"Der freie Fall"

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Wiedereinsteiger123

Wiedereinsteiger123

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1. Nov. 2015
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Guten Morgen zusammen,

durch Anregung von meinem Klavierlehrer habe ich mir das Buch "Modernes Klavierspiel" mit der Ergänzung "Rhythmik, Dynamik, Pedal" von Leimer/Gieseking zugelegt. Mein Lehrer sagte, dass es sich zwar eher um Lektüre für (weit) Fortgeschrittene handele und das schreibt Leimer auch, aber er wollte wohl, dass ich sein Credo (Abwandlung Leimer) "Technikentwicklung durch Klangvorstellung" verstehe.

Das erste mal gestockt bin ich in dem Buch bei der Behandlung einer Etüde als Beispiel für die Leimersche Methode der Memorisierung eines Stückes, bevor man beginnt es zu spielen. Als er nämlich zur Diskussion über das Üben der Etüde am Klavier kommt, rät er zur Anschlagsmethode des "freien Falls": Man solle Handgelenk und Ellenbogen fixieren - aber auch nicht zu sehr, es darf keine Verspannung auftreten -, und nur mittels Schulter die Hand ca. 5cm über die Tasten heben und durch Muskelrelaxation, also Entspannen, die Finger auf die Tasten fallen lassen. Damit hätte man eine genaue Kontrolle über die Dynamik. Konkret geht es in der Etüde um ein skalenförmiges Spiel von Sexten. Ich habe das Ganze mal ausprobiert und es ist mir völlig schleierhaft, wie das nützlich sein könnte. Ganz davon abgesehen, wie groß der Kraftaufwand ist, die Hand nur durch Hochziehen der Schulter zu bewegen, ist es zudem auch noch eine sehr langsame Bewegung. Durch Googlen habe ich auch keine "Bestätigung" dieser Anschlagstechnik gefunden. Wenn ich an Aufnahmen von Pianisten denke, kann ich mich an keinen nennenswerten Schultereinsatz erinnern, außer bei sehr lautem Spiel, wo das Körpergewicht für den kraftvollen Anschlag eingesetzt wurde, aber nie "presslufthammerartig" für schnelles Spiel.

Kann jemand etwas zu dieser Methode sagen? Hat sie wirklich eine praktische Relevanz oder ist das ein Beispiel für einen veralteten Versuch, den Anschlag theoretisch zu behandeln?
 
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Doch es ist eine Variante des staccato Spieles.

Also in dem Video (ab ~4:30) sieht es für mich so aus, als käme die größte Bewegung aus dem Unterarm, das Ellenbogengelenk wirkt auf mich überhaupt nicht fixiert, sondern sehr aktiv. Natürlich bewegt er auch Schultern/Rücken, aber das ist mehr eine Bewegung des ganzen Oberkörpers, nicht eine Fixierung aller Gelenke außer der Schulter. Und noch wichtiger, es wirkt nicht wie ein "freier Fall" (Leimer meint das wörtlich: Die Schwerkraft soll arbeiten), sondern wie eine bewusste Bewegung.
 
Also in dem Video (ab ~4:30) sieht es für mich so aus, als käme die größte Bewegung aus dem Unterarm, das Ellenbogengelenk wirkt auf mich überhaupt nicht fixiert, sondern sehr aktiv. Natürlich bewegt er auch Schultern/Rücken, aber das ist mehr eine Bewegung des ganzen Oberkörpers, nicht eine Fixierung aller Gelenke außer der Schulter. Und noch wichtiger, es wirkt nicht wie ein "freier Fall" (Leimer meint das wörtlich: Die Schwerkraft soll arbeiten), sondern wie eine bewusste Bewegung.
Meinst du nicht du hälst dich zu sehr an Feinheiten auf, letztendlich spielt man ja keine diese reinen Bewegungen sondern ein dienliches Gemisch.

