Verzierungen im Adagio von Mozarts KV332 - wie jetzt?!?

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KrautundRueben

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Hallo Ihr Lieben,

ich habe mir heute das Adagio von Mozarts Sonate F-dur KV332 vorgenommen und herumgebastelt, dass ich die Verzierungen in den ersten Takten vom Timing her so hinbekomme wie es in meiner Henle-Ausgabe und auch im Autograph steht:

upload_2019-5-9_22-48-4.png
Fand ich knifflig das so hinzubekommen. Daher dachte ich: "hör dir mal an wie das die Profis machen". Was höre ich bei den meisten? Das hier:

upload_2019-5-9_22-55-18.png


Das steht doch definitiv nicht im Text?!?
Von den ca. 8 Aufnahmen (auch Arrau, Sokolov, Gulda, Schiff, Staier) hat nur Say es so gespielt wie das obige Beispiel.

Also wie jetzt? Das kann doch nicht Geschmacksfrage sein, das ist doch ein fundamentaler Unterschied? Was denkt Ihr?

Danke & liebe Grüße

KrautundRueben
 

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Gould kann man auch noch zu den Abweichlern dazuzählen. Und ebenso Wanda Landowska (1938). Es gibt also eine Tradition für diese Variante

Uchida spielt "texttreu" wie Say, nur etwas langsamer. Und eine ganze Reihe neuer Einspielungen ebenso: Schuchter, Cho, Chiovetta, Albrizio, Prosseda, Zhang – alle 2016-2018.

Faszinierend!

Persönlich gefällt mir die texttreue Variante besser.
 
Persönlich gefällt mir die texttreue Variante besser.
Was soll denn die texttreue Variante sein? Texttreu in dem Sinne, dass alle Noten vorhanden sind, spielt wohl jeder Pianist. Es kann also nur um den Rhythmus gehen - und genau den kann man nicht texttreu spielen, weil Mozart ihn nicht präzise festgelegt hat. Es bleibt also erst mal zu klären, welche Art von Verzierung Mozart sich vorgestellt haben könnte. Wenn man sich zeitgenössische Quellen ansieht (Hummel, Türk), kann man zu etwas verschiedenen Lösungen kommen, die aber gleichermaßen funktionieren.

Für die Version von Say kenne ich allerdings keinen einzigen historischen Beleg; nicht nur deshalb halte ich sie für, äh, gar nicht mal so gut. Und für texttreuer als Schiff oder Sokolov schon gar nicht.
 
In der einen Sorte von Beispielen wird die Verzierung in 4 gleichmäßig schnellen Noten gespielt. So, wie es der Herr Mozart aufgeschrieben hat. Das wurde "texttreu" genannt (weil alle 4 Noten gleichmäßig schnell so gespielt werden, wie es auf dem Notenblatt steht, capisce?), aber weil dies zu Hosenverknotungen geführt hat, nennen wir es Variante 1.

In der 2. Variante hören wir eine Triole und dann fällt die vierte Note in den Sechzehntelrhythmus der Begleitung. Kann man selbstverständlich machen, weil es ist eine Verzierung usw. ... wobei ich finde schon, dass dabei die letzte Note der Verzierung sich irgendwie in der Melodie "breit macht".

Variante 1 gefällt mir wahrscheinlich deshalb besser.

Vielleicht kann ja jemand zur Frage der historischen Aufführungspraxis solcher "Doppelschläge" (bin mir nicht mal in dieser Benennung sicher) was fundiertes schreiben?
 
Wie steht es denn da - bzw. wie ist es deiner Meinung nach zu verstehen?
Wie bereits geschrieben steht im Autograph die obere Variante - und die sagt, vier gleich lange Vorschlagsnoten vor dem Es, welches auf die vierte Sechzehntel der Begleitfigur kommen soll. Die untere Variante ist fundamental unterschiedlich, und hätte Mozart es mit einem d mit dem gleichen Timing wie die dritte Sechzehntel in der Begleitfigur gewollt, warum notiert er das dann nicht so wie im unteren Beispiel?
Mir gefällt die obige Version mit den vier gleichberechtigten Vorschlagsnoten ebenfalls besser, es klingt nicht so glatt und gefällig, und Mozart war bekanntlich ein Schelm :012:
 
Ich glaube(!), daß Mozart hier nicht umsonst eine Verzierung geschrieben hat, also dem Klavieristen einen gewissen Freiraum läßt. Wenn ich mir die Einspielungen so anhöre, geht mir eine häufige Wiederholung der immer gleichen Ausführung doch eingermaßen auf den Sack. Wenn es unbedingt die Variante mit einer Triole hätte sein sollen, so kann man Mozart durchaus zutrauen, auch über entsprechende Notationskenntnisse verfügt zu haben.

