Operninszenierungen: Hinweise, Empfehlungen und Kritik

  • Ersteller des Themas Ambros_Langleb
  • Erstellungsdatum

Ansonsten sage ich mit Pierre Boulez: "Sprengt die Opernhäuser in die Luft!"
...ja @mick wenn du dann nach diesem provokativen Spruch wie Herr Boulez agierst, nämlich verdammt gut in ungesprengten Opernhäusern dirigierst (Jahrhundertring, Parsifal etc), dann ist alles in Butter - und der Spruch damals wie heute obsolet ;-):drink:

...übrigens erstaunlich, dass man das Bühnengeschehen mit tagesaktuellen Bezügen anreichern soll, indes aber die "altertümliche" Begleitmusik unverändert lassen soll... wenn diese Notwendigkeit bestünde, müsste man daraus schließen, dass die Librettisten (Leute wie Hofmannstal u.a.) weniger taugen als die Tonsetzer, weil sie nicht fähig sind, über die eigene Generation hinaus gültiges zu schaffen...;-)
 
dass man das Bühnengeschehen mit tagesaktuellen Bezügen anreichern soll

Das habe ich weder geschrieben noch gemeint. Aber wenn man einzig historisierende Inszenierungen gelten lässt, sollte man beim Besuch einer Händel-Oper konsequenterweise auch eine gepuderte Perücke überziehen. :-D


Der war allerdings nicht nur wegen Boulez' Dirigat ein epochales Ereignis, sondern (mindestens) ebenso wegen des verpönten "Regietheaters" von Patrice Chéreau.

Ich habe an keiner Stelle geschrieben, dass ich jede noch so abgedrehte Regiearbeit toll finde. Es gibt sehr gute Regisseure ebenso wie sehr schlechte Regisseure, die eine Operninszenierung in erster Linie als Vehikel ihrer Selbstdarstellung sehen. Und auch ein sehr guter Regisseur wird nicht jedes Stück zum Ereignis inszenieren können. Aber wer nicht bereit ist, die Möglichkeit des Scheiterns zu akzeptieren, wird sich mit Mittelmaß zufrieden geben müssen.

Es ist eigentlich genau so wie bei Pianisten: Im Konzert erwarte ich, dass der Künstler seine individuelle Sicht auf ein Werk zeigt. Um das nicht misszuverstehen: eine individuelle Sicht bedeutet nicht, jedes Stück gegen den Strich zu bürsten, im Gegenteil - es bedeutet, bestimmte Aspekte eines Werks zu beleuchten, Strukturen herauszuarbeiten, die unter der Oberfläche schimmern, Klangfarben so zu mischen, dass neues, bisher vielleicht noch nicht Gehörtes zur Wahrnehmung kommt etc. Fehlt dem Pianisten dazu die Fantasie, interessiert er mich nicht. Und ja - auch hier besteht das Risiko, dass eine Interpretation über's Ziel hinausschießt und dem Publikum unverständlich bleibt. Auch den ganz Großen passiert das - Glenn Gould ist vielleicht das beste Beispiel.

Und alle Gemäldegalerien der früheren Meister gleich mit. Zumindest sollte man das Zeuchs freigeben zum Übermalen, Übersprühen! Wer will heute die alten Rembrandt-Schinken schon noch sehen.... :lol:

Du magst das lustig finden, aber es zeigt nur, dass du Boulez' Intention nicht verstanden hast. ;-)

Nach wie vor gilt, dass das Theater eine moralische Anstalt ist und keine Wohlfühloase, in dem sich das saturierte Bürgertum nichts weiter als Bestätigung holt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber wenn man einzig historisierende Inszenierungen gelten lässt,


Wer verlangt das hier? Ich jedenfalls nicht.

Der war allerdings nicht nur wegen Boulez' Dirigat ein epochales Ereignis, sondern (mindestens) ebenso wegen des verpönten "Regietheaters" von Patrice Chéreau.

"Alles nur geklaut"..… bei Joachim Herz, einem der intelligentesten Opernregisseure der Nachkriegszeit.

https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Herz_(Intendant)

aber es zeigt nur, dass du Boulez' Intention nicht verstanden hast. ;-)

Vermutlich besser als Du denkst. :coolguy:

Ansonsten klingt das, was Du schreibst, ja nun wesentlich differenzierter. Dem kann ich weitgehend zustimmen. ((Und wundere mich, offensichtlich bei Dir (schon reflexhaft?) in einer völlig anderen Schublade zu stecken.... ;-)))
 

Doch, es ist albern. Niemand erstellt ein Regiekonzept im luftleeren Raum, weder Herz noch Chéreau haben das je getan. Ob bewusst oder unbewusst, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, das sei mal dahingestellt - aber in irgendeiner Form fließen Überlegungen und Konzepte bisheriger Inszenierungen immer in eine Regiearbeit mit hinein. Selbstverständlich hat sich Herz mit Melchingers Ring auseinandergesetzt, und Chéreau hat sich damit ebenso auseinandergesetzt - wie auch mit Herz' Leipziger Ring und Götz Friedrichs Londoner Ring.

