Sexuelle Belästigung bei Bewerbung

Möglicherweise hatten sie tatsächlich keine glückliche Kindheit, aber das geht vielen Menschen so, die deswegen noch lange nicht gewalttätig gegenüber ihren Mitmenschen werden. Den Opferstatus an genau dieser Stelle zu konstruieren ist ziemlich eigenartig.
Für den Angeklagten ist das - je nach Beweislage - eine ganz normale Verteidigungsstrategie: Opferstatus für sich zu reklamieren. Opfer zu sein, kommt immer gut an.

Schwieriger sind Fälle, wie sie Klein wild Vögelein beschreibt:
Viele Triebtäter waren in vielen Fällen selbst Opfer von Verwandten, Lehrpersonen u.s.w. Die Frage, inwieweit ihre Schuld zu bewerten ist, in Bezug auf die Tatsache, dass ihre Tat durch Traumata oder auch Erkrankungen in der eigenen Biografie maßgeblich mit einzuberechnen ist [...]
Es ist für den "gesunden" Menschenverstand nicht nachvollziehbar, daß sich Mißbrauchsopfer in Täter verwandeln können - daß nicht spätestens die eigene Leidenserfahrung dagegen sensibilisiert, andere zu mißbrauchen. Paradoxerweise geschieht bei manchen Mißbrauchsopfern das Gegenteil: die Weitergabe der traumatischen Erfahrung als ein Versuch, das eigene Trauma zu bewältigen - nicht nur die Identifikation mit dem Angreifer, sondern die Selbstverwandlung in einen Angreifer. Ich weiß nicht, ob und wie stark das als schuldmindernder Aspekt bei der Strafzumessung berücksichtigt wird.
Hinzu kommt, dass ein sehr großer Teil der Täter kein bisschen reumütig ist.
Zur Schulderkenntnis als Voraussetzung für das ehrliche Schuldeingeständnis (zu unterscheiden vom taktisch motivierten Lippenbekenntnis) ist es wohl ein langer Weg - bei der sich der Erkennende an der Grenze zum psychischen Zusammenbruch befindet. Dagegen schützt sich die Seele: durch Verhärtung. Auch diese Selbstverhärtung ist ein langer Prozeß, der wohl schon mit der Tat beginnt. Tribunalisierung begünstigt sie nur noch. Es ist leichter, sein Scheitern, seine Schuld im Gespräch unter vier Augen zu bekennen als vor laufenden Fernsehkameras.
Der christliche Vergebungsbegriff setzt die Schulderkenntnis, das Schuldeingeständnis, die Reue und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung voraus, nicht als eine zu erbringende Leistung, sondern schlicht als Voraussetzung für den Täter, um überhaupt das Ausmaß an Vergebung zu begreifen, die ihm zuteilwird. Vergebung ist keine billige Gnade. Darum ist die Beichte nach katholischem Verständnis ein Sakrament (=Heilshandlung), und auch Luther sah sie ursprünglich als drittes Sakrament.
Bitte richtig zu verstehen: Das war ein theologischer Exkurs. Niemand verlangt oder erwartet von Opfern oder Angehörigen, einem Peiniger zu verzeihen.
aber es gibt kein Anrecht auf Anerkennung durch das Umfeld, auch ganz unabhängig davon, ob jemand Täter wurde.
Sogar unabhängig davon, ob jemand nicht Täter wurde.

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Zuletzt bearbeitet:
... Kachelmann, Weinstein, Wedel, Kavanaugh usw. usf. - nahezu alle der Beschuldigungen stellten sich als gegenstandslos heraus, so dass die Angeklagten eben nicht verurteilt wurden.
Weinstein wurde am 11. März 2020 zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt.

Wedel: "Lange sah es so aus, als würden die Vergewaltigungs-Vorwürfe gegen den Regisseur versanden. Nach drei Jahren Ermittlungen klagt die Staatsanwaltschaft München Wedel nun doch an." (SZ 05.03.2021)
 

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