Flügelmechanik erneuern oder nur regulieren

nde2hxl

nde2hxl

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Mal eine Frage an die Klavierbauer.

Ich habe einen alten "Grotrian, Helfferich, Schulz, Th. Steinweg Nachf." Gebaut um das Jahr 1872. Er ist 2m lang. Sein Innenleben wurde vor 9 Jahren restauriert. Resonanzboden ausgespant, neue Saiten, Stahlrahmen lackiert, und noch einiges mehr. Allerdings wurden an der Mechanik wohl nur die Hämmer getauscht und intoniert. Die Mechanik ist um einiges schlechter als bei den Klavieren oder Flügeln die ich gelegentlich in Klavierläden anspiele. Den Tastenhub finde ich aber vergleichsweise kurz in angenehm. Der Klavierstimmer sagte, die Tasten gingen etwas zu schwer.

Ich habe die komplette Mechanik mal rausgeholt und eingehend angeschaut. Es sieht alles gut und sauber aus. Keine Beschädigungen sichtbar. Die Lager machen auch einen sehr guten Eindruck (ohne Spiel usw).

Im Moment ziehe ich mir mal die Theorie der Regulierung rein. Mit der Hoffnung, ich könnte das Problem lösen.

Jetzt meine Frage: Ist es für eine annähernd tadellos funktionierende Mechanik notwendig, diese zu tauschen gegen eine Neue? Oder würde eine anständige Regulierung hier helfen?
 
Nachdem etwa ab 1900 erst die Doppelrepetitionsmechanik in den Klavierbau Einzug hielt würde ich vermuten das Dein Instrument entweder mit einer einfacheren englischen Stoßzungenmechanik oder gar noch schlimmer mit einer Prellzungenmechanik ausgerüstet ist. Mit der Stoßzungenmechanik erreicht man auch mit optimaler Einstellung nicht ganz das Spielgefühl einer modernen Mechanik - für die Prellzungenmechanikinstrumente gab es nicht umsonst unter Pianisten die abfällige Bezeichnung "Walzerklavier"....:floet:

Generelles Unterscheidungsmerkmal:
Bei der englischen Mechanik sind die Hammerköpfe zur Hinterseite des Flügels gerichtet, bei der Prellzungenmechanik jedoch nach vorne.
Hol die Mechanik eventuell nochmal raus und mach uns ein Bildchen davon.
Bei ner englischen Mechanik wär unter Umständen ein Umbau auf ne Doppelrepetitionsmechanik möglich, bei einer Prellmechanik würde es ziemlich schwierig weil diese generell niedriger baut (deswegen ohne Tieferlegung der Tastaturlade nicht unterzubringen ist) und auch über ein anderes Dämpfersystem verfügt.

Der, von Dir beschriebene geringe Tastenweg würde nämlich leider eher auf ein "Walzerklavier" schließen lassen.....hab selbst so eines....;)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Nachdem etwa ab 1900 erst die Doppelrepetitionsmechanik in den Klavierbau Einzug hielt [...]
Jörg Gedan hat letztens schon darauf hingewiesen, daß es "Repetitionsmechanik" heißt. Eine "Doppelrepetitionsmechanik" wäre dann ja eine "Repetitionsrepetitionsmechanik". Die Sprachverwirrung (durchaus auch in der seriösen Klavierbau-Literatur) kommt wohl daher, daß das Prinzip der Repetitionsmechanik die "doppelte Auslösung" ist. :confused: (nichts für ungut :D)

Die Jahreszahl 1900 halte ich aber für falsch. Sébastian Erard ließ sich seine Mechanik mit doppelter Auslösung 1821 patentieren. Steinway verwendet die Repetitionsmechanik seit etwa 1840, bei Bechstein läßt sie sich in jedem Falle ab 1870 nachweisen. Die österreichischen Klavierbauer haben allerdings noch bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts an der Wiener Mechanik festgehalten. Die Rpetitionsmechanik gab es nur auf besonderen Wunsch ...
 
Die Jahreszahl 1900 halte ich aber für falsch. Sébastian Erard ließ sich seine Mechanik mit doppelter Auslösung 1821 patentieren. Steinway verwendet die Repetitionsmechanik seit etwa 1840, bei Bechstein läßt sie sich in jedem Falle ab 1870 nachweisen. Die österreichischen Klavierbauer haben allerdings noch bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts an der Wiener Mechanik festgehalten. Die Rpetitionsmechanik gab es nur auf besonderen Wunsch ...

