Evgeny Kissin spielt Beethoven, Barber und Chopin

Mir ist generell aufgefallen, dass Kissin diesmal einen ungewöhnlich angestrengten Eindruck machte.

[...]

Tagesform

Das ist es, was ich meine. Seine Körperbewegungen wirken oft so angestrengt, so, als ob er unbedingt etwas aus dem Instrument rausbringen oder etwas in das Instrument reinlegen wollte und dies nicht so richtig klappt.

Ich glaube noch was anderes: er bremst sein Spiel so vielleicht ein, damit es nicht zu schnell wird.

Ich glaube kaum, dass er diese Bewegungsweise absichtlich einsetzt, um sich zu bremsen. Aber dass er sich damit tatsächlich ausbremst, sehe ich genauso. Genauer gesagt: ich höre es unmittelbar. Die musikalischen Linien verbinden sich (an einigen Stellen, - natürlich ist das Kritik auf hohem Niveau) nicht auf natürliche Weise, sondern wirken irgendwie "gewollt" bzw. eher vom Kopf her konstruiert als spontan ihrem Lauf überlassen. Im Grunde bremsen nicht die Körperbewegungen die Musik, sondern die Körperbewegungen sind selber Ausdruck eines Gebremstseins auf einer anderen - in meinen Augen hauptsächlich psychischen - Ebene. Vielleicht hatte er wirklich nur einen schlechten Tag... Es wäre interessant zu wissen, ob er sich bei anderen Auftritten auch so viel bewegt. Musikalisch gesehen kenne ich ihn jedenfalls auch ganz anders!

Grüße von
Fips
 
Naja, eigentlich kann er nicht wirklich deutsch...

Allerdings spricht er perfekt Yiddisch und kennt nach eigener Aussage sehr viele deutsche Wörter!

Es wäre interessant zu wissen, ob er sich bei anderen Auftritten auch so viel bewegt. Musikalisch gesehen kenne ich ihn jedenfalls auch ganz anders!

Da kann ich dir dann im März mehr berichten!

Viele Grüße!
 
Also ich hab mit grad die Mondscheinsonate angehört, vor allem den dritten Satz. Was mir da garnicht gefällt ist, dass er bei den Passagen wo die linke und die rechte Hand quasi die Stimmen tauschen das Tempo so zieht und staucht wie er will

ich denke ich weiß, welche Stelle Du meinst. Ich nehme an (bzw. ist es ja de facto so) daß das ein Teil seiner individuellen Interpretation ist. Jeder Interpret sucht nach einer Abgrenzung gegenüber bereits bekanntem, und selbiges wird logischerweise immer schwieriger. So verstehe zumindest ich es. Und mit den hohen interpretatorischen und manuellen Fähigkeiten, die er zeigt, kann man m.E. den Beethoven dann wohl auch in dieser Weise legitim verändern, ohne daß man ihm nicht mehr gerecht würde.

Die musikalischen Linien verbinden sich (an einigen Stellen, - natürlich ist das Kritik auf hohem Niveau) nicht auf natürliche Weise, sondern wirken irgendwie "gewollt" bzw. eher vom Kopf her konstruiert als spontan ihrem Lauf überlassen. Im Grunde bremsen nicht die Körperbewegungen die Musik, sondern die Körperbewegungen sind selber Ausdruck eines Gebremstseins auf einer anderen - in meinen Augen hauptsächlich psychischen - Ebene.

Hallo Fips7,

das ist natürlich eine interessante Frage. Grundsätzlich hört es sich für mich schon so an, als ob er genau und authentisch das Spiel realisieren kann, was ihm innerlich vorschwebt. Andernfalls wäre wohl sicher alles nicht so akkurat, ausgewogen und stimmig (im großen wie im Detail). Ich kenne die anderen Stücke nicht gut genug, aber der Eindruck, daß er den Stücken eine unpassende Aussage unterlegen würde (das wäre ja als "Gebremst sein" zu hören?), den hatte ich beim entspannten so nebenbei Zuhören nun nicht...

Über die "musikalischen Linien" kann ich nicht viel sagen, aber ich vermute, daß er auch diese in der Weise realisiert, wofür er sich bei der Erarbeitung seiner Interpretation entschieden hat.

Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage, ob jemand die Musik (Partitur) und ihre Strukturen in allen Einzelheiten versteht - auf dieser virtuosen Ebene stellt sich diese Frage zwar mit Sicherheit nicht mehr, aber was am Ende bleibt, ist die Frage, ob ein Interpret auch eine wirklich schöne musikalische Idee an, in und mit einem Stück finden kann. Bei Kissins Spiel hier gab es keine Stelle, wo ich diesen Aspekt verneinen würde. In meinem Empfinden äußert sich so etwas immer so als eine Art "musikalischer Fehltritt". Da stört mich selbst ein begrenzter schon ein wenig...

