Gussrahmen etwas porös - ist das normal?

  • Ersteller des Themas alexandermartillo
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Steinway hatte in Queens, Ditmars, an heutiger Stelle, eine eigene Gießerei betrieben. Von ca. 1871 bis ca. 1930.
Davor kauften sie zu, bei Gießereien im New Yorker Umfeld.
Dann waren sich die Brüder einig, dass eine eigene Gießerei essentiell sei zum Weiterentwickeln der Klaviere und v.a. Flügel. Theo Steinweg nutzte das intensiv, um seine Projekte betreffs Vollpanzer und Legierungen sowie der komplett neuen Flügel-Teilefamilien der immer noch heutigen A bis D voranzutreiben. siehe Wikipedia, "Genealogie der Steinway-Flügel".

Mit einer eigenen Gießerei ist man in so manchen Maschinenbaubereichen unfassbar flexibel und ein kleiner großer König in vielerlei Gewerbe.

U.v.a. war das Vorhandensein einer eigenen Gießerei hochwahrscheinlich von qualitativem Belang, dass William Steinway ab ca. 1892 eine Lizenz zum Bau derer Daimler-Motoren, zum Antrieb von Motorbooten und Straßenfahrzeugen, von Gottlieb Daimler erhalten konnte, und dann den "American Daimler" in Lizenz baute.

Dann gingen die New Yorker Behörden allen Gießereibetrieben betreffs Silikose etc. so dermaßen auf den Senkel, dass sich Steinway außerstande sah, die Gießerei noch weiter zu betreiben.

Steinway kaufte die Platten dann wieder zu.

Eine Gießerei nach der anderen ging pleite oder außer Betrieb - bis in den ganzen USA für Klavierbedarfe nur noch O.C.K. übriggeblieben war - und bevor die uU. auch noch dicht gemacht hätten, und Steinway ganz dumm dagestanden hätte, kaufte Steinway diese Gießerei.

Die seit längerem auch das Vakuumformverfahren beherrscht. Und außer für Steinway auch anderen Klavierbaubetrieben verfügbar machte. U.v.a. kauft oder kaufte Bechstein dort ein.
 
Vielen Dank in die Runde. Und keine Sorge: Auch Neulinge vertragen ein paar Scherze! ;-)
 
Und ich hatte unlängst einen Grotrian-Steinweg Konzertflügel aus den 1870ern unter den Fingern, dessen Gußplatte ebenfalls aus den USA kam.
In den 1870er Jahren hatte Grotrian Steinweg weitenteils eh, wenn nicht gar ausschließlich Steinway-Designs am Wickel. Also idente Maschinen zu dem, was man in New York fertigte.

Man wisse, 1865 starben binnen nur drei Wochen gleich zweie der Steinweg-Brüder, Henry jr. als Vater der modernen Flügel, und Bruder Charles (Karl), letzterer auf Reise zu Ärzten in Deutschland, just in Braunschweig in den Armen seines Bruders Theo. Beides Techniker ... In New York dann einzig verbliebener Techniker Vattern Heinrich, und Albert war noch sehr jung.

Theo war anfangs 1850 nicht mitgegangen in D, hatte sich als Musikalienhändler durchgeschlagen und dann in Wolfenbüttel, sowie nach Umzug am Bohlweg in Braunschweig dann zusammen mit dem aus St Petersburg oder Moskau zurückgekehrten und wohlhabenden Grotrian senior seine Klavierbaubude betrieben, zwei Größenordnungen kleiner aber als die Riesenbude seines Vaters und seiner Brüder in New York - deren Bude von 1860 den kompletten Block zwischen 52. und 53. Straße an der 4. Avenue einnahm.

Theo hatte für seine kleine Klavierbutze sehr viel Hilfe, viele Zeichnungen und auch erheblich Geld aus New York bekommen, vice versa hatte er die New Yorker Bande per Briefen und später per Transatlantikkabel mit allem an Wissen und Gerüchten etc. versorgt, was so in Europa gerade unter den Klaviermacherern en vogue war.

Dann forderten der alte Papa Heinrich und der zweitjüngste William den Theo auf, zur Hilfe nach New York zu kommen. Nach sehr viel Widerstand kam Theo dem dann nach. Theo und vor allem Theos Frau hassten das hektische New York, dachten, da gehste kaputt, mieses Klima und so weiter. Er vertickte seine Braunschweiger Geschäftsanteile an den Sohn seines kürzlich verstorbenen Partners Grotrian, und an zweie der Mitarbeiter, Helfferich und Schulz.

Im Verkaufsvertrag wurde festgelegt, dass die Braunschweiger den Namen "C.F.Th. Steinweg Nachfolger" in die Tastenklappen schreiben durften. Und weiter die eh schon gebauten New Yorker Flügeltechnik nutzen durften, teils wohl auch mitsamt Teile-Supply. Das wäre dann 1875 ausgelaufen ...

Und die großen Flügel trugen alle dieses verräterische "V" in den Lisenen, das sonst sich in Paris an den Flügeln von Erard auch fand - die Gestaltung von Tastenvorderfronten, Lisenen etc. als "Markenzeichen"; und als Reverenz der New Yorker, von wo sie 1856 die Urgründe ihres Flügelbaues her hatten - dann aber flott stark verbesserten. Henry Jr.

