Unterschiedliche Fingersätze für Anfänger und Fortgeschrittene

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Alter Tastendrücker

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In einem anderen Faden kam die Frage auf, ob für Anfänger "schlechte" Fingersätze angegeben werden.
Ich fände es ganz interessant sich mal Gedanken zu machen, ob man tatsächlich bestimmte FS eher für Anfänger oder eher für Fortgeschrittene macht.
Mir fallen da spontan 2 Namen ein:
Busoni (Experimentelle Tonleiter-FS in der Klavierübung) und
Arrau (Beethoven Sonaten Ausgabe).
 
...dazu ein paar ketzerische Bemerkungen:

- mir ist noch nie in den relativ wenigen Klavierwerken, bei denen tatsächlich besonderes Augenmerk auf einen zielführenden Fingersatz zu legen ist, das Nebeneinander von Anfänger- und Fortgeschrittenenfingersätzen begegnet ;-) (allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, dass Anfänger mit diesen Sachen beschäftigt sind)

- die Tonleitern H-Dur, Des/Cis-Dur, Ges/Fis-Dur haben einen einzigen Fingersatz, der sich aus der Tastenlage ergibt, egal ob Anfänger oder Fortgeschrittene diese Skalen spielen

- die Fingersätze für Skalen von Busoni sollten für Anfänger nicht tabu sein!!! ...hier fürchte ich eher, dass diese bei den Lehrkräften und Lehrbuchschreibern nicht gerade bekannt sind...

- - und zu guterletzt: gerade hier im Forum wird doch gerne propagiert, dass Fingersätze sowieso total individuell sind, dass es keine falschen und keine richtigen Fingersätze gäbe, denn alle Hände sind verschieden usw usf - so gesehen bedarf es keiner Diskussion über Anfänger- & Fortgeschrittenenfingersätze ;-):-D:drink:
 
Fingersätze sollten nach Möglichkeit so gewählt werden, daß sie die gestalterische Intention unterstützen. Nicht alles, was dem Anfänger bequem erscheint, ist auch unter musikalischen Gesichtspunkten sinnvoll. In der „Anfängerliteratur“ (Sonatinen-Alben, Anthologien etc.) finden sich leider oft genug Fingersätze, mit denen man zwar bequem die Noten abspielen kann, die aber der Artikulation oder den Betonungen zuwiderlaufen. (Das krasseste Beispiel ist dann der berüchtigte Trilleranfang bei der Beethovenschen „Elise“ mit 4-5.)

Deswegen scheint es mir auch die Theorie fragwürdig, wonach der Klavierschüler sich selbst seine Fingersätze zusammenbasteln soll. Im Anfangsunterricht sollte der Lehrer die Fingersätze vorgeben - und vor allem auch begründen, warum, wieso und weshalb.
 
Ich habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht und bin beim Beispiel Beethoven im Eröffnungsthread hängen geblieben, welches ich für etwas problematisch halte. Ich habe op. 28 (D-Dur) vor etwa zwanzig Jahren unter Anleitung meines damaligen Klavierlehrers in einem Konzert im Hagener Freilichtmuseum aufgeführt und habe zur Vorbereitung die Ausgabe des Henle-Verlages mit dem Fingersatz von Hansen benutzt. Damit bin ich als Schüler im Alter von achtzehn Jahren gut zurecht gekommen.

Einige Jahre später habe ich mir die angesprochene Arrau-Ausgabe von Peters gekauft. Wenn ich die Fingersätze vergleiche komme ich zu dem Schluss, dass in den zahlreichen Bindungen der Außenstimmen im ersten Satz Arraus Ideen musikalisch logischer sind. Man wird den Verdacht nicht los, dass Hansen sich hin und wieder gedacht haben mag „Da benutzt der Spieler eh das Pedal, also kommt es auf den Finger nicht so an.“, Arrau dagegen gedacht haben mag „Die Bindungen müssen erst mal sauber und logisch aus den Fingern geführt werden.“.

Wenn dem so ist, was bedeutet das dann im Hinblick auf Anfänger und Fortgeschrittene? Eignet sich der Arrau-Fingersatz für Anfänger weniger, weil er auf den ersten Blick „unbequemer“ erscheint? Oder ist er nicht gerade für Anfänger der sinnvollere der beiden, da man gar nicht erst zum „Pfuschen“ animiert wird? Und überhaupt (und deswegen habe ich Probleme mit dem Beispiel „Arraus Beethoven“): Hatte einer der beiden überhaupt einen Anfänger im Blick, als er den Fingersatz entwickelt hat? Denn von Anfängerliteratur kann man ja nun nicht wirklich sprechen in diesem Beispiel (ich war damals ja auch kein „Anfänger“). Oder noch weiter: Hat einer der beiden überhaupt konkret eine bestimmte Zielgruppe im Blick gehabt?

