Sprünge: Hören vs. Entfernungsgefühl vs. innere Tastenorientierung vs. Sicherheitshaptik

  • Ersteller Ersteller Ruhrwestfale
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  • #21
Oh, da war jemand schneller!
Hatte gerade das getippt:
Ob Handy, Ball oder Akkord: es braucht die ausgebildete Fähigkeit einer Antizipation der Physiognomie des jeweiligen Akkords bzw. Objektes. Wenn das noch nicht vorhanden ist, oder für den konkreten Akkord noch nicht vorhanden ist, braucht es ja schon erst mal den Aufbau des Griffgefühls a la Schlüssel und Schloss.
Wenn man bei vorhandenem antizipierten Griffgefühl eine Superzeitlupe machen würde das wahrscheinlich so aussehen, dass zunächst in der 'Wurfphase' eine grobe Vorformung stattfindet, die bereits so eine Art Keim der späteren exakten Form bildet, also Expansion oder Zusammenziehung, Ober/Untertasten-Niveaus incl. passend voreingestellter Handgelenksachsen, etc., und erst in der Endphase des 'Wurfes' dann die konkrete Einfügung in die Tastaturlandschaft stattfindet.
 

  • #22
Also in der "Wurfphase" ganz am Anfang sehe ich eher vor allem die möglichst blitzschnelle Entspannung, vor allem bei weiten Griffen also immer eher ein Zusammenziehen der Finger. Man sieht bei manchen Pianisten sogar, wie die ganze Hand am Handgelenk herunterklappt. Aber irgendwann geht es dann ja doch in Richtung exakten Griffs bereits in der Luft. Von daher sehe ich keinen direkten Widerspruch in Demians und Micks Aussagen.
 
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  • #23
Die Fragen von Akkordformungen führen aber vielleicht auch etwas weg vom Thema der Sprünge?
Habt ihr mal drauf geachtet, was im Gehirn abläuft (sofern das zu beurteilen ist) bzw. wie das Ergebnis ist, wenn ihr einen entlegenen Ton isoliert nach Optik (Tastaturbild) oder nach Klangantizipation versucht zu treffen oder treffen zu lassen?
Habt ihr da mal Versuche mit euch selbst oder Schüler:innen gemacht?
Wie geht ihr (mal abgesehen von sehr schnellen Sprungfolgen) mit der Thematik kurzen absichernden Vorfühlens um?
 

  • #24
Von daher sehe ich keinen direkten Widerspruch in Demians und Micks Aussagen.
Der Widerspruch ist hier:
Bei Sprüngen in Akkorde ist es zudem noch nützlich, wenn die Finger bereits in der Luft so geformt werden, wie sie am Ziel gebraucht werden. Es ist auch sinnvoll, sich nacheinander auf einzelne Finger zu konzentrieren.
Das impliziert, als müsse man aktiv und bewusst in der Luft den nächsten Akkord vorformen.
 
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  • #25
Das "aktiv und bewusst" zu machen, ist vielleicht ja auch für die allererste Übephase gut. Wie soll man etwas unbewusst geschehen lassen können, wenn es nicht vorher geübt wurde und man noch keine Routine darin hat? Vielleicht greift ein Kleinkind auch erstmal nicht so sicher zu, wenn er das ersehnte Handy in der Hand haben will.

Das sich beim Klavierspiel Routine einstellt bei solchen Dinge und man sich das irgendwann nicht mehr bewusst machen muss, ist klar.
Wichtig ist nur, dass diese Dinge passieren. Und da kann es nicht schaden, anzuführen, was dazu nötig ist.

Ist es nicht eines der wesentlichen Dinge bei der Tastenorientierung bei Sprüngen oder allgemein beim Schnellspiel, dass die Finger und die Hände schon vor dem Tastendruck möglichst geschmeidig in die Richtung gehen und dann da sind, wo sie sein sollen?

Und es kann nicht schaden, das durchaus im sehr langsamen Tempo bewusst zu üben - in der Form, das Entspannen am Anfang und die Handhaltung am Ende möglichst rasch durchzuführen und zu Erleben. Dann klappt es auch bei höherem Tempo - unbewusst, wenn es verinnerlicht wurde durch allgemeine Routine oder direktes Üben.
 
  • #26
Wenn man sein Handy vom Tisch hochnimmt, bringt man ja auch nicht unterwegs die Finger in eine spezielle "Greifposition".
Gerade getestet:
Weg ca. 60 cm. Ab kurz vor der Hälfte formt sich bei mir die Hand automatisch in Greifposition, die bei ca. 3/4 der Strecke "fertig" ist.
 
