
LMG
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Hallo liebe Clavios,
ich möchte einen Text aus meiner Rhapsody in Blue-Ausgabe zitieren bzw. übersetzen, wobei mich folgende Fragen interessieren:
1. ) War Euch das Kuddelmuddel bekannt, das sich im Zusammenhang mit der Rhapsody ereignete?
2. ) Habt Ihr Ergänzungen / Einwände usw. , oder wisst Ihr weitere - auch allgemeine - Fakten, Daten, Infos usw. zu dem schönen, aber - für mich zumindest - schwierigen Werk ?
Meine Übersetzung des Vorwortes von Alicia Zizzo:
ich möchte einen Text aus meiner Rhapsody in Blue-Ausgabe zitieren bzw. übersetzen, wobei mich folgende Fragen interessieren:
1. ) War Euch das Kuddelmuddel bekannt, das sich im Zusammenhang mit der Rhapsody ereignete?
2. ) Habt Ihr Ergänzungen / Einwände usw. , oder wisst Ihr weitere - auch allgemeine - Fakten, Daten, Infos usw. zu dem schönen, aber - für mich zumindest - schwierigen Werk ?
Meine Übersetzung des Vorwortes von Alicia Zizzo:
Vorwort
Von Alicia Zizzo
Wenige Komponisten haben Material komponiert, über das mehr improvisiert wurde, das öfter nachgeahmt wurde, öfter fragmentiert wurde und allgemein mis-interpretiert wurde, als George Gershwin. Und an der Spitze der "meistgeschändeten" steht die Rhapsody in Blue, die, ironischerweise, gerade diejenige Komposition ist, die die vergangenen 70 Jahre lang für die klassische Gesellschaft definierte, wer George Gershwin ist.
In der neuesten Ausgabe von Schirmers "Manual of Musical Terms" bezieht sich Theodore Baker auf Gershwin als einen großartigen Amerikanischen Lied-Schreiber und Komponisten von jazz-angehauchten "ernsten" ( drolligerweise so von Baker zitiert ) Werken.
Sogar das "New Grove Dictionary" findet seine ernsten Kompositionen "strukturell mangelhaft...eher gefüllt mit repetitiven als mit entwickelten Melodien"...oftmals " unterbrochen durch abrupte Pausen." Diese besonders negativen Bewertungen sind nicht falsch - wenn man die ursprünglich veröffentlichte "Rhapsody in Blue" für Klavier solo und die "Rhapsody in Blue" für Klavier und Orchester, 1924 veröffentlicht für 2 Klaviere / 4 Hände, studiert und beurteilt. Was diese kritisch-verheerenden Bewertungen so schmerzlich tragisch macht, ist die Tatsache, dass Gershwins Richter fehlerhaftes EDITIEREN, und nicht fehlerhaftes KOMPONIEREN verurteilten.
Eine Laune des Schicksals und Gershwins Nichteingebundensein in den Prozess der ursprünglichen Veröffentlichung der "Rhapsody in Blue" führte zu einer unvorausgesehen geänderten Komposition, die über ein halbes Jahrhundert lang eingehüllt war in unbeantwortete Fragen.
Um mit folgendem zu beginnen: Gershwins "Rhapsody in Blue" war nicht im öffentlichen Zugriffsbereich, was Zugriff auf seine Originalmanuskripte nach sich hätte ziehen können. Zusätzlich waren Harms Publishing Co., die im Jahre 1924 nicht im Geschäftsbereich "Ausgaben von klassischen Musiknoten" aktiv waren, spezialisiert auf popular songs und Musiktheater, ausgerichtet auf die große Masse Amateurpianisten damals, zur Zeit der player pianos und Stummfilme.
Die Herausgeber ( Editoren ) bei Harms, denen die Aufgabe oblag, die "Rhapsody" für die Veröffentlichung vorzubereiten, waren klassisch ausgebildete Musiker, die in den europäischen Traditionen erzogen worden waren, die Tschaikowsky und Rachmaninow hervorgebracht hatten.
Weder verstanden sie Gershwins Stil, noch hatten sie großartig Respekt für seine fehlende Konservatoriumsausbildung.
