Harmonisieren einer Melodie für vierstimmigen Satz

Zur Selbständigkeit der Stimmen: es gibt keine größere Abhängigkeit als die zwischen Dux und Comes! - man könnte es auch allgemein sagen: des Kontrapunktes!

Das weis jeder, der schon mal eine Bachfuge gespielt hat!
 
es gibt keine größere Abhängigkeit als die zwischen Dux und Comes!

Das ist allerdings eine ganz andere Art der Abhängigkeit. Dux und Comes sind sehr gut als zwei verschiedene Stimmen wahrnehmbar.
Wenn hingegen in einem vierstimmigen Satz plötzlich eine Stimme mit einer anderen in perfekter Konsonanz verschmilzt (Oktav, Quint), kann sich dem aufmerksamen Hörer schon die Frage stellen:
Wo ist denn jetzt die vierte Stimme geblieben? Es klingt an der Stelle ziemlich leer...

Viele Grüße
Niko
 
Zur Selbständigkeit der Stimmen: es gibt keine größere Abhängigkeit als die zwischen Dux und Comes! - man könnte es auch allgemein sagen: des Kontrapunktes!

Das weis jeder, der schon mal eine Bachfuge gespielt hat!

Und du weißt sicher auch, dass Dux und Comes normalerweise (von möglichen Engführungen abgesehen) nicht gleichzeitig erklingen ...

LG, Mick
 
1. Hasenbein hat mit seinem letzten Beitrag den Nagel auf den Kopf getroffen!

2. Der so genannte " strenge Satz" ist ein apotheotischer Mythos!

3 Lest Diether de la Motte! :D : D :D

zu 1. Sehe ich nicht so. Es geht um den vierstimmigen Satz mit selbstständigen Stimmen. Und in dem klingen Parallelen meistens eben nicht gut. Dass die Parallelen in Debussys versunkener Kathedrale ganz anders zu beurteilen sind, ist doch wohl klar.

zu 2. Das mag schon sein. Er definiert aber Regeln, die grundätzlich funktionieren. Sie beschreiben sozusagen das allgemeingültige Mittelmaß des vierstimmigen Satzes. Folgt man den Regeln, klingt das Ergebnis zunächst mal "richtig".
Dass dabei meist keine große Kunst entsteht, lernen wir spätestens bei Wagners Meistersingern und das ist wohl ohnehin jedem klar. Aber der Schulbuch-Satz definiert eine Norm, und damit haben wir eine Möglichkeit, Werke beispielsweise von Bach und Händel miteinander zu vergleichen: Wir können analysieren, in welchen Punkten die beiden Komponisten von der Norm abweichen und damit ist es dann recht einfach, Stilkopien zu erstellen. Wenn der Vergleichsmaßstab fehlt, wird das zumindest erheblich schwieriger.

zu 3. Da stimme ich uneingeschränkt zu. De la Motte schreibt viel Kluges, aber er setzt die Kenntnis des Schulbuch-Satzes eigentlich voraus.

LG, Mick
 
@ mick: Natürlich weiß ich das! :D Dux und Comes sind auch nur ein übertriebenes Beispiel. Es geht mir allgemein darum, zu betonen, dass man vielleicht mal zumindest teilweise gängige Meinungen hinterfragen sollte, so zum Beispiel die, das der Kontrapunkt die großtmögliche Unabhängigkeit der Stimmen nicht nur zum Ziel hat, sonder auch schafft.

Idee des Kontrapunktes ist eine unabhängige Stimmführung. Dies erreicht man aber nur - im Sinne einer "guten Inszenierung" - wenn man alle Stimmen so perfekt plant und in Abhängigkeit setzt, dass sie einander perfekt punctus contra punctum ergänzen. Der Kontrapunkt erschafft also gewissermaßen durch die absolute Abhängigkeit der Stimmen die "Wirkung" der absoluten Unabhängikeit der Stimmen.

