Applaus bei Amateur-Konzerten

So. Nun haben wir es angesprochen - und auf Granit gebissen. Es war eine recht unangenehme Situation. Meine KL hat auch verweigert, ihre Philosophie zu erklären.
(...) Da ich es insgesamt alles unmöglich fand, steht mir nun wohl auch wieder eine Klavierlehrersuche bevor. Vermutlich eh ganz gut, mal zu wechseln....

Ich finde Christines Reaktion nachvollziehbar.....
 
Oder hat das Ego der Betroffenen den Applaus sooo nötig?

Wenn man sich jetzt mal folgendes Szenario vorstellt: Eine (fiktive, aber für diesen Kreis repräsentative) erwachsene Klavierschülerin, sagen wir Ende Vierzig, lernt seit 5 Jahren neben ihrem Vollzeit-Job und Familie Klavierspielen. Das ist ihr erster Auftritt. Sie hat ihren Chopin-Walzer fleißig geübt. Nun sitzt sie zum ersten Mal in einem Konzertsaal an einem Steinway, beim Schülervorspiel. Ihr zittern ein wenig die Hände. Im Publikum sitzen Mann und Kind, dazu ca. 40 weitere Angehörige der anderen Mitwirkenden. Sie spielt relativ flüssig, aber hier und da hakt es, dazwischen mal ein falscher Akkord, etwas schwammiges Pedal. Und dann ist sie kurz abgelenkt und verhaut den letzten Ton. Sie ärgert sich - zuhause lief es doch so gut. Etwas entmutigt steht sie vom Klavier auf und schaut sich betreten um. Und jetzt gibt es zwei Varianten:

1. Tosender Beifall bricht aus. Ihr Mann ruft "Bravo!", ihr Kind überreicht ihr vielleicht sogar ein Blümchen. Etwas schüchtern verbeugt sie sich am Bühnenrand und lächelt. In ihrem Bürojob bekommt sie keinen Applaus - so fühlt sich das also an, auf einer Bühne zu stehen! Hat doch Spaß gemacht, eigentlich. Und so schlecht lief der Walzer ja vielleicht doch nicht?! Einfach weiter dranbleiben am Klavierspielen!

2. Beklemmende Stille. Hier und da räuspert sich jemand. Ihr Mann lächelt ihr aufmunternd zu, doch den sieht sie gar nicht. Sie huscht mit gesenktem Kopf schnell von der Bühne. Mann, wie ärgerlich. So schlecht gespielt. Und niemand klatscht - ach ja, das war ja auch die Ansage der KL am Anfang. Trotzdem ein mieses Gefühl. Vielleicht sollte man es einfach lassen mit dem Klavierspielen?

Ich denke, mit "Ego" hat das in dem Fall wenig zu tun. "Corona sei Dank" fällt die unselige Vorstellung nach Variante 2 aber nun sowieso ins Wasser...
 
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Mir würde es eher peinlich vorkommen, wenn Zi. 1 greifen würde, denn ich müsste davon ausgehen, es ist nicht ehrlich. :019:
Was soll unehrlich dabei sein?
Bei 'nem Schülerkonzert applaudiert man nicht für fehlerlos perfektes Spiel, sondern als Lohn für die Arbeit, das Üben und besonders für den Mut, da aufzutreten!
Das wissen alle im Publikum. Normalerweise ist da auch keiner "von der Straße" dabei, der was Perfektes erwarten würde.
 

Natürlich hat man als Vortragender ein Gefühl dafür, ob man mit seinem Stück zufrieden ist und Applaus"verdient" hat; und man denkt vielleicht, die Leute klatschen aus Mitleid. Das ist aber dann das eigene Problem.
Andererseits: hat man perfekt gespielt, kriegt man ebensoviel oder wenig ab wie die angeblichen "Stümper". Biste da auf'm Egotrip, biste da sowieso falsch.
 
Was soll unehrlich dabei sein?
Bei 'nem Schülerkonzert applaudiert man nicht für fehlerlos perfektes Spiel, sondern als Lohn für die Arbeit, das Üben und besonders für den Mut, da aufzutreten!
Das wissen alle im Publikum. Normalerweise ist da auch keiner "von der Straße" dabei, der was Perfektes erwarten würde.
Applausstärke als Jury-Bewertung der erbrachten Leistung stammt aus dem großen Klassikbetrieb und hat bei einem Klavierschülerkonzert nichts zu suchen.

