Zimmerway...

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15. Dez. 2009
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Kürzlich hatte ich eine ausgiebige Begegnung mit einem bemerkenswerten Flügel. Gebr. Zimmermann Leipzig, größte Pianofabrik Europas, so verkündeteten stolz schriftliche Hinweise. 170 cm lang.

zimway01.jpg


Bei näherem Hinsehen fiel mir aber gleich sehr viel Bekanntes in die Augen: Komplette Duplexskalen-Konstruktion, ein halbmondförmiges Plattenlogo, ein Langsteg mit "Luftbrücken" im Tenorbereich, ein Resonanzboden ohne abgegrenzte Bass-Blindecke, und ein auffallend guter und kraftvoller Klang. Hallo? Das soll ein alter Zimmermann sein? Nun ja, ein riesiges Abziehbild auf dem Resonanzboden lässt keinen Zweifel zu.

Dennoch zweifele ich. Dieser Flügel ist zweifellos alt, schätzungsweise um 1920 gebaut. Und er erinnert außerordentlich stark an den Steiway M-170, der damals konstruktionsmäßig ziemlich frisch war. Zwar hat er manche deutliche Andersartigkeiten: andere Schalllöcher in der Gussplatte, gedübelte Wirbel, Flemming-Mechanik ohne Tuben, Backenklotz ohne Anschlagliniennivellierschraube. So richtig echt-Steinway ist er also scheinbar nicht.

Was mich aber am meisten verwundert, ist die Seriennummer: 200733. Für Zimmermann hieße das Baujahr 1961 - und das halte ich für ausgeschlossen. Mitten in der DDR-Zeit wird wohl kein Flügel mit fettem Aktiengesellschaft-Logo hergestellt worden sein.
Seltsamerweise könnte diese Nummer aber passen, wenn es eine Steinway-Nummer wäre. Die wiese dann ca. in die Jahre 1919/20.

Weiß jemand mehr darüber? Wer kennt diese Flügel? Hat es womöglich Auftrags- oder Lizenz-Herstellungen von S&S bei Zimmermann gegeben? Oder gibt es andere Erklärungen?

Gruß
Martin

---Weitere Bilder folgen---
 
Es ist nicht so unwahrscheinlich daß es sich um einen Flügel aus DDR Zeiten handelt bei dem Vorkriegsbestände verarbeitet wurden.

Viele Grüße

Styx
 
Hallo,

auch bei diesem Geyer (ob aus DDR-Zeiten weiß ich nicht) gleicht die Gussplatte genau der eines Bechsteins,sogar die Spezialagraffen im Diskant wurden verbaut

Geyer.jpg

Gegen ein simples Recycling zu DDR-Zeiten stehen ja die eigenen Namenszüge und kleinen Abweichungen. Hat man sich in der DDR nicht vielleicht bewährte Konstruktionen abgeschaut und dann schlicht kopiert?

Gruß

Ka8
 

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Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Wow, das ist ja cool!
Ich habe zuerst nur das Bild gesehen und dann erst den Text gelesen. Eindeutig ein Steinway...
Jetzt bin ich gespannt, ob irgendjemand die Erklärung kennt.
LG Fine
 
... Eindeutig ein Steinway...
Jetzt bin ich gespannt, ob irgendjemand die Erklärung kennt...

So ganz eindeutig nicht, nur fast, Fine. Aber gespannt bin ich allerdings auch.

Styx, dein Hinweis auf die Verwendung von Altbeständen macht Sinn, ich kenne auch entsprechende Instrumente. Aber dieses hier ist so unzweifelhaft alt - das müsste schon gewissermaßen mitr krimineller Energie auf alt getrimmt worden sein, wenn da was dran sein sollte. Und an sowas glaub ich ohne Zwang nicht...

Ka8, ich kenne etliche "bechsteinige" Flügel, auch die Spezialagraffen mit Überhang gab es bei diversen anderen Herstellern, z. B. auch bei alten Blüthner-Flügeln. Aber alte Steinway-Klone? In Amerika gabs das schon lange, Mason&Hamlin hat z. B. sehr ähnlich gebaut, andere auch. Aber aus Deutschland, und dann gleich ein quasi neues Modell, der M-Flügel? Eigentlich kann ich mir kaum vorstellen, dass sowas ohne massive S&S-Mitwirkung (gegen entsprechende Bezahlung) gegangen sein kann. Oder sonst auf massive Rechtsmittel seitens S&S gestoßen wäre...

