Aufnahmen von Stücken, die man übt anhören

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Rosie

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19. März 2010
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Hallo zusammen,
mich beschäftigt schon seit einiger Zeit ein Thema, das ich hier mal zur Diskusion stellen möchte.

Ist es sinnvoll, sich Einspielungen von Stücken, die man erarbeiten und üben möchte, anzuhören?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir das Anhören von, wenn möglich, professionellen Einspielungen beim Erarbeiten eines Stückes ganz gut weiterhilft. Ich bekomme halt einen Eindruck, wie ein Stück klingen sollte. Und gerade da liegt das Problem, was mich andererseits beschäftigt. Ist es wirklich so, dass meine Stücke so klingen sollten oder schränkt das Hören einer Aufnahme die eigene Entfaltung zu sehr ein? Ist es nicht wahrhaftiger, wenn ich eben nicht über einen Höreindruck das Stück erfahre sondern das Stück in meinem Innern erklingt, wenn ich mich nur mit den Noten beschäftige? Führt das Anhören von Profieinspielungen gar zu Frust oder zu zu früh zu schnellem Spiel?
Andererseits denke ich mir, dass ich gerade durch das Anhören von Stücken und dem gleichzeitigen Blick in die Noten dazu lerne bzw. die Erfahrung sammel, die mich später dazu bringen wird, auch ohne akustischen Voreindruck ein Stück sicher zu erlernen.

Wie haltet Ihr es?
Hört Ihr Euch die Stücke, an denen Ihr arbeitet an? Verfahren Anfänger anders als fortgeschrittene Spieler? Gibts aus Sicht der Klavierpädagogen einen Goldstandard?

Liebe Grüße,
Rosie
 
Hallo Rosie,

eine Meinung aus dem Anfängerlager:

Für einen Anfänger (also auch für mich) halte ich es für überflüssig bis kontraproduktiv sich solche Profieinspielungen zu Gemüte zu führen.
Das liegt vor allem daran, dass ich bislang noch keine Einspielung eines Profis gehört habe, die Anfängerstücke auch anfängergerecht (!) wiedergegeben haben.

So ist selbst die Einspielung der russischen Klavierschule in der CD-Edition m.E. vor allem eins: viel, viel zu schnell. Auch gefällt mir die musikalische Interpretation in vielen Stücken überhaupt nicht.

Zum Album für die Jugend von Schumann habe ich eine CD von Rico Gulda und ich finde sie einfach nur grausig. Das Tempo hier ist nicht schnell, es ist gefühlte Lichtgeschwindigkeit (da konnte der arme Schumann mit deutlichen Hinweisen wie "Langsam" oder "Nicht zu schnell" sich noch so sehr die Finger wund geschrieben haben) und es ist musikalisch in meinen Ohren ebenfalls alles andere als schön.

Oder die Bach'schen Inventionen werden ja (leider,leider) grundsätzlich in einer Geschwindigkeit über die Klaviertur genagelt, so dass das einzelne Stück schon wieder vorbei ist bevor man sich gerade in die Ruhe auf den Sessel vor die Anlage setzen konnte...

Mein KL ist (so wie jeder andere KL sicher auch) in der Lage, jedes Stück so vorspielen zu können, dass es vom Tempo her, sowie auch von der Technik (man denke z.B. an alle möglichen Verziehrungen) und von den derzeitigen musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten auch von mir reproduzierbar ist.
So ist mir z.B. noch keine Invention so langsam wie von ihm zu Ohren gekommen. Aber es war zum einen sehr schön und ich habe in keinster Weise das Gefühl gehabt, das selbst nicht relativ zeitnah auch so auf die Reihe zu bekommen. Ich glaube und habe für mich die Erfahrung gemacht, dass das wesentlich zielführender ist, als Einspielungen irgendwelcher Profis.

