Überwindung Lampenfieber - Erfahrungsbericht

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Das Thema gab es ja schon oft, und die meisten sind davon mehr oder weniger betroffen; deshalb möchte ich hier meine persönlichen Erfahrungen schildern, vielleicht können sie nützlich sein. Ich hatte kürzlich ein mir sehr wichtiges Probespiel, und natürlich hatte ich im Vorfeld befürchtet, dass es sich wiederholen könnte, was schon früher der Fall war: dass das Lampenfieber sich in regelrechte Auftrittsangst steigert und in der Situation mich förmlich überrollt. Ich wollte das diesmal nicht zulassen und habe deshalb schon monatelang vorher mich damit auseinandergesetzt. im einzelnen:
- ich habe einschlägige Veröffentlichungen durchgearbeitet, z.B. das bekannte Buch von G. Mantel. Er gibt keine kurzfristig wirksamen Tricks bekannt, sondern regt zu einer Reflexion der eigenen Perspektive an. Dazu kommen bei ihm auch Verhaltensratschläge kurz vor dem Auftritt, die ebenfalls durchdacht sind
- Magnesiummangel beheben; ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Zittern von Händen und Füßen sich unglaublich steigern kann, wenn hier ein Defizit ist. Also habe ich längere Zeit hochdosiert eines der wenigen bekömmlichen Produkte eingenommen
- Atmen lernen. Das klingt schräg, ist aber notwendig, wenn man sich bewusst vornimmt, die Tiefenatmung zu praktizieren. Täglich mehrmals 15 bis 20 sehr tiefe, ruhige Atemzüge, am besten nach der 3 zu 4 - Regel habe ich geübt, um im Ernstfall nicht in hektische Hyperventilation zu kommen. Diese Atmung kann auch kombiniert werden mit einer bewussten Anspannung des Körpers und anschliessendem Loslassen. Vorteil dabei ist, dass der Puls sofort reagiert, und man kann auch in Anwesenheit dritter atmen. Bei anderen Maßnahmen wäre man sicher lieber allein.
- ungefähr die Hälfte der Übezeit mental verbringen, und zwar in ganz entspanntem Zustand. Vorher evtl autogenes Training oder ähnliches praktizieren, und dann die Stücke memorieren, samt Auftrittssituation.
Mein Fazit: die Überwindung von Lampenfieber erfordert Geduld und einen gewissen Aufwand, der sich aber m.E. auszahlt.
 
Es ist kein Zufall, daß Solisten am Klavier die heftigsten Probleme mit Stage Fright haben. Das liegt m. E. daran, daß sie ungeeignet vorbereitet werden.

Das beste Mittel gegen Auftrittsangst ist von Anfang an (!) regelmäßig Musik mit anderen zu machen (Instrument egal). Als Pianist sieht man da maximal seinen KL einmal die Woche, sonst übt man vor sich hin im stillen Kämmerchen. Das ist viel zu wenig. Das nächste Problem sind diese typischerweise jährlich stattfindenden Musikschul-Klaviervorspiele. Da wird sich also ein Jahr lang irgendwas mühevoll draufgeschafft und dann gehofft, daß die Vorführung des "Lernfortschritts" unfallfrei funktioniert.

Die Lösung: Wer auftreten will, muß viel mehr spielen ("Musik machen", idealerweise mit anderen oder Publikum) und viel weniger Neues üben. Ja, das bedeutet weniger "Fortschritt" und läuft dem üblichem Curriculum von Musikschulen und Musiklehrern entgegen. Aber Routine ist letztlich das Einzige, was gegen den kompletten Schmiß hilft. Wenn ich dann vor Publikum sitze oder auf gar die Bühne gehe, dann spiele ich nicht, was ich vor ein paar Wochen eingeübt habe, sondern das, was ich vor einem Jahr geübt und seitdem regelmäßig wiederholt habe. Und mache Fehler dabei, weil ich auch nur ein Mensch bin, und spiele über die Fehler drüber - was KL nicht goutieren, aber in der Live-Situation das einzig Richtige ist.