Und dem von dir geschmähten Melchinger muss man konstatieren, dass er der erste war, der mit der bis dato "heiligen" Wagner-Tradition gebrochen hat und die politische Dimension des Nibelungen-Stoffes in den Vordergrund gerückt hat. Vielleicht war die Zeit nach 1968 einfach reif dazu, aber dass die Inszenierungen von Herz und Friedrich davon nicht in irgendeiner Form profitiert hätten, lässt sich schwer widerlegen. Trotzdem ist es unsinnig, die beiden unter Plagiatsverdacht zu stellen - ebenso, wie es unsinnig ist, Chéreau unter Plagiatsverdacht zu stellen. Ein Regisseur hat geradezu die Pflicht, sich nicht nur mit dem Werk an sich zu beschäftigen, sondern auch mit dessen Rezeptionsgeschichte.
 
...jetzt schlingert der Faden auf Journailleniveau (Opernkritik maximal 10% Musik, mindestens 90% Regieblabla)... ;-)

Die Behauptung, Theaterstoffe des 18./19. Jhs. bedürften einer tagesaktuellen Angleichung, weil sie jeder schon zur Genüge kenne, kommt mir sehr absonderlich vor: eine von oben bis unten tätowierte und gepiercte Mimi in heutiger Mode erklärt die Bühnenhandlung von La Boheme nicht besser, als es das Libretto zur Entstehungszeit macht. Inszenierungen können weder Inhalt, noch Gehalt und Intention eines Theatertextes verändern - es sei denn, in die Vorlage (Text) wird massiv eingegriffen. Bzgl der Opern aber bleibt nach wie vor die Frage offen, warum die Bühnenhandlung (Textgrundlage) aktuelle Bezüge übergestülpt brauchen soll, zugleich der Musik aber keine "Aktualisierung" zuteil wird... das ist inkonsequent: der Text vom Tristan entstammt derselben Entstehungszeit wie die Musik.

Was den Jahrhundertring betrifft: ganz klar ist die Regie dort fantastisch (ist meine Lieblingsinszenierung) - und sie bringt die Textdeutung von G.B. Shaw augenfällig auf die Bühne: grandios! Aber nicht alle Opern enthalten eine stringente Kapitalismuskritik auf einer ihrer Deutungsebenen. Kupfert man naiv beim Patrice ab und steckt den Don Giovanni in einen Firmenbossnadelstreifen, wirds lächerlich.

Was Hoffmanns Erzählungen betrifft: die wunderbare Musik zeigt, dass man durchaus ohne harmonische Wagnereien und nicht durchkomponiert Nummernopern bringen konnte - wenn man das mus. Rüstzeug eines Offenbach hatte (eine Barkarole und ein klein Zack gelingt nicht jedem)
 
Bzgl der Opern aber bleibt nach wie vor die Frage offen, warum die Bühnenhandlung (Textgrundlage) aktuelle Bezüge übergestülpt brauchen soll

Darum geht es nicht, um Tagesaktualität (die fast immer platt und anbiedernd daherkommt) sowieso nicht. Ein Opernstoff, der keine aktuellen Bezüge zur Gegenwart hat, ist tot und verdient es nicht, aufgeführt zu werden. Solche Stoffe sind eher selten, denn in der Oper geht es fast immer in irgendeiner Form um menschliche Leidenschaften. Affekte wie Liebe, Eifersucht, Hass oder Charakterzüge wie Machtgier oder Altruismus gibt es im 18. Jahrhundert genau so wie im 19., 20. und 21. Jahrhundert. Was sich ständig wandelt, ist der Gegenstand, dem diese Affekte entspringen. Dass man in einer dunklen Schlucht im Böhmerwald Kontrakte mit dem Leibhaftigen schließen kann, daran glauben heute vielleicht noch die Leser des Kopp-Verlags - für ein aufgeklärtes Publikum ist das einfach nur unfreiwillig komisch. Und hier hat ein Regisseur eben die Aufgabe, diese Urängste, die die Menschen des frühen 19. Jahrhunderts vor der wilden Natur durchaus noch hatten, in einer glaubwürdigen Form auf der Bühne darzustellen. Alles andere ist Theater auf Märchenwald-Niveau.
 