Schade!
Da habe ich doch nichts Neues dazugelernt. :D
 
Die Jahreszahl 1900 halte ich aber für falsch. Sébastian Erard ließ sich seine Mechanik mit doppelter Auslösung 1821 patentieren. Steinway verwendet die Repetitionsmechanik seit etwa 1840, bei Bechstein läßt sie sich in jedem Falle ab 1870 nachweisen. Die österreichischen Klavierbauer haben allerdings noch bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts an der Wiener Mechanik festgehalten. Die Rpetitionsmechanik gab es nur auf besonderen Wunsch ...
Sorry, hab wegen dem Zeitraum nur schnell in Wikipedia und nicht in den Büchern nachgeschaut, Schande über Petz´s Haupt und ich gelobe Besserung....:oops:

Trotzdem hoff ich für nde2hxl, daß sein Flügel keine Wiener Mechanik hat.....
 
Foto in den nächsten Tagen

Trotzdem hoff ich für nde2hxl, daß sein Flügel keine Wiener Mechanik hat.....

ui, dann hoffe ich das aber auch. Vielen Dank für das Mitgefühl und an alle für die detaillierten Infos.

Der Klavierbauer sagte damals vor 9 Jahren, dass der Flügel bereits schon mal restauriert worden sei, denn die Beine seien nicht original. Außerdem sind die Tastenoberflächen neu belegt und ganz hell, ich glaube Kunststoff; die Vorderseiten der Tasten sind aber leicht vergilbt, vielleicht noch Elfenbein.

Die Mechanik sieht, wenn ich mich richtig erinnere, so aus, wie eine Flügelmechanik in der Literatur immer aussieht... Foto kommt die Tage.

Schöne Grüße
Horst
 
Habe nun die Mechanik mal rausgezogen und ein Element ausgebaut.
PIC_3747_.jpg
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Könnt Ihr mir dazu etwas? Was das für eine Mechanik ist...

Schöne Grüße
Horst
 
und noch ein Bild von innen (Dämpferdrähte)
PIC_3744_.jpg

und noch eins
PIC_3746_.jpg

Der Flügel hat die Nummer 1864 im Stimmstock und rechts und links neben der Tastatur auf der Unterseite der Holzklötze. Vielleicht auch noch woanders.

Schöne Grüße
Horst

***Nur für die Suche im Internet noch diese Vokabeln: Grotrian, Helfferich, Schulz, Th. Steinweg Nachf. Braunschweig #1864 ***
 
Sieht doch gar nicht sooo schlecht aus.
Abgesehen, dass es noch ein älteres System mit Trakturen und nicht Piloten ist (ähnlich Bechstein), dürfte das Hauptproblem darin liegen, dass die alten Hammerköpfe viel leichter waren.
Im Flügel hast Du ein Übersetzungsverhältniss von ganz grob 1:4-5, d.h., aus 1cm Tastenweg wird 4-5cm Hammerweg.
Das bedeutet aber auch, dass wenn der neue Hammerkopf nur 2g schwerer ist, das Abgewicht um etwa 10g schwerer wird, was deutlich auffällt.

Ein Kollege vor Ort soll mal das statische Auf- und Abgewicht messen.
Wenn das Abgewicht UND v.A. das Aufgewicht auch zu groß ist, dann wurde die Klaviatur damals einfach nicht ausgebleit.
Das Abgewicht sollte in der Mittellage bei getretenem rechten Pedal bei alten Instrumenten bei etwa 45(sehr leicht) bis vielleicht 52g liegen (bei moderneren Instrumenten bis teilweise bis ca. 60g), das Aufgewicht müsste für einwandfreie Funktion bei über 20g liegen.

Also: Aufgewicht messen lassen und mit dem Klavierbauer besprechen, was er vorschlägt.
Wenn das Aufgewicht schon an der Untergrenze liegt und das Spielgefühl immer noch zu hart ist, müsste mal die Achsreibung gemessen werden.

Aber als erstes regulieren lassen:
Die Mechanik ist bzgl. der Regulierung komplett daneben.
Die Hammerstiele dürfen in der Ruhelage nicht auf den Polstern aufliegen sondern müssen knapp darüber schweben, die Pilote für die Auslösung stehen wie Kraut und Rübenund die Stoßzungen liegen viel zu tief unter der Repetierschenkeloberfläche - das kann nicht vernünftig funktionieren. Lasse Dir mal einen Vorschlag eines Kollegen machen, was zu tun sei.

Kannst Du noch mal ein Bild bei herausgezogenen Notenpult mit freie Sicht auf die Wirbel machen, um das Instrument zu identifizieren?
 