Für alle die gerne philosophieren: Übertragt das mal auf das Thema "Paartherapie"! :D Unabhängikeit im Sinne von Egozentrismus geht nicht. Das unabhängige ich sit immer Produkt des abhängigen Wir! :D

Herzliche Grüße

Euer Lisztomanie
 
@ mick:

1. Es geht nur darum, dass Quintparallen nicht "schlecht klingen" oder "falsch sind", sondern es eben eine Satzform in einer Epoche gibt, in der man Quintparallelen wenn möglich vermieden hat.

1.1.: Das sie nicht schlecht klingen zeigen die mit "unabhängigen Stimmen" geführten Sätze der frühen Musikgeschichte, die schon hinreichend erwähnt sind.

1.2.: Das sie nicht schlecht klingen können, sieht man zum Beispiel daran, dass ihr Komplementärintervall, die Quarte, durchaus parallel geführt werden darf und dies auch überaus gerne in der Kompositionsgeschichte verwandt wurde (Faux bourdon, Bach-Choräle, Generalbass, Mozart etc.). Sie ist der Quinte als Komplementärintervall klanglich sehr ähnlich, besteht aus den gleichen Tönen und hat ein annähernd ähnlich simples Frequenzverhältnis:

Quinte: 3:2
Quarte: 3:4

Und nochmal zur Unabhängigkeit der Stimmführung. Wer Bachs Choräle kennt, weiß, das er einen unglaublichen Hang dazu hatte, denn Bass zumindest bei diatonischer Skalenmelodik in Terz- oder Sextparallelen zum Sopran zu führen. Das klingt wirklich sehr gut, aber warum denn? - weil die beiden Töne eben so süßlich-harmonisch zusammenklingen und schon fast wie füreinander bestimmt scheinen, doch nicht, weil man beide Stimmen eigenwillig und "unabhängig" hört. So sprach man auch beim Faux Bourdon von den "süßen englischen Terzen"!

Weißt Du, was der eigentliche Grund ist, warum irgendwann in der Musikgeschichte Quintparallelen verteufelt wurden? Der selbe Grund, warum man in der Atonalität nicht Dis- sondern Konsonanzen melodisch mit Durchgängen etc. "rechtfertigen" muss - ganz einfach: Musikalische Opposition! :D Ich weiß, das klingt blöd, aber es ist wahrscheinlich wirklich so: Der "pubertäre" Komponist verdammte die Quintparallelen, weil "seine Alten" die "cool" fanden! :D

Diese Modell der "musikalischen Opposition" sollte man sich übrigens merken - es hilft einem sehr häufig bei verwirrend erscheinenden Veränderungen in der Musikgeschichte weiter!

Und noch etwas: Man sollte nie versuchen, den Tönen irgendeinen "Wille" zu oktroyieren! Die Töne wollen erstmal gar nichts, wer etwas will, ist der Komponist und der psychoakustisch "indoktrinierte" Hörer, der eben - um es soziologisch auszudrücken - als "Wert" internalisiert hat: Quintparallelen = falsch = klingen schlecht!

Und das amüsante daran ist: Auch ich kann mich dieser Form der Akrasia nicht entziehen...:D

Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
1. Es geht nur darum, das Quintparallen nicht "schlecht klingen" oder "falsch sind", sondern es eben eine Satzform in einer Epoche gibt, in der man Quintparallelen wenn möglich vermieden hat.
Du meinst, man hat einfach irgendwelche Spielregeln ausgewürfelt, an die man sich dann zu halten hatte? Ist doch Blödsinn! Man hat Quintparallelen in gewissen Stilen vermieden, weil sie dort eben völlig fehl am Platz waren, eben "schlecht" klangen. Das Quintparallelenverbot haben dann viel später erst die Theoretiker ausgesprochen, nachdem die grossen Meister sowas eben in der Regel vermieden haben.

1.1.: Das sie nicht schlecht klingen zeigen die mit "unabhängigen Stimmen" geführten Sätze der frühen Musikgeschichte, die schon hinreichend erwähnt sind.
Zeig mal ein Beispiel, wo eine vereinzelte Quintparallele vorkommt, also keine Mixturkette.