An anderer Stelle hat er kleinste Verzierunge ja auch notiert, wie hier in der Fantasie, d-moll:

r37e9dfl.jpg

sniup5xg.jpg
 
Das Beispiel aus der d-Moll Fantasie passt überhaupt nicht, da es sich hier um Melodiebestandteile handelt, nicht um Verzierungen!
Mozart schreibt selbst, dass die Leute sich über sein Spiel der Adagios verwundert hätten, da er rechts frei und links fest im Rhythmus gespielt habe. Stilistisch ist daher viel möglich, wobei ich die Variante mit der oft zu schnell vor die beiden Sechzehntel hingeworfenen Triole eher skeptisch sehe. Jede Variante, bei der die Rechte möglichst nicht mit der Linken gekoppelt ist ist besser.
 
Wenn er es genauer haben will schreibt er es auch in dicken Noten hin z. B. der Klaviereinsatz T. 81 im Konzert KV 595. Übrigens im vorgeschriebenen Allegro, so ganz am Anfang qualitativ und kantabel akzeptabel nicht leicht!
 
Wie bereits geschrieben steht im Autograph die obere Variante - und die sagt, vier gleich lange Vorschlagsnoten vor dem Es, welches auf die vierte Sechzehntel der Begleitfigur kommen soll.
Das ist eine etwas gewagte These. Von Noten im Kleinstich kann man nicht ohne weiteres annehmen, dass sie den exakten Rhythmus vorschreiben, und schon gar nicht, wie schnell sie im Einzelfall gespielt werden müssen. Außerdem - wenn es tatsächlich Vorschlagsnoten wären - dann müsste man sie subtraktiv, auf der Zeit ihrer Hauptnote spielen - also auf dem 4. Sechzehntel. Das würde den ruhigen Adagio-Charakter des Satzes geradezu karikieren, so dass diese Möglichkeit ausscheidet. Etwas ähnliches - in meinen Augen noch schlechteres - macht Fazil Say: Er begreift die kleingestochenen Noten als schnelle Vorschläge, spielt sie jedoch additiv zur Hauptnote, die dadurch ein enormes Gewicht erhält. Das ist geradezu absurd, weil die "Haupt"-Note selbst eine unbedeutende Durchgangsnote ist.
Für mich steht deshalb schon mal fest, dass die kleingestochenen Noten keine Vorschlagsnoten zum anschließenden Sechzehntel sind, sondern eine Verzierung, die zur langen, punktierten Note gehört. Man kann durchaus vermuten, dass Mozart nur eine alternative Schreibweise für den Doppelschlag zwischen zwei Noten gemeint hat:

1.png

Der wird - so steht es jedenfalls in der Klavierschule von Daniel Gottlob Türk - auf eine dieser Weisen ausgeführt:

2.png

Nun kann man einwenden, dass Mozart eben nicht den Doppelschlag, sondern 4 Stichnoten notiert hat. In der Klavierschule Türks ist aber genau dieser Fall auch erwähnt:

"Manche Komponisten schreiben die Doppelschläge, vorzüglich in den Fällen von der oben bei b) und c) angezeigten Art, mit in die Zeile [...] Dies verändert in der Einteilung nichts."

Mit b) verweist Türk genau auf die rhythmische Variante, um die es in diesem Fall geht.

4.png

Also ist das, was beinahe alle Pianisten spielen, aus musikhistorischer Sicht klar belegt und deshalb naheliegend. Aber weil dir das langweilig vorkommt, schlage ich noch zwei eine andere Varianten vor, die sicher auch möglich sind und die in ausnotierter Form sowohl bei Haydn als auch bei Mozart gelegentlich vorkommen:

3.png

Das Schöne an Verzierungen ist ja, dass sie ein wenig Freiheit lassen. Man muss sie auch nicht jedesmal gleich spielen!
 
Danke @mick für die Mühen die Quellen zusammenzustellen und die nachvollziehbare Darstellung! Ich probiere deine Vorschläge heute abend aus.

Viele Grüße
KrautundRueben
 

Sehr aufschlussreich als Ergänzung des Gesagten: Haydn: Sonate cis-Moll; Vergleich erstes und zweites Thema.
Im Grunde sind die beiden Themen gleich (mal in der Tonika cis und dann in der Parallele E), aber unterschiedlich notiert. Ob man die unterschiedliche Notation auf die Funktion (ausnotiert 1. Thema, mir Symbol 2. Thema) bezieht oder tatsächlich anders spielt, bleibt letztlich in der Verantwortung jedes Interpreten!
 