Ich übe aktuell drei Werke parallel, alle ebenfalls in einer Henle-Ausgabe. Ich übe dabei zunächst einmal der Einfachheit halber nach dem angegebenen Fingersatz. Sobald ich während meines Übeprozesses merke „Seltsam, Steen-Nokleberg gibt an der Stelle den Ringfinger vor, ich nutze aber irgendwie konsequent den Mittelfinger“, beginne ich Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wo ist bei meinem Fingersatz der Haken? Eckt ab einem gewissen Tempo meine Bewegung im Allgemeinen, vernachlässige ich irgendeine (versteckte) Stimmführung, was auch immer. Schon in manchen Fällen habe ich mich insgeheim beim Autor hinterher bedankt und habe meinen Fingersatz dem vorgegebenen angepasst. In manch andern Fällen stellte ich auch durchaus keinen Haken bei meiner Variante fest (bisher…). Und so lege ich den Fingersatz zunächst einmal natürlich so aus, dass meine Bewegungen, der gesamte motorische Apparat rund, weich und flüssig funktionieren.

Ich tippe also, um anzuknüpfen, vielmehr auf genau diesen Antrieb der Herren Hansen und Arrau, was ihre Fingersätze für die Beethoven-Sonaten angeht, weniger auf das Ansprechen von Zielgruppen, die weniger (oder auch mehr) fortgeschritten sein mögen. Überdies denke ich, dass (um beim Beispiel der Pastorale zu bleiben) die meisten Anfänger (wie immer man das definiert) mit dem Werk ihre Probleme haben werden, unabhängig davon, welchen der beiden Fingersätze sie wählen. Ich finde das Festhalten an Fingersätzen recht wichtig, da (zumindest in meinem Fall) sie Grundlage einer flüssigen und ökonomischen Bewegung sind.

Eine Antwort auf die Frage ob es nun Fingersätze gibt, die für Anfänger partout nicht geeignet sind lasse ich damit allerdings offen, das ist mir bewusst. Wenn mein Klavierlehrer mir erklärte warum Fingersatz X besser ist als Y, den ich benutzte, habe ich ihm vertraut und X geübt, auch wenn mir das anfangs umständlicher schien. Und wenn ich meinem Klavierlehrer gesagt habe, dass ich so dazu neige zu verkrampfen o. ä. hat er mir gezeigt, wie ich es ohne diesen Mangel hinbekomme und in aller Regel hat das auch immer geklappt. Ich bin mir also nicht sicher, ob ein Spitzen-Fingersatz wirklich eine Hürde für den Anfänger sein kann, im Endeffekt dient er doch der Unterstützung eines sicheren Bewegungsapparates.
 
Wenn ich bei Fingersätzen unsicher bin schaue ich mir verschiede YouTubeVideos meines aktuellen Stückes an und suche meine Problemstelle und vergleiche mit welchem Finger der Pianist die Stelle spielt.
Klappt ganz gut. Natürliche bevorzuge ich auch die Vorschläge eines KL. Aber in Corona Zeiten........!
 
Ich bin überzeugt davon, dass man bei verschiedenem Leistungsstand auch (manchmal, je nach Stück!) verschiedene Fingersätze nimmt. Das gilt sicher längst nicht für die gesamte Literatur. Aber mit unterschiedlichem Können hat man auch unterschiedliche Ziele, was Klang, Tempo, Genauigkeit, Artikulation, Durchsichtigkeit etc. angeht. Deshalb unterscheiden sich auch die Fingersätze.

Beispiel: Ich mag sehr gern stumme Fingerwechsel und mache das oft, um die besten Finger auf die besten Tasten zu bringen, flexibel und beweglich zu bleiben etc.. Das würde ich manchen Schülern von mir niemals anbieten, es wäre völlig unangebracht und würde mehr schaden als nützen. Zum einen, weil sie damit (noch) überfordert sind, zum einen, weil das auch wirklich ein persönlicher Geschmack von mir ist.
 
Ich weiß nicht, ob Du (Stilblüte) gestern am Ende noch beim Bach-Kurs dabei warst. Es wurde über Fingersätze gesprochen und festgestellt, dass es bei Bach besonders schwierig ist, da man zuerst das Werk analysieren sollte, um zu sinnvollem Tempo und Artikulation zu finden, um dann einen Fingersatz festzulegen und daraufhin erst mit dem Üben anfangen kann.
Beide Vortragende waren sich einig, dass sie - jedenfalls bei Bach - Ausgaben ohne Fingersätze vorziehen.
 
Klar war ich da noch dabei. Bei Bach ist es besonders sinnlos, irgendwelche Fingersätze zu nehmen. Aber diese Idee (Fingersatz muss zur Klangabsicht passen) gilt im Prinzip für alle Klaviermusik.
 
