Bach Passacaglia c-moll BWV 582

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Hallo zusammen,

ich wollte Euch mal eine meiner Meinung nach sehr schöne Einspielung von Bachs berühmter Passacaglia vorstellen. Besonders gut gefallen mir an dieser Darbietung an einer Barockorgel die Zungen, mit denen das Thema zu Beginn im Pedal vorgestellt wird: Diese Registration hat etwas sehr Tiefes, Durchdringendes, ja brachial-erhabenes, das dem Charakter des Themas so wie ich finde sehr nahe kommt.

Hier ist das Video: J.S. Bach - Passacaglia and Fugue in C minor BWV 582 - YouTube

Also: Was haltet ihr davon?


Herzliche Grüße

Lisztomanie
 
Also ich habe bisher noch keine Aufnahme von Hans-Andre Stamm gehört, die nicht absolut professionell wäre.
Was die Passacaglia angeht, so ist es ja inzwischen Mode geworden, sie in vollem Plenum von vorne bis hinten durchzubrettern (in der Meinung, dass das H.I.P. sei), wie es Stamm auch tut.
Kann man sicher so machen, und natürlich eine sehr gut gespielte Aufnahme. Aber mir gefällt nicht, dass er das Thema legato in einem durch spielt, statt wenigstens in der Mitte eine Artikulationspause zu machen.

Mein Favorit der Passacaglia ist die Aufnahme vom großen Karl Richter: Karl Richter Bach Passacaglia.
Man würde sie heute wohl nicht mehr in dieser romantisierten Form spielen, mir gefällt`s trotzdem.

Das Schöne an solchen Meisterwerken ist, man kann sie auf viele Arten überzeugend interpretieren.
Das einzige, was noch schöner ist als diesen zu lauschen, ist, diese Stücke selber zu spielen.
 
Was die Registrierung angeht: Ich denke, es ist mehr als nur eine Meinung. Was macht die HIP-Fraktion denn da eigentlich? Sie kratzt doch nur die wenigen verfügbaren Informationen zusammen. Es gibt kein Autograph des Stücks, aber mehrere gute Abschriften. Davon tragen einige den ausdrücklichen Vermerk "pro organo pleno". Eine findet sich im Wikipedia-Artikel: Passacaglia c-Moll (Bach)
Diese dürfte aus dem engeren Kreis um JSB stammen. Andere Registrieranweisungen haben wir nicht, also ist es durchaus plausibel das ernst zu nehmen. Die Umregistriererei dürfte wohl auf Liszts empirische und traditionslose Praxis zurückgehen. Noch Mendelssohn schrieb ein Ostinato "pro organo pleno", das dürfte wohl nicht ungewöhlich gewesen sein. Selbst Rheinberger hat in der 8. Sonate keine exzessiven Registerwechsel vorgesehen, das bleibt alles im Rahmen.
Trotzdem kann natürlich eine hochromantische Version (z.B. Käte van Tricht) sehr reizvoll sein.

Schöne Grüße
Axel
 
Ja, das eigentliche Dilemma ist, daß die "HIP-Fraktion" zwar in gutem Willen versucht, die verfügbaren Informationen zur Aufführungspraxis - von in diesem Fall Bach himself - umzusetzen.
Leider sind aber diese Informationen äußerst dürftig, stützen sich bzgl. Registrierung im wesentlichen auf die eine Aussage in Bachs erstem Biographen Forkel von 1802 (welcher Bach selber nie gehört hat, sondern sich hauptsächlich auf Aussagen von CPE und F Bach berief), dass Bach seine Fugen normalerweise mit vollem Werk gespielt habe.
Leider wird daraus gutmeinend abgeleitet, Bach habe sämtliche Fugen in dieser Manier gespielt, was den so verschiedenartigen Werken auch nicht gerecht wird. Manche vertragen durchaus Manualwechsel (was genauso wie Registerwechsel eine Klangfarbenänderung ist) oder es sind sogar explizit Manualwechsel in den Noten vermerkt (siehe z.B. Echostellen in G-Dur-Fuge BWV577 oder in der Fuge aus d-moll BWV565 - beides allerdings Werke, deren Autorenschaft nicht zweifelsfrei Bach ist).

