Wie übertrage ich das volle Armgewicht auf die Tasten???

  • Ersteller des Themas Debbie digitalis
  • Erstellungsdatum

D

Debbie digitalis

Dabei seit
3. Apr. 2009
Beiträge
1.434
Reaktionen
3
Hallo miteinander,

ich bezeichne mich zwar noch als Anfänger (da ich recht spät, d.h. im Erwachsenenalter angefangen habe, Klavierspielen mit Hilfe von Klavierunterricht zu lernen), aber zu den ganz blutigen Anfängern gehöre ich mittlerweile wohl nicht mehr.

In meinem Klavierunterricht (bisher ca. 4 Jahre) tauchen in letzter Zeit verstärkt Technikfragen auf - und das finde ich auch überhaupt nicht verkehrt. Auch bei der Erarbeitung von neuen, herausfordernden Stücken wird kaum mehr über Fingersätze oder Rhytmus gesprochen sondern eher nachhaltig über Technik - was ich bisher in diesem Ausmaß nicht kannte.

So wurde ich in der letzten Klavierstunde aufgefordert, das Armgewicht "einfach" von den Armen "viel mehr" auf die Finger und damit auf die Tasten zu übertragen, um damit ein viel schöneres Spiel zu erzielen. Die Frage des Armgewichts wurde im Klavierunterricht zwar schon des öfteren besprochen, aber bisher noch nicht in dieser Deutlichkeit.

Ich weiss: Arme, Körper etc. nirgends anspannen, alle Energie in die Hände fliessen lassen, richtig sitzen, richtige Kopfhaltung und dann klappt es - oder so in etwa habe ich es verstanden. Meine KL macht es dann auch vor: und ich kann es wirklich sehen!!! Ohne größere Kraftakte holt diese zierliche Person jede Menge aus dem Klavier heraus! Und sie sagt dann: "Wow, mit deinem Klavier kann man ja so richtig aufdrehen!" Allerdings kann ich mit diesem meinem Klavier so überhaupt nicht aufdrehen! Dieses Klangvolumen und auch die dementsprechend eindrucksvolle Zurückhaltung im ppp kann ich auch nicht annähernd erzielen! Irgendwo ist der letzte Groschen in diesem Zusammenhang noch nicht gefallen!

Nach der letzten Stunde hat sie mir Technikübungen gegeben, die dazu dienen sollen, das Armgewicht besser über die Finger auf die Tasten zu übertragen. Allerdings sind diese Technikübungen so beschrieben, dass man dabei ständig seine Hände und insbesondere die Handhaltung beobachten soll. Das ist aber gar nichts für mich! Ich kann mich am besten korrigieren, wenn ich - möglichst ohne auf meine Hände zu sehen - meinem Gehör folge. Schaue ich auf meine Hände, so werde ich sofort mir selbst gegenüber überkritisch und die Bewegungen werden verkrampft. Das Sehen lenkt mich dann zu sehr vom Hören ab!

Was meint ihr dazu???


LG

Debbie digitalis
 
Über Mystik und andere Dinge...