Irgendwann wirst du feststellen, daß die Aufregung niemals weggeht und Symptombekämpfung einen kein Stück weiterbringt. Letztlich läuft es über Gewöhnung ans Musikmachen (und dazu muß man eben auch viel Musik machen und nicht nur üben) und sein Programm im Schlaf können. Und diese Erfahrungen kann man dann auch problemlos von einem Instrument aufs andere übertragen.
 
Sei froh daß du aufgeregt bist. Gleichgültigkeit ist viel schädlicher. Ist wie frisch verliebt sein oder im Endstadium einer Ehe.
 
Es ist kein Zufall, daß Solisten am Klavier die heftigsten Probleme mit Stage Fright haben. Das liegt m. E. daran, daß sie ungeeignet vorbereitet werden.
Das ist in dieser Allgemeinheit Unsinn. Es gilt vielleicht für Hobbyspieler, aber ganz gewiss nicht in einer professionellen Ausbildung.

Wenn ich dann vor Publikum sitze oder auf gar die Bühne gehe, dann spiele ich nicht, was ich vor ein paar Wochen eingeübt habe, sondern das, was ich vor einem Jahr geübt und seitdem regelmäßig wiederholt habe.
Ein Profi kann sich das schlichtweg nicht leisten. Wenn du in einem mittleren Berufsorchester spielst, dann hast du in einer Saison ungefähr 10 verschiedene Opern und 10 verschiedene Konzertprogramme zu spielen, in Häusern mit Repertoirebetrieb noch viel mehr. Wenn du für jedes Stück ein Jahr Vorbereitung brauchst, bist du pensioniert, bevor du das erste Mal auf die Bühne bzw. in den Graben gehst.

Irgendwann wirst du feststellen, daß die Aufregung niemals weggeht und Symptombekämpfung einen kein Stück weiterbringt. Letztlich läuft es über Gewöhnung ans Musikmachen (und dazu muß man eben auch viel Musik machen und nicht nur üben) und sein Programm im Schlaf können. Und diese Erfahrungen kann man dann auch problemlos von einem Instrument aufs andere übertragen.
Es gibt genügend Orchestermusiker, die mehrmals pro Woche auf's Podium müssen und das nur mit Betablockern schaffen. Im professionellen (klassischen) Musikbetrieb ist der Druck, immer Höchstleistung bringen zu müssen, enorm. Manche gewöhnen sich irgendwie daran, andere zerbrechen. "Symptombekämpfung" in Form von eingeübten Ritualen ist durchaus hilfreich und sehr viele Musiker machen das.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mein "Geheimnis" ist, vor der Show aufgeregt zu sein, statt dabei.

Wenn ich bei einer Probe oder spätestens auf dem Weg zum Auftritt einmal so richtig Herzklopfen bekommen habe, dann bin ich sicher, dass es mir nicht passieren wird, dass der Vorhang aufgeht, und mir plötzlich das Herz zum Hals rausklopft, und ich nicht mehr handlungsfähig bin.

Da ich aber irgendwie immer abgebrühter bin, und immer weniger dieser Aufregung verspüre, befürchte ich, dass es doch mal irgendwie passiert. Um dem vorzubeugen kann ich mich aber rechtzeitig vorher bewusst reinsteigern und das induzieren "oh, morgen ist der Auftritt". Noch klappt das ;-)
 