Also ich denke, dass es für Fingersätze grundlegende Modelle gibt. Als Anfänger lernt man ja – zumindest nach den meisten Methoden – ersteinmal den Fünftonraum, wo fünf Finger fünf Tasten entsprechen. Das wäre schonmal ein Modell.
Ein anderes Modell ist das mit den Sequenzen, z. B. c, d, e, d, e, f, e, f, g mit 1, 2, 3, 1, 2, 3, 1, 2, 3 usw.
Dann das Modell Die Hand bewegt sich in Richtung der Phrase, so wie Feuchtwangers Fingersatz bei Für Elise (1-2-4-3-5-2):

Wahrscheinlich lässt sich nicht jeder individuelle Fingersatz mit einem Modell beschreiben, aber das kommt der Wahrheit näher.
Ich würde bei Anfängern nicht die kopliziertesten Sachen nehmen. Immerhin ist es ohnehin schwierig, Noten zu lesen und die ganzen Bewegungen zu koordinieren.
Bei der Arrau-Ausgabe von Beethoven bin hin- und hergerissen. Jetzt, mit 35 finde ich seine Fingersätze nachvollziehbar, früher nicht.
 
Ich habe gestern mit 3,2 probiert, klingt sehr gut.

Mir ist auch ein Hinweis bei der Gelegenheit meiner alten (86) jährigen kL eingefallen. Man soll bei doppelten Noten immer einen Fingerwechsel machen da es dann besser klingt. Also z.b. wenn 2 oder 3 a hintereinander notiert sind, dann 2, 3, 2. Finger spielen.Danke ,dass es Clavio gibt.
 
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Man soll bei doppelten Noten immer einen Fingerwechsel machen da es dann besser klingt.
Das ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. In vielen Fällen sind Fingerwechsel bei Repetitionen klanglich eher ungünstig.

Aber es ist ein gutes Beispiel für diesen Faden. Profis, die keine Probleme mit repetierten Doppelgriffen haben (auch in hohem Tempo, wie z.B. in Liszts 6. Ungarischer Rhapsodie), spielen Repetitionen häufig ohne Fingerwechsel. Amateuren gelingt das selten zufriedenstellend, weil ihnen die dazu nötige Technik - elastisch fixierte Finger bei locker federndem Handgelenk - nicht zur Verfügung steht.
 
Selbst in Beethovens WoO 80 c-Moll spielen viele (ich auch) in den ersten drei Variationen die Tonwiederholungen mit einem Finger.
Am Anfang von Scarbo wird das Pianissimo der Tonwiederholungen auf dem dis überhaupt nur möglich durch das schnelle und zugleich sanfte Vibrieren eines Fingers (bei mir 2. Finger gestützt durch Daumen und Dritten) um den Druckpunkt der Taste.
Bei der 'Elise' die möglicherweise eine Therese war ist 5-3 für e-dis ganz gut.
Als Beispiel für FS, die man nicht unbedingt an Anfänger verkauft sei hier mein 'daumenfreier' FS für das Motiv am Anfang der Elise genannt: 5-3-5-2-5-4-2 .(e dis e h d c a)
 
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Elisen-Fingersatz nach Feuchtwanger:
1-2-4-3-5-2-4-1-2
Aber auch hier gilt, wie bei vielen gedruckten Fingersätzen: Wenn man die Idee dahinter nicht kennt, wundert man sich ...
 
Gerade ist mir beim Üben ein schönes Beispiel begegnet für einen sehr klangschönen und geschmeidigen Fingersatz, den ich trotzdem Schülern nicht unbedingt empfehlen würde:
Beethoven op. 13 II Adagio cantabile
Das 16tel Band ist in den meisten Ausgaben im unteren System notiert und lässt sich auch oft (erste 1,5 Takte, T. 6) mit links spielen. Fast alle nehmen die 16tel aber in die Rechte und so unterrichte ich es auch.
Selbst verteile ich die 16tel aber auf beide Hände. Im ersten Takt immer 2 links 2 rechts (jeweils mit 1 und 2). Das erlaubt gerade an diesem klanglich heiklen Beginn eine deutlich schönere und entspanntere Melodiegestaltung. Auch das wichtige Legato für den Tritonusschritt im 6. Takt (es' - a) ist so wesentlich schöner.
Obwohl ich die rhythmische Komplikation in den Takten 55 und 63 auch mit einer Hand gut hinkriege finde ich es angenehmer die 16tel-Triolen in der zweiten Takthälfte (und im folgenden Takt) mit links zu spielen. Dass sich dabei einige stumme Fingerwechsel ergeben ist für mich zweitrangig.
Mit den meisten Schülern wäre aber das Umorganisieren schon viel zu zeitraubend und der Aufwand unangemessen
 

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