Der Freie Fall soll doch nur ausschließen, dass man die gefordert Bewegung nicht isoliert wahrnimmt. Das dient vor allem erstmal dem Kennenlernen und nicht der Ausführung später. Vielmehr hat man bei der Ausführung später eben analytisch Faktoren zur Verfügung, die man bei einer Umsetzung einer gewünschten Anschlagsart explizit ansprechen kann. Natürlich sitzt keiner wie ein Holzhammer und hebt und senkt seinen Arm als starres Ganzes nach Spielpuppenart. -

Außerdem soll man mit dem Freien Fall lernen, dass die fallende Masse ein wesentlicher Gewichtsfaktor ist und damit beim in die Tastenhauen dieses auch einzusetzen, höchstens sogar noch zu beschleunigen, aber nicht zu neutralisieren - umgekehrt ergibt sich daraus natürlich auch die Möglichkeit pianissimo mit leichtesten Bewegungen zu spielen - indem man das Eigengewicht eben ausschaltet........

An deiner Stelle würde ich dieses Buch nicht allein bearbeiten, sondern der Lehrer soll dir Anweisungen geben, wie mit dem Material umzugehen ist - schließlich hat er es auch vorgeschlagen.
 
Außerdem soll man mit dem Freien Fall lernen, dass die fallende Masse ein wesentlicher Gewichtsfaktor ist und damit beim in die Tastenhauen dieses auch einzusetzen, höchstens sogar noch zu beschleunigen, aber nicht zu neutralisieren - umgekehrt ergibt sich daraus natürlich auch die Möglichkeit pianissimo mit leichtesten Bewegungen zu spielen - indem man das Eigengewicht eben ausschaltet........

So betrachtet leuchtet mir die Übung auch ein und hätte ich nichts dagegen einzuwenden. Im Buch bzw. in dem Abschnitt klingt es aber bisher so, als wäre das komplett isolierte Spiel aus der Schulter eine wirkliche Option und nicht nur ein Experiment zur Bewusstwerdung. Ich werde mal weiterlesen, vielleicht relativiert sich der Eindruck ja noch.

An deiner Stelle würde ich dieses Buch nicht allein bearbeiten, sondern der Lehrer soll dir Anweisungen geben, wie mit dem Material umzugehen ist - schließlich hat er es auch vorgeschlagen.

Ich bespreche sowas auch gerne mit meinem Lehrer und werde das auch noch zur Sprache bringen, aber ich versuche mir auch gerne aus Interesse und zum Aufsparen der Unterrichtszeit was selbstständig anzulesen und hier zu diskutieren. Das ist für andere ja bestimmt auch interessant. Die Videos vom Pianist Magazine finde ich übrigens toll!
 
Spielt der auch Klavier oder ist der eher im Straßenbau zuhause?

Wenn's denn so wäre. Leimer war der Lehrer von Gieseking, deren Methode wird bei Wikipedia so beschrieben:

Grundlage von Giesekings Technik war die von Karl Leimer entwickelte und von Gieseking weiter ausgebaute Methode („Leimer-Gieseking“). Merkmale dieser Methode sind: Relaxation (Entspannung der Muskeln), Gedächtnistraining durch Lernen des Notentextes ohne Instrument, Erziehung des Gehörs durch höchste Konzentration beim Üben, Verbannung von geistlosem Drill und unbedingtes Festhalten an der Notation. Einbeziehen des gesamten Armes beim Spiel (Gewichtsspiel), aber auch konventionelle Ausbildung der Finger, allerdings ohne die in der älteren Klaviermethodik oft zu beobachtende Starrheit und Verkrampfung. Technik wird nur in Verbindung mit dem Studium von Originalwerken entwickelt, also keine eigenen Fingerübungen bzw. Etüden. Einzelheiten im Technischen: Unterarmrollung statt Daumenuntersatz bei Tonleitern und gebrochenen Akkorden, Verzicht auf Fingerwechsel bei repetierten Noten.
(Link)

Die bietet sicher damals wie heute Anlass zur Kontroverse. Charmant klingt sie aber, finde ich.
 
Mhhhh, ich sag mal ganz vorsichtig, das widerspricht dem, was ich bei Herrn Kratzert, " Technik des Klavierspiels gelernt und angeeignet hab und womit ich gut klarkomme. Aber das bezieht sich auf das Anfängerspiel und nicht die virtuose Klaviertechnik.
 
Mhhhh, ich sag mal ganz vorsichtig, das widerspricht dem, was ich bei Herrn Kratzert, " Technik des Klavierspiels gelernt und angeeignet hab und womit ich gut klarkomme. Aber das bezieht sich auf das Anfängerspiel und nicht die virtuose Klaviertechnik.

