Mozart-Fragmente vollenden?

Rheinkultur

Super-Moderator
Mod
Dabei seit
1. Apr. 2012
Beiträge
10.888
Reaktionen
10.703
Hallo zusammen,

ein Quiz, das zunächst keines war, brachte den entscheidenden Impuls auf den Weg, das vorliegende Thema zu eröffnen. Wolfgang Amadeus Mozart hat nicht nur eine Menge genialer und großartiger Werke in unterschiedlichsten Gattungen und Formen geschrieben, sondern auch das eine oder andere Stück unfertig hinterlassen - und das offensichtlich nicht nur, weil er das bereits Geschriebene als misslungen verworfen haben dürfte. Was dem Meister damit vorschwebte, werden wir leider nie erfahren. Dennoch käme es unter den Nachgeborenen mal auf einen Versuch an, die eine oder andere Skizze aufzugreifen und diverse Fragmente zu vollenden - auch wenn man das Vorbild wohl nicht erreichen wird.

Nun habe ich die Probe aufs Exempel gemacht und mir das 1764/65 entstandene "Londoner Skizzenbuch" (KV 15) angesehen. Bei einem kleinen unvollendeten Menuett habe ich die Schlusstakte in roter Farbe ergänzt und mache das Ergebnis hier allen Interessenten zugänglich. Für @Solmisator als Urheber des anderen Fadens könnte von Interesse sein, dass in dieser Sammlung ein vierstimmiges Fugen-Fragment enthalten ist.

Hans-Udo Kreuels hat diese Sammlung sowohl mit einer Publikation bedacht als auch eingespielt (teilweise mit bereits vorgenommenen Ergänzungen), beide Quellen sind problemlos im Netz zu finden.

Vielleicht fühlen sich einige mit tonsetzerischen Ambitionen und/oder andere, die sich mit Mozarts Werken intensiv beschäftigen, zu eigenen Beiträgen herausgefordert. Spannend stelle ich mir das auf jeden Fall vor.

LG von Rheinkultur
 

Anhänge

  • Mozart-Fragment KV 15rr.pdf
    783,7 KB · Aufrufe: 57
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin so frei, einen weiteren Versuch für dieses Menuett zur Diskussion zu stellen. Mein Ende hat 4 Takte mehr - der Grund liegt in dem Sequenzmodell, das in Takt 10/11 eingeführt wird und meiner Meinung nach eine Fortspinnung benötigt (T. 13/14). Der Rest ist banal - T. 15/16 greift den Beginn auf, 17/18 ist eine Wiederholung des Hemiolenmodells aus T. 5/6 und der Schluss entspricht einer leicht gesteigerten Variante von T. 7/8.
 

Anhänge

  • KV 15rr Versuch von Mick.pdf
    27,7 KB · Aufrufe: 36
Guten Tag,

als bisher stiller Mitleser habe ich mich mal angemeldet, weil wir das Thema gerade zufällig behandeln. So würde ich mich also gern beteiligen. Es gibt einige Fugenfragmente und Fugenbearbeitungen Bachs von Mozart. Und da die Fuge für mich eine gute nächste Tonsatzherausforderung wäre, denke ich auch darüber nach, ein solches Fragment zu bearbeiten.

Jetzt muss ich mich aber erstmal in die Fugentechnik einlesen und da taucht doch gleich an dem Mozart-Beispiel im Nachbarthread eine Frage auf: das synkopierte f von Takt 3 auf Takt 4 dürfte nach meinem Kenntnisstand im alten Kontrapunkt (klassische Vokalpolyphonie) so dort nicht stehen, weil es dissonant beginnt und nicht weiterschreitet. Wie erklärt sich das?

Der Dozent meinte, für Fugen gelten im Prinzip die alten Regeln (die ja nicht harmonisch motiviert sind). Aber so ganz kann ich das nicht nachvollziehen, denn auch bei Bachfugen gibt es jede Menge Dissonanzen, die sich nach den alten Regeln nicht erklären lassen, sondern eher als harte Durchgänge in einem übergeordnet gedachten Akkord funktionieren. Was meinen Sie?
 
Jetzt muss ich mich aber erstmal in die Fugentechnik einlesen und da taucht doch gleich an dem Mozart-Beispiel im Nachbarthread eine Frage auf: das synkopierte f von Takt 3 auf Takt 4 dürfte nach meinem Kenntnisstand im alten Kontrapunkt (klassische Vokalpolyphonie) so dort nicht stehen, weil es dissonant beginnt und nicht weiterschreitet. Wie erklärt sich das?

