technisch ist die Aufnahme von so schlechter Qualität, daß man außer Rauschen eigentlich fast gar nichts hört.
Dazu eine kurze Erklärung zum Anlass dieser Aufnahmesitzung. Theo Wangemann sollte in seiner Eigenschaft als Angestellter von Thomas Edison die Stimmen namhafter Persönlichkeiten der Zeitgeschichte akustisch einfangen und begab sich im Herbst 1889 auf eine ausgedehnte Europareise, um über den Jahreswechsel 1889/90 hinaus "Grußbotschaften an Edison" aufzunehmen. Etliche dieser Zylinder sind erhalten geblieben, vieles ist aber verloren gegangen, verschollen oder offensichtlich zerstört worden. Und längst nicht jeder Ansprechpartner war von dem Gedanken begeistert, Akustisches für die Ewigkeit festzuhalten. Der britische Komponist Arthur Sullivan verband seinen Glückwunsch mit der Einschätzung, dass so leider auch Minderwertiges die Zeiten überdauern könne, das man lieber nicht festgehalten hätte.
Brahms äußerte sich brieflich durchaus angetan von dieser Innovation und Mauricio Kagel lässt ihn als sprechenden Darsteller in seinen "Variationen ohne Fuge" mit einem entsprechenden Zitat zu Wort kommen. Wenn wir schon mal beim gesprochenen Wort sind: Andere Versuche, die kaum verständliche Ansage zu verstehen, gelangen zu einem plausibleren Resultat. Zunächst pflegte Theo Wangemann kurz die Rahmenbedingungen der Aufnahmesitzung zu benennen, nicht ohne sich dabei auch schon mal im Datum zu irren und nach dem Jahreswechsel nach 1890 immer noch die Jahreszahl 1889 anzusagen. Hier ist die Angabe "Dezember 1889" klar zu vernehmen. Weniger klar erkennbar ist die nervös klingende und mit erhobener Stimme gesprochene folgende Äußerung, die in der Tat von Brahms selbst stammen soll. An anderer Stelle ist der Wortlaut wiedergegeben mit "Grüße an Herrn Doktor Edison!
My Name is Brahms, (Doktor) Johannes Brahms!" - halte ich für plausibler.
Zum Weiterlesen:
http://www.cylinder.de/deeplink_resource_brahms.html
Ich "verehre" Brahms zum Beispiel nicht, aber ich messe solchen Dokumenten trotzdem einen unschätzbaren (historischen) Wert bei.
Andernorts spricht man gerne vom editorischen Wert und meint damit wohl dasselbe. Immerhin ist ein solches Dokument die einzige Möglichkeit, die persönliche Anwesenheit irgendwie noch erahnen zu können, zunächst ein faszinierender Gedanke. Wissenschaftlich-künstlerischer Nutzen ist jedoch nur sehr eingeschränkt oder fast nicht zu erwarten. Dazu ist zu wenig darauf zu erkennen oder die Aufzeichnung unter verfälschenden Rahmenbedingungen zustande gekommen. Vor allem sollte man künstlerische Auffassungen im Spiegel ihrer jeweiligen Entstehungszeit begreifen können. Könnten wir noch ältere Audiodokumente hören und würden diese mit ästhetischen Maßstäben der Gegenwart bewerten, wären wir vermutlich belustigt, enttäuscht oder sogar entsetzt. Bereits Einspielungen des beginnenden 20. Jahrhunderts mit namhaften Pianisten (die es bereits in stattlicher Anzahl gibt) befremden durch asynchrones Anschlagen von Stimmen, durch sehr individuelle Tempowahl und -führung und vor allem durch viel größere Freiheiten beim Umgang mit einem ausgeschriebenen Notentext den unvorbereiteten Hörer unserer Tage gewaltig. Es ist davon auszugehen, dass das Befremden eher noch ausgeprägter wäre, wenn wir mit heutigen Ohren Wolfgang Amadeus Mozart und andere musizieren hören könnten. Vielleicht ist es gut, dass man darüber nur spekulative Vermutungen anstellen kann, weil es eine Aufnahme aus dieser Zeit nicht gibt...!
LG von Rheinkultur