Hi Debbie d.,
kann das absolut nachvollziehen, wie seltsam und unerklärbar das auf Dich wirkt, wenn Deine zierliche KL mit minimalistisch wirkenden Bewegungen einen riesen Sound produziert. Für solche Effekte kann ich gleich noch ein Beispiel hinterherjagen, das ich auf der Driving-Range des benachbarten Golfclubs erlebte. Da stand so ein kleiner 15 jähriger "Pimpf" mit seinem Golfschläger und mit einer eher an Leichtigkeit erinnernden Bewegung haute er den Ball über die Begrenzung der Range bei weit über 200m. Ich war damals schon stolz, wenn das Ding irgendwie 180m flog, und dann war das ein riesen Kraftakt. Aber bei dem Kleinen wirkte das wie eine anmutige, elegante, leichte Bewegung.
Da kann man schon mal sehen, dass das Geheimnis mit bloßer Kraft nicht erklärbar ist.
Ich denke, in beiden Fällen ist das Geheimnis, dass die (Golf/Klavier-)Spieler mit Ihren Bewegungen sehr ökonomisch vorgehen und die Energie auf die "Fingerspitze" konzentrieren. Jeder nicht benötigte Muskel ist relaxiert.
Meim Golfen spricht man übrigens von Hebeln und man meint damit jeden möglichen Bewegungsbeitrag des Körpers (Hüfte, Oberarm, Unterarm, Handgelenk) der zur Beschleunigung des Schlägerkopfes beiträgt. Ich vermute, beim Klavierspielen ist es nicht anders: Die Bewegung des Oberkörpers, der Arme bis zu den Fingern addieren sich und vergrößern so das Klangvolumen.
Trotz aller Erklärungsversuche hat das Ganze immer noch etwas mystisches, vielleicht sogar etwas metaphysisches.
Auch im Zusammenhang mit dem "Chopin-Anschlag" wo nicht die Kraft auf die Taste übertragen wird, sondern man - wie meine KL es sagte - mit dem ganzen Arm "IN" die Taste geht. Das Ergebnis ist ein kraftvoller, aber weicher Anschlag. So mystisch und physikalisch widersprüchlich das Ganze zu sein scheint, am Ende des Tages funktioniert es irgendwie. Man muß es aber - und das ist die Krux - ÜBEN, ÜBEN, ÜBEN!!
Ciao, HermanSeGerman

P.S: Schön eigentlich, dass es auf der Welt noch Dinge gibt, die irgendwie mystisch sind!!
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Auch im Zusammenhang mit dem "Chopin-Anschlag" wo nicht die Kraft auf die Taste übertragen wird, sondern man - wie meine KL es sagte - mit dem ganzen Arm "IN" die Taste geht.
Hab ich nicht ganz verstanden, was meinst du mit "nicht die Kraft auf die Taste übertragen wird"? Dann wird doch GERADE die Kraft auf die Taste übertragen. Ich seh den Unterschied nicht zwischen den beiden Dingen, die du gleichst.

Weniger ist mehr. Auf jeden Fall fast nur auf das Gehör und die Entspannung achten, wenn du zu viel optisch darauf achtest, wirst du verkrampfen, wie du schon beschrieben hast. Wenn ich meine Bewegungen dem Gehör (also nicht mal spielen und was dann raus kommt. Sondern vor allem der Klangvorstellung anpassen) anpassen und gleichzeitig entspannt bleibe, werden diese automatisch natürlich und effizient.
Mehr kann ich dazu nicht sagen, da ich es nicht in Worten fassen kann und ich nicht genau weiß, wie deine aktuelle Technik aussieht. Vielleicht kann es ein anderer.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Trotz aller Erklärungsversuche hat das Ganze immer noch etwas mystisches, vielleicht sogar etwas metaphysisches.

Nein.

Daß es "mystisch" scheint, kommt nur daher, daß Klavierspieler von Physiologie und Physik nicht ausreichend Ahnung haben.
Was zum einen daher rührt, daß sie sich nicht ausreichend damit beschäftigen bzw. längst überholten Glaubenssätzen anhängen und diese an Schüler weitergeben.
Zum anderen aber auch z.T. daher, daß manches an der Funktionsweise des Bewegungsapparates und des Nervensystems wissenschaftlich noch nicht wirklich durchdrungen wurde.

Bloß weil's keiner wirklich versteht, ist es noch lange nicht "mystisch"!

Aber solche Etiketten wie "mystisch" werden alles andere als ungerne angehängt, weil man sich dann in größerem Maße einer künstlerischen Elite zugehörig fühlen kann, die sich mit gaaanz tollen, geheimnisvollen Dingen beschäftigt.

