I, IV, V nur für Dur tonartbestätigend?

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HbMuth

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Meine, irgendwo eine Tabelle gelesen zu haben, die für jeden Modus (neben Dur, Moll auch Dorisch etc.) die Tonleiterstufen angegeben hat, die, wenn sie mehr oder weniger zusammen auftreten, die Tonart bestätigen. Wo genau die stand, weiß ich nicht mehr. Aber wenn ich versuche, sie mir aus dem Kopf zusammenzureimen, komm ich auch nicht weiter. Ist für die Tonartbestätigung (meine Laienvorsicht lässt mich dafür den Begriff der Kadenz vermeiden) nicht immer die jeweilige Ober- und Unterquinte ausschlaggebend? Ach ne, geht ja nicht. Demnach müsste ja E-Lydisch durch A- und H-Lydisch bestätigt werden. Leider kommt A gar nicht in E-Lydisch vor, sondern Ais, die lydische, überm. Quarte.

E-Lydisch: E F# G# A# H C# D# E.

Ich rate mal, dass A# C# E (iv) - E G# H (I) - H D# F# (V) alle Tonleiterstufen enthält und diese Verkettung der richtige Ansatz der Herleitung dieser Tabelle ist, oder? Und doch ist halt wieder 4 und 5. Indes nicht iv und II, wie ich eben noch irrte.

Kann mir wer sagen, welche Tabelle das gewesen sein könnte und ob sie allgemeingültig war oder doch nur wieder das Gedankenbad irgendeines Theoretikers?
 
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Kann mir wer sagen, welche Tabelle das gewesen sein könnte und ob sie allgemeingültig war oder doch nur wieder das Gedankenbad irgendeines Theoretikers?
Mir ist solch eine Tabelle zumindest unbekannt ... schade, dass du nicht mehr erinnerst, wo du die gesehen hattest.

Wenn ich mich recht entsinne, dann sind es bei den Kirchentonarten eben nicht einfach die Quintbeziehungen.
Wenn ein Stück z.B. in a-äolisch oder d-dorisch notiert ist, dann können z.B. G-Dur oder C-Dur (also die jeweiligen siebten Stufen) eine "dominantische Funktion" erfüllen (Vorsicht mit den Begriffen aus der Funktionsharmonie).
Ob das funktioniert, hängt aber wahrscheinlich viel eher mit der wahrnehmbaren Hauptmelodie zusammen, als mit den sie begleitenden Klängen.
Viele gregorianische Choräle bestätigen ihre Tonart sogar ganz ohne Begleitung.

Für eine "echte" Tonartbestätigung sind Leittöne wichtig. z.B. das G# in E-Dur welches sich zum a von a-Moll bewegen will, wenn das Umfeld in a-Moll steht.
In a-äolisch oder d-dorisch gibt es diesen Leitton aber garnicht, denn das sind nunmal "nur weiße Tasten".
Die siebte Stufe in C-Dur (h, d, f) kann in a-äolisch ebenfalls als "Dominante" empfunden werden (dort ist es die 2. Stufe), da das der "verkürzte Dominantseptakkord" von C-Dur ist und sich der Tritonus h-f wie bei der Auflösung von G-Dur7 nach C-Dur "nach innen" zu c-e auflöst.

Das zur Verfügung stehende Tonmaterial ist in den Kirchentönen wichtiger, als die Quintbeziehungen. Mal eben einen Ton alterieren, nur um eine "echte" Dominante zu generieren, fällt dabei eigentlich aus (aber natürlich wurde es trotzdem gemacht, um diese Wirkung, die die Funktionsharmonik später lediglich beschieb, zu erzielen).

Alles aus dem Kopf und daher mit Vorsicht zu genießen.
 
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Kadenzen oder Klauseln, Dominanten und Subdominanten sind ja nur im Kontext der Dur- und Molltonarten begrifflich sinnvoll und bringen mich in dieser Frage nicht weiter. Intuitiv bin ich überzeugt, dass ich das Dur/Moll-System erst richtig verstehe, wenn ich auch die anderen Modi besser verstehe und anwenden kann.