Für den Fortgeschrittenen oder gar Profi glaube ich durchaus, dass man sich von anderen Musikern Inspiration holen kann. Ich denke, dass schließlich jeder Musiker auch ein Stück weit von anderen Interpreten seines Fachs mehr oder weniger beeinflusst wurde und mit der Zeit halt einfach eine persönliche Note dazu kommt.

Viele Grüße
Musicus
 
Hallo Rosie,

ich gebe Musicus Recht... viele Hörproben auf Youtube oder so sind zu schnell gespielt. Generell gewinnen viele Stücke, wenn sie nicht so runtergerattert werden.

Trotzdem höre ich mir gerne die Stücke an, die ich aktuell übe und lese dann den Notentext mit. Mir hilft es beim Einstudieren. Und ich hatte noch nie das Gefühl, eine Interpretation zu übernehmen - das liegt natürlich auch daran, dass ich weder so souverän noch so schnell spiele wie das in der Hörprobe der Fall ist.

Was aber enorm hilft ist, sich seine eigene Aufnahme mal anzuhören... da fallen mir immer viele Verbesserungen auf, die im Spielstress gar nicht mitbekomme.
 
Hallo Rosie!
Mir hilft es teilweise die Stücke anzuhören, da man ja auch über die Ohren lernt, und so hört "wo es hingeht", die Gefahr besteht ja bei mir nicht, dass ich Bach mal wie Daniel Barenboim spiele. Allerdings ist das Tempo manchmal wirklich ein Problem: erstmal richtig mitzukommen und dann es nicht auch so schnell zu probieren. Aber auch die Profis haben mal langsamer spielen müssen! Das Regentropfenprelude von Alfredo Perl auf YT ist langsam und wunderschön !
Gruss
tini
 
Mir hilft es sehr, Interpretationen von anderen Spielern zu hören und vor allem zu vergleichen. Dabei schaue ich mir nicht nur die Profis an sondern vergleiche auch gerne ihre Einspielungen mit denen der Hobbypianisten und vor allem mit Aufnahmen meines eigenen Spiels.

Ich überlege mir dann, was mir bei der einen oder anderen Interpretation gefällt und warum. Oftmals bemerke ich, dass mir z.B. sehr schnell gespielte Stücke weniger zusagen, weil die Ausdruckskraft dabei leicht verloren geht.

Ich nutze YT als Anregung für meine eigene Interpretation, die aber niemals eine Kopie sein soll. Außerdem ist es mir ein gutes Hilfsmittel, festzustellen, ob ich die melodischen Linien und den Rhythmus richtig erfasst habe.
 
Hallo Rosie,

Deine Frage hat mich auch schon beschäftigt.

Ich höre mir meine Stücke meist voher noch mal auf Youtube an. Meine Lehrerin ist davon gar nicht so begeistert. Für mich ist es einfach praktisch mir die Melodie noch mal zu vergegenwärtigen. Es fällt mir dann leichter, das Stück zu erarbeiten, da ich teilweise nach Gehör spielen kann. Um Interpretationen geht es bei mir im Moment noch weniger.

Allerdings habe ich mir auch schon Stücke rein aus dem Notentext erarbeitet. Das war schon ein Aha-Erlebnis als es das erste Mal funktioniert hat. :D

Über das Phänomen Youtube habe ich auch schon mal mit meiner Lehrerin gesprochen. Sie hat den Eindruck, dass sich viele ihrer Schüler/innen durch den Vergleich mit den Youtube-Einspielungen unter Druck setzen und der Spaß und die Freude am eigenen Spiel und die Zufriedenheit damit ein wenig verloren geht.

lg
Nora
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Bei mir ist es so, dass ich die Stücke, die ich intensiv zu üben beginne, meist schon von Aufnahmen her recht gut kenne. Wenn ich mich entscheide, ein bestimmtes Stück zu üben, höre ich mir während der Erarbeitungsphase aber keine Aufnahmen mehr davon an. Aber es gibt Ausnahmen.