In den Rezensionen zu dem Buch heißt es immer, es sei nichts für Anfänger, sondern nur für weit Fortgeschrittene, evtl. zur Vorbereitung auf eine Aufnahmeprüfung. Ist das Quatsch und das Buch auch für niedrigere Niveaus lesenswert?
 

Unbedingt! Und bitte auf keinen Fall die ersten Kapitel überspringen!

Gut, das besitzt keine Allgemeingültigkeit, ich kann nur für mich selbst sprechen.

Rudolf Kratzers Buch und Peter Feuchtwangers Buch und DVD haben mich wirklich weitergebracht.

Viele Grüße
Marion

Ich spiele übrigens auf niedrigem Niveau!
 
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In den Rezensionen zu dem Buch heißt es immer, es sei nichts für Anfänger, sondern nur für weit Fortgeschrittene, evtl. zur Vorbereitung auf eine Aufnahmeprüfung. Ist das Quatsch und das Buch auch für niedrigere Niveaus lesenswert?
Also ich hab auch den Kratzert (teuer teuer übrigens!!!), er richtet ausdrücklich nicht nur an Fortgeschritten, sondern hat sein Werk gegliedert, die letzten Finessen befinden sich dann im Schlussteil. Seine ausladenden Beschreibungen und Vorübungen gehen erst mal ganz banal vom Sitzen aus, Beschreiben des Armapperates, sogar Kopfhaltung - also Ganzheitlich - er bezieht sich ja auch immer ständig auf musikphysiotherapeutisches- dann geht es ganz langsam vom einfachen (legato) Spiel mit Beispielen von Bartoks Schule gleich polyphon los.

Allerdings stören mich gewaltig der Plauderton, der auch ständig sich noch mal vergewissert, ob man wirklich seine Technik noch mal überarbeiten will (er richtet sich vor allem an Spieler, die ihre gesamte Technik noch mal neu aufstellen wollen - ohne körperliches Verkrampfen.) und teilt dann möglichen Missachtern seiner Position schon mal Saitenhiebe aus....

Aber meiner Meinung nach ist auch im Kratzert nicht alles - etwa das Pedalspiel könnte umfassender sein. Seine Beispiele sind vor allem aus der Literatur und es ist kein Buch, dass man einfach durcharbeitet - sondern eher indem man nachschlägt , wenn man ein bestimmtes Problem hat - wobei man allerdings das Buch schon mal überflogen haben sollte, um sich zurechtzufinden.
 
Das klingt interessant, vielleicht lege ich mir das Buch dann doch auch zu. Inwiefern, kurz zusammengefasst, widerspricht er denn den zitierten Punkten aus der Methode von Gieseking?
 
Als er nämlich zur Diskussion über das Üben der Etüde am Klavier kommt, rät er zur Anschlagsmethode des "freien Falls": Man solle Handgelenk und Ellenbogen fixieren - aber auch nicht zu sehr, es darf keine Verspannung auftreten -, und nur mittels Schulter die Hand ca. 5cm über die Tasten heben und durch Muskelrelaxation, also Entspannen, die Finger auf die Tasten fallen lassen. Damit hätte man eine genaue Kontrolle über die Dynamik. Konkret geht es in der Etüde um ein skalenförmiges Spiel von Sexten...

Freier Fall ist nützlich, um das Gefühl von Entspannung insbesondere im HGK und der Schulter zu spüren. Gespielt wird so später nicht mehr, lediglich das Gefühl sollte beibehalten werden. Du hast das glaube ich etwas falsch verstanden - das ist halt immer die Gefahr, wenn man versucht, sich durch Bücher Klaviertechnik anzueignen. Ein (ich betone): GUTER Lehrer wäre vielleicht sinnvoller und dann als Ergänzung ein gutes Buch.