In Durtonarten sind die erste, vierte und fünfte Stufe tonartbestätigend. Alle diese leitereigenen Akkorde haben eine große Terz übern Grundton. Besagte Tabelle - ich kann nicht mal sagen, ob die vielleicht "geträumt" ist wie der Benzolring einst von nem anderen großen Erfinder, ha!, was für ein Genie wär ich ja ;-) - könnte auch einfach diejenigen Stufen in jedem Tongeschlecht bezeichnet haben, wo überm Grundton eine große Terz steht, in der Annahme, dass diese Stufen die jeweilige Tonart eindeutig bestimmen. Ganz unabhängig davon, ob dieselben Stufen nebenbei durch Konsonanzen, Dissonanzen und Auflösungen über Halbtöne einen Spannungsbogen definieren.

Wie ja auch irdisches Leben für die Erde charakteristisch ist, ohne dass ausgeschlossen ist, dass andere Himmelskörper nicht ähnlich komplexe Strukturen haben, die uns dummen Geschöpfen mit unseren unzureichenden Instrumenten in ihrer Bedeutungsfülle lediglich verschlossen bleiben, ist das T/S/D-Konzept vielleicht einfach nur einsames Charakteristikum der Dur- und harmonischen/melodischen Molltonleitern. Lydisch zum Beispiel hat übrigens auch ne große Sept, ergo einen Leitton, nur eben keinen Gleitton.

Jahrhundertelang wurde mit modalen Tonleitern das Volk sediert. Und nur, weil Dur/Moll sowas wie Spannungsbögen in die europäische Musik gebracht hat, soll es unmöglich sein, dass die anderen Modi bestätigt werden können im Sinne von "diese oder jene Akkordfolge deutet eindeutig auf Tonart X über Grundton Y hin"?

Zwei Varianten fallen mir ein: neben der Position der Großterzstufen könnten auch über alle Tonarten hinweg nur die drei gleichen Stufen 1, 4 und 5 als charakterbildend gelten, in dem die Abfolge der Stufengeschlechter (Dur, Moll, vermindert) darüber entscheidet. Reine Spekulation.
 
Vielleicht hilft dir ja diese Erläuterung:

Grob umrissen besteht der Unterschied zwischen Modalität und funktionsharmonischem Kontext darin, dass in modaler Musik die Akkorde gewissermaßen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Wenn du z.B. die Akkorde Am und G hast, ist prinzipiell nicht feststellbar, ob Am der Grundakkord ist und G der Schritt weg vom Grundakkord oder umgekehrt. Beides ist möglich, wobei Rhythmus und Melodieverlauf das Zentrum deutlichmachen können. Probiere das gerne mal aus!

Wenn man Funktionen benutzt, entstehen Leittöne und Strebetöne, die ein Gefälle zwischen den Akkorden herstellen. Erscheint z.B. in a-moll die Dominante, dann hat man nicht wie im modalen Kontext einen e-moll-Akkord, sondern einen E-Dur-Akkord mit gis als Leitton. Die Akkordfolge E - Am zeigt dem Ohr eindeutig, dass Am das tonale Zentrum ist, weil E-Dur sich in diesem Zusammenhang nach a-moll auflösen will. Dieses Auflösungsbestreben gibt es in modaler Musik nicht, zumindest nicht so ausgeprägt.
Die Modi und modale Musik zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie keine Kadenzharmonik wie bei dur und moll verwenden. Dementsprechend gibt es bei ihnen auch keine auf Kadenzfunktionen (T, S, D) basierende Tonartbestätigung.
 
