Neue Stücke erarbeiten: mehr Breite oder mehr Tiefe?

  • Ersteller des Themas KrautundRueben
  • Erstellungsdatum

KrautundRueben

KrautundRueben

Dabei seit
23. Aug. 2011
Beiträge
552
Reaktionen
674
Hallo liebe Clavios,

Ich bin jetzt im sechsten Jahr meiner Erwachsenen-Laufbahn als Hobbypianist mit KL und kann auf zwei Jahre Unterricht als Kind aufbauen.

Wo stehe ich? Aktuell übe ich Schumanns Op. 32, wobei Nr. 3, die Romanze, im angegebenen Tempo definitiv noch zu schwer für mich ist. Desweiteren z.B. Chopin Nocturnes Op. 37 und ein paar Scriabin- Preludes von leicht bis mittelschwer. Übezeit ca. 1Std pro Tag.

Nun meine Frage:
Haltet Ihr es für einen optimalen Fortschritt für sinnvoller, in dieser Situation die neuen Stücke in der Tiefe genau auszufeilen bis zur Vorspielreife, oder sollte ich möglichst viel Literatur "aufsaugen" (natürlich nicht ohne die Stücke einigermaßen musikalisch verstanden und durchdrungen zu haben)?

Bitte keine Antworten wie "dafür haste deinen KL, bespricht das mit ihm", denn ich bin an weiteren Meinungen und der Diskussion interessiert.

Danke & liebe Grüße
KrautundRueben
 
Wenn ich ein Stück ernsthaft erarbeiten will, so versuche ich schon möglichst in die Tiefe zu gehen, das Stück zu verstehen und auch im Rahmen meiner Möglichkeiten zur Vorspielreife zu bringen. Was sich aber bewährt hat ist, nebenbei viele kleine Stücke zu spielen, die deutlich unterhalb der eigenen Leistungsgrenze liegen, da bieten sich zum Beispiel die diversen Kinderalben von Prokofiev, Tschaikowski, leichte Preludes diverser Komponisten, Bartok etc. an, die feile ich dann aber nicht bis ins letzte Detail aus. Ob das für den optimalen Fortschritt der sinnvollste Weg ist, weiß ich nicht.

Viele Grüße!
 
@KrautundRueben: Tatsaechlich stelle ich mir die Frage auch manchmal. Natuerlich macht es mir Spasz auch Bekannten und Freunden vorzuspielen, die Stuecke auch zu erklaeren, aber es ist viel Arbeit. In der Zeit koennte ich viel Neues entdecken. Letztlich stellt sich die Frage dann aber auch wieder nicht, da ich bei vielen Stuecken, welche ich schaetze, dann eben "alles" ueber diese Stuecke wissen will. Also ein biszchen an der Oberflaeche zu kratzen sozusagen, reicht mir dann doch nicht.
Jannis
 
Nun meine Frage:
Haltet Ihr es für einen optimalen Fortschritt für sinnvoller, in dieser Situation die neuen Stücke in der Tiefe genau auszufeilen bis zur Vorspielreife, oder sollte ich möglichst viel Literatur "aufsaugen" (natürlich nicht ohne die Stücke einigermaßen musikalisch verstanden und durchdrungen zu haben)?
ich habe ein Wort fett markiert, weil allein daran schon eine Antwort sichtbar wird: wer sehr vieles lediglich einigermaßen lernt, der kann am Ende voller Stolz darauf zurückblicken, vieles lediglich einigermaßen zu können...
...wo sollte innerhalb solcher Bedingungen auch die Fähigkeit herkommen, mehr als nur lediglich einigermaßen dies oder das spielen zu können?

Dir geht es um einen
und du fragst, ob da suboptimale Notlösungen zielführend sein können - - - ist das hinsichtlich des Ziels nicht ein wenig widersprüchlich?

