.
"Glueckes genug": Das Kind hat seine Bitte erfuellt bekommen und spielt selig damit. Aber es beschaeftigt sich selbst in ruhiger Art und Weise, warum sollte hier so ein fast rasender Ueberschwang herrschen, wie oft dargeboten? Schumann wuenscht sich "Glueckes genug" sogar ein klein wenig langsamer als "Bittendes Kind" (zumindest in den von der Henleausgabe gebotenen Metronomzahlen, die uebrigens auch nicht urspruenglich von Schumann zu stammen scheinen wie man der Wiener Urtextausgabe entnehmen kann). Das Da capo ist ungewoehnlich, inhaltlich (das Gluck hoert nicht mehr auf!) aber durchaus nachvollziehbar.
"Wichtige Begebenheit": Meist ungefaehr im Originaltempo dargeboten.
"Traeumerei": Das uebliche langsame Tempo ist fuer mich unverstaendlich, denn "Traeumerei" hat fuer mich nichts mit "Einschlafen" zu tun, das kommt ja erst in Nummer 12! Ich stelle mir eher ein in einem Baumhause sitzendes Kind vor, das seinen Gedanken, "Tagtraeumen", Traeumereien nachhaengt. Die einzelnen Stimmen sind fuer mich die immer wieder aus den Tiefen der Phantasie auftauchenden und dorthin abtauchenden Gedanken, verschlungen in sich, teilweise kurios (siehe eigenartige Dezimenakkorde am Schluss!). Alles bewegt sich aber. Die Wiener Urtextausgabe referiert neben MM=80 (was immer noch schneller als viele der ueblichen Interpretationen ist) auch MM=138 fuer Viertel, wenn ich mich recht erinnere (oder war's MM=118? jedenfalls deutlich ueber 100).
"Am Kamin": Ich stelle mir eine Gesellschaft vor, die sich unterhaelt. Kaum anzunehmen, dass die Leute alle getragen deklamieren.
"Ritter vom Steckenpferd": Alle spielen lebhaft, auch wenn Schumanns Tempo nicht ganz erreicht werden mag. Die Baesse heutiger Instrumente klingen doch laenger und dicker, so dass ein etwas langsameres Tempo vielleicht sogar notwendig ist.
"Fast zu ernst": Schumann will es offenbar relativ rasch, ausserdem wurde schon bemerkt, dass die Synkopen bei den meisten nicht hoerbar sind. Ja, die Baesse sollen die "eins" fuehlbar machen. Das geht in etwas rascherem Tempo viel einfacher, ist in langsamem Tempo vielleicht fast unmoeglich. Die Deklamation der einzelnen Phrasen mit "erhobenem Zeigefinger" wird erst in dem schnelleren Tempo fuer mich nachvollziehbar.
"Fuerchtenmachen", "Kind im Einschlummern": Letzteres wird wohl oft zu langsam gespielt. Bei diesem Stueck stoert es mich nicht ganz so stark, aber es passt dann nicht mehr zu den anderen...
"Der Dichter spricht": Auch oft sehr langsam dargeboten. Das finde ich dann wirklich zum "Einschlafen". Auch wenn der Dichter (Schumann selbst!) hier in der Rueckschau auf seine eigene Kindheit spricht, so deklamiert er doch. Er ist sicher nachdenklich aber spricht meiner Meinung nach sicher nicht in Zeitlupe. Also lieber doch Schumanns Tempoangabe nicht voellig ueber Bord werfen.