1.2.: Das sie nicht schlecht klingen können, sieht man zum Beispiel daran, dass ihr Komplementärintervall, die Quarte, durchaus parallel geführt werden darf und dies auch überaus gerne in der Kompositionsgeschichte verwandt wurde (Faux bourdon, Bach-Choräle, Generalbass, Mozart etc.). Sie ist der Quinte als Komplementärintervall klanglich sehr ähnlich, besteht aus den gleichen Tönen und hat ein annähernd ähnlich simples Frequenzverhältnis:

Quinte: 3:2
Quarte: 3:4
Auch grosser Quatsch, denn Intervalle haben einen Grundton. Der liegt bei der Quinte unten, bei der Quarte aber oben. Daher ist die Quarte ein sehr instabiles Intervall. Sieht man auch daran, dass ein Quartsextakkord an exponierter Position wohl eher nicht vorkommt (z.B. als Schlussakkord).
 
Weißt Du, was der eigentliche Grund ist, warum irgendwann in der Musikgeschichte Quintparallelen verteufelt wurden? Der selbe Grund, warum man in der Atonalität nicht Dis- sondern Konsonanzen melodisch mit Durchgängen etc. "rechtfertigen" muss - ganz einfach: Musikalische Opposition! :D Ich weiß, das klingt blöd, aber es ist wahrscheinlich wirklich so: Der "pubertäre" Komponist verdammte die Quintparallelen, weil "seine Alten" die "cool" fanden! :D

Lieber Liztomanie,

auch wenn ich keine Expertin für Tonsatz bin, meine ich, dass es eher der musikalische Kontext ist, in dem Quintparallelen so unterschiedlich bewertet wurden. Der musikalische Kontext, wenn ich ihn mal so nennen darf, ist nämlich bei mittelalterlicher Musik doch ein wenig anders als bei Bachchorälen ..... . :D

Liebe Grüße

chiarina
 
Lieber Monte,

hast Du meinen Beitrag überhaupt richtig verstanden?

Und bezüglicher der Notenbeispiele: Die gibt es wirklich zuhauf, da musst Du mich nicht fragen - ich will aber mal nicht so sein - hier hast Du eins!

Und das ist noch extrem "harmlos":

Johannes Ciconia - Latin Motets (5/5) O Padua sidus precarium - YouTube



Willst Du Hardcore? Kannst Du haben - nennt sich "Organum":



Die musikalische Hochform von "sowas" sind übrigens die göttlichen Organa eines Pérotin!



oder, eines meiner Lieblingswerke aus der Zeit:



Und wer sagt, dass das "schlecht" klingt, oder keine wunderschöne Musik ist, der sollte seinen Beruf als Musiker an den Nagel hängen...

Zum Grundton: Man lese meine Abschnitt wider den nicht vorhandenen Willen der Töne!

Das lustigste ist aber: Sogar zur gleichen Zeit wollten die Töne wohl anscheinend Unterschiedliches - ein Beispiel: Frage an alle Tonsatzstudenten: Welche Töne dürfen beim Sextakkord verdoppelt werden? Antwort: - alle!

Denn:

1. Zu Anfang des Barock und davor war der Sextakkord keine Akkordumkehrung mit Grundton als Sexte, sondern ein Akkord aus Terz und Sexte mit Grundton im Bass!

2. Wer bei Bach genau nachzählt kommt zu folgendem Ergebnis: Er hat alle Töne absolut gleich häufig verdoppelt - nix da mit "Grundton"!. Außerdem hat er sogar die grundtönigere "Quinte" seltener verdoppelt, als die färbende "Terz"!

3. Jetzt kommt der Knüller: Schaut man bei Haydn, lernt man folgendes: Es gibt eine Trennung zwischen Staat und Kirche - nämlich folgende:

In Haydns Teresienmesse wollen im Sextakkord alle Töne gleichhäufig verdoppelt werden: In der Kirche herrscht also Kommunismus! *gg*

In Haydns Streichquartetten wollen im Sextakkord die "Gruntöne" fast nur noch verdoppelt werden: Im Staat herrscht also Kapitalismus! *gg*

Man könnte die Musik auch einfach entideologisieren und sagen: Die Musik will gar nichts, sondern nur die Komponisten, und die haben da eben gerade einen Epochenwandel und Paradigmenwechsel durchgemacht, aber das will der Mensch ja nicht...