  • #27
Der Widerspruch ist hier:

Das impliziert, als müsse man aktiv und bewusst in der Luft den nächsten Akkord vorformen.
Gemeint war eher, die Hand durch die Fingerform bereit zu machen für den nächsten Griff. Vielleicht habe ich mich vorher missverständlich ausgedrückt. Das Ziel ist ja die Sicherheit beim Eintreffen am Ziel. Und, wie gesagt, dass das alles entspannt passieren soll, ist sowieso klar. Es geht auch nicht darum, z.B. bei einem Sprung in eine Oktave schon mit der Oktavspannung zu springen, sondern kurz vorn Eintreffen am Ziel die Oktavsicherung zu nutzen.
 
  • #28
Gemeint war eher, die Hand durch die Fingerform bereit zu machen für den nächsten Griff.
Das Problem ist das aktive "Machen". Das Wesen eines Schwungs ist, dass man einen Anfangsimpuls setzt und dann bis zum Ende nicht mehr willentlich eingreift. Sobald man das nämlich tut, ist es keine Schwungbewegung mehr. Die innere Vorstellung des Zielgriffs ist selbstverständlich wichtig beim Auslösen des Schwungs; schließlich entscheidet sie über die Ausführung des Impulses. Aber in der Flugphase kann man - jedenfalls bei schnellen Sprungfolgen - nichts mehr korrigieren. Wenn man den Absprung versaut hat, wird der Sprung patzen. Ein bewusstes Eingreifen rettet hier nichts, sondern macht alles nur schlimmer.

Ich habe eine recht aufschlussreiche Erfahrung gemacht, als ich die Sprungstelle im Mephisto-Walzer gelernt habe. Wenn man versucht, diese Sprünge so kontrolliert wie möglich zu spielen, kann man zwar fehlerfrei durchkommen. Aber wehe, es passt etwas nicht hundertprozentig und man versucht, das aktiv zu korrigieren: selbst, wenn es gelingt, gehen die restlichen Sprünge der Stelle mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Grütze. Konzentriert man sich nur auf die Anfangsimpulse, passiert nichts weiter, wenn man eine der Oktaven nicht sauber trifft - man spielt ganz locker bis zum Ende. Und das Erstaunliche ist, dass man viel weniger falsche Noten spielt, wenn man die bewusste Kontrolle über die Sprungphase aufgibt.

Deshalb rate ich so vehement davon ab, sich Gedanken darüber zu machen, was man bei Sprüngen "in der Luft" machen soll oder nicht. Gar nichts soll man machen. Das Sprungziel muss unmittelbar beim Absprung in der Bewegungsvorstellung klar sein, danach muss man den Sprung einfach geschehen lassen.
 
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  • #29
Ähnliche Erfahrungen hatte ich beim Presto Thema der 5. Scriabin Sonate!
 
  • #30
Was hier bisher nicht erwähnt wurde, ist, dass die Dinger, auf denen wir spielen "Tasten" heißen. Dann sind sie netterweise so auf dem Klavier angeordnet, dass die schwarzen erhaben sind. Die Klaviatur ist wie eine Brailleschrift: Man erfühlt sie.
Die Finger, die nicht am direkten Griff beteiligt sind, geben die Information, wo er liegt.
Beispiel: E-dur Grundreiklang oktavierend spielen. Dritter Finger soll das gis spielen. 2 und 4 fühlen unmittelbar vor dem Anschlag das fis und das ais und wissen: Wir sind hier richtig!
Erstaunlicherweise geht das auch im schnellen Tempo. Wir sind so fix im Hirn, man glaubt es nicht! ;-)
Ich probiere so etwas oft mit meinen Eleveninnenen aus und es klappt immer. Blind! Sie sind oft sehr erstaunt, wie leicht sich das Klavier über das Haptische erfahren lässt. Der grobe Abstand zwischen den Oktaven lernt sich schnell.
 
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  • #31
Das meinte ich im Threadtitel mit 'Sicherheitshaptik'.
Das mit hohem Tempo muss ich mal in Ruhe erkunden. Spontan würd ich jetzt sagen, dass das nicht in allen Situationen gilt, bzw. nicht immer praktikabel ist. Z.B. bei schnellem Sprung auf Untertaste weit aussen, wobei es theoretisch natürlich auch möglich wäre bei einzelnem Zielton mit 5 dann 1 in der darunterliegenden bzw. innenliegenden Oktave als haptische Sicherheit zu nutzen.
 
  • #32
Was ich noch sehr wichtig finde:

1. Es gibt aus meiner Sicht wenig echte Sprünge in der Klavierliteratur. Ejnige Werke wurden schon genannt, auch Asturias gehört dazu. Oft werden aber auch Begleitmuster bei Walzern, manche weiter entfernte Töne in Chopins op. 25,1 u.v.a. so genannt. Das halte ich für einen Fehler.