Übrigens fängt bei solchen Dingen m.E. die Grenze des "rein mechanisch" Erlernbaren an; denn wirkliche Musikalität und entsprechendes Verständnis schöner Musik (und damit auch die Fähigkeit, selbst schöne Musik ins Leben zu rufen) kann man wohl nur erlangen, indem man sehr lange, und entspannt, auf das achtet, was die Musik, verschiedenste Musik, im tiefsten Innersten bewirkt und auslöst. Dafür gibt es keinen Kurs, da kann einem kein Lehrer sagen: mach mal, so geht das und nicht anders ...
Das ist so in etwa meine Überzeugung dazu.

Viele Grüße!
Dreiklang
 
ich denke ich weiß, welche Stelle Du meinst. Ich nehme an (bzw. ist es ja de facto so) daß das ein Teil seiner individuellen Interpretation ist. Jeder Interpret sucht nach einer Abgrenzung gegenüber bereits bekanntem, und selbiges wird logischerweise immer schwieriger. So verstehe zumindest ich es. Und mit den hohen interpretatorischen und manuellen Fähigkeiten, die er zeigt, kann man m.E. den Beethoven dann wohl auch in dieser Weise legitim verändern, ohne daß man ihm nicht mehr gerecht würde.

Lieber Dreiklang,

da stimme ich dir 100%ig zu! Ich glaube es war Hamelin der sagte, man müsse dem Publikum stets den Eindruck vermitteln, als höre es das Stück zum ersten Mal. Die Mondscheinsonate ist denke ich Beethovens am häufigsten gespielte Sonate (ohne das zu überprüfen :-)), zusätzlich ist es die einzige Beethoven-Sonate, die Kissin jemals eingespielt hat. Obwohl ich daran zweifelte konnte er mir trotzdem Dinge an dieser Sonate zeigen, die mir vorher so nicht bewusst waren und ich mag diese Dinge. Auf die gesamte Sonate betrachtet finde ich seine Agogik absolut stimmig und überzeugend.

Grundsätzlich hört es sich für mich schon so an, als ob er genau und authentisch das Spiel realisieren kann, was ihm innerlich vorschwebt. Andernfalls wäre wohl sicher alles nicht so akkurat, ausgewogen und stimmig (im großen wie im Detail). Ich kenne die anderen Stücke nicht gut genug, aber der Eindruck, daß er den Stücken eine unpassende Aussage unterlegen würde (das wäre ja als "Gebremst sein" zu hören?), den hatte ich beim entspannten so nebenbei Zuhören nun nicht...

Über die "musikalischen Linien" kann ich nicht viel sagen, aber ich vermute, daß er auch diese in der Weise realisiert, wofür er sich bei der Erarbeitung seiner Interpretation entschieden hat.

Hier muss ich allerdings zumindest in einem Punkt widersprechen. Die vereinzelten Unstimmigkeiten in den Ecksätzen der Chopin-Sonate empfinde ich ebenso wie Fips. Kissin hat diese Sonate schon sehr oft gespielt und sehr oft auch besser. Wie gesagt liegt das vielleicht auch an der Tagesform. Wer das nicht glaubt höre sich seine früheren Einspielungen der Sonate an. Ist natürlich alles Kritik auf höchstem Niveau (ich liebe diesen Satz :D)!

Übrigens fängt bei solchen Dingen m.E. die Grenze des "rein mechanisch" Erlernbaren an; denn wirkliche Musikalität und entsprechendes Verständnis schöner Musik (und damit auch die Fähigkeit, selbst schöne Musik ins Leben zu rufen) kann man wohl nur erlangen, indem man sehr lange, und entspannt, auf das achtet, was die Musik, verschiedenste Musik, im tiefsten Innersten bewirkt und auslöst. Dafür gibt es keinen Kurs, da kann einem kein Lehrer sagen: mach mal, so geht das und nicht anders ...
Das ist so in etwa meine Überzeugung dazu.

Sehr schön geschrieben!

Mich würde auch interessieren, was ihr zu der Barber-Sonate sagt. Nach anfänglichem Unverständnis beginne ich langsam, dieses Stück zu lieben, besonders den dritten und vierten Satz! Die Fuge ist einfach unglaublich...

Viele Grüße!
 
Ein kurzer Beitrag kurz vorm Schlafengehen:

Andernfalls wäre wohl sicher alles nicht so akkurat, ausgewogen und stimmig (im großen wie im Detail).