Will eine Wagner-Oper eigentlich nicht von Juden dirigiert werden, die können ja angeblich keine "echte Musik"!? Das könnte ja gefährlich werden für Barenboim...^^

Zum Quartsextakkord bzw. zur Quarte allgemein: Das ist eine Auffassungsdissonanz!

Zitat von Wikipedia:
Die häufige Einordnung des Sextakkords als konsonant bzw. des Quartsextakkords als dissonant rührt von den frühen Kontrapunktregeln her, nach denen Terz und Sexte über einem Grundton als konsonant, die "primäre Quart" (Quarte über einem Grundton) - und damit auch der Quartsextakkord - allerdings als dissonant bezeichnet wurden.
Akustisch lässt sich der Dissonanzcharakter des Quartsextakkords, solange er dreitönig in enger Lage vorliegt, nicht verifizieren. Denn da er nur konsonante Intervalle (Quart, große Sext und große Terz) enthält, besteht kein unmittelbarer Grund, ihn als dissonant anzusehen. Ein solcher könnte allenfalls noch in Dissonanzreibungen der mitschwingenden Obertöne oder Differenztöne zu suchen sein.
Die folgende Oberton- und Differenztonanalyse [1] zeigt jedoch, dass der Quartsextakkord sogar einen höheren Konsonanzgrad aufweist als der Sextakkord, der allgemein als konsonant gilt.
Obertonanalyse[Bearbeiten]
Dreiklang Umkehrungen Oberton.jpg

Bei dem in der nebenstehenden Grafik dargestellten C-Dur-Quartsextakkord (g-c'-e') ergibt sich eine Dissonanz (kleine Sekunde) zwischen dem dreigestrichenen c (dritter Oberton des c') und dem zweigestrichen h (zweiter Oberton des e' und vierter Oberton des g).
Der Vergleich mit den Verhältnissen des ebenfalls dargestellten Sextakkords zeigt, dass bei diesem die Reibung einer kleinen Sekunde bereits in einem tieferen Bereich der Obertonreihen auftritt, nämlich zwischen dem h' (zweiter Oberton des e) und dem c" (erster Oberton des c'). Hinzu kommt ein weiterer Konflikt zwischen dem gis" (vierter Oberton des e) und dem doppelten g" als Oberton der beiden anderen Akkordtöne.
Differenztonanalyse[Bearbeiten]
Die Betrachtung der Differenztöne (1.Ordnung) ergibt folgendes Bild:

Sextakkord (e - g - c')
Die Terz e-g erzeugt den Differenzton C1.
Die Quart g-c' liefert das C eine Oktave höher.
Die Sext e-c' ergibt als Differenzton das G.
Quartsextakkord (g - c' - e')
Die Quart g-c' liefert den Differenzton C.
Die Terz c'-e' ergibt den gleichen Ton C.
Die Sext g-e' erzeugt das c eine Oktave höher.


In beiden Fällen ergeben die Differenztöne zusammen mit dem Akkord ein vollkommen konsonantes Klangbild, wobei der Gesamtklang beim Sextakkord etwas dunkler und farbiger, beim Quartsextakkord etwas heller und reiner ist.
Auffassungsdissonanz[Bearbeiten]
Trotz der akustischen Makellosigkeit des Quartsextakkords wird er in bestimmten Fällen als dissonant (Auffassungsdissonanz) und auflösungsbedürftig empfunden. Dieses Auflösungsbestreben wurde zum Beispiel in Instrumentalkonzerten der Klassik gerne als Spannungsmoment eingesetzt, um Aufmerksamkeit für die improvisatorische Kadenz des Solisten zu erregen. Die hier empfundene Dissonanzspannung ist jedoch weniger in der Struktur des Akkords selbst begründet als vielmehr darin, dass in solchen Fällen der Basston sehr starkes Gewicht bekommt, indem er durch meist oktavierte Bässe verstärkt wird. Die durch einen solch gewichtigen Basston erzeugte (n) Obertonreihe (n) dissonieren (akustisch real) mit den Akkordtönen und versuchen diese in ihren reinen Klang hinein zu ziehen.[2]


Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie
 
Lieber Liztomanie,

auch wenn ich keine Expertin für Tonsatz bin, meine ich, dass es eher der musikalische Kontext ist, in dem Quintparallelen so unterschiedlich bewertet wurden. Der musikalische Kontext, wenn ich ihn mal so nennen darf, ist nämlich bei mittelalterlicher Musik doch ein wenig anders als bei Bachchorälen ..... . :D

Liebe Grüße

chiarina

Du sagst doch mit Deinen Worten genau das gleich wie ich mit meinen? Wo ist das Problem?

Der musikalische Kontext hat sich gewandelt, weil Komponisten andere Wege gehen und sich abgrenzen wollten. So kam die Terz erst in die Musik, dann in den Schlußakkord und schließlich obsiegte so die harmonische Kohärenz eines Bach über die melodisch kohärente Leittönigkeit eines Schütz, bis dann zum Beispiel bei Wagners Vierklängen die Leittönigkeit wieder extrem wichtig wurde, um den musikalischen Zusammenhang, die Harmonik und die "Quasi-Tonalität" zu wahren.

Es gibt keine Gattung und keinen Kontext, der irgendetwas a priori aus- oder einschliesst. Es gibt nur internalisierte Menschen, die a posteriori denken, das gewisse Kontexte und gewisse Gattungen ein gewisses musikalisches Verhalten implizieren!

Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie
 

Hast Du da ein paar Beispiele? Es geht hier um den streng vierstimmigen Satz - und da muss man bei den großen Komponisten die Parallelen schon mit der Lupe suchen, um sie zu finden. Die meisten Parallelen klingen halt nicht gut, und deshalb wurden sie auch nicht komponiert.
Es gibt nur wenige Ausnahmefälle (z.B. die sogenannten "Mozartquinten"; oder auch dissonante Fortschreitungen, bei denen die Parallele durch unterschiedliche Betonungen verschleiert wird), in denen Parallelen klanglich nicht stören. Solche findet man auch hin und wieder bei großen Meistern - aber man muss selbst danach wirklich suchen. Sie bleiben eine seltene Ausnahme.

LG, Mick



Die Mozartquinten tun ihm etwas unrecht. Mozart umgeht sie nämlich meistens geschickt. Sie sollten treffender Clementi-Quinten heißen.
 
Lieber Lisztomanie,

Du erwähnst eine Reihe von Dingen (u.a. aus de la Motte: Harmonielehre), um die es hier im Moment weniger geht.

Und wer sagt, dass das "schlecht" klingt, oder keine wunderschöne Musik ist, der sollte seinen Beruf als Musiker an den Nagel hängen...

Um es mal überspitzt zu formulieren: Was schlecht klänge, wäre z.B., in einen Choral (Bach-Stil) ab und zu einen Takt im Stile des Organum einzuschieben.

Viele Grüße
Niko
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Dass die "nicht gut klingen", ist Blödsinn und sollte deshalb auch nicht gesagt werden, auch nicht gegenüber Harmonielehreschülern.

Richtig ist: In einem bestimmten Abschnitt der Geschichte der europäischen Kunstmusik waren die Parallelen lediglich verpönt, oder anders gesagt: Ein Merkmal der betreffenden Musikstile war es, dass bestimmte Parallelen nicht benutzt werden; sie passen in diesen Stil nicht hinein.

Und die "klassische Harmonielehre", die heute nach wie vor in den Hochschulen gelehrt wird, vermittelt halt, wie Musik funktioniert, die sich in diesen Stilen bewegt.

Im Mittelalter waren Quintparallelen eine Zeitlang sogar die einzig erlaubten Harmonien, ab dem 19. Jahrhundert wurden Quintparallelen in der Kunstmusik auch bewusst (und ganz prima klingend) eingesetzt, Paradebeispiel Debussy. Und in Jazz-Rock-Pop sind Quintenparallelen sowieso das Normalste der Welt.