Viel besser ist es, "gleiten" statt "springen" zu denken. Es hilft auch, den vermeintlichen Sprung nicht von den Fingern/Händen her oder von den Entfernungen auf der Klaviatur her zu denken, sondern vom Körper her. Wenn wir beim Frühstückstisch sitzen, denken wir auch nicht "Oh, jetzt muss ich versuchen, den Salzstreuer zu treffen, was für ein Sprung!". Vom Körper, von den Armen her gedacht ist dies kein Sprung. Unser Arm ist lang und wenn der sich hin und her bewegt, während der Körper stabil und sicher sitzt, "springen" wir nicht am Frühstückstisch.

Am Klavier genauso. Vom Körper her ist es ganz einfach, das große C und eingestrichene c' schnell nacheinander zu spielen. Der linke Arm bewegt sich einfach etwas nach rechts. Verbindet man diese Töne dann noch mit einer fließenden, oft elliptischen Bewegung, fühlt sich das überhaupt nicht nach "Sprung" an.

2. Bei einem vermeintlichen oder echten Sprung hilft auch folgendes:

Nehmen wir als Beispiel eine Walzerbegleitung. Unten erklingt der Basston, in der Mittellage erklingt der begleitende Akkord. Der ist nun sehr viel leichter zu finden, wenn der mittlere Ton des Akkords als Zielpunkt festgelegt und anvisiert wird. Die anderen Finger gruppieren sich dann einfach drum herum und so kann man die Hand während des Wurfs, Schwungs, Impulses ganz locker und entspannt halten. Ich nenne den Finger, der sich zu diesem Zielpunkt bewegt, Führfinger. Dies hat auch mit der von @Tastatula angesprochenen Haptik zu tun.

Man kann dazu auch einen konkreten Punkt auf der zum mittleren Ton (oder den mittleren Tönen) gehörenden Taste anvisieren und sich dort einen Magneten vorstellen, zu dem Arm und Hand unweigerlich gezogen werden, so dass sie gar nicht woanders landen KÖNNEN. Genauer habe ich das unter den Übetipps auf meiner Website beschrieben (runterscrollen).

Ein gutes Buch ist ja "Zur Psychologie des Klavierspiels" von W. Bardas. Dort schreibt er neben der so wichtigen "kleinen Hand" auch von der "imaginären großen Hand". Es lohnt sich, die entsprechenden Passagen zu lesen. Wenn man sich bei Sprüngen eine solche imaginäre große Hand vorstellt, verliert man die Angst und empfindet die Klaviatur als ein gemütliches schönes Wohnzimmer, in dem man sich gerne aufhält, sehr gut auskennt und eben auch bewegt. :D


Liebe Grüße

chiarina
 
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  • #33
Eine kleine Anmerkung:
Ich finde es aus grifftechnischrn und vor allem aus klanglichen Gründen zweckmäßiger bei Walzer,- Polka-, Mazurka-, ... Begleitmuster nicht den mittleren, sondern den oberen (meist den linken Daumen) als Zielton anzuvisieren!
 
Zuletzt bearbeitet:
  • #34
Magnet und Saugnapf an den Fingerspitzen sind ausgesprochen hilfreiche Vorstellungen!
 
  • #35
Bardas ist sehr lesenswert. Gibt es als Neuauflage!
 
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  • #36
Wenn wir beim Frühstückstisch sitzen, denken wir auch nicht "Oh, jetzt muss ich versuchen, den Salzstreuer zu treffen, was für ein Sprung!". Vom Körper, von den Armen her gedacht ist dies kein Sprung. Unser Arm ist lang und wenn der sich hin und her bewegt, während der Körper stabil und sicher sitzt, "springen" wir nicht am Frühstückstisch.
Ein wunderbares Beispiel! Daran erkennt man Klavieranfänger: Sie trauen sich nicht, nach dem Salzstreuer zu greifen... ;-)
@chiarina, ja genau so ist das Klavier. Es ist unser Freund. So ein schönes Bild vom Wohnzimmer.:herz: Und es sollte immer bequem sein, dann macht man es richtig.
Gut, das Hirn darf sich ruhig anstrengen...
 
  • #37
Mir hat @rolf Beitrag damals geholfen:

@
@rolf gebraucht manchmal eine tolle Metapher, die mir persönlich auf die Sprünge geholfen hat: Die Hand agiert wie ein "Krake". Also scheinbar "fließt" sie wie die Arme eines solchen Tieres auf die Tasten. Schau Dir mal ein Video von einem Kraken an, vielleicht macht´s dann "klick".
@Barrat
der Tintenfisch passt sich geschmeidig und ohne nachdenken oder raisonieren an seine Umgebung an.
Genauso geschmeidig kann man sich an die Grifffolgen am Klavier anpassen.
Vermeintlich zu weitgriffige Griffe sind sehr oft eben doch "greifbar" - das hab ich oft genug im Unterricht erlebt. Buhu Dezimen buhu -- und dann klappt's halt doch... die Metapher vom Tintenfisch betrifft das entspannte fühlen von Tastengriffen
 

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