Der Hinweis in diesem Faden hat mich ausreichend neugierig gemacht, um mir das Ganze einmal näher anzuschauen und auf meinen beiden Flügen auszuprobieren.
Ich bin kein Stimmer, stimme aber seit ca. 20 Jahren meine Flügel selbst mit den unterschiedlichsten Methoden und denke dass ich aber in den letzten Jahren so weit gekommen bin, dass sich meine Stimmungen auf meinen Flügeln anhören lassen können, wobei ich immer noch zugeben muss, dass wirklich gute Stimme aus den Instrumenten noch ein bisschen mehr herausholen können. Als mich z.B. vor ein paar Monaten ein Pianist nach der Telefonnummer meines Stimmers gefragt hat hat mich das doch ein wenig stolz gemacht. Ich denke also einschätzen zu können, was das gute Programm leistet. Wenn ich nicht nach Gehör Stimme, dann mit tunelab, was ich derzeit bevorzuge, weil es auf meinen Instrumenten gute Ergebnisse liefert und für mich stressfreier ist, weil das Stimmen weniger Konzentration erfordert.
Die Instrumente sind sicher nicht geeignet, um die Grenzen eines Stimmprogramms auszuloten, weil sie stimmtechnisch keine besonderen Herausforderungen bieten, wie zum Beispiel ein Kleinklavier im Übergang.
Es handelt sich um einen 170cm Flügel "Lyra" der Ersten Productivgenossenschaft, aus den Jahr 1926, der im wesentlichen eine fast exakte Kopie eines Bösendorfer Flügels dieser Größe und Zeit ist. Beim Zweiten Instrument handelt es sich um einen Wendl und Lung 218 Flügel, baugleich mit dem derzeitigen Feur(L)ich 218, das sehr liebevoll von meinem Klavierbauer reguliert und intoniert wurde und auf diese Art zu einem wunderbaren Flügel wurde. (Ich höre schon die Chinaböller Rufe eines unter Zweitnamen sehr aktiven Forummitglieds, bitte ignorieren.)
Das Programm habe ich auf meinem iPad installiert, Anmerkungen zur Software betreffen also diese Version.
Zunächst habe ich mich am größeren Flügel versucht. Den Hinweis, ein hochwertiges Kondensatormikrofon zu verwenden habe ich zunächst ignoriert und es mit dem eingebauten Mikrofon des iPads versucht. Das Problem dabei ist, dass das iPad alle Frequenzen unter 100 Hz herausfiltert, das heißt von den Basstönen die Grundtöne und auch die tieferen Obertöne fehlen. Das Vermessen des Instruments (alle Töne müssen vermessen werden) dauerte etwa 20 min. Es zeigte sich ein sehr gleichmäßiger Verlauf der Inharmonizität, ohne Sprünge oder Ausreißer.
Das Berechnen der Stimmkurve dauerte ziemlich lange. Was dabei herauskam war eine Stimmkurve wie aus dem Lehrbuch nur etwas "unruhig". Ich weiss nicht wie ich es besser beschreiben soll, am einfachsten Bild ansehen. Für meinen Geschmack ein wenig stark gespreizt, aber durchaus in einem vernünftigen Bereich - aber wesentlich stärker gespreizt als ichfach Gehör stimmen würd - oder es von tunelab in den von mir verwendeten (weitgehend Standard) Einstellungen berechnet wird.
Die Stimmung selbst erfolgt über drei Arten: Einerseits werden über eine Stroboskop Anzeige alle relevanten (d.H. gut hörbaren) Obertöne angezeigt. Diese Anzeige kann auch gegen eine Spektrenanzeige getauscht werden, was vor allem im Diskant nützlich ist. Andererseits kann auch ein synthetisierter Ton, der die Klangfarbe des Klaviers aufgrund der Messungen nachgebildet wird in den Kopfhörer eingespielt werden und ähnlich wie bei Chöre rein Stimmen nach Gehör gestimmt werden.
Es ist übrigens auch möglich eine gemessene Stimmung zu kopieren.
Ich hatte immer das Gefühl mit den Anzeigen weniger gut als in tunelab zurecht zu kommen, was aber vielleicht auch Gewohnheitssache ist.
Die Stimmung selbst hat mich vor allem im Bass nicht restlos überzeugt, was dazu geführt hat, dass ich noch einmal einen Durchgang mit externem hochwertigen Mikrofon durchgeführt habe.
Wie man sieht erhält man so einen etwas ruhigeren Verlauf von Stimmkurve und Inharmonizität, wobei sich nicht wahnsinnig viel ändert.
Zu der so erhaltenen Stimmung würde ich sagen, ich wäre bei so manchem professionellen Stimmer froh gewesen, hätte er eine Stimmung in dieser Qualität geliefert, dennoch macht sie mich nicht vollends glücklich. Wie schon von jensen1 erwähnt, gut, aber nicht aussergewöhnlich.
Bei meinem Zweiten Flügel ist die Situation etwas anders, der Verlauf der Inharmonizität ist nicht so ausgeglichen, wie beim großen Flügel. (gemessen ohne externes Mikrofon)

Man sieht sehr deutlich den Übergang von einzelnen zu doppelten Bassaiten sowie zu den nicht umwickelten Saiten. Wenn man genauer hinsieht kann man auch erraten, wo die Streben liegen.

Die berechnete Stimmkurve zeigt einen ziemlich brutalen Knick im Bass, der so mehr als eigenartig klingt. Einzelne brutale Ausreisser kann man eigentlich besser nur ignorieren.
Fazit für mich:
Für meine Flügel eignet sich tunelab besser und ist in der Handhabung einfacher. Interessant ist für mich die Messung der Inharmonizität, der Vergleich der beiden Instrumente ist auf jeden Fall interessant. Vielleicht lassen sich so auch Änderungen über einen längeren Zeitraum dokumentieren und so feststellen, wann der Zeitpunkt z.B. für eine Neubesaitung gekommen ist.
Trotz allem war die Beschäftigung damit für mich interessant und Erkenntnisreich