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Google doch mal „modale Akkordverbindungen“
 
Hm... bei den alten Modi habe ich nie den Eindruck, dass Akkordfolgen irgendwie groß strukturierend sind ("phrygische Kadenz"?). Eher sind es die Klauseln - auch im mehrstimmigen Satz -, die irgendwie nach "Ende" klingen. Das ist ein anderes Hören. Und ich behaupte, dass man aus alter modaler Musik rein gar nichts zum Wesen der Kadenz lernt.

Interessanter ist die Frage, wie sich die Modi irgendwann auf Dur und Moll verengt haben. Muss nicht einmal sein, dass Ionisch und Äolisch sich herausgemendelt haben, die dann von einem Theoretiker einfach auf Dur und Moll umgetauft wurden...
 
Die Klauseln sind primär Phänomene des Kontrapunktes, nicht der Harmonie.
 
Gefunden, wenn auch keine Tabelle: Nach Felix Schell, Harmonielehre, Workbook, ISBN 3-8641071-8, S. 165 sind die typischen Akkorde für ...

Dorisch: i, VII aber auch III, IV, v und ii
Phrygisch: i, II, VI
Lydisch: I, II, V aber auch Mollakkorde
Mixolydisch: I, IV, VII aber auch Mollakkorde
Äolisch: i, iv, v sowie die Durakkorde.
 
Aber das ist doch nur im Jazz-Bereich relevant!
 
Ganz viel Hilfreiches ist schon gesagt worden. Ich ergänze aus der Perspektive des Kirchenmusikers:
- Bei Gregorianischem Choral ist das ja einstimmig und nicht harmonisch gedacht. Daher stellt sich die Frage dort nicht.
- In späterer Zeit wurden modale Melodien oft umgedeutet, so dass sie ins Dur-Moll-Schema passen. Bsp.: Bach, "Christ ist erstanden" aus dem Orgelbüchlein: die beiden ersten Melodietöne a und g werden bei ihm zu a und gis. Dann kann man als a-moll hamonisieren.
- Eine solche Harmonisierung ist genau genommen schon eine Art Verfremdung
- Soll die Harmonisierung streng modal erfolgen, wie es bei manchen Kehrversen angebracht ist, wäre meine erste Idee, als Kadenz I-VII-I zu verwenden.
 

Aber das ist doch nur im Jazz-Bereich relevant!
Meinetwegen; Jazz hat Chuzpe, der westlichen Musik-Welt zu zeigen, dass es auch außerhalb dieses Dur/Moll-Systems ein paar Noten zu spielen gibt. Für mich ist das Geklimper, das ich entweder strikt ablehne (nach nem harten Arbeitstag) oder zuweilen, wenn ich mental nicht ausgelastet bin, sehr faszinierend finde. Ein Blick durchs Schlüsselloch des elterlichen Schlafzimmers ...
 
Jazz hat Chuzpe, der westlichen Musik-Welt zu zeigen, dass es auch außerhalb dieses Dur/Moll-Systems ein paar Noten zu spielen gibt
Hm, und ich dachte immer, der Jazz ist Bestandteil der westlichen Musik-Welt...

Davon mal abgesehen ist modale Musik keine Erfindung des Jazz - die gab es schon bei den alten Griechen. Zwischen 1600 und ca. 1900 hat zwar das Dur-/Moll-System die westliche Musik dominiert, aber ganz verschwunden war das Modale nie.
Und um zu zeigen, dass es außerhalb des Dur-/Moll-Systems ein paar Noten zu spielen gibt, brauchte es gar keinen Jazz - ein Großteil der abendländischen Kunstmusik ab 1900 gehorcht gänzlich anderen Regeln als denen der drei Jahrhunderte zuvor. Gar nicht so selten (z.B. im Impressionismus) wurde auch mit modalen Strukturen experimentiert.
 