Letztlich entschieden sie sich, die "Rhapsody" in Übereinstimmung mit ihren Ansichten, wie das Stück aufgeführt werden sollte, zu bearbeiten.
Erstmal erschien es ihnen als zu lang.
In der Klavier / Orchester-Ausgabe löschten sie über 50 Takte im Klavier- Solopart und schnitten 4 Takte aus dem Orchesterpart raus.
Meine unbeantwortete Frage war lange Zeit: Warum so viel im Solopart und so wenig im Orchesterpart ?
In der Piano solo - Ausgabe der "Rhapsody" wurden aus Gershwins mit eigener Hand geschriebenem Originalmanuskript 88 Takte eliminiert!
Was nimmt's da Wunder, wenn es als fragmentiert und abgekürzt angesehen wurde!
Die "Melodien, getrennt durch abrupte Pausen" existierten nicht in Gershwins Manuskript. Wunderschöne, thematisches Material verbindende Bridges wurden entzweigeschnitten. Ursprünglich aufsteigend notierte Passagen, denen absteigende folgten, waren nun bloß noch eine absteigende in einem anderen Register, völlig ohne Verbindung mit dem, was voranging. In einer Sektion wurden 20 piano solo-Takte, die zum Eingang des großartigen Finalthemas führten, auf zehn reduziert. Und eine weitere 16 Takte lange Sektion genau vor dem Finale des Stücks wurde ungeheuerlicherweise und ungerechtfertigt rausgeschnitten.
Tatsächlich ist keiner dieser Eingriffe gerechtfertigt, denn sie reflektieren unverantwortliches "Musikertum".
Desweiteren brachten die Bearbeiter - zusätzlich zum Kürzen der "Rhapsody" um ca. 4 oder 5 Minuten - ihren eigenen pädagogischen Stil ein.
Das bedeutet im Klartext: Sie änderten Gershwins eigene, verbale und interpretationsrelevante Direktiven dahingehend, dass die Aufführung des Stücks von "unbeschwert und jazzig" zu "streng und romantisch" im Stil des 19. Jahrhunderts überwechselte.
Das ist es, was diese Jahrhundertwende-Editoren konnten und das war der Stil des Klavierspielens, der die Studenten und die Aufführenden gelehrt wurde. Letzlich wurde es der Stil, in dem Pianisten die "Rhapsody" bis in die heutige Zeit spielten.
Aber das ist nicht der Stil, den man durch Gershwins Hand notiert findet.
Wenn Gershwin persönlich diese Änderungen angesagt hätte, dann würde dafür irgendwo ein Beweis vorliegen. Keiner wurde gefunden.
Wir wissen, dass Gershwin die Original-Veröffentlichungen abgesegnet hat. Er war tatsächlich überrascht, dass Harms sie überhaupt veröffentlichen würde. Wir wissen auch, dass er den Wunsch geäußert hat, mit dem Verlag über die Änderungen zu sprechen irgendwann 1933, aber dies geschah nie.
Wir haben aber den absolut sicheren Beweis, dass Gershwin seine "Rhapsody in Blue" am 12. Februar 1924 so aufführte, wie er sie mit eigener Hand ursprünglich notiert hatte. Zwei Manuskripte existieren. Das erste von Gershwins Hand, und das zweite, bei dem es sich um Grofe's orchestriertes Manuskript handelt. Beide scores sind identisch. Grofe änderte keine einzige Note, Akkord oder andere Gershwin-Direktive.
Damit übereinstimmend, fuhr Gershwin fort, die "Rhapsody" so aufzuführen, wie er sie original notiert hatte. Auch führte er sie so auf, wie sie veröffentlicht worden war. Er nahm 1927 eine "9-Minuten-Rhapsody" auf, und eine kurze piano solo - Rhapsody auf Klavierrollen. Gershwins Anpassungsfähigkeit und riesiger öffentlicher Erfolg ärgerten zweifellos einige seiner Zeitgenossen, was allerdings nur den Mythos schwächte, dass er ein nicht so meisterhafter Komponist gewesen wäre.
