Richard Wagner

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G

Gomez de Riquet

Guest
[...] Ich finde es sehr schade, dass Du darüber nicht weiter öffentlich schreiben willst,
denn mich würde die Antwort auch interessieren [...]

Liebe Orange,

für die Diskussion über Wagner, deren Konfliktträchtigkeit mich davon abhielt, sie in
dem Umfragethread „Mögt Ihr Oper?“ weiterzuverfolgen, bietet sich ein eigener Faden an:
Im kommenden „Dramatikerjahr“ wird des 200.Geburtstags von Richard Wagner, Giuseppe Verdi,
Georg Büchner und Friedrich Hebbel gedacht (wenn's nach mir ginge, könnte man sich auf Büchner
und Hebbel beschränken; Wagner und Verdi müssen nicht gerade der Vergessenheit entrissen werden,
aber egal...). Ich eröffne den Reigen der Gratulationsbeiträge mit dem beanstandeten Satz

Wagner war ein Eklektiker, und die musikalischen und musikdramatischen Quellen,
aus denen er seine Anregungen bezogen hat, sind hinlänglich bekannt.

und äußere mich dazu wie folgt:

Das Befremden, das der Begriff hervorgerufen hat, beruht m.E. auf einem Mißverständnis.
Der Begriff „Eklektiker“ enthält keine Wertung und sagt nichts über das kompositorische Niveau
aus. Es gibt Komponisten höchsten Ranges, die als Eklektiker zu ihrem Metier gefunden haben.
Das prominenteste Beispiel dürfte W.A.Mozart sein, dessen Musiksprache sich aus der Adaption
verschiedener Kompositionsstile (Johann Christian Bach, Michael Haydn, Josef Mysliveček et al.)
entwickelt hat. Mozart ist auch das beste Beispiel, wieviel Erfindungskraft ein gereifter Komponist
aus der Assimilation unterschiedlicher musikalischer Sprechweisen bezieht; das gilt für vorallem
für seine Opern, aber auch für die späten Klavierkonzerte und die c-Moll-Messe.

Umgekehrt bietet Innovation keine Garantie für musikalische Qualität (was die „Innovation“
betrifft: Ich kann das Wort nicht mehr hören; kein phrasendreschender Politiker verzichtet darauf;
aber es ist nun mal in die Diskussion hineingebracht worden). Jacopo Peri oder Emilio de' Cavalieri
waren zu ihrer Zeit sicherlich sehr innovativ. Aber der Zumutung, „Euridice“ oder „Rappresentazione
di Anima e di Corpo“ in voller Länge anzuhören, werden sich heute nur Hardcore-Liebhaber des
Frühbarock aussetzen.

Zitat von Glenn Gould:
„Der Prozeß der historischen Auslese ist bekanntermaßen unempfindlich dagegen,
wer zuerst wohin gelangte, aber hat sehr damit zu tun, wer was mit der größten Empfindlichkeit getan hat.“

Glenn Gould: Boulez, aus: Von Bach bis Boulez, Schriften zur Musik I, S. 318
Hrsg.: Tim Page, Übers.: Hans-Joachim Metzger, München/Zürich 1986

Damit kommen wir zu Wagner, dessen Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums an Molière erinnert
(Molière: „Je prends mon bien où je le trouve“) und der sich aus der Aneignung bestimmter
harmonischer und melodischer Eigentümlichkeiten, Satztechniken, Form- und Klangideen
von Beethoven, Mendelssohn, Meyerbeer, Spontini, Spohr, Weber, Marschner, Berlioz
und vorallem natürlich Liszt seinen Personalstil zusammengezimmert hat – wobei man hinzufügen muß,
daß er die zusammengeborgten Ideen weiterentwickelt. Musterbeispiel ist der Tristan-Akkord
nebst Auflösung: Alle bei Kurth und sonstwo aufgelisteten Vorbilder, der zweite Satz aus Mozarts KV428,
der erste Satz aus Beethovens op.31-3, Schumanns Phantasie op.17, vorallem Spohrs Romanze aus
„Der Alchymist“ (vermutlich Wagners direkte Quelle) sind dem Tristan-Modell ähnlich und weichen doch
stimmführungstechnisch davon ab. Die Besonderheit liegt aber nicht in dem isolierten Akkord,
sondern in Wagners Kunst der Stimmführung.