Das sieht leider sehr nach einer oberflächlichen Restauration aus sprich gedankenlos paar neue Teile eingebaut aber sonst überhaupt nichts gemacht, vermutlich wäre damals das Geld viel besser angelegt gewesen wenn man zuerst mal ne sorgfältige Mechanikregulierung gemacht und sich vorerst den Hämmertausch gespart hätte.
Aber ich denke wenn sich ein Fachmann liebevoll des Instrumentes annimmt wirst Du Deinen Flügel danach nicht mehr wiedererkennen - im positiven Sinne; so wie die Justierung im Moment ist, spielt sich der sicher wie ein wiener Walzerklavier - oder sogar noch schlimmer.....für nen nicht zu schnellen Boogie Woogie würd´s halt grad noch reichen....;)
 
Die Mechanik ist um einiges schlechter als bei den Klavieren oder Flügeln die ich gelegentlich in Klavierläden anspiele. Den Tastenhub finde ich aber vergleichsweise kurz in angenehm.
Hallo nde2hxl
Ich werde aus Deinem "schlechter" und "kurz in angenehm" nicht ganz schlau.
Bitte definiere schlechter (optisch, ungleich, irgendein Wiederstand; schwergängig, klapprig oder so...) weiters... "kurz unangenehm"? oder "kurz und angenehm"?

Die Bilder sind toll!
So wie Du den Flügel samt seiner Restaurierung vorher schon beschrieben hast, hätte ich mir denken können, daß es nicht die Feinste Überholung war.

Die Frage alt oder neu stellt sich ja jetzt nicht mehr - das ist schon Mischmasch, oder existieren etwa die alten Stiele noch?

Wenn ja, würde ich eindeutig auf alt plädieren und restaurieren.
Je mehr jetzt noch herummodernisiert, das Werkl desto schlechter spielen wird.

Was ich an den Bildern sehe, stimmt die Position der Röllchen nicht auf die Stoßzunge. (...wegen der Abrucke am Leder) Es könnte sein, daß die Originale eine Röllchenposition um etwa bis 3mm weiter Richtung Hammer hatten. Das gibt jede Menge Unterschied im Hebelverhältnis und würde sich tatsächlich aufgrung dessen schon sehr schwer spielen - unabhängig vom Hammergewicht.

Oder aber, wenn es nicht so wäre, sondern blos ein unangenehm schwerer Wiederstand am Druckpunkt zu verspüren ist - muss ja wohl auch sein - dann genügt eventuell regulieren.

Im allerschlimmsten, weil aufwendigen Falle müßte man die Röllchen versetzen und die Hämmer seitlich abschleifen, damit das Instrument dem Original wieder ähnelt.

Wenn Du eine neue Mechanik machen lässt, ist das weit teurer und hebt schlussendlich nicht die Charakterzüge des alten Instruments, weil die Dinger zueinander oft unglaublich schön abgestimmt waren. Sprich: Verhältnis der Mechanikhebel - zu - Gewicht des Hammers - zu -Saitenspannung - zu - Druck - zu - Bodenstärke - zu etc.etc.

In jedem Falle würde ich Deine DOPPELREPETITIONSMECHANIK oder auch VOLLENGLISCHE MECHANIK (Hebeglieder mit Hertz-Feder) von einem Klaviermacher regulieren lassen.

Liebe Grüße
Klaviermacher
P.S.: Was heißt nde2hxl
 
vielen Dank für Eure Ausführungen.

hallo Klavierbaumeister,
demnächst werde ich mal die Hammerköpfe wiegen in eingebautem Zustand, d.h. nur die Kraft messen, mit der sie an ihrem Stiel nach unten drücken. Auch das Auf- und Abgewicht der Tasten messe ich mal.

Dass die Mechanik stark Regulierungsbedürftig ist, beruhigt mich. Dann ist ja noch was zu retten. Ich hatte mehr Fotos gemacht. Viele sind unscharf. Deshalb hier nur die Scharfen.
PIC_4047_.jpg
PIC_4056_.jpg
PIC_4057_.jpg

hallo Petz,
das ist auch mein Eindruck, dass hier oberflächlich restauriert wurde. "wenn sich ein Fachmann liebevoll des Instrumentes annimmt wirst Du Deinen Flügel danach nicht mehr wiedererkennen" wird dann wohl entsprechend zu bezahlen sein. Das scheue ich noch.

hallo Klaviermacher,
"schlechter" soll heißen, dass die Tasten seitliches Spiel haben, unterschiedliches Drückgefühl, einige können mit sehr kleinem Impuls gedrückt werden, um den Ton zu erzeugen. Andere muss man schon etwas mehr beschleunigen. Die Tasten sind eben nicht alle gleichmäßig spielbar. Die Lager der Mechanikelemente wie auf pic_3751.jpg sind aber alle ohne Spiel und machen einen sehr guten Eindruck.