Eine weitere Ausweitung der Mythen, die um Gershwins Genie wehen, hat mit der Bemerkung zu tun, er hätte keinen wirklichen Entwicklungsprozess durchlaufen, der zur Komposition der "Rhapsody" geführt hätte.
Tatsächlich jedoch hatte dieses Stück ganz klar definierte Wurzeln in einem größeren Werk, das er 1922 komponiert hatte, namens "Blue Monday".
( Blue Monday, arr. for piano solo from Gershwin's original ms. by Alicia Zizzo; Warner Bros. Publications ) .
Es ist eine 20-Minuten-Oper, die impressionistische und romantische Stile mit Jazz-Motiven verbindet, und einen guten Einblick in sein Beherrschen von Harmonie und Musikgeschichte liefert. Paul Whiteman hatte "Blue Monday" für George White's "Scandals" dirigiert und war so beeindruckt, dass er Gershwin einlud, etwas Ähnliches für sein "Experiment in Modern Music"-Konzert in der Aeolian Hall, New York, zu komponieren.
Angetrieben, ein größeres Werk für Whiteman zu komponieren, wühlte Gershwin in seinem Gedächtnis ( bewusst oder nicht ) - und zog "Blue Monday" für diese Unternehmung heran. Er entschied sich für die Form der RHAPSODIE ( ein griechisches Wort, welches - angesichts der Geschichte der "Rhapsody" ironischerweise - "zusammennähen" bedeutet. Hier: Zusammennähen verschiedener musikalischer Themen. ).
Wie es sich aber ergab, waren die "Nähte", die das thematische Material zusammenhielten, dieselben, die die ersten Bearbeiter auftrennten und die "Rhapsody" zerfransten.
Um auch noch Beleidigung zum Unrecht hinzutreten zu lassen, wurden, als die "Rhapsody" für piano solo von Harms kreiert wurde, statt lieber das originale Gershwin-Manuskript zu Rate zu ziehen, die meisten der Orchesterreduktionen, die für das zweite Klavier, verwendet.
Interessant auch, festzuhalten, dass der 2. Teil des ersten Themas der "Rhapsody" , der auch an ihrem Schluss verwendet wird, derselbe wie am Schluss von "Blue Monday" ist, und zum ersten Mal in "Lullaby" ( Warner Bros. Publ. ), einem Klavierstück von 1919, auftritt.
Später entwickelt er sich zu "The Man I Love", 1927.
In der vorliegenden Ausgabe, der ersten neuen Ausgabe in über 70 Jahren, sind alle zuvor entfernten Passagen wiedereingefügt und sie erscheinen alle, außer 4 Takten, in sowohl Gershwins originalem Klaviermanuskript und dem originalen Grofe-orchestrierten Manuskript. Auch sind Gershwins eigenhändig notierte Bögen, geschriebenen Anweisungen, Staccatomarkierungen, Pedalisierungen, Akkorde und andere Direktiven enthalten.
Es gab anscheinend keine Seite in seinem Manuskript, die nicht irgendwie geändert worden war.
Die Summe der Korrekturen geht in die Hunderte und so viele Fußnoten wie möglich wurden diesbezüglich sowohl in der piano solo - Version, als auch im Addendum zur Orchester / Klavier - Version angesetzt.
Wo Gershwin Leerstellen und unvollständige Notation zeigte, oder wo die komplexe Stimmführung unmöglich in einer 2-Hand-Version spielbar wäre, war Eingreifen angesagt. Die Editor-Eingriffe wurden nach intensiver Forschung vorgenommen, um Authentizität zu gewährleisten und sind dafür gedacht, dem Vortragenden Vorschläge zu machen, was sie aber letztlich für sich selbst entscheiden müssen.
Mit dieser neuen Ausgabe wurde Musikgeschichte geschrieben, da sie zukünftigen Generationen, weit fern von der Erinnerung an unser Heute, eine Referenz-Sicht ermöglicht auf eine der herausragendsten musikrelevanten Gestalten der Welt.
George Gershwin hat endlich seinen wohlverdienten Platz unter den großen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts eingenommen. Die Mythen, die die "Rhapsody in Blue" umwehten, sind nun entzaubert.
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