Im allgemeinen kann man vielleicht sagen, dass viele Metronomangaben bei Beethoven, Chopin, Schumann und anderen uns recht rasch erscheinen, auch muss man vielleicht auf den heutigen Instrumenten, in den heutigen groesseren Saelen mit mehr Hall langsamer spielen als auf den leichtgaengigen Klavieren der damaligen Zeit. Ausserdem sind vielleicht Temposchwankungen in modernen Interpretationen weniger ausgepraegt (man hoere sich z.B. Aufnahmen Artur Schnabels oder Eugene d'Alberts im Vergleich mit solchen Alfred Brendels oder Friedrich Guldas an), trotzdem scheint es mir bei einigen Kinderszenen zu absoluten Tempoverzerrungen zu kommen, die musikalisch fuer mich fragwuerdig sind. Um hier ein wenig zu provozieren: Selbst Horowitz spielt die "Traeumerei" aber auch "Von fremden Laendern und Menschen" immer noch ziemlich langsam. Trotzdem ist seine Interpretation natuerlich faszinierend poetisch. Unertraeglich langsam finde ich allerdings die Traeumerei von Lang Lang (es gibt viele Aufnahmen von ihm, manche sind sehr langsam, andere wieder etwas weniger unertraeglich). Ich kenne jetzt keinen beruehmten Pianisten, der in etwa Schumanns Tempi realisiert, am ehesten noch Horszowski (aber da gibt es wieder andere Probleme).
Zur Interpretation insgesamt sehr heikel: Will man gegen alle Interpretationskonvention verstossen, realisiert man zwar vielleicht die Partitur annaehernd so wie sie dasteht, aber der Interpretationshistorie wird in keinster Weise Rechnung getragen. Das schockiert erst einmal die Hoerer. Diese werden sich dann kaum auf die Stuecke einlassen und sie mit neuen Ohren hoeren. Also hat man als Interpret verloren. Das ist schade. Vielleicht ein Zyklus fuer das stille Kaemmerlein und nicht fuer den Konzertsaal...
Jannis
 
Will man gegen alle Interpretationskonvention verstossen, realisiert man zwar vielleicht die Partitur annaehernd so wie sie dasteht, aber der Interpretationshistorie wird in keinster Weise Rechnung getragen.
...muss man der Rezeptionsgeschichte*) denn folgen, wo sie falsch ist?

Nein. Muss man nicht, soll man auch nicht.
Ein Exempel: lange Zeit glaubte man, dass Dostojewskis Romane zwar gehaltlich genial, aber formal unstrukturiert seien - bis Bachtin entdeckte, dass es sich um eine neuartige formale Konzeption handelte: seitdem spricht man vom "polyphonen Roman".
Vergleichbares gibt es auch in der Rezeptionsgeschichte von Musik, man denke an Wagner (Stichwort "Sprechgesang")
Schumanns Metronom ging weder falsch, noch sind seine Metronomzahlen unauthentisch - damit muss man halt irgendwie vernünftig umgehen :):):)

________________
*) ich nehme an, dass du das mit "Interpretationshistorie"meinst
 
...muss man der Rezeptionsgeschichte*) denn folgen, wo sie falsch ist?

Nein. Muss man nicht, soll man auch nicht.
...
Schumanns Metronom ging weder falsch, noch sind seine Metronomzahlen unauthentisch - damit muss man halt irgendwie vernünftig umgehen :):):)