Ich verstehe nicht, was du meinst. Linearer als schrittweise (hier g-f-e) kann man eine Stimme nicht führen. Das von Mozart verwendete Modell - aus Durchgangsdissonanz wird in der Synkope eine Vorhaltsdissonnanz - ist seit dem Hochbarock weit verbreitet. Du wirst keine Fuge bei Bach finden, in der das nicht vorkommt. Ich behaupte sogar, dass es seit spätestens 1650 kaum ein Werk gibt, in dem diese Floskel nicht auftaucht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber wieso Vorhaltsdissonanz? Da f kommt auf leichter Zeit, ist also kein Vorhalt und bleibt auf nachfolgender schwerer Zeit stehen und das obere g "löst" sich nach oben in die Konsonanz a. Zwar kommt sowas vor - wie ich schon schrieb - nur kann ich es nicht mit der Behauptung in Einklang bringen, daß ich die alten Kontrapunktregeln anwenden könne. Da beginnt eine Synkope weder dissonant, noch löst sich eine Dissonanz nach oben auf. Außerdem ist in der Sekunde f-g, wohl eigentlich das f dissonant und möchte aufgelöst werden, oder?

Ich will nicht das Beispiel "falsch" reden, sondern für die Praxis verstehen, wann ich sowas anwenden kann... und auch, wann nicht.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ein Beispiel unter vielen: In der von @mick im anderen Faden verlinkten Neuen Mozart-Ausgabe ist unter der Nummer KV 72a ein 35 Takte umfassendes "Molto allegro in G" aufgeführt, das man auch unter der Bezeichnung "Veroneser Allegro" findet. Hier hat der in diesem Jahr an seinem 81. Geburtstag verstorbene Organist André Isoir eine Vervollständigung vorgenommen und diese Fassung selbst eingespielt. Dass dieses Fragment von Mozart stammt, dürfte höchst fraglich sein, zumal die kompositorische Sprache eher dem "galanten" Idiom entspricht, das für mindestens eine Komponisten-Generation früher charakteristisch ist. Ein Vergleich mit Sonatensätzen Baldassare Galuppis (angeregt durch Wolfgang Plath) könnte zur Folgerung führen, dass auf dem Notenpult des am Instrument sitzenden Mozart (wie er auf dem Portrait von Saverio Dalla Rosa zu sehen ist) kein eigenes, sondern ein fremdes Notenblatt lag.

LG von Rheinkultur
 
Ja, das f kommt auf leichter Zeit - deshalb ist es zunächst eine Durchgangsdissonanz. Erst auf ZZ1 von Takt 4 wird der Durchgang zum Vorhalt - genauer zum Quartvorhalt der Tonika, die auf ZZ2 als Sextakkord erscheint. Das Achtel a in der Bratsche ist eher zu kurz, um als eigenständige Harmonie (S) wahrgenommen zu werden. Außerdem wird es sofort durch das h abgelöst und damit ist klar, dass hier eine Dominante vorliegt.

Die Regeln des Palestrina-Kontrapunktes solltest du anwenden, wenn du im Palestrina-Stil schreibst. Mit Etablierung der Dominantspannung und damit der Dur-/Moll-Harmonik ergeben die alten Regeln keinen Sinn mehr. Die harmonischen Spannungen sind gegenüber den melodischen Spannungen immer dominant.
 
Die Regeln des Palestrina-Kontrapunktes solltest du anwenden, wenn du im Palestrina-Stil schreibst. Mit Etablierung der Dominantspannung und damit der Dur-/Moll-Harmonik ergeben die alten Regeln keinen Sinn mehr. Die harmonischen Spannungen sind gegenüber den melodischen Spannungen immer dominant.
Das war mein Reden. Also doch (latente) Harmonik beachten, ja? Bei Bach könnte ich mir vieles nicht anders erklären.
 
Das war mein Reden. Also doch (latente) Harmonik beachten, ja? Bei Bach könnte ich mir vieles nicht anders erklären.

Natürlich! Die Stimmführung ordnet sich der Harmonie unter. Bach hat das nur dermaßen genial gekonnt, dass man oft glaubt, die Harmonie entwickelt sich aus den Stimmen. Aber das ist nicht so.

Wenn du eine Fuge im Bach-Stil schreiben willst, brauchst du ein Thema und ein harmonisches Gerüst. Erst dann kannst du anfangen, die einzelnen Stimmen zu entwickeln.
 