Ich erzähle nur kurz ein Beispiel für so eine Ausnahme: Es ging um das As-Dur-Nocturne, op. 32,2, von Chopin. Die Eckteile des Stücks wollten und wollten nicht so klingen, wie ich es mir vorstellte. Da habe ich dann mal bei Artur Rubinstein reingehört und habe versucht herauszufinden, wie er das spielt. Und dabei bin ich darauf gekommen, dass ich die Begleitung in der linken Hand einfach die ganze Zeit viel zu laut gespielt habe. Diese simple Erkenntnis hat zu einer sofortigen Verbesserung geführt und hat mir mal wieder gezeigt, wie grundlegend es ist, genau hinzuhören.

Grüße von
Fips
 
Ich bin der Ansicht, daß es sehr wichtig ist, sich Stücke, die man übt anzuhören. Denn Noten sind immer nur ein ungefährer Fahrplan, niemals die volle Wahrheit über ein Stück, und Anhören ermöglicht es mir, dahinterzusteigen, was mit den schwarzen Zeichen auf dem Papier tatsächlich gemeint sein könnte, bzw. was nicht dasteht, aber trotzdem gespielt werden muß.

Dabei steht auf Platz 1, sich das Stück live, "in echt", anzuhören, also entweder vom KL oder im Konzert eines anderen Pianisten.

Auf Platz 2, immer wenn das nicht möglich ist, Aufnahmen des Stücks.

Dabei ist sehr wichtig, sich gute Aufnahmen anzuhören und nicht irgendwelchen selbstgefilmten Youtube-Crap! Der Lehrer sollte hier Hilfestellung leisten und (Kauf-)Empfehlungen aussprechen.

Es geht nicht darum, das Stück genau so zu spielen wie der Pianist auf der Aufnahme - dieser Versuch wäre sogar überaus unzweckmäßig. Sondern es geht darum, zu hören, wie das Stück gespielt werden könnte, und irgendwann auch wahrnehmen zu können, wenn die gehörte Interpretation den eigenen Klangvorstellungen eher widerspricht und man etwas bewußt anders gestalten möchte.

Fips hat in bezug auf die Hörweise schon einen guten Hinweis gegeben.

Es ist aber auch richtig, daß es manchmal - aber dies meiner Meinung nach erst auf einem fortgeschritteneren Level! - besser ist, keine Aufnahme anzuhören, um ganz unvoreingenommen zu einer eigenen Interpretation zu gelangen. Dies jedoch kategorisch als Standard-Vorgehensweise zu verlangen (sogar auf dem Anfängerlevel), wie es anscheinend einige KL tun, ist methodisch sehr zweifelhaft und zeugt von rigider "Methodenhuberei". (Vermutlich hat einer ihrer Lehrer das mal gesagt, und jetzt sagen sie es auch - in der Klassik gibt es ja sehr dieses "Schulendenken" und diesen Krempel mit "Enkelschüler von..." :-) )

Im Jazz ist übrigens Hören / Transkribieren / Nachspielen die unverzichtbare Methode Nr.1, um idiomatisch spielen zu lernen (weil es extrem auf die nicht notierten / nicht notierbaren Dinge ankommt). Jazzmusiker würden sich über einen Lehrer, der sagt, man solle sich das zu lernende Stück nicht anhören, überaus wundern!

LG,
Hasenbein
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Das Anhören von Aufnahmen lässt sich heutzutage ja kaum noch umgehen - und wozu sollte das auch gut sein? Für das Kennen lernen ist es hilfreich, und es würde wohl wohl kaum jemand Klavier spielen wollen bzw. lernen, wenn er kein Klavierspiel je gehört hätte.

Das Anhören bestimmter (möglichst charakteristischer, gerne gar extremer) Aufnahmen der Stücke, die man selber übt, ist auch hilfreich - übrigens ist es hilfreicher, 2-3 verschiedene Aufnahmen des betreffenden Stückes zu hören, als sich das Hören einer einzigen quasi anzugewöhnen.

Das Anhören mit den Noten ist ebenfalls sehr hilfreich.