Ich empfinde die besagten Stellen nicht als stimmig und ausgewogen. Das ist ja grade der Punkt. Aber den habe ich oben schon deutlich gemacht.

Ich kenne die anderen Stücke nicht gut genug, aber der Eindruck, daß er den Stücken eine unpassende Aussage unterlegen würde (das wäre ja als "Gebremst sein" zu hören?), den hatte ich beim entspannten so nebenbei Zuhören nun nicht...

Was meinst du mit "unpassende Aussage"?

In meinem Empfinden äußert sich so etwas immer so als eine Art "musikalischer Fehltritt". Da stört mich selbst ein begrenzter schon ein wenig...

Was verstehst du unter einem "musikalischen Fehltritt"?

Grüße von
Fips

PS: Über die Barber-Sonate kann ich noch nichts sagen, denn die habe ich vorerst ausgelassen beim Anhören des Konzerts.
 
Hallo Troubadix, hallo Fips7,

Ich empfinde die besagten Stellen nicht als stimmig und ausgewogen. Das ist ja grade der Punkt. Aber den habe ich oben schon deutlich gemacht.

Meine Aussage "wäre wohl sicher alles nicht so akkurat, ausgewogen und stimmig (im großen wie im Detail)" ist so gesehen völlig unpassend gewesen - so etwas kann man eigentlich nur schreiben, wenn man erstens das Stück genau kennt, und zweitens es sich auch gut angehört hat. Da muß ich mich ein wenig entschuldigen. Ich meinte viel eher, mir ist beim nebenher hören nichts störendes oder unpassendes im Spiel aufgefallen.


Ich meine damit, wenn die Noten auf eine Weise gespielt werden, die einer Art "inneren Bedeutung" des Klanges nicht gerecht werden. Das was die Noten am schönsten transportieren können. Manchmal könnte man dafür Begriffe finden wie "Verträumtheit, Verzweiflung, Haltlosigkeit, Lebensfreude, Drohung, Hoffnung, Gelassenheit, sublimierte Aggression" usf. Manchmal auch nicht, und mir schwebt einfach nur eine bestimmte genaue Phrasierung vor, die gut passend wäre.

Was verstehst du unter einem "musikalischen Fehltritt"?

Das Aufpfropfen einer musikalischen Aussage auf die Noten, die schlecht oder gar nicht paßt. Am Beispiel Mondschein-Sonate versuche ich es in einem Bild ausdrücken. Kissin steht ein Stück weit über dem Stück, wenn er es spielt. Der Satz hat es aber verdient, und erfordert und ermöglicht es m.E. auch in seiner kongenialen Musikalität der Noten, daß man sich mitten in ihn hinein senkt beim Spielen und ihn auf dieser Grundlage vollkommen zum Ausdruck bringt. Zum "Aufblühen" und "Erblühen" bringt, und damit hätten wir auch eine wunderbare Parallele zu Liszts "Blume zwischen zwei Abgründen".
U.a. spielt mir Kissin zu schnell. Für ein Allegretto paßt es schon, aber aus meiner Sicht gehört eher Andante tranquillo gespielt, um der musikalischen Aussage der Noten am schönsten gerecht werden zu können.

---

Nochmal zur Interpretation von Kissins "Körpersprache": es ist wohl doch zu schwierig, aus einem einzigen Konzert irgendwas herauslesen zu wollen, so wie ich das versucht habe. Ich weiß ja nicht, wie er sich sonst gibt. Genauso gut hätte er eine angehende Grippe haben können oder Kopfschmerzen. Oder vielleicht einen Kater. Naja, laßt es uns nicht übertreiben ;)

Viele Grüße
Dreiklang
 
U.a. spielt mir Kissin zu schnell. Für ein Allegretto paßt es schon, aber aus meiner Sicht gehört eher Andante tranquillo gespielt, um der musikalischen Aussage der Noten am schönsten gerecht werden zu können.

Das sehe ich anders. Wo Allegretto drauf steht sollte auch Allegretto drin sein. Mir gefällt sein Tempo in diesem Satz. Es bringt für mich das Heitere, das Schöne, das Blühende dieses Satzes perfekt hervor, so empfinde ich es zumindest. Ist Geschmackssache, aber ich mag ihn nicht langsamer...

Nochmal zur Interpretation von Kissins "Körpersprache": es ist wohl doch zu schwierig, aus einem einzigen Konzert irgendwas herauslesen zu wollen, so wie ich das versucht habe. Ich weiß ja nicht, wie er sich sonst gibt. Genauso gut hätte er eine angehende Grippe haben können oder Kopfschmerzen. Oder vielleicht einen Kater. Naja, laßt es uns nicht übertreiben ;)

Ich kann dir versichern, dass diese Bewegungen immer Bestandteil seines Spiels sind, schau dir ruhig die Verbier-Konzerte der letzten Jahre an, die alle auf Youtube zu finden sind. Ich bin mir also ziemlich sicher, dass er die vorherige Nacht in Tel Aviv nicht durchgezecht hat! :D

Und hört euch unbedingt den Barber an...

