"Auseinanderklappen der Hände"

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Ich habe diesen Begriff in dieser Rezension über eine CD von Evgeny Kissin gelesen. Hier der Auszug:

"Bei den “Kreisleriana” erstaunt sogleich das irritierende Auseinanderklappen der Hände, eine Virtuosen-Manier aus der tiefen Vergangenheit. Bei Kissin ist diese “Desynchronisation” allgegenwärtig, wenn auch oft nahe der Wahrnehmungsgrenze - also um so sicherer artistische Absicht."

Das Auseinanderklappen ist also wenn ich das richtig auffasse diese Desynchronisation, oder? Aber welcher Effekt soll damit erzielt werden bez. was nutzt das überhaupt?

Weiß jemand etwas darüber und könnte mich aufklären?

Gruß
marcus
 
Desynchronisation

Ich glaube, dies ist ein reflektorischer Impuls, der in kürzester zeit, die spannung aus dem Unterarm nimmt - man kann ihn auch dadurch erzielen, indem man, wenn die Zeit da ist, kurz das Handgelenk hochklappt und die Hand hängen lässt:

Zur Verdeutlichung: Man stelle sich vor, man sei eine Marionette, die an Fäden aufgehängt ist und ein Faden ist direkt oben in der Mitte des Hadngelenks montiert. Im entsprechenden Augenblick zieht nun der Magier kurz an diesem Faden, das Handgelenk bewegt sich nach oben, die Hand und die finger fallen Richtung Tastatur und schon ist wieder alles entspannt.
 
Ich glaube eher, daß eine Stimme der anderen minimal vorläuft oder zurückbleibt, wie von .marcus vermutet. Das erzeugt eine gewisse Spannung. Ziemlich oft kann man es bei rhythmisch nicht so guten Gitarristen während eines Solos hören, wenn er schneller oder langsamer als die anderen Musiker wird, da ist es natürlich ein Fehler aber manchmal klingt es auch ganz interessant. Bin selbst so drauf gekommen, es als Stilmittel einzusetzen. Beim Klavier kann ich es leider nicht kontrollieren. Den Impuls, eine Stimme zurückzuhalten oder vorauszueilen ist manchmal da aber es geht halt nicht ):
 
Chopin und viele andere haben immer wieder betont, dass es darauf ankommt, Melodiebögen so zu gestalten, wie ein guter Sänger singt. Ein guter Sänger fällt niemals "mit der Tür ins Haus", sondern startet seine Melodie meist leicht verzögert zu der Begleitung, und lässt sich am Ende etwas mehr Zeit, bis er fertig ist. Manchmal auch anders herum, aber dies ist m.E. die Regel. Und genau das kann man auf dem Klavier auch imitieren. Absolute Unabhängigkeit der Hände sind dafür allerdings Voraussetzung. Cortot z.B. hat dieses Stilmittel auch gerne und oft eingesetzt.
 
Ah, ich dachte schon der Thread sei entweder übersehen worden oder niemand habe eine Ahnung von der Sache.

@Mindenblues: Aus diesem Blickwinkel habe ich die Sache noch nie betrachtet. Klingt aber einleuchtend.

@Klavigen: Sorry, aber ehrlich gesagt versteh ich nicht ganz wie du das meinst. Du beschreibst aber auch wie man es macht und nicht was der Effekt ist. Stimmst du denn da mit mir und Guendola überein?


Scheint aber eine ziemlich seltene Sache zu sein, von daher ...

marcus
 
Ich glaube, es handelt sich bei dem Ausdruck um Journalistenlatein :)
 
Ob's dafür einen offiziellen Fachbegriff gibt, weiß ich nicht. Aber daß man zwecks Steigerung des Ausdrucks (und auch manchmal zur Verdeutlichung der Polyphonie!) einzelne Töne eines Zusammenklangs etwas vorzeitig spielt oder nachklappen läßt, das ist eine völlig "normale" Spieltechnik. Einige Pianisten machen das unbewußt, andere bewußt. Aber es ist jetzt nichts so Besonderes, daß man Kissin extra dafür loben müßte.