Wagners Fähigkeit, aus isolierten musikalischen Elementen einen kohärenten Personalstil
zu entwickeln, findet in „Tristan und Isolde“ ihre Grenze: Die Tristan-Harmonik bleibt in
Wagners Schaffen selbst ein isoliertes Phänomen. Im dritten Akt des „Siegfried“ und in der
„Götterdämmerung“ dominiert über weite Strecken Dur-/Molltonalität, in den „Meistersingern“
sogar reine Diatonik. Erst im „Parsifal“ knüpft Wagner wieder an die Idee einer nicht von Kadenzharmonik
geprägten Musik an. Wenn man dem Bericht Glauben schenken darf, daß Wagner den späten
quasi-atonalen Klavierstücken Liszts verständnislos gegenüberstand, also einer Klangwelt,
an deren Entstehung er mit „Tristan“ und „Parsifal“ selbst beteiligt war, dann wäre dies
ein interessanter Beleg dafür, daß das Vermeiden oder Hinauszögern kadenzierender Abschlüsse
in den genannten Stücken für Wagner ein zweckgebundenes Ausdrucksmittel gewesen ist,
rein von der Bühnenhandlung, nicht innermusikalisch motiviert.

Habe ich etwas zur Klärung beitragen können?

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
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Lieber Gomez,

ganz herzlichen Dank dafür, dass du orange's Wunsch entsprochen und diesen interessanten Beitrag geschrieben hast!!! :kuss:

Ich habe trotzdem ein paar Fragen. :p

Inwiefern unterscheidet sich denn Mozart als Eklektiker von Wagner? Du schreibst:

...................... wobei man hinzufügen muß,
daß er die zusammengeborgten Ideen weiterentwickelt.
.


Ich habe das Gefühl, dass du Wagner's Tonsprache gegenüber der Mozart's in ihrer Entwicklung einen niedrigeren Rang einräumst. Findest du, dass Mozart da viel weiter gegangen ist und einen viel eigeneren Stil entwickelt hat als Wagner? Meinst du, dass Wagner zumindest teilweise im Eklektizismus verhaftet geblieben ist?


.................. dann wäre dies
ein interessanter Beleg dafür, daß das Vermeiden oder Hinauszögern kadenzierender Abschlüsse
in den genannten Stücken für Wagner ein zweckgebundenes Ausdrucksmittel gewesen ist,
rein von der Bühnenhandlung, nicht innermusikalisch motiviert.


Schließt sich das denn aus? Wenn der Zweck ist, die Seelenzustände, die ja durch die Handlung und den Text vorgegeben sind, musikalisch umzusetzen und hörbar zu machen auf eine ganz neue Art wie im Tristan, so kann doch etwas dabei herauskommen, was trotzdem zutiefst innermusikalisch motiviert ist. Oder nicht? Wie Programmmusik, die trotzdem musikalisch ganz für sich stehen kann.

Mich fasziniert bei Wagner eben gerade die Einheit von Handlung, Text und Musik. Ich weiß ehrlich gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Vielleicht kannst du mir helfen! :p

Wagner und Verdi müssen nicht gerade der Vergessenheit entrissen werden

:D - als letzte Frage interessiert mich sehr, warum du Wagner nicht magst. Findest du ihn zu schwülstig?

Für mich hat Wagner's Tonsprache etwas Einzigartiges. Diese Klänge, die Entwicklungen, die Harmonik.....! Gerade Tristan und Parsifal sind für mich etwas absolut Besonderes!!!

Liebe Grüße

chiarina
 
Das Befremden, das der Begriff hervorgerufen hat, beruht m.E. auf einem Mißverständnis.
Der Begriff „Eklektiker“ enthält keine Wertung und sagt nichts über das kompositorische Niveau
aus.
hm, das könntest du mit Tante Wiki klären:
Zitat von Tante Wiki - Eklektizismus:
Im Hinblick auf die jeweilige künstlerische Qualität ist zwischen Imitation und eigener Weiterentwicklung zu unterscheiden. Der Begriff kann mit einer negativen Betonung versehen sein, wenn der Künstler anstelle einer eigenen Kreation unschöpferisch Elemente aus anderen Werken auswählt und zu einem neuen Werk zusammenfügt.