Hier noch ein paar Bilder.
Zunächst das Platten-Logo an wohlbekannter Stelle - und die bemerkenswerte Seriennummer...

zimway-plattenlogo.jpg


Und hier die Mechanik, die wenn auch ohne Tuben, so doch ansonsten durchaus vertraut anmutet...

zimway-mech.jpg


...und zum Schluss noch ein Blick auf den rechten Backenklotz. Da kommt allerdings Ernüchterung auf. Nicht nur, dass das geniale verschiebbare Lager mit von vorn bedienbarer Nivellierschraube fehlt, sondern es fehlt, wie bei richtig alten Flügeln, eine metallene Führung ganz. Und an dem Haken der Vorderfläche ist zu erkennen, dass die vordere Leiste vor der Klaviatur sehr konventionell von den Backenklötzen gehalten wird. Ganz nebenbei: Die Tastenklappe ist, ebenfalls ganz konventionell, jederzeit entnehmbar. Man muss ja auch nicht wirklich alles mitmachen...

zimway-re-back.jpg


Wer mehr weiß - bitte melden!
Oder soll ich den ganzen Faden löschen lassen, damit der "Zimmerway" ein Geheimtipp bleibt?:cool:

Gruß
Martin
 
ach "auf alt getrimmt"...das Teil ist halt nicht sehr pfleglich behandelt worden, war ja nur n Ostklavier :D
Nee, das Teil war offensichtlich für den Export bestimmt, so wie 95% aller in der DDR produzierten Instrumente (der Ausschuß wurde dann an die eigene Bevölkerung verkauft...so nach 10 - 12 Jahren Wartezeit :D )
Martin, tut mir leid wenn ich Dir jegliche Mystik rauben muß, aber das ist ein ganz gewöhnlicher ordinärer Ostflügel :D :D

Viele Grüße

Styx
 
Hat man sich in der DDR nicht vielleicht bewährte Konstruktionen abgeschaut und dann schlicht kopiert?

Ja, hat man in der Tat - Entsprechende Klavierbauer, welche auch politisch entsprechend genehm waren und sich mit alten Konstruktionen "der Messe der Meister von morgen" verdient machten, bekamen natürlich auch hohe Auszeichnungen für diese unbeschreiblich genialen alten Neuerungen :D

Viele Grüße

Styx

NS: blöderweise hatten die allerdings Kontakte zum "Klassenfeind" welcher ihnen entsprechende Literatur beschaffte :D :D :D
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Danke, Styx - ich höre was du sagst und weiß durchaus, dass in diesem Punkt dein Standpunkt Gewicht hat.
Aber, wie gesagt, ehe ich das wirklich glaube, möchte ich noch weiteres hören, es ist einfach zu schräg, zu unerhört. Ich kenne etliche Zimmermann-Instrumente aus - wenn es denn so wäre - vergleichbarer Zeit (60er Jahre). Denen sieht man aber auch im heruntergekommenen Zustand noch an, dass sie aus dieser Zeit kommen.
Aber sowas wie hier?
Kennst du anderes Vergleichbares? Wo also etwas "richtig Altes" komplett gefälscht wurde, inkl. der gesamten Alterung?
Dann müsste doch darüber schon mal irgendwo irgendwas geschrieben worden sein...

Gruß
Martin
 
Kennst du anderes Vergleichbares? Wo also etwas "richtig Altes" komplett gefälscht wurde, inkl. der gesamten Alterung?

Naa ja, bezüglich Alterung ist immer so eine Sache....hab letzt hin ein Flügel erlebt, da dacht ich der wär von 1850 so verkommen wie der war - der war gerad mal 20 Jahre alt.:floet:

Aber zu DDR Zeiten...mei, da sind auch mal im "VEB Deutsche Pianounion" plötzlich Westklaviere aufgetaucht...:D :D :D

Viele Grüße

Styx
 
Das Ding scheint mir ein echter Steinway (gewesen) zu sein – den der Besitzer einem optischen „De-Tuning“ unterzog. Um sein Eigentum vor Begehrlichkeiten zu schützen? Denn ein richtiger Rechtsstaat war die DDR wohl eher nicht so..

Die Gussmarken mit den Namenszügen sehen eigenartig aus - als sei ein anderer Name "übergegipst" worden. U.U. hat ein Besitzer eines Vorkriegs-Steinway sein Instrument schützen wollen, um es nicht in die Hände von anderen fallen zu haben - und es daher "unverdächtig umgetauft". Die Platte ist sehr steinway-like, und zwar aus der Zeit vor 1927, als die Krönchen, die Halbkügelchen rund um die Schallöcher entfallen waren (irgendwann zwischen 1920 und 1927 - genaue Daten der Gussplatten New York, Hamburg, Flügelgößen harren noch der Recherche.)

Es sieht mir sehr danach aus, als sei das nur "aufgesetzt" - und wenn man mal derbe hämmert rechts in der Platte, könnte Spachtel oder Gips abplatzen - und darunter die Steinway-Gussnamen wieder zum Vorschein kommen. Ein einfacher Versuch mit einem "Spachtelfinder" vom Automobil-Zubehör wird schon etwas erweisen, anzunehmen.. Da ist kein Guss.. Da ist Gips- oder Prestolierkunst..

Diese "Abfälschungen" - nur andersherum - gibts immer mal auch in den USA. Große Prestolierkünstler, die andere Flügel auf Steinway aufwärts "tunen"..