Viele Grüße!
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Troubadix,

Das sehe ich anders. Wo Allegretto drauf steht sollte auch Allegretto drin sein.

das ist auch ganz richtig so. Ob und inwieweit man selbst mit Noten von Komponisten "experimentiert", ist sicher auch eine Frage der persönlichen und privaten Gestaltung der Beschäftigung mit der Musik an sich.

Ich kann dir versichern, dass diese Bewegungen immer Bestandteil seines Spiels sind

Na dann sucht er vielleicht doch Konzentration, völlige Versenkung in sein Spiel, und - vielleicht - auch manchmal ein Abbremsen auf haargenau den Zeitpunkt und die Spielgeschwindigkeit, die ihm vorschwebt :p

Wäre das nicht eine gute Frage für das nächste öffentliche Interview mit ihm? :p


Ein Urteil abzugeben, das wird bei mir nicht klappen. Musik, die mich nicht vom Fleck weg völlig begeistern kann, und das von Anfang bis Ende konsequent durchhalten kann, interessiert mich persönlich nicht weiter :floet:

Aber viele Grüße!
Dreiklang
 
Ein Urteil abzugeben, das wird bei mir nicht klappen. Musik, die mich nicht vom Fleck weg völlig begeistern kann, und das von Anfang bis Ende konsequent durchhalten kann, interessiert mich persönlich nicht weiter :floet:

Lieber Dreiklang,

dann wären mir viele tolle Stücke durch die Lappen gegangen. :) Zu manchen Stücken findet man schnell einen Zugang, bei anderen dauert es ein wenig, natürlich gelingt es bei manchen auch nie. Prokofievs Kriegsonaten oder Schostakowitschs 2. Trio habe ich zum Anfang nicht besonders leiden können, heute liebe ich sie über alles. Selbst Liszts Sonate hat mich beim ersten Hören nicht vom Hocker gehauen, das ist heute völlig unverständlich für mich. Wie ich kürzlich schon einmal zitierte schrieb Rolf mal in diesem Zusammenhang...

jahrelang schnallt man was nicht, und plötzlich klickt´s in der Birne :D:D

...und dem kann ich nur zustimmen. Barbers Sonate konnte ich ebenfalls anfangs nicht besonders leiden. Erst nach und nach dringe ich zu ihr durch und entdecke so viele schöne Sachen in ihr, die ich einfach vorher nicht gehört habe. Schwer zu beschreiben, wie auch immer...

Viele Grüße!
 
Zu manchen Stücken findet man schnell einen Zugang, bei anderen dauert es ein wenig, natürlich gelingt es bei manchen auch nie.

Mein persönliches Ziel war es immer, die - für mich - beste Musik der Welt zu finden (und diese dann für mich auch zu besitzen respektive zu genießen, wenn ich Musik genießen will). Bei der Menge an Musik, die es gibt, gibt es keinen Raum für eine zweite Chance. Die erste Minute keine geniale musikalische Arbeit des Komponisten - auf welche Art und Weise nun auch immer (!) - das wars. Wieso auch: es gibt schließlich welche, die das hingekriegt haben. Ein Dirigent das "falsche" Tempo am Anfang: das wars auch. Mehr als ein paar Sekunden sind mir seine ganze Arbeit nicht wert. Sicher krass, ich gebe das zu. Aber das ist meine Art, mich mit Kompositionen oder Interpretationen zu beschäftigen. Verstehst Du, es kann nicht sein daß ich arbeiten (= mich damit beschäftigen, darin eindringen etc.) muß, damit ich eine Musik irgendwann schön finde. Dann haben Komponist und/oder Interpretation doch schon versagt. Und auch eine komplexe Musik kann von Anfang an und beim ersten Hören schon sehr schön sein.

Erst nach und nach dringe ich zu ihr durch und entdecke so viele schöne Sachen in ihr, die ich einfach vorher nicht gehört habe. Schwer zu beschreiben, wie auch immer...

Ich verstehe genau was Du meinst. Selbst beim ersten Hören schon phantastische Musik kann man mit der Zeit noch tiefer entdecken. Allerdings, irgendwann ist man damit durch und genießt diese Schönheit in Perfektion einfach nur noch - und dieses genügt.