Dass man in einer dunklen Schlucht im Böhmerwald Kontrakte mit dem Leibhaftigen schließen kann, daran glauben heute vielleicht noch die Leser des Kopp-Verlags - für ein aufgeklärtes Publikum ist das einfach nur unfreiwillig komisch.
...überschätz' das Publikum nicht... das feiert einen affigen Clown namens Pennywise sowie glitschige "fress-Aliens" in tropfenden Raumschiffen als kulturelle Großtaten - dagegen ist ein Teufelspakt im finsteren Forst geradezu Naturalismus :lol::lol::lol::drink:
 
@rolf war schneller ; -))
Dass man in einer dunklen Schlucht im Böhmerwald Kontrakte mit dem Leibhaftigen schließen kann, daran glauben heute vielleicht noch die Leser des Kopp-Verlags - für ein aufgeklärtes Publikum ist das einfach nur unfreiwillig komisch
Ach - und wie erklärst Du Dir die ungebrochene Beliebtheit von Fantasy-Filmen, Mittelalter-Filmen etc.? (und wie mir scheint, auch gerade beim Bildungsbürger-Publikum)

... dafür, dass niemand heute an solche Sachen glaubt, wollen sich doch erstaunlich viele Menschen in solche Gefilde geistig entführen lassen (und sei es auch nur für 90 Film-Minuten lang)
 

...überschätz' das Publikum nicht... das feiert einen affigen Clown namens Pennywise sowie glitschige "fress-Aliens" in tropfenden Raumschiffen als kulturelle Großtaten - dagegen ist ein Teufelspakt im finsteren Forst geradezu Naturalismus :lol::lol::lol::drink:

Klar. Aber die finsteren Schluchten im Forst kennen wir heute und können so ziemlich alles erklären, was darin passiert. Deshalb taugen sie nicht mehr zum Gruseln. Ob es Aliens gibt, wissen wir hingegen nicht - da sind gewisse, dem Menschen immanente Urängste wesentlich plausibler in Szene zu setzen.

Ach - und wie erklärst Du Dir die ungebrochene Beliebtheit von Fantasy-Filmen, Mittelalter-Filmen etc.?
Gruselfilme von anno Tobak schaut sich heute auch kaum jemand an - aktuelle Remakes hingegen schon. Woran das wohl liegt?
 
Aber die finsteren Schluchten im Forst kennen wir heute und können so ziemlich alles erklären, was darin passiert. Deshalb taugen sie nicht mehr zum Gruseln. Ob es Aliens gibt, wissen wir hingegen nicht - da sind gewisse, dem Menschen immanente Urängste wesentlich plausibler in Szene zu setzen.

Heute gehen so viele Menschen gar nicht mehr hinaus in die Natur, dass die sich wahrscheinlich in einer dunklen Schlucht mehr gruseln als vor Aliens, mit denen wird man heutzutage in Filmen ja zugekippt oder vollgeschleimt. :lol::-D

Gruselfilme von anno Tobak schaut sich heute auch kaum jemand an - aktuelle Remakes hingegen schon. Woran das wohl liegt?

Die Tricktechnik ist einfach besser geworden, oder die junge Generation à la Mick will nur ihnen bekannte aktuelle Schauspieler sehen, oder wie mein Sohn äh ist ja S/W, oder den Filmemachern fällt nur nichts neues ein. Die Story hat sich nicht immer geändert, siehe Dracula, Godzilla u.s.w. und einige alte Gruselfilme sind auch heute noch ein echter Klassiker.;-)
 
@mick du umgehst den bescheuerten Pennywise, der ja ach Gottchen so gruselig ist, der depperte Leinwandaugust ;-):lol::lol:
 
Gruselfilme von anno Tobak schaut sich heute auch kaum jemand an - aktuelle Remakes hingegen schon. Woran das wohl liegt?
...Dracula... seit Bram Stoker, verfilmt mit Bela Lugosi, derselbe Blutsaugschmarrn - und affige Vampire sind beliebter denn je ---- @mick du musst anders anzusetzen versuchen, wenn du die immergrünen Gruselstoffe mit Wurzeln im späten 18. und dann im 19. Jh. aushebeln willst (gibt ein gutes Buch über schwarze Romantik)
----- man könnte zurück zur Oper, kennt wer den "Vampyr"?
 
@mick du umgehst den bescheuerten Pennywise, der ja ach Gottchen so gruselig ist, der depperte Leinwandaugust ;-):lol::lol:

Ts, ts....der bescheuerte Pennywise ist "in echt" Teil von ES, einem der besten Romane, die ich kenne. Dort ist er wahrhaft zum Fürchten. Wenn du nur zwei dusselige Filme kennst, die leider die Komplexität dieses Romans nicht wiedergeben (können), kann das Original nichts dafür. :heilig::003: Wobei der geniale Tim Curry (Rocky Horror Picture Show) in der ersten Verfilmung am Set seinen Kollegen extremen Grusel eingejagt hat.

Gruselige Grüße :006:

chiarina
 

Zurück
Top Bottom