Ich weiß, dass Hobbyspieler nicht die nötige Zeit aufwenden können wie (angehende) Berufsmusiker - trotzdem rate ich dir, allermindestens die Stücke, an denen dir selber viel liegt, so akkurat wie dir möglich auszufeilen! Und @Troubadix hat dir einen weiteren sehr richtigen Rat erteilt: teste an viel leichteren Stücken, wie es um deine musikalischen Fähigkeiten (Klangdifferenzierung, melodische Gestaltung usw usw) bestellt ist. (Hier können die Ergebnisse ernüchternd ausfallen, aber das sollte als Ansporn verwertet werden, um die Relevanz des Ausfeilens zu erkennen)
 
Hallo @Troubadix , @jannis , @rolf , herzlichen Dank für Eure Beiträge! Ich find es toll dass Ihr Euch mitten in der Nacht noch hinsetzt und solch hilfreiche Beträge schreibt! :super:

Fazit der drei Beiträge, welches mir auch spontan und überzeugend einleuchtet: beide Konzepte miteinander verheiraten!

- eines oder wenige am eigenen Niveau gemessen schwierigere Stücke und parallel dazu
- leichtere, kürzere, schneller zu bewältigende Stücke bearbeiten und
- alle Stücke so tief wie es geht durchdringen.

Klingt mir nach einem guten Konzept, und manchmal ergibt das so einen Aha-Effekt, bei dem man denkt: "warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?" Ich glaube das liegt bei mir an der tiefverankerten credo, dass man sich "fordern" muss (an Stücken leicht über dem momentanen eigenen Niveau). Dabei ist es logisch, dass auch die akribische Arbeit an "leichteren" Stücken bis zur vollkommenen musikalischen Durchdringung herausfordernd genug ist. Gar nicht so einfach für ein ungeduldiges Spät-Wiedereinsteiger-Hirn das zu akzeptieren...

Ich werde das so ausprobieren und bespreche eine Stückeauswahl in der nächsten Stunde mit meinem KL.

Liebe Grüße
KrautundRueben
 
Ich bin ein Vertreter der Breitenfraktion und benötige die Vorspielreife nicht. Zumal man Stücke, die man nur oberflächlich kennengerlernt hat, auf Wunsch später immer noch vertiefen kann.
 
Ich bin ein Vertreter der Breitenfraktion und benötige die Vorspielreife nicht.
ein klarer und auch nachvollziehbarer Standpunkt (und das ist weder ein Scherz noch Ironie)!
Zumal man Stücke, die man nur oberflächlich kennengerlernt hat, auf Wunsch später immer noch vertiefen kann.
...aber hier kann es später mal hapern... was tun, wenn solche Wünsche nicht in Erfüllung gehen, weil man nicht genug Vorarbeit für diese spezielle Wunscherfüllung (klanglich, technisch und musikalisch ordentlich zu spielen) geleistet hat?... woher soll die Befähigung kommen??

ich rate dazu, wenigstens ein einziges, und sei es auch ein leichtes, Stück bis ins letzte Detail so gut wie nur möglich zu erarbeiten: auch auf die Gefahr hin, dass man zu erkennen gezwungen wird, dass das leichte Schumann-Kinderstück von z.B. Demus gespielt gemeinerweise viel besser und sinnvoller klingt - und notfalls sollte man dann versuchen, die richtig gut gespielte Vorlage en detail nachzuahmen (!!) ((schon allein damit lernt man, aufmerksamer zu hören und aufmerksamer die Noten zu verstehen!!))

allerdings: bon, wenn man als Hobbyspieler Freude daran hat, viele Klaviersachen praktisch kennen zu lernen, wenn man explizit nicht die Intention hat, das vorzuspielen, dann ist es völlig ok, wenn man sich möglichst viel so la la "einigermaßen" draufschafft und sich voller Freude und Neugier in immer wieder neue andere Sachen stürzt - denn wer bewußt und willentlich so verfährt, der heult dann auch nicht, wenn das Ergebnis bestenfalls einigermaßen klingt (!)
 