Ich kann nicht richtig verstehen, was Du meinst mit "neue Aspekte in der Mondscheinsonate entdeckt haben"...? Spielst Du sie selbst? Ich spiele (klimpere) sie schon lange - und dann kenne ich sie auch, und ein Interpret kann mir da keine neue Aspekte zeigen. Er kann allenfalls welche reinlegen - wie es z.B. durch Verzerrung des Spieltempos hier gemacht wurde.
Auch so etwas braucht es nicht meiner Meinung nach. Es gäbe für mich eine mehr oder weniger perfekte Art, den dritten Satz zu spielen. Die hab ich aber noch nicht so richtig von irgendjemandem gehört, und kann es selbst eben (leider) auch nicht umsetzen. Beziehungsweise, kann ich mir diese subjektiv perfekte "Darstellung" nicht erarbeiten, denn in der Praxis ist das bei mir ein Wechselspiel zwischen Bildung der inneren Klangvorstellung und Hören des Ergebnisses meiner Umsetzungsversuche.

Aber jeder hat seine eigene Art, sich mit Musik zu beschäftigen. Jemand mag sich gerne ein Stück erarbeiten, in es eindringen versuchen, so wie Du es tust, andere lieben es, Interpretationen miteinander zu vergleichen, neue zu hören, und so weiter. Ich hab hier mal meine Art beschrieben...

Viele Grüße!
Dreiklang
 
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Mein persönliches Ziel war es immer, die - für mich - beste Musik der Welt zu finden (und diese dann für mich auch zu besitzen respektive zu genießen, wenn ich Musik genießen will). Bei der Menge an Musik, die es gibt, gibt es keinen Raum für eine zweite Chance. Die erste Minute keine geniale musikalische Arbeit des Komponisten - auf welche Art und Weise nun auch immer (!) - das wars. Wieso auch: es gibt schließlich welche, die das hingekriegt haben. Ein Dirigent das "falsche" Tempo am Anfang: das wars auch. Mehr als ein paar Sekunden sind mir seine ganze Arbeit nicht wert. Sicher krass, ich gebe das zu. Aber das ist meine Art, mich mit Kompositionen oder Interpretationen zu beschäftigen. Verstehst Du, es kann nicht sein daß ich arbeiten (= mich damit beschäftigen, darin eindringen etc.) muß, damit ich eine Musik irgendwann schön finde. Dann haben Komponist und/oder Interpretation doch schon versagt. Und auch eine komplexe Musik kann von Anfang an und beim ersten Hören schon sehr schön sein.

Lieber Dreiklang,
oh je...unsere Meinung gehen hier so weit auseinander, das nicht glaube, dass wir hier auf einen grünen Zweig kommen werden. :) Willst du sagen, dass Barbers Sonate keine geniale musikalische Arbeit ist?

Ich kenne zum Beispiel auch sehr gut die andere Richtung, also Stücke, die mir beim ersten Hören gut gefallen haben und mich spätestens beim dritten Mal gelangweilt haben.

Es kann sehr wohl sein, dass man für ein schönes Stück arbeiten muss. Wenn ich gute Musik nicht schön finde, gehe ich in erster Linie von meinem Versagen aus und schiebe es erst auf den Geschmack, wenn ich das auch wirklich für gerechtfertigt halte. Einem Komponisten würde ich dann aber immer noch kein Versagen vorwerfen.

Nun ja...wie du schon sagtest hat da wohl jeder seine eigene Einstellung zu diesem Thema...jeder so wie er mag...

Ich kann nicht richtig verstehen, was Du meinst mit "neue Aspekte in der Mondscheinsonate entdeckt haben"...? Spielst Du sie selbst? Ich spiele (klimpere) sie schon lange - und dann kenne ich sie auch, und ein Interpret kann mir da keine neue Aspekte zeigen. Er kann allenfalls welche reinlegen - wie es z.B. durch Verzerrung des Spieltempos hier gemacht wurde.

Ich spiele sie selbst und die Aspekte die ich meine sind sehr schwierig zu beschreiben. Es sind einzelne Phrasierungen, Ideen usw. Ich versuche es mal an einem Beispiel: Kissin spielt die Takte 30 bis 35 im ersten Satz ohne Crescendo. Mir hat es bis jetzt mit Crescendo immer besser gefallen. Nun ist Kissin wahrlich nicht der einzige, der das tut, nur hat es mich bei ihm zum ersten Mal im Gesamtkontext überzeugt diese Stelle so zu spielen. In Takt 34 und 35 spielt er sogar Diminuendo und Ritardando was ich glaube ich vorher noch nie so gehört oder zumindest gemocht habe. Ansonsten sind es wirklich nur Feinheiten, aber ich entdecke auch nach Jahren immer wieder neue Aspekte an Stücken und meine Klangvorstellung passt sich an.