Das Tubengestell entfallen zu haben und gegen was anderes zu ersetzen ist nicht wirklich schwer - ein Satz Hammernüsse und Repetitionsnüsse sind Pfennigartikel und macht nur recht viel Arbeit, das alles umzuhängen..

Aber bevor mir ein Musik-scharfer Parteiobersekretär mit windigen Anschuldigungen "bourgeoisen Lebenswandels" mein kostbares Instrument wegnimmt oder mich in ein getürktes Gerichtsverfahren verwickelt, an dessen Ende mir aus "Höheren Gründen" der Flügel weggenommen und erstmal der Grundschule Kleinkleckersdorf zum Musikunterricht verfügbar gemacht wird, bevor ihn sich dann doch der Parteisekretär privatim reinschwenkt.. (privat geht immer vor..), dann gipse ich doch lieber eine Runde.. und verstecke besser, dass das ein waschechter Steinway ist. Das hätte ich in den 50er Jahren in der Täterä wohl auch gemacht - wäre mir viel zu heiß gewesen, einen waschechten Steinway vorzuzeigen..

Die Tastenklappe ohne Bäckchenausbau entnehmbar zu machen ist einfach - vier Sägeschnitte, bisschen nachfeilen ...

Wie gesagt, das "Erhabene" des Schriftzuges machte mich stutzig. Das ist wie ein umgrenzter Plaketten-Aufsatz.. Darunter birgt sich anderes.. Sowohl auf der Platte als auch oben auf den Querstreben - alles aufgegipst oder prestoliert, so sieht mir das aus. Sehr clever gemacht, aber zu durchschauen...

Hoch vermutlich, um zu verbergen, dass das ein echter Steinway ist. Um niemanden auf begehrlich dumme Gedanken zu bringen, dass man dem Eigner mal seinen edlen Flügel abluchsen sollte..
 
Hatte einen identischen Flügel zur Reparatur..scheint eine Kopie von S&S zu sein..meiner war aus den 30iger...sehr gutes Instrument...btw..
 

Hatte einen identischen Flügel zur Reparatur..scheint eine Kopie zu sein..meiner war aus den 30iger...sehr gutes Instrument...btw..

Erst einmal "wilkommen zurück" :)

Es ist tatsächlich der Fall daß die "VEB Pianounion" (wie sie zu DDR Zeiten hieß) alte Vorkriegsbestände verbaut oder (sofern sie schon produziert waren) verkauft haben. Allerdings habe ich auch erlebt daß Instrumente aus dem NSW (Nicht sozialistisches Währungssystem) "geschlachtet" und nachgebaut wurden.

Viele Grüße

Styx
 
Hallo Wiedereinaussteiger,
allen Respekt deiner Vermutung... aber so ist es nun doch auch nicht. Ich weiß verbindlich, dass es mehrere baugleiche Instrumente dieses Modells gab, "Miniatur Konzert Flügel Mod. 1914" wie es stolz auf der Querstrebe der Gussplatte reliefiert ist.
Ich bin auf weitere Infos gespannt...

Gruß
Martin
 
Ich habe mich heute mit einem Kollegen unterhalten, der solch einen Flügel betreut.
Eine Erklärung hatte er leider auch nicht.
Mich macht das wirklich neugierig...
 
Frage den Kollegen doch mal nach der Seriennummer dieses Flügels, Fine.
Mich würde schon interessieren, ob womöglich alle Exemplare dieses Modells Nummern haben, die mit 200 anfangen. Von einem weiteren, abgesehen von dem von mir betreuten, habe ich sowas (oder ähnliches) schon gehört.

Gruß
Martin
 
Frage den Kollegen doch mal nach der Seriennummer dieses Flügels, Fine.
Mich würde schon interessieren, ob womöglich alle Exemplare dieses Modells Nummern haben, die mit 200 anfangen. Von einem weiteren, abgesehen von dem von mir betreuten, habe ich sowas (oder ähnliches) schon gehört.

Gruß
Martin
Hallo zusammen,
ich hatte mit Martin gleich nach seinem ersten Posting telefoniert.
In meinem Besitz befindet sich ein gleiches Flügelmodell, Seriennummer 200951.
Auf der Klaviatur steht die Jahreszahl 1928.
Der Flügel ist, so wie auch ich es einschätze eine Kopie vom Steinway-M, mit ein paar vermutlich gewollten Abweichungen.
Martin erwähnte bereits die etwas anders angeordneten Schall-Löcher der Gußplatte.
Der Übergang zum Blankbezug (H, c und cis) beim Zimmermann hat 2 Saiten pro Ton, beim M sind hier 3 umsponnene.
Mir ist ein weiteres Instrument bekannt, vermutlich ein früheres, denn die Platten-Duplex-Plättchen sind bei diesem noch nicht ausgebildet, sondern bestehen aus einem durchgehenden Messingdraht.
Auf dieser Gußplatte steht: ' Miniatur Konzert-Flügel Modell 1914'
Wenn mir noch was einfällt, werde ich es noch dazuschreiben.
Grüße
Toni
 
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