Vorspielreife (ohne vorspielen zu wollen/zu müssen) ist auch mein Ziel.

Habe meist ein "Großprojekt" und nebenher noch ein oder mehrere alte Stücke (Reanimation) und noch etwas, das mich technisch voranbringt (Etüden). Wenn das jeweilige "Großprojekt" in ein Stadium geraten ist, wo nur noch an einigen Eckchen gefeilt werden muss, darf das nächste am Horizont heraufdämmern (also die ganze spannende Vorarbeit, musikalische Analyse, Text auswendig lernen, Auseinandersetzung mit dem Stück, Fingersätze austüfteln etc.)

An meinem Horizont dämmert gerade das 4. Scherzo als nächstes Großprojekt herauf. :herz:
 
Ich halte es für sinnvoll, gewissermaßen zweigleisig zu fahren. Selbstverständlich ist es die eigentliche Arbeit, manuell, emotional und geistig erreichbare Stücke auf ein persönliches Optimum zu bringen .Gerade die Stecke von "fast gut" bis zu " für mich gerade hier und heute und auch morgen nicht mehr verbesserbar "ist häufig die eigentliche Durststrecke, die aber lohnt und den Fortschritt bringt.
Daneben aber " Noten fressen", um sich einen Überblick über die Literatur zu verschaffen, soweit das überhaupt möglich ist. Warum? Macht Spaß, macht flexibel, kann erholsam sein, und irgendwann ist die Anfangshürde ( Text lesen) nicht mehr da.
Man kann das auch zeitlich alternierend tun; es sollte aber nicht unbedingt die zweite Form der Arbeit die erste verdrängen.
 
Bei der Breite ohne Vorspielreife dachte ich jetzt eher an den professionellen Kritiker, der sich hoffentlich mit Partitur am Klavier und vielen Aufnahmen auf eine Rezension eines Konzertes vorbereitet. Da ist "Vorspielreife" tatsaechlich nicht gefragt. Allerdings habe ich auch manchmal das Gefuehl, dasz das Partiturverstaendnis dieser Leute vielleicht doch eher duerftig ist und es viel mehr auf die Emotion des Augenblicks ankommt.
Auf jeden Fall laese und spielte ich ganz gern die Partitur, bevor ich in ein Konzert gehe, aber mangels Zeit (Beruf und eigene "Konzert"vorbereitungen) erlauben das oft nicht.
Jannis
 

Ich muss immer ein Stück bis zur für mich machbaren Perfektion ausüben. Da hilft kein Jammern, kein Flehen, da können Phrasen sich auch schon über Wochen ziehen :-(

Damit ich da nicht durchdrehe, übe ich parallel immer noch was anderes, meist ein ganz anderes "Genre", also etwa Rock oder Blues oder auch einfach nur ein paar selbst erdachte Übungen.
 
Lieber Kraut und Rueben

Vielleicht ein Denkanstoss aus einer anderen Richtung:

Im Kampfsportbereich gibt es einige, die sich mit ihren "Schwarzgurten" bruesten. Die haben dann einen 1. Dan im Judo, einen 1. Dan im Karate und meinetwegen noch einen 1. Dan im Jiu Jitsu. Schnell massen sie sich eine hohe Kompetenz an und erzaehlen gerne mal, sie haetten den 3. Dan.

In meiner Karatewelt ist das verpoent. Die Summe der Dangrade ist bedeutungslos. Es zaehlt der (maximale) Dangrad, den man in der jeweiligen Kampfkunst erlangt hat. Den ersten Dan zu erreichen ist ungleich viel leichter als den 2. Dan zu erarbeiten und das Verstaendnis der Techniken ist bei jedem weiteren Dangrad grundlegend tiefer.

Aber:
Auch das einfachste Stueck werde ich nicht in der Qualitaet eines Starpianisten spielen koennen. Mein Anschlag, mein Verstaendnis, meine musikalische Reife HAT diese Qualitaet einfach nicht. Deshalb nie ueber den 5 Ton Bereich hinauszukommen waere doch schade, oder?
Daher mag ich die Formulierung von Ludwig "bis zur fuer mich machbaren Perfektion" :)

Eva
 
D'accord!