Viele Grüße!
 
Interpretationen sind schon eine tolle Sache.

Ich war vor Jahren in Kroatien im Urlaub. Abends, beim Spazierenfahren mit dem Auto kam ein Satz aus der Eroica von Ludwig van. Er wurde extrem langsam dirigiert, dafür aber extrem eindrucksvoll, will sagen alle Stimmen wurden fast bis zu ihrem Stillstand ausgekostet. Ich habe nicht erkannt, dass es sich um die Eroica gehandelt hat, erst als die Ansagerin es sagte war es mir klar.

Meine Erkenntnis war, dass Musik oft zu schnell interpretiert wird - einschliesslich mir selbst - so das der Genuss verloren geht und einzig die Virtuosität in Vordergrund gerückt wird.

Rudl
 
Ich verstehe genau was Du meinst. Selbst beim ersten Hören schon phantastische Musik kann man mit der Zeit noch tiefer entdecken. Allerdings, irgendwann ist man damit durch und genießt diese Schönheit in Perfektion einfach nur noch - und dieses genügt.

Vielleicht bin ich da zu elitistisch, aber mich interessiert Musik, die ich erschöpfend begreifen kann, nicht besonders.

Ich kann nicht richtig verstehen, was Du meinst mit "neue Aspekte in der Mondscheinsonate entdeckt haben"...? Spielst Du sie selbst? Ich spiele (klimpere) sie schon lange - und dann kenne ich sie auch, und ein Interpret kann mir da keine neue Aspekte zeigen.

Da vielleicht auch einen Einwand (wenn auch leider nicht von mir):

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
 
(off-topic)

Ich war vor Jahren in Kroatien im Urlaub. Abends, beim Spazierenfahren mit dem Auto kam ein Satz aus der Eroica von Ludwig van. Er wurde extrem langsam dirigiert, dafür aber extrem eindrucksvoll, will sagen alle Stimmen wurden fast bis zu ihrem Stillstand ausgekostet. Ich habe nicht erkannt, dass es sich um die Eroica gehandelt hat, erst als die Ansagerin es sagte war es mir klar.

Rudl, weißt Du noch, wer das dirigiert hat, oder welches Orchester? Ich würde gerne mal danach suchen. Deine Beschreibung passt auch genau auf diese Aufnahme (die wir früher schon mal diskutiert hatten), die mich sehr berührt.
 
Rudl, weißt Du noch, wer das dirigiert hat...


Leider nein, habe selbst schon ausführlich auf youtube gesucht.

Wahrscheinlich ist das unter dem Einfluss der Kriegswirren dort entstanden. Bin tagelang oberhalb von Split in den Bergen rumgefahren -eine der schönsten Gegenden die ich kenne - alle kleinen Ortschaften waren zerstört, überall Einschusslöcher, abgebrannte Dachstühle, von Granaten zetstörte und dann geflickte Strassen mit Gummiabrieb der Kampfspuren.

Da kann die Zeit schon stehen bleiben, das Blut gefriert in den Adern und die Gefühle sind fähig, solche überirdischen Interpretationen zuzulassen.

Rudl
 
Hallo Troubadix (und auch ihr anderen),

Willst du sagen, dass Barbers Sonate keine geniale musikalische Arbeit ist?

Ja, Du hast natürlich recht, es muß heißen: eine "für mich empfundene" geniale Arbeit. Selbstverständlich, vielen Dank, daß Du so aufmerksam liest! Ein Absolutum wäre schon eine recht schwer zu rechtfertigende Anmaßung.

Ich kenne zum Beispiel auch sehr gut die andere Richtung, also Stücke, die mir beim ersten Hören gut gefallen haben und mich spätestens beim dritten Mal gelangweilt haben.

Das gibt es natürlich auch, stimmt.

Es kann sehr wohl sein, dass man für ein schönes Stück arbeiten muss. Wenn ich gute Musik nicht schön finde, gehe ich in erster Linie von meinem Versagen aus und schiebe es erst auf den Geschmack, wenn ich das auch wirklich für gerechtfertigt halte. Einem Komponisten würde ich dann aber immer noch kein Versagen vorwerfen.

