Da frag ich mich manchmal nach dem Interesse an seinen Schülern.
Insider nennen diese von Dir geschilderte Form der Unterrichtsvorbereitung nicht "keine", sondern sprechen von der sogenannten "Schwellenpädagogik": Beim Überschreiten der Schwelle, die zur Tür des Gebäudes gehört, in dem der Unterricht erteilt werden soll, beginnt die Lehrkraft mit der Überlegung, was man mal heute so durchnehmen könnte. An unserem Gymnasium gab es einen diesbezüglich beispielhaften Oberstudienrat (Englisch, Geschichte, Politik), über den in der Schülerzeitung eines Tages zu lesen war: "Kennen Sie schon den kürzesten Witz? OStR H. bereitet sich auf den Unterricht vor!!!".
Meine eigenen Erfahrungen vor dem Musikstudium? Ich hatte immer Privatunterricht und war nie an einer Musikschule. Im ersten geregelten Klavierunterricht schrieb der Lehrer in die von ihm vorgegebenen Notenbände jeweils das aktuelle Datum über die Stücke und wusste nach kurzem Blättern, wo wir zuletzt stehengeblieben waren. Nach Ortswechsel begann ich meine pianistische Ausbildung bei einem Professor der nächstgelegenen Musikhochschule, der bis zum Vorjahr noch der Rektor des Hauses war. Er war also nicht nur Pianist, sondern auch Verwaltungsfachmann, der mich mit einem exzellent organisierten Unterricht sehr gut auf das spätere Hochschulstudium und den Prüfungsbetrieb vorbereitete. Aus dieser Zeit habe ich noch zwei Aufgaben- und Merkhefte aufbewahrt, in dem mit Datumsangabe die Vorgaben für den nächsten Unterrichtstermin
knapp festgehalten wurden. Soll heißen, Werktitel plus kurze Arbeitsanweisungen wie "anfangen", "dynamische Differenzierung", "Stimmeneinsätze herausarbeiten", "im Originaltempo" oder "auswendig lernen". Auch skizzierbare Strukturen wie der Aufbau einer Fugenexposition finden sich in den Aufzeichnungen.
Der Hinweis auf die knapp zu haltenden Vorgaben erfolgt mit Bedacht. Entscheidend ist nämlich nicht das umfängliche Erstellen unübersichtlicher Mitschriften, sondern Merkhilfen zum Erlernen einer gut funktionierenden Lern- und Übungspraxis: was man sich nicht merken kann, fixiere man schriftlich. Ellenlange Mitschriften und Stichwortsammlungen nehmen aber oft zu viel Zeit und Aufwand in Anspruch - darunter leidet wiederum die Zweckmäßigkeit. Man finde beizeiten heraus, wie viel dokumentierte Organisation man benötigt. Der Ersteller des Fadens beschreibt ein Beispiel, wie es offensichtlich gar nicht in der Unterrichtspraxis funktioniert. Ein offenes Wort gegenüber der Lehrkraft wäre da überfällig.
So ein Szenario kenne ich nur aus wenigen Monat Gruppenunterricht in einer Heimorgelschule eines Musikhauses im Grundschulalter (gab es mal in diesem Lande vor Jahrzehnten), wo man mir nach kurzer Zeit meinte, nichts mehr beibringen zu können. Das sprach weniger für mich als vielmehr gegen die Schule, deren Lehrkräfte keinerlei akademische Ausbildung hatten. Allerdings existierte im Unterhaltungsbereich damals kaum so etwas wie ein geregeltes Ausbildungswesen, insofern hinkt der Vergleich ein wenig.
LG von Rheinkultur