Vorspielreife benötige ich allerdings für mich selbst, denn ich bin mein anspruchsvollste Zuhörer!
Genau so sehe ich das auch. Die Lust, auf die Vorspielreife zu erreichen ist der größte Anreiz, sich damit mehr auseinanderzusetzen, eigene Aufnahmen nachzuhören usw, was man sonst nie gemacht hätte. Wenn nicht komplett und mit Fehlern, dass einige Teile eines schönen Stücks beim Üben wie von einer professionellen Aufnahme klingt, will man sich noch mehr damit beschäftigen, weil es erst an dem Punkt Spaß macht.

Auch wenn es 6 Monate dauert. Entweder lerne ich es komplett, oder lasse ich es.
 
Bei mir ist das anders.
Da ich selbst auch komponiere, freue ich mich bei einem Stück, was ich spiele, an der Komposition an sich.
Es ist mir egal, wie es andere spielen, ich will nur die Komposition, wie ich sie verstehe, mit meinen Mitteln so gut es geht rüberbringen. Deshalb beginnt bei mir die Freude, wenn ich ein Stück verstanden habe, mich an der Struktur begeistern kann und mich entschieden habe, es zu spielen. Unabhängig davon, wie weit ich noch weg bin, es adäquat zu realisieren.

Grüße
Manfred
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich arbeite auch am liebsten parallel an mehreren Stücken. Diejenigen, die ich schon realtiv gut kann versuche ich stets zu verbessern, aber dennoch brauche ich auch immer ein neues Stück, denn es wäre mir persönlich zu langweilig monatelang nur an einem Stück zu arbeiten und ich denke ich würde die Motivation verlieren.

Das mit der Vorspielreife ist meiner Meinung nach recht schwer zu definieren. Wann erreicht ein Stück die Vorspielreife? Ich denke das kommt doch auch sehr aufs Publikum und die eigenen Ansprüche an. Ich würde mal behaupten, dass sehr viele Leute kaum einen Unterschied hören, ob ein Stück von einem guten Hobbypianisten oder einem Starpianisten gespielt wurde. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich zum Beispiel meinem Vater zweimal das gleiche Stück auf Youtube anhören lassen würde, einmal von einem guten Hobbypianisten und einmal von einem Starpianisten gespielt, könnte er mir nicht sagen, welches vom Starpianisten ist. Natürlich wäre die Situation ganz anders, wenn man die Mitglieder von Clavio als Zuhörer hätte. ;-) Dort würden die meisten schnell die Unterschiede heraushören.
 
"Vorspielreife" kann in der Tat je nach Anspruch verschieden sein. Der eine versteht darunter, ein Stück soweit unter Kontrolle zu haben, daß ein Laienpublikum nicht gleich weinend davonlaufen würde, beim anderen geht unter Rubinstein-niveau gar nichts (überspitzt formuliert). Für mich bedeutet Vorspielreife, daß man das Stück regelmäßig fehlerfrei durchspielen kann (auch mit dem Stressfaktor Publikum) und daß es einem dabei außerdem gelingt, auch die musikalische Zielrichtung des Stückes zumindest in Grundzügen zu vermitteln.
Das ist natürlich ein ziemlicher Anspruch an Hobbypianisten und deswegen werden die meisten auch selten mehr als ein oder zwei Stücke "vortragsreif" im Repertoire haben. Bei mir ist das jedenfalls so :-).
Im Umkehrschluss bedeutet das, daß man ab einer bestimmten Anzahl Stücke im Repertoire m.E. den Schwerpunkt eher auf Konsolidierung als auf oberflächliches Lernen neuer Stücke legen sollte, gerade wenn die Übezeit begrenzt ist, wie bei uns Hobby-Horowitzen ;-).
 

Zurück
Top Bottom