Was die Sexten angeht und die Anschlagstechnik, die er meint:
das ist nützlich, um eine gute Akkord- bzw. Oktavtechnik auszubauen. Praktisch ist diese Etude für Sachen wie Beethoven Op. 2 No. 3 (4. Satz), die schnellen steigenden Akkordrepetitionen im 1. Satz von Beethovens Op. 81a oder die Oktaven des 3. Chopin Scherzos usw.
Insbesondere eine stabile Hand ist hier das oberste Trainigsziel, besonders die Finger in der Mitte, die nicht benutzt werden, müssen ebenfalls bewusst und stabil geführt werden. Nur so bekommst du einen einheitlichen und stabilen Klang. Die Führung der Hand übernimmt dann der Arm, wobei das HGK zwar stabil, aber durchlässig sein sollte. Die Schulter und der Arm wird keinesfalls angehoben oder angespannt - genau das kann der freie Fall trainieren - aber dann ganz langsam und jeder Griff für sich mit langer Pause...

Vielleicht hilft dir dieses Video für weiteres Verständnis (ca. ab der Hälfte):


LG, Joh
 
Freier Fall ist nützlich, um das Gefühl von Entspannung insbesondere im HGK und der Schulter zu spüren.

HGK = Handgelenk? Leimer fordert ja gerade, in dem Fall das Handgelenk steif (aber nicht zu steif) zu halten.

Du hast das glaube ich etwas falsch verstanden - das ist halt immer die Gefahr, wenn man versucht, sich durch Bücher Klaviertechnik anzueignen. Ein (ich betone): GUTER Lehrer wäre vielleicht sinnvoller und dann als Ergänzung ein gutes Buch.

Ich wage mal zu behaupten, Leimer hat sich komisch ausgedrückt. Wenn jemand mit so expliziten Anweisungen kommt wie "aus ca. 5cm Höhe fallen lassen", um für gleich laute Anschläge zu sorgen, dann hat das mehr von einer Ausführungsanweisung als von einer Übung zur Bewusstwerdung über Muskelanspannung, denn das könnte man isoliert von einer Etüde und aus beliebiger Höhe tun.
Ich habe meinen Lehrer gestern - nur kurz, da die Stunde zu Ende war - auf das Thema angesprochen und er rollte nur mit den Augen und sagte, dass alle Technikanweisungen aus Büchern erstmal mit Vorsicht zu genießen seien und insbesondere in diesem Fall, wenn von so einem Unsinn wie Anschlag mit "freiem Fall" oder "Wurf" die Rede sei. Das Buch sei eher wertvoll wegen der Grundsätze - kondensiert im Zitat aus Wikipedia oben - als wegen solcher Technikbeschreibungen.

Die Schulter und der Arm wird keinesfalls angehoben oder angespannt - genau das kann der freie Fall trainieren - aber dann ganz langsam und jeder Griff für sich mit langer Pause...

Aber damit sind wir wieder beim genauen Gegenteil vom "freien Fall": Leimer beschreibt - in dem Abschnitt, später mag es korrigiert werden -, wie man den freien Fall zur gleichmäßigen Klangerzeugung nutzt. Du sagst, der freie Fall soll trainiert werden, damit man ihn ja nicht anwendet, also die Schulter gerade nicht anhebt.

Im Video wird mir der Übergang von dem Armgeschmeiße zum darauf folgenden Spiel leider auch nicht klar. Es hat eher was von "Guckt mal, ich mache es komplett falsch, um zu zeigen, dass es komplett falsch ist und dann mache ich alles anders und richtig und leite die Spielweise daraus ab, dass ich alles absichtlich falsch gemacht habe".

Entschuldigung, ich habe diesen Beitrag bewusst etwas provokant formuliert, aber ich weiß deine Antwort zu schätzen. Mich verwundert es nur manchmal, dass in der Klavierliteratur oder in Videos Dinge beschrieben werden, die zum Erfolg führen sollen, bei denen (mir?) aber der Zusammenhang zwischen Übemethode und Ergebnis undeutlich bleibt.
 
Im Video wird mir der Übergang von dem Armgeschmeiße zum darauf folgenden Spiel leider auch nicht klar.
Armgeschmeiß ist ein gutes Stichwort. Vielleicht will uns der Herr Leimer einfach nur seine Kriegserfahrungen schildern. Also, er hatte einen granatenzerfetzten Arm und in den offenen Wunden hat sich lauter Geschmeiß angesammelt (Schmeißfliegen, Maden und Käfer). Und nun konnte er diesen schmerzenden Arm nur noch 5cm heben. Das ist es, was uns dieser Nichtpianist sagen wollte.
 

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