Hm, und ich dachte immer, der Jazz ist Bestandteil der westlichen Musik-Welt...
Mittlerweile schon, ja.
ein Großteil der abendländischen Kunstmusik ab 1900 gehorcht gänzlich anderen Regeln als denen der drei Jahrhunderte zuvor. Gar nicht so selten (z.B. im Impressionismus) wurde auch mit modalen Strukturen experimentiert.
Und ich schätze, bei der abendländischen Kunstmusik ist es für einen erfahrenen Musiker kein Problem bei einer gegenenen Performance festzustellen: Ah, das ist Fis-Phrygisch! Mich würde interessieren, woran er das erkennt, wenn nicht an entsprechenden Akkordprogressionen, bzw. an welchen typischen Stufen in welchen typischen Reihenfolge - nicht nur im Jazz, sondern generell, oder weichen die Stile hierin vonaneinder ab? Womöglich lautet die Antwort anders, als ein Laie sie als Antwort auf diese Frage erkennen würde.
 
In Liszts H-Moll-Sonate ist das Phrygische ebenfalls stark präsent. Grundsätzlich erkennt man sowas eher selten an vertikalen Strukturen, dafür vielmehr am Tonvorrat linearer Bewegungen. Der Beginn von Liszts Sonate ist eine einstimmige phrygische Tonleiter abwärts - das macht die Sache hier unmissverständlich:

1654182214498.png

Auch im Grandioso-Thema schimmert das Phrygische durch, hier in Form der "öffnenden" aufsteigenden Sekunde, die charakteristisch für die phrygische Sopranklausel ist:

1654183677797.png
Und nein - trotz des vollgriffigen Klaviersatzes kann man das Phrygische an den Akkordprogressionen auch hier nicht festmachen. Was einfach daran liegt, dass es zwar typische Schlusswendungen (Klauseln) gibt, die aus der Zeit der Vokalpolyphonie stammen, die Musik dieser Zeit aber grundsätzlich horizontal gedacht ist. Das vertikale Denken in Form sich etablierender Kadenzmodelle setzt sich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts allmählich durch und geht mit der Ablösung der Kirchentöne durch das Dur-/Moll-System einher.
 
Danke! Der Hinweis auf den engeren Zusammenhang der Modi mit der Melodie denn mit der Harmonie entknotet mein (Un)-Verständnis merklich.
 
Das hat tatsächlich viel damit zu tun.
Den Link merke ich mir mal ... der erspart viel Erklärarbeit.
Der Hinweis auf den engeren Zusammenhang der Modi mit der Melodie denn mit der Harmonie entknotet mein (Un)-Verständnis merklich.
Ich glaube das ist auch mit die wichtigste Erkenntnis über den Unterschied zwischen Modal- und Funktionsharmonik.
 
Kannst du mir das näher erklären? Kadenzen sind ja eher ein harmonisches Konzept, Modi sind eher in der melodischen Welt zu Hause. Wenn die Popwelt Modi nutzt, tut sie das je nach Stil mit Harmoniependeln ... hab ich gelesen (in der Harmonielehre von C. Hempel, 978-3-795-787301). Pendel sind aber doch nicht notwenidig richtige Kadenzen, das würde die Freiheiten im melodischen Verlauf zumindest einschränken.

Die Wikipedia schreibt was von einer phrygischen Tenorklausel. Aha. Das steht da so mitten im Raum, was phrygisch daran sein soll, erkläre ich mir nur mit Schwierigkeiten: Die Klausel im Tenor müsste also von bII auf I bewegen
 
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Wenn, dann werden modale Klauseln eher klassisch harmonisiert. Um den modalen Klang nicht zu stören, werden hochalterierte Leittöne vermieden (also keine so Sachen wie in a-Moll das fis und das gis).

Modale Musik gibt es ganz viel in der neueren Orgelmusik (grob ab 1950), die für den gottesdienstlichen Gebrauch geschrieben ist. Da kann man ja nach phrygischen Kadenzen suchen gehen. Ich bezweifele aber, dass es da feste Akkordfolgen gibt; eher werden eine Gliederungs- und Schlusswirkungen durch Melodik erzielt.
 

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