Und selbstverständlich lernt man allerlei im Lauf der Zeit - und hin und wieder ist es ganz lehrreich und hilfeich, mal was kleines leichtes (was man noch nicht kennt, also noch nie gehört hat) völlig ohne äußere Orientierung (also ohne Aufnahmen) zu lernen, und das als eine Art Selbsttest: wenn man der Meinung ist, dass man´s gut kann, dann sollte man sich ein-zwei gute Aufnahmen davon anhören - - - mit Sicherheit wird man dabei was lernen, und zwar über das eigene Verstehen von Musik.
 

übrigens ist es hilfreicher, 2-3 verschiedene Aufnahmen des betreffenden Stückes zu hören

Nach Möglichkeit mache ich es bevor ich zu üben anfange, so:
Ich höre mir verschiedene Aufnahmen an, manche verwerfe ich ganz schnell. Die 1-3, die mir am besten gefallen, speichere ich als Favoriten.

Wenn ich das Stück geübt habe und auch herausgefunden habe, wie ich es spielen will, höre ich mir meine Favoriten noch einmal an. Es passiert mir oft, daß ich die dann gar nicht mehr so toll finde. Oder sie sind zwar meisterhaft bis umwerfend gespielt, ich bin aber trotzdem zu einer etwas anderen Sicht auf das Stück gekommen.

Ich denke, daß es doch (neben der anzustrebenden Werkstreue) eine sehr persönliche Angelegenheit ist, wie man ein Stück spielt. Daß man der Musik gewissermaßen einen seelischen "Fingerabdruck" mitgibt.

LG Klavieroma
 
Ich finde es weder absolut notwendig noch unbedingt zu vermeiden, die Stücke anzuhören, die man gerade lernt. Wenn man die Aufnahmen aufmerksam studiert, kann man einiges lernen, vor allem natürlich von guten Aufnahmen guter Interpreten. Wer "hirnlos abkupfert", soll das ebenfalls tun, vielleicht kommt das Hirn ja später auf neue Ideen, wenn man das Stück spielt, es fängt ja nicht jeder Klavierschüler als Genie an und eine gute Vorlage ist immer noch besser als überhaupt keine Idee. Das einzige Argument gegen das Anhören wäre für mich möglicher Frust. Aber das kann einem der Lehrer nicht vorgeben, das muß man selbst ausprobieren.

Aber egal, ob man sich nun ein Stück anhört oder nicht, Gedanken darüber, wie man es spielen will sollte man sich immer machen. Meistens helfen die Lehrer ja auch nach.

Eine Ausnahme gibt es: Wenn man mit dem Lehrer abgemacht hat, ein Stück selbst zu erarbeiten (also Interpretation etc.), sollte man das tatsächlich ohne Aufnahmen machen. Da geht es ja nicht nur darum, zu zeigen, was man selbst auf dem Kasten hat, sondern auch, welche Schwächen man hat. Nur, wer seine Schwächen kennt, kann was dagegen unternehmen.
 
Aufgrund akut erhöhten Arbeitsaufkommens schreibe ich nun heute erst wieder.

Vielen Dank für eure Einschätzungen und Erfahrungsberichte. Offenbar denken und verfahren viele von euch ähnlich wie ich. Die Zweifel bezüglich möglicher Nachteile, was das Anhören von Einspielungen betrifft, haben sich für mich etwas relativiert. Trotzdem werde ich wohl auch demnächst mal versuchen, ein kleines Stück ohne vorherigen Höreindruck einzustudieren (außer von meiner KL, aber das vergesse ich nach einmaligem Vorspiel im Laufe der Woche eh wieder ;)), um mal zu sehen, was dabei rauskommt.

Nettis Hinweis zum Anhören eigener Aufnahmen erinnert mich daran, was ich eigentlich längst schon mal machen wollte. Leider fehlt es hier an einigermaßen brauchbarem Equipment.


LG,
Rosie
 

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