Die Regeln des Palestrina-Kontrapunktes solltest du anwenden, wenn du im Palestrina-Stil schreibst. Mit Etablierung der Dominantspannung und damit der Dur-/Moll-Harmonik ergeben die alten Regeln keinen Sinn mehr. Die harmonischen Spannungen sind gegenüber den melodischen Spannungen immer dominant.
Auch wenn Haydn, Mozart und spätere Komponisten kontrapunktische Studien auf der Grundlage des "Gradus ad Parnassum" (Johann Joseph Fux) absolviert haben, machte die größere Bedeutung der harmonischen Verhältnisse letztlich die Überwindung früherer Vorgaben des "strengen Satzes" unumgänglich. Für das Schreiben einer Fuge auf der Grundlage eines Mozart-Fragments bedeutet das, sich stilistisch eher an der Spätklassik als an Bach'schen Vorbildern zu orientieren. Simon Sechter (bei dem später beispielsweise Bruckner studierte) hat auch als Fragment vorliegende Fugen Mozarts komplettiert - davon kann man sich durchaus anregen lassen. Die Fuge ist als musikalische Form im neunzehnten Jahrhundert (Mendelssohn-Bartholdy, Schumann, Brahms) weiterhin präsent geblieben - die in jener Zeit entstandenen Beispiele belegen die von @mick auf den Punkt gebrachte Konstellation nachdrücklich. Erst mit Erweiterung und Preisgabe der Dur-/Moll-Tonalität im zwanzigsten Jahrhundert ändert sich dies erneut. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, sich spätere Beispiele gleichermaßen anzusehen, um sich stilistisch besser positionieren zu können.

LG von Rheinkultur
 
Das war mein Reden. Also doch (latente) Harmonik beachten, ja? Bei Bach könnte ich mir vieles nicht anders erklären.
Richtig. Bach ist immerhin dem Spätbarock zugehörig - also in zeitlicher Nähe zu "galantem Stil" und Frühklassik, in der bei zunehmender Bedeutung des harmonischen Kontextes die melodischen Spannungsverhältnisse andere sind als in der Vätergeneration jener Komponisten, die in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts und davor geboren waren.

LG von Rheinkultur
 

Ich lese in diesem Zusammenhang gerade KIRNBERGER: Die Kunst des reinen Satzes... und da kommt diese Stelle vor (Achtung: oben Sopranschlüssel):

hobxwvch.jpg


was ist von der gelb markierten Stelle zu halten (Sprung in den Sekundakkord)? Ist das vielleicht ein Schreibfehler? Der Autor kommt mir ansonsten sehr sorgfältig vor.
 
Ich lese in diesem Zusammenhang gerade KIRNBERGER: Die Kunst des reinen Satzes... und da kommt diese Stelle vor (Achtung: oben Sopranschlüssel):

hobxwvch.jpg


was ist von der gelb markierten Stelle zu halten (Sprung in den Sekundakkord)? Ist das vielleicht ein Schreibfehler? Der Autor kommt mir ansonsten sehr sorgfältig vor.

Das ist garantiert kein Schreibfehler. Zum einen ist die Stelle völlig harmlos - einzig der Bass springt hier, die anderen drei Stimmen schreiten linear fort. Zum anderen hat ein berühmter Thomaskantor schon eingesprungene Dissonanzen (sogar mehrfach eingesprungene) komponiert, als Kirnberger noch gar nicht auf der Welt war.
 
Natürlich springt nur der Bass. Aber eben in die Dissonanz...

Zum anderen hat ein berühmter Thomaskantor schon eingesprungene Dissonanzen (sogar mehrfach eingesprungene) komponiert
Aber was ich so aus Bach-Chorälen im Kopf habe, geht da i.d.R. die Richtung anders: also eine Septime (hier das c) von unten her anspringen und dann eben in Gegenbewegung wieder auflösen. Oder nicht?
 
Aber was ich so aus Bach-Chorälen im Kopf habe, geht da i.d.R. die Richtung anders: also eine Septime (hier das c) von unten her anspringen und dann eben in Gegenbewegung wieder auflösen. Oder nicht?

Grundsätzlich ja; da man einen Bass aber zu jedem Zeitpunkt nach unten oktavieren kann, ohne dass sich das Satzgefüge ändert, stört die Stimmführung in diesem Fall nicht. Denk dir den Bass ab dem Sekundakkord eine Oktave höher - dann wirst du über die Stelle nicht mehr stolpern.

Bach hätte in diesem Fall vielleicht ein oktavversetzendes Melisma eingebaut, indem er im Takt vor dem Sekundakkord vielleicht eine Halbe e und zwei Viertel g-G notiert hätte. Am harmonischen Satz ändert das aber nichts. Die Dissonanz bleibt so oder so angesprungen.

Schau dir spaßeshalber mal die Sarabande aus der französischen Ouvertüre an - die ist streng vierstimmig. Wie Bach darin mit Dissonanzen umgeht, ist mehr als abenteuerlich. Und Kirnbergers "Kunst des reinen Satzes" ist fast 50 Jahre später entstanden.
 
Schau dir spaßeshalber mal die Sarabande aus der französischen Ouvertüre an - die ist streng vierstimmig. Wie Bach darin mit Dissonanzen umgeht, ist mehr als abenteuerlich.
Gerade bei diesem Beispiel gibt es etliche im Sprung erreichte Dissonanzen. Nicht selten ist der Auflösungston (Takt 3!) in einer anderen Stimme zu finden... .

LG von Rheinkultur
 

Zurück
Top Bottom