Ich hab aber einen anderen Verdacht: in dem letzten Stück der Kreisleriana kommen die Baßtöne zu völlig falschen Zeiten - das hat Schumann bewußt so komponiert. Wenn das dem Rezensenten nun zum ersten Mal so richtig aufgefallen sein sollte - wer weiß - vorstellbar ist alles :p - dann hätte er den kompositorischen genialen Einfall von Schumann quasi als Kissins Interpretationsweise mißinterpretiert.

Ich rede von diesem Satz hier
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Klappen

Ob's dafür einen offiziellen Fachbegriff gibt, weiß ich nicht. Aber daß man zwecks Steigerung des Ausdrucks (und auch manchmal zur Verdeutlichung der Polyphonie!) einzelne Töne eines Zusammenklangs etwas vorzeitig spielt oder nachklappen läßt, das ist eine völlig "normale" Spieltechnik. Einige Pianisten machen das unbewußt, andere bewußt. Aber es ist jetzt nichts so Besonderes, daß man Kissin extra dafür loben müßte.

Ich hab aber einen anderen Verdacht: in dem letzten Stück der Kreisleriana kommen die Baßtöne zu völlig falschen Zeiten - das hat Schumann bewußt so komponiert. Wenn das dem Rezensenten nun zum ersten Mal so richtig aufgefallen sein sollte - wer weiß - vorstellbar ist alles :p - dann hätte er den kompositorischen genialen Einfall von Schumann quasi als Kissins Interpretationsweise mißinterpretiert.

Ich rede von diesem Satz hier

Das kann wirklich so sein, die Kritiker saugen sich ja oft das tollste Zeug aus dem Gehirn, aber einem Joachim Kaiser wäre das sicher nicht passiert.
 
Klappen

Ah, ich dachte schon der Thread sei entweder übersehen worden oder niemand habe eine Ahnung von der Sache.

@Mindenblues: Aus diesem Blickwinkel habe ich die Sache noch nie betrachtet. Klingt aber einleuchtend.

@Klavigen: Sorry, aber ehrlich gesagt versteh ich nicht ganz wie du das meinst. Du beschreibst aber auch wie man es macht und nicht was der Effekt ist. Stimmst du denn da mit mir und Guendola überein?


Scheint aber eine ziemlich seltene Sache zu sein, von daher ...

marcus

Ich schrieb, dass der Effekt eine sofortige entspannung in allen beteiligten Muskeln ist. Es kommt schon mal vor, dass man bei schweren Stellen, die man nicht optimal spielt, eine Anspannung im Unterarm verspürt und durch diesen Reflex - Handgelnk noch oben und Hand nach unten - kann man diese leichte Verspannung innerhalb kürzester Zeit beseitigen.

Dass man die Kunst des Rubatos, wie sie gerade auch bei Chopin häufig angewand werden soll, als Auseinanderklappen der Hände bezeichnet, war mir neu. Und dafür wänd ich den Begriff auch unpassend. Es ist ja eher eine bewusst herbeigeführte künstliche Dissoziierung beider Hände, wobei das Grundtempo nicht verändert wird.
 
Dass man die Kunst des Rubatos, wie sie gerade auch bei Chopin häufig angewand werden soll, als Auseinanderklappen der Hände bezeichnet, war mir neu. Und dafür wänd ich den Begriff auch unpassend. Es ist ja eher eine bewusst herbeigeführte künstliche Dissoziierung beider Hände, wobei das Grundtempo nicht verändert wird.

Nachdem ich die eingangs erwähnte Rezension gelesen habe , meine ich schon, dass der Kritiker mit Auseinanderklappen der Hände eben diese chopinesque Art des Rubatos meint. Finde den Begriff schon ganz passend dazu.

Du bezeichnest diese Dissoziierung beider Hände als künstlich - man kann sie aber auch als Kunst bezeichnen. Je nachdem, wie man zu dieser sehr sehr schwierigen Art des Rubatos (da totale Unabhängigkeit der Händer gefordert) steht.
 

Klappen

natürlich künstlerisch bzw. kunstvoll, so ist es besser ausgedrückt - da hast du Recht
 

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