Das Ganze bedeutet u.a., dass es sehr wichtig ist, dass Harmonielehreschüler ein "Ohr bekommen", wie barocke und klassische Musik zu klingen hat, und aufgrund dessen der dort unpassende Klang der Parallelen gleich wahrgenommen wird (sozusagen so wie man wahrnimmt, dass man bei einem Galaball mit Jeans und T-Shirt unpassend gekleidet ist). Ist dieses "Ohr" nicht vorhanden (was sehr oft der Fall ist!), dann sind Tonsatzaufgaben lediglich "Malen nach Zahlen", das halt, weil's Pflicht ist, irgendwie gemacht wird, Hauptsache man fällt nicht durch.

LG,
Hasenbein


Hören wir Herrn Bach dazu: Zwei Quinten oder Oktaven dürfen nicht aufeinander folgen, denn dies ist nicht nur ein Fehler, sondern es klingt auch übel. (!)

Klar, es gibt Musik, in der Parallelen zum Stil gehören. Im Choralsatz allerdings nicht, und da klingen sie meistens (!) schlecht. Schon Reger merkte an, dass einige Quinten ganz hübsch sind. Weniger hübsche kann man übrigens massenhaft in dem grauenvollen Chorbuch zum neuen Gotteslob finden.

Was die Fehler angeht: Es gibt in Bachs Choralsätzen Quinten. Allerdings ist immer die Frage, was er davon wirklich selbst geschrieben hat. Dann gibt es die gut klingenden, die man faktisch nicht hört. Und dann natürlich auch bei ihm die sehr seltenen Fehler, die bei einem so riesigen Werk einfach passieren können. Ein Freifahrtschein ist das nicht.

Schöne Grüße
Axel
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Woher genau hast du diese Regel? Ich denke, sie gilt in der Striktheit nicht für die 7 eines Dominantseptakkords (und dessen erste Umkehrung).

Beispiel:

Den Anhang 7475 betrachten


Alles ok, wenn wir uns im Stile Bachs bewegen. Nun sieht das Beispiel von jazzer ja nicht wie eine Stilkopie nach Bach aus, sondern mehr wie eine Übung im strengen Satz. Man mag einwenden, dass es diesen ja nur in Lehrbüchern gibt, auch das ist unbestritten. Pädagogisch ist das (von Kirnberger über Bölsche bis Lemacher-Schroeder) gar nicht mal so sinnlos. Wer einmal kapiert hat, was z.B. verdeckte Quinten sind, wird sie erkennen und dann entscheiden können, ob sie stilistisch vertretbar sind.

Schöne Grüße
Axel
 
Das lustigste ist aber: Sogar zur gleichen Zeit wollten die Töne wohl anscheinend Unterschiedliches - ein Beispiel: Frage an alle Tonsatzstudenten: Welche Töne dürfen beim Sextakkord verdoppelt werden? Antwort: - alle!

Denn:

1. Zu Anfang des Barock und davor war der Sextakkord keine Akkordumkehrung mit Grundton als Sexte, sondern ein Akkord aus Terz und Sexte mit Grundton im Bass!

2. Wer bei Bach genau nachzählt kommt zu folgendem Ergebnis: Er hat alle Töne absolut gleich häufig verdoppelt - nix da mit "Grundton"!. Außerdem hat er sogar die grundtönigere "Quinte" seltener verdoppelt, als die färbende "Terz"!

Die Sache ist viel einfacher: Der Basston wird dann nicht verdoppelt, wenn er Leitton ist, so wie Leittöne niemals verdoppelt werden. Das hat nichts mit Sextakkorden oder Basstönen zu tun. Nur gibt es nun mal recht häufig den (Quint-)Sextakkord auf der VII. Stufe mit Leitton im Bass, weshalb sie diese dümmliche Schulregel wohl irgendwann mal etabliert hat.