Ich unterscheide für mich zwei Arten von Vorbereitung: die langfristige und die kurz-vor-der-Show. Und ich sehe letztere nicht als «Symptombekämpfung», sondern als eine Art «Einstimmen». Aufregung und Nervosität sind technisch gesehen Gefühlsmischungen von Freude und Angst. Beide Gefühle sind eigentlich nützlich: die Freude begeistert das Publikum und die Angst macht wach. Leider ist bei vielen Menschen Angst neurologisch mit Stress verknüpft, d.h. eine Art «Angst vor der Angst» setzt im Körper (zu viel) Cortisol frei und löst eine milde Dissoziation aus. Gegen beides hilft gleichmässiges Atmen (schafft Cortisol aus dem Körper und bringt die Aufmerksamkeit zurück in den Körper), Erdung (wenn es die Möglichkeit gibt: Barfuss auf den Boden oder unter die Dusche stellen) und Hüpfen (löst Cortisol-hemmende Glückshormone aus). Langfristig helfen grundsätzlich alle entschleunigenden, erdenden und verkörpernden Aktivitäten wie das bereits erwähnte Autogene Training, Embodyment, Ausdrucks/Improvisationnstanz, Meditation und Yoga. Und wenn man noch weiter gehen will dann Gefühlstrainings, die sind ziemlich advanced aber machen einen um einiges resilienter in Bezug auf unbewusste Körper-Reaktionen (nicht nur Nervosität).
 
Bei mir hat geholfen, oft und viel vorzuspielen. Und natürlich hilft es, wenn man das Stück verinnerlicht hat und es sozusagen "atmen" kann.
Irgendwann war ich vor dem Auftritt aufgeregt, aber positiv, und sobald ich am Klavier saß, war die Aufregung weg, als hätte man einen Schalter umgelegt.
Einmal, da war ich noch nicht so weit, sollte ich das Präludium in Ddur v. Bach BWV 850 vorspielen, aber ich habe vorher keinen richtigen Zugang dazu gefunden. Dementsprechend aufgeregt war ich, und habe das völlig verhauen, Fingersätze vergessen, und den Lauf am Ende völlig versemmelt. Das war peinlich, und das einzige Mal, dass ich während den Vorspielen überlegt habe, einfach aufzuhören.
(Ich habe aber, aus gesundheitlichen Gründen, schon seit 10 Jahren keinen Auftritt mehr absolviert)

Hochdosiertes Magnesium vorher, da würde ich den Auftritt wohl auf dem Klo verbringen.
:blöd:
 
Am wirksamsten gegen Lampenfieber ist n "Obligatorischer" vor dem Auftritt :rauchen: :trink191:
 

Was bei einer mir bekannten Person geholfen hat:
Der Körper ist im Modus 'fight or flight' (kämpfen oder fliehen). Da die Flucht i.A. keine Option ist, muss man dem Körper was zum Kämpfen geben. Ein paar Liegestütze können schon ausreichen.

Grüße
Häretiker
 
Lampenfieber ist fies.
Ich habe das noch immer - obwohl ich mit 8 zum ersten mal auf der Bühne stand (Krippenspiel ... auf Latein ... ich war der Esel).

Vor einem Auftritt bin ich noch immer nervös. Das äussert sich zum Beispiel in verstäktem Harndrang (ich habe mal gehört, das wäre ein Fluchtinstinkt), feuchten Händen, die einfach nicht warm werden wollen und der im Kopf ständig wiederkehrenden Frage, wann es denn endlich los geht (hier halte ich von Ungeduld bis "ich wills halt hinter mir haben" viele Erklärungen für möglich).

Zum Glück habe ich irgendwann gemerkt, dass mein Lampenfieber verfliegt, sobald ich die Bühne betrete. Wahrscheinlich weil ich mich dann einfach auf etwas anderes konzentriere (die geplante Musik z.B. - manchmal auch technische Probleme) und das Publikum dadurch fast ausblenden kann (blendende Bühnenbeleuchtung hilft dabei enorm).

Sobald ich beginne zu spielen, ist der Saal sowieso leer :021:
Natürlich nur in meinem Kopf.
Ich will damit sagen, dass ich mich dann fast wie bei Proben fühle ... natürlich habe ich auch lange trainiert, ein Stück auch beim Üben einfach durchzuziehen. Ich habe also trainiert, mich mental in den "Ernstfall" zu versetzen.