Noch ein Tipp: Wenn man das am Ende Sechzehntel nicht genau mit dem vierten Sechzehntel der linken Hand zusammenfallen lässt, sondern es ein wenig später nimmt (wie eine sehr weiche Doppelpunktierung), bekommt die Melodie sofort eine andere Qualität und es stellt sich fast von selbst der Eindruck eines frei fließenden Gesangs ein. Das gilt auch für die anschließende Figur, die ohne Verzierung bleibt.
 
Wenn man das am Ende Sechzehntel nicht genau mit dem vierten Sechzehntel der linken Hand zusammenfallen lässt, sondern es ein wenig später nimmt (wie eine sehr weiche Doppelpunktierung), bekommt die Melodie sofort eine andere Qualität

und dies zeigt uns wieder die Grenzen der Notation und den Grund, warum die Komponisten die eine gewisse Freiheit ermöglichenden Symbole verwenden.
Außer, dass sie weniger Schreibarbeit machen.
 
Lieber KrautundRueben,

steht in deiner Henle-Ausgabe das oben von dir gepostete Notenbeispiel des Autographs genauso, hier nochmals aufgeführt?

Mozart KV 332, 2. Satz., Autograph.PNG

Ich wundere mich ein bisschen, denn in meiner Henle-Ausgabe (noch vom guten, alten Thepold mit Fingersätzen versehen :D) sieht der Autograph aus wie in der Mozarteum Online-Bärenreiter-Ausgabe (hier ab T. 21):

Mozart KV 332, 2. Satz.PNG

Bei dir geht der Doppelschlag erst nach dem dritten Sechzehntel los, hier bereits nach dem zweiten Sechzehntel.

Türk schreibt übrigens in seiner Einführung zum Doppelschlag: "Der Doppelschlag ist unstreitig eine der schönsten und brauchbarsten Manieren, wodurch der Gesang ungemein reizend und belebt wird. Daher kann auch der Doppelschlag sowohl in Tonstücken von zärtlichem, als munterm Charakter, über geschleiften und gestoßenen Noten, angebracht werden. Die Ausführung desselben ist an und für sich leicht, aber ziemlich verschieden, und blos in dieser Rücksicht schwer." :003:

Und: "Zu diesen wenigen Fällen, in welchen der Doppelschlag etwas langsamer ausgeführt werden muß, gehören unter andern gewisse matte Stelle oder wenn diese Manier bey einer Fermate angebracht wird u.s.w. Jedoch spielt man alsdann die beyden ersten Noten gewöhnlich etwas geschwinder, als die dritte....".

Bei Hummel gibt es genau dieses Notenbeispiel: Hummel.jpg

Mir gefällt es sowieso so am allerbesten. Das Thema dieses Satzes ist so wunderschön, so klar, ruhig und vielschichtig. Es beginnt schlicht in B-Dur, um dann aufsteigend in chromatischen Schritten, die mehr Bewegung in das Thema bringen, wehmütig auf der großen Septime der Dominante zu verweilen, die sich dann auflöst (es lohnt sich, zur besseren Wahrnehmung die Verzierung auch mal wegzulassen). Der Doppelschlag bringt Bewegung ins Spiel, vielleicht etwas Zärtliches, Verspieltes - je nachdem, wie man dieses Thema empfindet und gestalten will, richtet sich danach auch die Ausführung des Doppelschlags.

An der Schiff,- Sokolov- etc.-Ausführung (Uchida spielt es hier übrigens auch so) gefällt mir auch, dass das d'' am Schluss der Manier als Sechzehntel noch einmal erklingt und die chromatische Linie so noch deutlicher und gesanglicher, espressiver klingt.

Hach, was ein wunderbarer Satz!!! :003::024:

Viel Spaß damit, lieber KrautundRueben!!!

chiarina
 
Bei dir geht der Doppelschlag erst nach dem dritten Sechzehntel los, hier bereits nach dem zweiten Sechzehntel.

Liebe @chiarina ,

In meiner Ausgabe ist es genau so wie du sagst. Die Notenbeispiele in meinem Kopfsatz habe ich in Musescore selbst gesetzt. Da ist mir vor Freude, dass ich die vier Verzierungsnoten hinbekommen habe, dieses Detail entgangen. Natürlich auch deshalb, da ich dem vorher keine Beachtung geschenkt habe.

und dies zeigt uns wieder die Grenzen der Notation und den Grund, warum die Komponisten die eine gewisse Freiheit ermöglichenden Symbole verwenden.
Außer, dass sie weniger Schreibarbeit machen.
Und es zeigt, dass es ohne Studium oder fachkundige Anleitung nicht möglich ist sich nur mit Grundwissen einen Notentext zu erschließen.

Danke an euch alle!

Liebe Grüße
KrautundRueben
 

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