________________
*) ich nehme an, dass du das mit "Interpretationshistorie"meinst

Ja Rolf, da bin ich ganz Deiner Meinung. Allerdings musz ich sagen, dasz mein Publikum sowohl bei "Von fremden Laendern und Menschen", als auch "Bittendem Kind", "Glueckes genug" und "Traeumerei" eher ratlos war: "Warum spielen Sie "Glueckes genug" so langsam, die anderen aber so schnell?" Man musz das immer erklaeren und die Leute darauf vorbereiten, sonst scheinen sie vom Tempo irritiert zu sein und den Rest nicht mehr zu beachten (es ist aber auch moeglich, dasz ich eben "schlecht" spiele, bin ja nur Laie). Uebrigens scheint die Beschleunigung von "Glueckes genug" gegenueber "Bittendem Kind" und die Verlangsamung der "Traeumerei" mindestens mit Clara Schumanns Schuelerinnen eingesetzt zu haben. Es gibt da sehr interessante, den alten Interpretationsstil mit vielen Ritardandi und Arpeggien zeigende Aufnahmen von Adelina de Lara bzw. Fanny Davies. Ein Beispiel der Erstarrung der Tempi bei "Von fremden Laendern und Menschen" bzw. der "Traeumerei" laesst sich bei der mir bekannten Aufnahme Alexis Weissenbergs finden. Dafuer rast er "Glueckes genug" unglaublich durch. Naja, ich spiele auf meine Art und hier auch absolut ohne schlechtes Gewissen :). Ich finde die Kinderszenen aber immer heikel. Da mein Publikum aber haeufig aus aelteren Herrschaften besteht, sind da viele Dinge heikel, fuer Schubertsonaten fehlt die Geduld, Liszt ist "zu laut" usw. Am besten die kuerzeren Chopin-Etueden wie op10,5, irgendwelche Mazurken, Nocturnes (aber nicht die spaeten), aber das ist ein anderes Thema...
 
Man musz das immer erklaeren und die Leute darauf vorbereiten
ja, wo der Unterschied zwischen Rezeptionsgewohnheiten und Werkrealisierung sehr groß ist, da ist das nötig - nicht anders war das in der Oper mit der Abkehr vom Sprechgesang und Orchesterbombast in der Wagnerinterpretation (und da gab es nicht nur wegen der Inszenierung, die heute als vorbildlich gilt, empörtes Buhuhu zum Ring des Nibelungen mit Boulez), nicht anders war das mit dem damals als kalt, sachlich und unromantisch beharkten Chopinspiel von Rubinstein.
 
ja, wo der Unterschied zwischen Rezeptionsgewohnheiten und Werkrealisierung sehr groß ist, da ist das nötig - nicht anders war das in der Oper mit der Abkehr vom Sprechgesang und Orchesterbombast in der Wagnerinterpretation (und da gab es nicht nur wegen der Inszenierung, die heute als vorbildlich gilt, empörtes Buhuhu zum Ring des Nibelungen mit Boulez), nicht anders war das mit dem damals als kalt, sachlich und unromantisch beharkten Chopinspiel von Rubinstein.

Ja, lieber Rolf, das ist sehr wahr. Allerdings, auf mich bezogen, es muss natuerlich auch eine gelungene neue Darstellung sein, die kuenstlerisch ueberzeugt. Die beste Absicht kann natuerlich an der Ausfuehrung scheitern. Deswegen ist vielleicht auch die "Originalklangszene" irgendwann etwas in Verruf geraten: Es gab oder gibt natuerlich Leute, die diese als Nische fuer sich entdecken und ihre mangelnde kuenstlerisch Aussagekraft mit "Originalklang" zu uebertuenchen versuchen. Wie gesagt, ich bin da nicht unbedingt die wirklich berufene Person. Trotzdem spiele ich natuerlich meinen Ueberzeugungen gemaess so wie ich sie oben dargelegt habe. Irgendwie fuehrt das jetzt aber natuerlich sehr weit weg von Schumann und zu Sinn und Unsinn von Musikauffuehrungen durch Laien. Wobei ich sagen musz, im privaten Rahmen finde ich nahezu alles erlaubt, Experimente sollen und muessen sein. Wenn ich allerdings Geld dafuer verlangte, haette ich ein persoenliches Problem damit. Trotzdem, ja die Berufsmusiker koennten jetzt "buhu" schreien: "Der will unsere Preise verderben". Nein, da kann ich die Berufsmusiker beruhigen, ich hoffe eher, dass die Zuhoerer denken: "Ach, das wollen wir doch jetzt einmal in einem "richtigen" Konzert erleben". Ohne musizierende Laien gibt es auch keine Hochkultur, denke ich. Deswegen gehe ja auch ich ins Konzert!
Tja, das waere jetzt wohl ein anderer thread, auf jeden Fall vielen Dank fuer Deinen Zuspruch, Rolf.
Jannis
 

Zurück
Top Bottom