Überall sonst dient der Applaus nämlich der Vergütung der mit Kommunikation aufgewendete Zeit: Vortrag und Antwort. Sofern bei Amateuren überhaupt Geldwerte fließen, sind diese nicht pro Minute Vortrag gedacht, sondern dienen den unvermeidlichen Nebenkosten (Gear, Location etc.)

Das heißt, auch noch den Applaus zu streichen, bedeutet Klavierschüler komplett "unbezahlt" spielen zu lassen.
 
Ein Amateurchen, dass um die eigene Unvollkommenheit weiß, hat den Mut, vor anderen aufzutreten. Schon dafür allein zollt man als "Publikum" Anerkennung und Ermutigung. :011:

Im Forum hier handhabe ich es genauso, wenn jemand etwas hochlädt. :001:


Meine italienische Gesangslehrerin machte sich gern über das krampfige Beifall-Verhalten der Deutschen lustig, wo es ein Fauxpas schlimmster Sorte sei, "an der falschen" Stelle zu applaudieren. :021: Bzw. gesteigert à la Wagner, der gern den Applaus untersagt hätte, um die Weihe seiner Musik nicht zu profanisieren... :schweigen:




Extrem ärgerlich hingegen ist die Marotte, die seit einigen Jahren ins Mediengeschehen Einzug gehalten hat: Die Länge des Applauses zu messen. Z. B. auf Parteitagen nach der Zentralrede des Vorturners. Zeitangaben am folgenden Tag in den Massenmedien. :008: Als habe das zwanghafte Dauerklatschen noch irgendetwas mit spontaner Begeisterung zu tun. :014:
 
So. Nun haben wir es angesprochen - und auf Granit gebissen. Es war eine recht unangenehme Situation. Meine KL hat auch verweigert, ihre Philosophie zu erklären. Wir würden am Ende schon jeder unseren Applaus bekommen - nur eben nicht zwischen unseren einzelnen Auftritten.

So wie ich die Situation verstanden habe, geht es gar nicht um den Applaus an sich. Sondern um das Gespräch mit der KL, die @ChristineK als "recht unangenehme Situation" beschreibt, bei der sie "auf Granit gebissen" hat und bei der die Sicht der KL nicht erklärt wurde.

Dieses Szenario halte ich für nicht tolerabel und ich kann gut verstehen, dass Christine die Reißleine zieht. Über Applaus ja oder nein, über das wie und wie viel kann man geteilter Meinung sein - hier aber kommt die Schülerin mit ihrem Problem zum Lehrer und sucht das Gespräch. Sie beweist Mut, das Thema anzusprechen und steht zu ihren Gefühlen (was nicht immer einfach ist).

Der Verlauf dieses Gesprächs hat aus meiner Sicht zu einem Vertrauensverlust geführt, der irreperabel ist. Wie sollte man noch einmal den Versuch eines Gesprächs wagen, wenn dieses schon in die Hose gegangen ist? Hat die KL überhaupt Interesse an der Gefühlslage ihrer Schüler, wenn sie so reagiert? ....u.v.a.m.....

Man sieht, wie wichtig für einen gelungenen Unterricht auch die Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler ist!

Liebe Grüße

chiarina
 
Extrem ärgerlich hingegen ist die Marotte, die seit einigen Jahren ins Mediengeschehen Einzug gehalten hat: Die Länge des Applauses zu messen. Z. B. auf Parteitagen nach der Zentralrede des Vorturners.
Haben sie diesen Brauch vielleicht bei den Theaterbühnen abgekupfert? Dort wird der Erfolg der Aufführung auch gern an den "Vorhängen" bzw. der Zahl der notwendigen Auf- und Abgänge der Akteure gemessen, bevor der Applaus endet. Die Politikbühne ist halt oft nur reines Theater.:dizzy:

Manchmal oder Manchen kann Applaus aber auch nerven. Ich finde es z.B. albern, wenn meine Gesundheitssport-und Seniorengruppen auch nach mehr als 20 Jahren im Turnverein immer noch jede meiner Übungsstunden am Ende beklatschen müssen. Ähnlich muss sich ein Pilot gefühlt haben, nach dessen Landungen bis vor wenigen Jahren ebenfalls fleißig applaudiert wurde. Ich finde, der Applaus sollte ehrlich sein, nicht nur reine Routine.
 

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