Das mit dem Versagen waren einfach wieder zu hart gewählte Worte, ich entschuldige mich, außerdem noch dazu aus meiner subjektiven Perspektive. Betreffs Weiterentwicklung der Musik: was soll ein Komponist wohl machen? Er mußte ja genauso andere, neue, noch nicht gehörte Musik und Art von Musik schaffen, wie ein Interpret eine neue eigene Interpretation. Wovon hätte er sonst leben sollen? Und diese Weiterentwicklung war und ist ja auch gut, ihr verdanken wir die gesamte musikalische Bandbreite, innerhalb der jeder nach seinem Gusto finden und genießen kann. Ich bin wohl am ehesten ein Klassiker bzw. Romantiker. Aber es läuft immer alles auf Fragen des eigenen persönlichen Geschmacks und der eigenen Vorlieben hinaus, und die Kürung einer "Krönung aller Musikgattungen" ist daher per se obsolet.

Ich spiele sie selbst und die Aspekte die ich meine sind sehr schwierig zu beschreiben. Es sind einzelne Phrasierungen, Ideen usw. Ich versuche es mal an einem Beispiel:

Ich beginne Dich zu verstehen. Du entdeckst neue Schönheiten in einem Stück, durch seine andere Gestaltung, z.B. durch eine (geringfügig) andere Inbezugsetzung oder Betonung von Teilen innerhalb des Stückes. Ich glaube jetzt habe ich Dich verstanden, und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich selbst habe gestern im zweiten Satz im Trio eine ganz wunderbare nette "Gestaltungsvariation" gefunden. Und nun hoffe ich natürlich ein bisschen, daß kein anderer Interpret auf die gleiche Idee vor mir gekommen ist. Vielleicht mache ich irgendwann auch mal Forumseinspielungen (das würde allerdings etwas Mut brauchen, denke ich). Vielleicht wäre mein "abgeschwächtes Allegretto" ja für viele Ohren auch akzeptabel, wenn nicht gar schön?

Nun ist Kissin wahrlich nicht der einzige, der das tut, nur hat es mich bei ihm zum ersten Mal im Gesamtkontext überzeugt diese Stelle so zu spielen.

Den großen Gesamtkontext einer Interpretation zu erfassen und die Feinheiten darin in bezug auf dieses Gesamtkonzept als "stimmig" oder "unstimmig" zu identifizieren und einzuordnen, ist schon eine hohe Kunst. Es setzt voraus, daß man in der Lage ist, einen kompletten Gesamtüberlick über das Stück im Kopf überhaupt erst gewinnen zu können.

So wie Arrau den dritten Satz gespielt hat, ist er für mich - bisher - die Referenz. Ich bin übrigens ganz allgemein ein großer Pedalfreund. Nicht nur wegen dem Spruch "Wo die Not am größten ist, das Pedal am nächsten ist", sondern ganz allgemein, weil ich finde, daß der Flügel auch klingen darf. Wenn er das schon kann.

Vielleicht bin ich da zu elitistisch, aber mich interessiert Musik, die ich erschöpfend begreifen kann, nicht besonders.

Das ist auch ein interessanter Aspekt. Ich habe mir die Barber-Sonate einmal angehört, unter dem Aspekt, Musik die ich nicht durchschaue, gerade deswegen einfach mal zu genießen. Aber allzu lange ging das nicht. Ich habe dann letztlich wieder zu meinem umfangreichen Standard-Repertoire an Musik gegriffen, das mir gefällt.

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Und für die Ohren auch? ;) Mich interessiert im Grunde nur das, was ich auch wahrnehmen kann ;)

Viele liebe Grüße
Dreiklang

P.S. und Troubadix, ich hoffe Du bist nicht böse, daß sich Dein Faden, mit dieser brillanten Einspielung von Kissin, zu einer musikalischen Diskussion entwickelt (hat) ;)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
P.S. und Troubadix, ich hoffe Du bist nicht böse, daß sich Dein Faden, mit dieser brillanten Einspielung von Kissin, zu einer musikalischen Diskussion entwickelt (hat) ;)

Natürlich bin ich nicht böse. Zum einen finde ich die Diskussion interessant und zum anderen steht sie direkt im Zusammenhang mit Kissins Interpretation der Mondscheinsonate und Barbers Sonate. Solange jetzt nicht angefangen wird zu diskutieren, warum Tiersens Kompositionen denn nicht komplex sein sollen, ist alles in Ordnung! :D

Ich möchte dir kurz erzählen, wie es mir mit Barbers Sonate gegangen ist. Anfangs habe ich das Werk gar nicht verstanden und es war fast unerträglich für mich zum Anhören. Weil ich mich auf das Konzert im März dennoch vorbereiten wollte, habe ich es mir einige Male intensiv angehört. Dann ist da diese eine charakteristische Phrase im dritten Satz zum ersten Mal im Takt 15 die sich plötzlich in meinem Kopf festgesetzt hatte. Ich hatte plötzlich einen Ohrwurm von zwei Takten die sich immer und immer wieder wiederholten. Als ich mir das Werk dann einen Tag später noch mal komplett angehört habe, war das wie eine Offenbarung für mich. Mit Beschäftigen meine ich also nicht unbedingt das intensive Studium der Partitur, manchmal reicht auch das intensive mehrmalige Zuhören.