Was die Registrierung der Passacaglia angeht, so sind leider die Informationen ähnlich widersprüchlich. Neben dem Vermerk "pro organo pleno" in einigen Abschriften gibt es auch die Aussage vom bereits erwähnten Forkel (auf dessen Spielpraxisangaben sich ja sonst die HIP-Fraktion mit fliegenden Fahnen beruft!) in dessen Bach-Biographie, dass die Passacaglia "aber mehr für zwey Claviere und Pedal als für die Orgel ist". Gemeint ist wahrscheinlich ein zweimanualiges Pedal-Cembalo oder Clavichord (die typischen Orgel-Übeinstrumente für Zuhause aus der damaligen Zeit). Wer schonmal den äußerst dünnen Klang eines Pedalklaviers gehört hat (z.B. die Einspielung der Schumann-Orgelwerke von Martin Schmeding, auf einem Pleyel-Flügel mit Pedalklavier eingespielt), kann sich kaum vorstellen, dass die Passacaglia damit überzeugend dargestellt werden kann. Aber diese Einschätzung bzgl. der Passacaglia von Forkel zieht sich über das 19.Jhd (Griepenkerl) bis in das 20.Jhd. hinein (A.Schweitzer).

Die Faktenlage ist also wirklich äußerst widersprüchlich bzgl. Passacaglia-Registrierung, sodass man - HIP hin oder her - nicht umhin kommt, selber Stellung zu beziehen.
Meiner Meinung nach ist das Ende der Variationen in der Passacglia derart grandios, genauso wie die komplette anschließende Fuge, dass es geradezu dazu einlädt, in vollem Plenum gespielt zu werden. Auf der anderen Seite sind klare Steigerungen in den Variationen selber zu sehen, mehrere Variationen können als zusammengehörig betrachtet werden vom Charakter, und die Variationen sind so klar getrennt, dass Registrierungs- oder Manualwechsel gemacht werden können, ohne dass man den Spielfluß einzelner Stimmen verletzt. Von daher laden eben die Variationen der Passacaglia auch irgendwie dazu ein, diese Gestaltungsmöglichkeit zu nutzen. Dies eben in ganzem Gegensatz zu vielen Fugen, wo es zwar manchmal leicht ist, in den oftmals vorhandenen manualiter-Passagen zu Beginn auf ein Nebenmanual zu wechseln. Aber beim Übergang ins Hauptmanual zurück gibt es dann Probleme, weil sich die Stimmen verzahnen (bei manchen Fugen geht es aber auch gut, z.B. die große a-moll-Fuge aus BWV543, wo man hände- und stimmenversetzt sehr elegant wieder auf das Hauptmanual zurückfinden kann). Von daher sind Registrier- oder Manualwechsel in den meisten Fugen von Bach problematisch.

Ein weiterer Aspekt könnte für Klangfarbenänderungen bei der Passacaglia sprechen, nämlich der Fakt, dass die Passacaglia nach letztem Forschungsstand zu den ganz jungen Werken Bachs gezählt wird (als er um die 20 war), es wird der Autograph in Tabulaturschrift vermutet, was Bach nur bei seinen frühen Werken tat. Die Werke von Bach aus dieser Zeit stehen alle mehr oder weniger unter dem Einfluß von Buxtehude (wie auch d-moll BWV565). Da waren häufige Klangfarbenwechsel noch eher gang und gäbe, als bei seinen späteren Werken.

Von daher aus meiner Sicht: nix genaues weiß man nicht, und es bleibt einem nichts weiter übrig, als nach gegebenem Forschungsstand selber zu entscheiden, wie man herangehen möchte.

Die extensiven Klangfarbenwechsel (und noch schlimmer: Artikulationsdinge! Kampfrubato!) a la Straube, wie von Käte von Tricht zelebriert, sind allerdings auch Ausschläge in die hoch-romantisierende Richtung. Ob auf der anderen Seite die Passacaglia in einem Rutsch durchgebrettert werden muß von vorne bis hinten in 13 Minuten Vollplenum, bleibt allerdings auch die Frage.
 
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