Frech wie sie waren in BS, gibt es aber aus der Zeit um 1875 dann den Versuch, sich als Teil derer Steinways auszugeben, es existieren Flügel mit Klappeninschrift "Steinway & Sons, New York, Braunschweig". Was aber William S auf die Palme trieb und er das Treiben per guter Kontakte in die BS-Justizszene zu unterbinden wusste.

aber noch der 1892er Flügel, Parlor Grand um 220, den Clara Schumann, Meisterpianistin in Diensten Grotrian, nutzte, ist noch 1:1 das Design von 1861-62, das Henry jr. ausbaldowerte. Also die Bass-Überkreuzung, bissele verfeinert, und abdiepost in großen Stückzahlen unter die Leute gehauen. Unglaublich, wo man überall die Henry-Flügel findet. Und diese "Henry"-Flügel sind 1A Sahne, ich habe mehrere davon gespielt.

Derweilen ab 1886 der Henry-jr-Flügeltyp mit 85 Tasten verschwand gegen den C-227-Flügel, der aus dem D-274 verkürzt abgeleitet wurde, und dann auch wie der Konzerter 88 Tasten hatte.

Braunschweig baute die "Henry"-Nummern mit 85 Tasten weiter.

Ich wette, du kannst Claras Platte aus dem 1892er ausbauen und in einen 1872er Parlor Grand aus New York reinsenken, und vice versa.
Also gar kein Wunder, dass es in Grotrian-Flügeln USA-Platten gibt. Wegen schriftlich abgemachter Zusammenarbeit 1865-1875, und vorher schon die Connection Theo in BS - Henry Jr etc. in NYC.

Ich weiß allerdings betreff Grotrian nicht, ab wann sie eigene Designs machten und was anderes zu bauen begannen als Henrys Dinger. Grotrian ist nicht ganz meine Baustelle, mit allen, was bei denen dann "non-Steinway" war. Deren neuere Platten dürften dann aus deutschen Gießereien gekommen sein. Denn irgendwann um 1875 oder kurz darauf dürfte die neue Steinway-Gießerei das Beliefern von Braunschweig eingestellt haben - Theos alter Vertrag war ja abgelaufen, aber Theo war noch da, war oft in BS, ab 1883/84 eigentlich ständig, solle weiter erst am Bohlweg gewohnt haben, bevor er sich eine riesige Villa am Oker-Stadtgraben leistete.

Großer Sponsor eines Kinder-Waisenheims! Onkel Theo machte 1x im Jahr Kirmes für die Waisenkinder aus Seesen, schickte ihnen einen ganzen Zug vorbei, man dampferte nach Braunschweig, Kirmes auf Theos Rasen am Okergraben, abends ging mit Zug heim ins Heim nach Seesen, und der vielfache Millionär Theo Steinweg, der nach Tod seiner kleinen Tochter keine Kinder mehr hatte, zahlte all das.

Und soll sich wohl auch mit dem jungen Grotrian weiter gut verstanden haben.

Kann also auch sein, dass selbst nach 1875 der alte Theo für den jungen Grotrian ein Wort in New York einlegte, a la "... William, kannste nicht machten, den Jungen verhungern lassen... oder willst du, dass der meine Platten in einer deutschen Gießerei kopieren lässt? Also, gib ihm ein paar Platten aus der Gießerei Queens, tun uns ja nicht weh... Die, die Grotrian kaufen, können sich vielleicht keinen Steinway leisten ... "

Mal so meinerseits eine freche Imagination, was da in den Köpfen vielleicht vorgegangen sein mag.

Außerdem waren teils auch die Steinway-Geschäfte jener Jahre nicht so pralle ... - da könnte sogar gut getan haben, dass auch Grotrian paar Platten brauchte und kaufte.

In jenen alten Tagen (TM) gab es allerdings noch keinen Vakuum-Formguss, das ist was, was man in den 1960er, 70er Jahren entwickelte, soweit ich das erinnere.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Wiedereinaussteiger: Sehr interessant, Danke für die Infos.
Das klingt ja schon irgendwie stark danach, dass die Grotrian-Instrumente "günstigere" Kopien der Steinweg-USA-Flügel/-Klaviere sind. Kann man das so sehen oder sind die Grotrian-Produkte mittlerweile eher eigenständige, handwerklich und klanglich völlig verschiedene Instrumente gegenüber den Steinway-Produkten? Man sagt ja auch: besser gut kopiert als schlecht selbst gemacht.
 
@Wiedereinaussteiger: herzlichen Dank für deine Ausführungen. Total interessant.
Eine Werksbesichtigung bei Grotrian und Schimmel in Braunschweig steht noch aus. Mein Vater (85) versucht sein geraumer Zeit Termine für einen Männerausflug (mein Vater, mein Sohn und unsereiner) dahin zu bekommen. Wirklich nicht einfach. Ich bin in Braunschweig geboren und habe dort auch studiert. Sollte ich jemals ein richtiges Klavier kaufen, müsste es auch zwingend eines aus der Stadt sein.
 
Ich mag deine Analysen, deinen Schrieb und die dargelegten "Historienromane und -dramen". Auch wenn das eine oder andere sich vielleicht ein klein wenig anders zugetragen haben mag, lesenswert ist es allemal!
 

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