Ich beginne Dich zu verstehen. Du entdeckst neue Schönheiten in einem Stück, durch seine andere Gestaltung, z.B. durch eine (geringfügig) andere Inbezugsetzung oder Betonung von Teilen innerhalb des Stückes. Ich glaube jetzt habe ich Dich verstanden, und das kann ich sehr gut nachvollziehen....

Ich habe immer an dich geglaubt! :D

Vielleicht mache ich irgendwann auch mal Forumseinspielungen (das würde allerdings etwas Mut brauchen, denke ich).

Du hast mich neugierig gemacht! Trau dich ruhig!

Ich bin wohl am ehesten ein Klassiker bzw. Romantiker. Aber es läuft immer alles auf Fragen des eigenen persönlichen Geschmacks und der eigenen Vorlieben hinaus, und die Kürung einer "Krönung aller Musikgattungen" ist daher per se obsolet.
...

Das ist auch ein interessanter Aspekt. Ich habe mir die Barber-Sonate einmal angehört, unter dem Aspekt, Musik die ich nicht durchschaue, gerade deswegen einfach mal zu genießen. Aber allzu lange ging das nicht. Ich habe dann letztlich wieder zu meinem umfangreichen Standard-Repertoire an Musik gegriffen, das mir gefällt....

Hast du generell eine Abneigung gegen die Moderne, zumindest gegen die, die sich an der Grenze der Tonalität befindet oder diese sogar sprengt? Wenn dich da gar nichts anspricht könnte ich verstehen, warum dir die Barber-Sonate nicht gefällt. Ich hätte hier mal eine kleine Auswahl von Stücken von denen mich interessieren würde, ob du irgendwas davon ansprechend findest, falls du dir mal eine halbe Stunde nehmen magst.

Prokofiev - Sonate Nr.8 - 3.Satz
Prokofiev - Klavierkonzert Nr.2 - 1.Satz
Schostakowitsch - Trio Nr.2 - Vierter Satz Teil1 Teil 2
Ligeti - "Fanfaren" und "Der Zauberlehrling"

Ich frage das deshalb, weil es diese Stücke waren, die mir einen ersten Zugang zu (sagen wir mal) „etwas schwieriger zugänglicher Musik“ geöffnet haben. Trotzdem gibt es auch für mich in der Moderne viel Musik, mit der ich noch so meine Schwierigkeiten habe oder die ich einfach nicht mag.

Viele Grüße!
 
Ich hatte plötzlich einen Ohrwurm von zwei Takten die sich immer und immer wieder wiederholten.

Ich mag nur die "schönen", also wenn mir etwas, das mir sehr gut gefällt, im Kopf ist. Die anderen, die "häßlichen", die man gar nicht haben will, die hasse ich ;)

Am besten hilft es dann, glaube ich, etwas schönes, was einem gefällt, intensiv dagegenzuhören. Das killt sie glaube ich. Jetzt wirst Du sagen: "Aber ich finde das gar nicht schlimm, das ist eine interessante Erfahrung gewesen, und sie hat mich zum Nachdenken angeregt", nicht wahr?

Ohrwurm schön und gut - aber bei mir bitte nur solche, die ich gern mag


Ja, bei mir besteht immer eine gewisse Hoffnung! ;)


Zumindest Yuja, klingt zumindest im ersten Teil mal ganz interessant. Übrigens höre ich da sehr interessante Jazz- oder Blues-Elemente heraus. Oder so ähnlich, ich kenne die beiden letztgenannten Gattungen so gut wie gar nicht.

Ansonsten muß ich leider passen, ich kann Dir leider nichts anderes sagen (und bevor Du nochmal nachbohrst, sag ichs lieber gleich und deutlich). Und ob sich mein Musikgeschmack, vielleicht im Alter, nochmal ändert, kann ich Dir nicht sagen. Möglich ist prinzipiell alles. Aber heute hier und jetzt muß ich konstatieren, daß bei dem bleibe, was ich liebe (und auch die letzten 20 Jahre geliebt habe :kuss:)

Viele Grüße,
Dreiklang

P.s. und falls die Diskussion damit zu einem Ende gekommen ist, möchte ich mich schon mal im voraus gern bei Dir und den anderen für diesen hochinteressanten Gedankenaustausch über "Beschäftigung mit Musik" bedanken. Ich habe viel neues erfahren, neue Sichtweisen kennengelernt, und so etwas mag ich immer gerne.
 

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