Neulich, im Zoo
Dramatis personae:
Dick, Galapagos-Schildkröte
Polly, ebenfalls Galapagos-Schildkröte
Richard Clayderman, französischer Entertainer
Tierpfleger
Fernseh-, Presseverteter
Besucher
Ort: Londoner Zoo
Zeit: Gegenwart
Polly (steckt den Kopf unterm Panzer hervor, blickt um sich,
schaut zu Dick hinüber, der noch schläft, stupst ihn an):
Aufwachen, Faulpelz!
Dick (steckt den Kopf unterm Panzer hervor, blinzelt ins Tageslicht):
Was'n los? Gibt’s Frühstück?
Polly: Schau mal, da drüben!
Dick (gähnt): Ich hätt noch so schön schlafen können,
bis unser Kellner mit dem Essen kommt.
Polly: Sieh Dir mal den Typen da an.
(Sie beobachten Clayderman, der an einem Flügel Platz nimmt.)
Dick: Endlich mal ein Domestik mit passender Livrée.
Polly: Und er hat geföhntes Haar...
(Clayderman beginnt zu spielen.)
Dick: Was ist das - dieser große schwarze Kasten?
Polly: Bestimmt 'n Reinigungsgerät.
Dick: Jedenfalls ist das kein Kellner.
(Clayderman spielt die ,Ballade pour Adeline'.)
Polly: Aber was isser dann?
Dick: Vermutlich 'n Straftäter, der Sozialstunden ableisten muß.
Polly: Wie aufregend!
Tierpfleger (bringt Karotten): Hallo, meine Süßen! Es gibt Frühstück.
Dick: Na, endlich.
(Er mampft.)
Tierpfleger: Na, Ihr beiden Glückspilze, wißt Ihr's überhaupt zu würdigen,
daß die einen echten Froschfresser für Euch engagiert haben?
Nur zu Eurer Unterhaltung?
Polly (nuschelt mit vollem Mund): Der Kellner will irgendwas von uns.
Tierpfleger: Eine kleine Motivationshilfe zum Rammeln, meine Lieben,
und zwar vor laufender Kamera! Leider wissen die von der Zooleitung nicht,
daß Euer Hörsinn nur
schwach ausgeprägt ist.
Dick: Er sollte langsam wissen, daß unser Hörsinn nur schwach ausgeprägt ist.
Tierpfleger: Ihr wißt gar nicht, was Euch entgeht.
(Die Kameras etlicher TV-Sender und Printjournale sind auf Clayderman gerichtet.
Er wirft sich für die PR-Aktion in Positur und spielt mit schmachtendem Gesichtsausdruck.)
Polly: Was machen die eigentlich mit dem Typen da?
Dick: Das gehört zur Bestrafung dazu. So 'ne Art Pranger.
Polly: Ich find das entwürdigend, wie die ihn bloßstellen.
Dick: Ich find's richtig. Wer weiß, was der angestellt hat.
Tierpfleger: Aber wie ich Euch kenne, werdet Ihr mit Beschallung
auch nicht rammeln.
(Exit.)
Dick: Polly, ich spüre ganz seltsame Vibrationen...
Polly: Also, Dick, wir kennen uns erst seit dreißig Jahren und hatten ausgemacht,
uns zunächst auf eine rein mentale Beziehung zu beschränken. Ich find's nicht gut,
daß Du --
Dick: Quatsch nicht rum, Alte. Davon rede ich nicht. Ich mein so komische
Erschütterungen von da vorn.
Polly (nach einer Pause): Keine Ahnung. Kommt vielleicht von der Reinigungsmaschine.
Dick (zieht den Kopf ein): Weck mich, wenn was Spannendes passiert.
Polly (mampft den Rest von Dicks Karottenportion.)
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