@Alex: Alles klar – ja, Kirnberger hat ja sogar um 1780 noch in seiner Generalbassschule geschrieben, dass Septimen immer vorbereitet werden müssen. In Wahrheit war das schon beim italienischen Partimento 70 Jahre früher nicht mehr so.
Wenn man stilistisch differenziert, wird es wirklich kompliziert – und die Lehrbuchautoren haben oft anderes behauptet, als die "großen" Komponisten wirklich getan haben. Ist ja auch klar – wenn jemand von uns ein Buch über den Boulez'schen Stil schreiben müsste und welche Akkorde darin erlaubt bzw. verboten sind, würden wir ja auch gnadenlos scheitern.
Da aber bei einer solchen Prüfungsaufgabe meistens nicht angegeben ist, ob man à la Bach oder à la Lehrbuchsatz aus Lehrbuch x schreiben soll, denke ich, dass die Prüfer da ziemlich tolerant wären. ;-) Ums mal aus pragmatischer Sicht zu sagen.
 
Man sollte hier einfach drei Fragen differenzieren:

1. Was hilft jazzer jetzt pragmatisch weiter!

2. Was ist das Stilideal ein Choralsatzes (Bach?) und eines Kantionalsatzes (Schütz?) und welche "Regeln" gelten für solche Sätze bzw. für authentische Stilkopien?

3. Was lässt sich bei allgemeiner Betrachtung über musiktheoretische Paradigmata, Epochen und Regeln sagen?

Meine Aussagen bezogen in Anlehnung an Hasenbeins wohl primär auf 3., wohingegen Axel sich wohl eher mit 2. auseinandersetzt. Und dann gibt es noch rappy, der wohl eher in die Richtung von 1. tendiert! :D

Und die übrigen mögen sich bitte selbst irgendwo einordnen...:D

Herzliche Grüße

Euer Lisztomanie
 
@Lisztomanie

Deine Musikbeipiele sind schön anzuhören, aber leider in diesem Zusammenhang völlig belanglos. Die Regeln des vierstimmigen "Schulbuchsatzes" gelten (und das weißt Du auch!) für Werke, die dem dur-moll-tonalen Tonsystem des 18. Jahrhunderts zuzurechnen sind; mit Erweiterungen auch dem des 19. Jahrhunderts.

Machaut und Perotin sind als Gegenbeispiele ebenso wenig relevant wie Debussy und Schönberg. Sobald wir das Dur-Moll-System verlassen, kann man die Regeln nicht mehr anwenden. Oder wie Hans Sachs so schön sagt (singt):

Zitat von Wagner:
Wollt ihr nach Regeln messen,
was nicht nach eurer Regeln Lauf,
der eignen Spur vergessen,
sucht davon erst die Regeln auf!

LG, Mick
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
@ mick: Man betrachte die verschiedenen differenzierten Fragestellungen oben.

Ansonsten muss ich Dir vorbehaltlos zustimmen...:D

Wobei auch Du weißt, das man allein beim Wort "Regel" schon vorsichtig sein sollte, und das unabhängig davon, dass etliche Regeln ja sowieso falsch sind, wie zum Beispiel die tolle Verdopplungsregel für die Sextakkorde...^^

Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie
 
@Alex: Alles klar – ja, Kirnberger hat ja sogar um 1780 noch in seiner Generalbassschule geschrieben, dass Septimen immer vorbereitet werden müssen. In Wahrheit war das schon beim italienischen Partimento 70 Jahre früher nicht mehr so.

Da aber bei einer solchen Prüfungsaufgabe meistens nicht angegeben ist, ob man à la Bach oder à la Lehrbuchsatz aus Lehrbuch x schreiben soll, denke ich, dass die Prüfer da ziemlich tolerant wären. ;-) Ums mal aus pragmatischer Sicht zu sagen.

Gibt es zum italienischen Partimentospiel eine Quelle? Da würd ich gerne meinen Horizont erweitern.

Das tolerant bewertet wird, hoffe ich auch sehr für die Prüflinge. Es könnte aber auch sein, dass gerade ein strenger "Theoriesatz" verlangt wird. Also würde ich mir als Prüfling lieber weniger als mehr Freiheiten nehmen.

Schöne Grüße
Axel
 

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