"den Tastenhub finde ich aber vergleichsweise kurz und angenehm" (hatte mich verschrieben). Ich meine damit man muss nicht so tief drücken bis der Hammer die Seite trifft. Ich hatte nämlich den Eindruck, dass die Klaviere und Flügel in den Läden einen längeren Tastenhub hatten.

Es existieren keine Teile mehr, jedenfalls nicht bei mir. Wenn ich wüsste, wie die Beine original aussahen, würde ich sie evtl. nachbauen. Der Flügel sieht von außen schon arg zerkratzt aus mit abgestoßenen Ecken. Also für das Auge ist das nichts. Ich erinnere mich, dass vor etwa 20 bis 30 Jahren immer eine Vase mit Blumen oder ein Blumentopf drauf stand. Und manchmal mit Wasser gekleckert wurde. Reingelaufen ist aber nichts. Etwa 1973 haben meine Eltern den Flügel für ich glaube 5000DM gekauft. Ich weiß noch, dass damals es schon bei bestimmten Tönen gerasselt/geschäppert hatte. Dass der Resonanzboden gerissen war, entdeckten wir erst Jahre später. Ich hatte dann Holzleim zwischen den Saiten durch auf den Riss getropft. Das funktionierte. Naja zwischenzeitlich ist der Resonanzboden ja ausgespant.

Fotos mit Stoßzunge und Röllchen kommen noch.

nde2hxl war mal meine ID bei einem früheren Arbeitgeber. Weil wohl niemand so einen komischen Alias hat, habe ich ihn verwendet in allen möglichen anderen Foren und musste mir nur diese ID merken.
 
vielen Dank für Eure Ausführungen.

hallo Klavierbaumeister,
demnächst werde ich mal die Hammerköpfe wiegen in eingebautem Zustand, d.h. nur die Kraft messen, mit der sie an ihrem Stiel nach unten drücken. Auch das Auf- und Abgewicht der Tasten messe ich mal.

Dass die Mechanik stark Regulierungsbedürftig ist, beruhigt mich. Dann ist ja noch was zu retten.

hallo Petz,
das ist auch mein Eindruck, dass hier oberflächlich restauriert wurde. "wenn sich ein Fachmann liebevoll des Instrumentes annimmt wirst Du Deinen Flügel danach nicht mehr wiedererkennen" wird dann wohl entsprechend zu bezahlen sein. Das scheue ich noch.

hallo Klaviermacher,
"schlechter" soll heißen, dass die Tasten seitliches Spiel haben, unterschiedliches Drückgefühl, einige können mit sehr kleinem Impuls gedrückt werden, um den Ton zu erzeugen. Andere muss man schon etwas mehr beschleunigen. Die Tasten sind eben nicht alle gleichmäßig spielbar. Die Lager der Mechanikelemente wie auf pic_3751.jpg sind aber alle ohne Spiel und machen einen sehr guten Eindruck.

"den Tastenhub finde ich aber vergleichsweise kurz und angenehm" (hatte mich verschrieben). Ich meine damit man muss nicht so tief drücken bis der Hammer die Seite trifft. Ich hatte nämlich den Eindruck, dass die Klaviere und Flügel in den Läden einen längeren Tastenhub hatten.

Fotos mit Stoßzunge und Röllchen kommen noch.

nde2hxl war mal meine ID bei einem früheren Arbeitgeber. Weil wohl niemand so einen komischen Alias hat, habe ich ihn verwendet in allen möglichen anderen Foren und musste mir nur diese ID merken.
Da wirst Du aber nicht drum herumkommen. Ein paar Kunstgriffe:D und dann sauber regulieren. Das ist kurz und schmerzlos würde der Zahnarzt sagen. Nix für Bastler, sage ich! Als Klaviermacher, gut vorbereitet angereist, zu 99% eine Tagesarbeit. Weitere Fotos gar nicht nötig.

Es gibt da so einen Thread, wo man aus Buchstaben Wörter bilden muss. Ich hatte bei Deinem Nutzernamen so eine Idee, deshalb war die Frage von vorhin.

Liebe Grüße
Klaviermacher
 
Das ist kurz und schmerzlos würde der Zahnarzt sagen. Nix für Bastler, sage ich! Als Klaviermacher, gut vorbereitet angereist, zu 99% eine Tagesarbeit.
Nachdem in das Instrument schon einiges investiert und viel an Neuteilen verbaut wurde, würde ich Dir unbedingt dazu raten denn der Kosten - Nutzeneffekt ist wahrscheinlich um Lichtjahre besser als bei allem was zuvor schon gemacht wurde.
 

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