Aber der größte Trumpf ist wohl, dass mein Lampenfieber einfach mehr Angst vor der Bühne hat, als ich ... und das ist die Gewöhnung daran, vor Menschen "irgendwas" zu machen ... ob das nun Theater, klassische Musik, ein Vortrag oder einfach ein Gig mit einer meiner Bands ist, das ist nebensächlich.
 
Seit hunderten von Jahren habe ich einen wunderbaren Lehrer, der auch aufgrund seines nun schon fortgeschrittenen Alters zu dem Thema etwas zu sagen weiß:
Am Wichtigsten ist: "Du hast das Recht, nervös zu sein."
Wenn man sich den Inhalt dieses Satzes mal im Kopf zergehen lässt, dann verliert das Lampenfieber seinen Schrecken. Es ist da, aber es tut uns nix.
Derselbe Lehrer hat mir mal eine Geschichte erzählt von Sarah Bernhardt, eine sehr bekannte Grande Dame des Schauspiels :
Es begab sich, dass sie als ältere Dame auf einer Tournee vor ihrem Auftritt eine Autogrammstunde gab.
Zu ihr kam eine junge Schauspielerin und bat sie um das Autogramm. Sarah Bernhardt schrieb mit zittriger Hand.
Die junge Frau war verwirrt, zu sehen, dass diese großartige Schauspielerin offensichtlich nervös war. Sie fragte: "Madame, wie kommt es, dass Sie nach all den Jahren Bühnenerfahrung so nervös sind? Ich habe nie Lampenfieber vor einem Auftritt!"
Sarah Bernhardts Antwort: "Kind, lerne zu schauspielen, dann wirst auch Du nervös werden."

Und noch etwas: Wenn man gut vorbereitet ist, dann kann man sich auf seinen automatischen Piloten verlassen. ;-)
 
Ich habe für mich entschieden, dass ich keine Musik für Musiker*innen machen, und kein menschlicher CD-Spieler sein möchte. Mein Publikum möchte unterhalten werden und erwartet keine musikalische Perfektion. Das zu wissen, nimmt mir einen Großteil der Aufregung. Ich bin wer ich bin und was Andere von mir halten, ist mir weitgehend Wurst. Der Einzige, dem ich was beweisen möchte, bin ich selber - und davor muss ich nicht aufgeregt sein.
 
Vielleicht hilft es ja auch, sich darüber zu freuen, dass man nur Tasten drücken muss, und nicht singen.
Ich finde, mit Gesang aufzutreten, besonders als Solist, ist noch eine ganz andere Nummer, als "nur" als Instrumentatlist.
 
Vielleicht hilft es ja auch, sich darüber zu freuen, dass man nur Tasten drücken muss, und nicht singen.
Ich finde, mit Gesang aufzutreten, besonders als Solist, ist noch eine ganz andere Nummer, als "nur" als Instrumentatlist.
Ging mir exakt umgekehrt. Am Klavier schrecklich nervös, als Gesangssolist außer leichter Angespanntheit alles prima.
Wenn man seinen Part kann, versingt man sich ja eigentlich nicht. Verspieler am Klavier gibt es auch bei bester Vorbereitung durchaus.
 
Ich finde, mit Gesang aufzutreten, besonders als Solist, ist noch eine ganz andere Nummer, als "nur" als Instrumentatlist.
Ganz dünnes Eis! ;-)
Sänger halten sich gerne für etwas Besonderes. Sie sind auch Instrumentalisten. Sie instrumentalisieren ihre Stimme, um der Musik zu dienen. Ich habe es in der Regionalliga von Sängern oft erlebt, dass sie die Musik instrumetalisieren, um ihrer Stimme zu dienen.
An anderer Stelle habe ich es schonmal gesagt: Alle Instrumente haben die gleichen Schwierigkeiten und Ansprüche zu erfüllen. Da macht auch das Lampfenfieber keinen Unterschied.
 

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