LG,
Hasenbein
 
Ich weiss: Arme, Körper etc. nirgends anspannen, alle Energie in die Hände fliessen lassen, richtig sitzen, richtige Kopfhaltung und dann klappt es - oder so in etwa habe ich es verstanden.
..................................................
Nach der letzten Stunde hat sie mir Technikübungen gegeben, die dazu dienen sollen, das Armgewicht besser über die Finger auf die Tasten zu übertragen. Allerdings sind diese Technikübungen so beschrieben, dass man dabei ständig seine Hände und insbesondere die Handhaltung beobachten soll. Das ist aber gar nichts für mich! Ich kann mich am besten korrigieren, wenn ich - möglichst ohne auf meine Hände zu sehen - meinem Gehör folge. Schaue ich auf meine Hände, so werde ich sofort mir selbst gegenüber überkritisch und die Bewegungen werden verkrampft. Das Sehen lenkt mich dann zu sehr vom Hören ab!


Liebe Debbie,

wie hasenbein sagt, ist nichts Mystisches dabei! :) Um Armgewicht beim Klavierspiel einzusetzen, wendet man einfach die Hebelgesetze an, die schon im alltäglichen Leben ohne großes Nachdenken benutzt werden. :) HermannSeGerman's Beispiel (Golfen) passt genau!

http://www.park-koerner.de/shared/fach/Grundschule/210_Sachkunde_II.3561/preview/Hebel1.fol.001.gif

Auch die Klaviermechanik funktioniert über Hebel. Früher recht einfach:

Google-Ergebnis für http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/2/2a/Tangentenmechanik.JPG/600px-Tangentenmechanik.JPG ,

heute bei z.B. der Renner - Mechanik wesentlich diffiziler:

http://www.lms.gallneukirchen.eduhi.at/faecher/klavier-Dateien/image034.jpg

Dabei geschieht also die Kraftübertragung vom Anschlag der Taste zum Berührungspunkt des Hammers mit der Saite (Klangerzeugung) über Hebel. Die klanglichen und technischen Differenzierungsmöglichkeiten steigen mit der Anzahl und Komplexität dieser Hebel.

Wir können aber nicht nur Gegenstände u.a. als Hebel benutzen, sondern wir haben auch jede Menge eigener Hebel mit unserem Körper zur Verfügung. Am Arm z.B. folgende:

http://www2.uni-jena.de/erzwiss/pro...n/ANATOMIE/rechter_Arm_von_hinten_bearb_2.JPG

Ein Angelpunkt ist z.B. das Schulterblatt, an dem der Arm quasi "aufgehängt" ist. Die Hebel, die durch Gelenke miteinander verbunden sind, sind dann Oberarm, Unterarm, Mittelhandknochen, drei Fingergelenke (bis auf den Daumen). Der andere (End-)Punkt dieser Hängebrücke aus Hebeln ist die Fingerkuppe, die sich aber beim Anschlag mit den Hebeln der Klaviermechanik zu einem Ganzen verbindet. Letztlich macht ein einziger Fluss vom Rücken/Schulterblatt bis zur Saite über verschiedene Hebel den Einsatz von Armgewicht möglich bzw. umgekehrt :p (ergänzend möchte ich anmerken, dass eigentlich der gesamte Körper einschließlich der Füße stabil und flexibel eine wichtige Rolle spielt).

Will man dies nun einsetzen, geht das natürlich nicht von selbst, sondern muss über Bewegung erfolgen. Diese Bewegung(en) sind bei deiner KL vielleicht sehr klein, aber trotzdem vorhanden. Bei Schülern werden sie im Regelfall erst mal übertrieben, um sie zu spüren und zu erlernen.

Aus diesem Grunde ist es falsch, zu sagen, "Arme, Körper etc. nirgends anspannen", denn um eine Bewegung zu machen, muss ich ja irgendwo Muskeln betätigen. Vermutlich liegt dein Problem darin, nicht zu wissen, welche Bewegung denn nun die Initialzündung ist, um Energie über die verschiedenen Hebel in die Tasten fließen zu lassen bzw. zu übertragen.

Dazu könntest du z.B. hier nachlesen:

https://www.clavio.de/forum/forum-fuer-anfaengerfragen/14645-kleiner-finger.html#post226023

Auch Rolf und hasenbein haben schon öfter solche Bewegungen beschrieben.

Liebe Grüße

chiarina
 

Zurück
Top Bottom