Wagners Fähigkeit, aus isolierten musikalischen Elementen einen kohärenten Personalstil
zu entwickeln, findet in „Tristan und Isolde“ ihre Grenze: Die Tristan-Harmonik bleibt in
Wagners Schaffen selbst ein isoliertes Phänomen.
vermutlich deshalb findet sich diese Harmonik u.a. im zweiten Aufzug der Walküre... (sehr lesenswert hierzu ein Aufsatz von Werner Breig)

Mozart ist also, wie ich deinen Worten entnehmen konnte, auch ein Eklektiker... und weil ein Begriff wie Innovation gelegentlich verzerrt verwendet wird (wofür der Begriff nüscht kann) behagt er dir nicht...

Aber in einem hast du wirklich recht: man muss weder Wagner noch Verdi dem Vergessen entreissen - die haben schon viel überlebt, und daran wird sich voraussichtlich auch nichts ändern :):):)
 
Wenn der Zweck ist, die Seelenzustände, die ja durch die Handlung und den Text vorgegeben sind, musikalisch umzusetzen und hörbar zu machen auf eine ganz neue Art wie im Tristan, so kann doch etwas dabei herauskommen, was trotzdem zutiefst innermusikalisch motiviert ist. Oder nicht? Wie Programmmusik, die trotzdem musikalisch ganz für sich stehen kann.

Liebe Chiarina,

Liebe Chiarina,

das muß Du mir bitte etwas näher erläutern. Soweit ich die Dinge bis jetzt kapiere (zugegebenermaßen noch nicht viel, s. die Diskussion im Opernfaden) ging es Wagner um die Einheit von Musik und Handlung, wobei Handlung (oft) »innere Handlung« ist, Musik also die psychischen Entwicklungen die sich in und zwischen den Aktueren vollziehen, ausdrücken soll. Wie soll so etwas rein "innermusikalisch", ohne Bezug auf die dramtische Grundlage funktionieren? Programmmusik, wenn es nicht grade um Wellingtons Sieg bei Waterloo geht, hat ja selten einen Bezug zu einem spezifischen dramatischen Geschehen, oder?

Hab einen schönen Sonntag und genieße Dein Sauerbier!

Friedrich
 
Liebe Chiarina,

Deine Fragen erlauben mir, hoffentlich ein paar Mißverständnisse zu beseitigen.

Inwiefern unterscheidet sich denn Mozart als Eklektiker von Wagner? [...]
Ich habe das Gefühl, dass du Wagners Tonsprache gegenüber der Mozarts
in ihrer Entwicklung einen niedrigeren Rang einräumst. Findest du, dass Mozart
da viel weiter gegangen ist und einen viel eigeneren Stil entwickelt hat als Wagner?
Meinst du, dass Wagner zumindest teilweise im Eklektizismus verhaftet geblieben ist?

Du weißt, daß ich von den (auch hier im Forum so beliebten) Rankings
und dem Vergleich von Äpfeln und Birnen nichts halte.

Wenn man davon absieht, daß Wagner nahezu ausschließlich fürs Musiktheater komponiert hat
und Mozart in allen Genres zu Hause gewesen ist - - was ich über Mozart geschrieben habe,
gilt genauso für Wagner: Aus der schöpferischen Aneignung entsteht etwas Singuläres.
Was Wagner genommen und weiterentwickelt hat, zündet spätestens ab dem "Lohengrin"
in einem wahren Feuerwerk der Ideen - in Instrumentation, Harmonik, Satztechnik,
natürlich auch in der formalen Disposition.

dann wäre dies ein interessanter Beleg dafür, daß das Vermeiden oder Hinauszögern
kadenzierender Abschlüsse in den genannten Stücken für Wagner ein zweckgebundenes
Ausdrucksmittel gewesen ist, rein von der Bühnenhandlung, nicht innermusikalisch motiviert.

Schließt sich das denn aus? Wenn der Zweck ist, die Seelenzustände, die ja durch die Handlung
und den Text vorgegeben sind, musikalisch umzusetzen und hörbar zu machen auf eine ganz neue Art
wie im Tristan, so kann doch etwas dabei herauskommen, was trotzdem zutiefst innermusikalisch
motiviert ist. Oder nicht?

Natürlich - im "Tristan" und im "Parsifal" sind diese Abschnitte in den musikalischen Kontext
eingebunden bzw. aus ihm entwickelt. Die Pointe ist nur: Wagner konnte mit solchen Stilmitteln
offenbar nix anfangen, wenn sie ihm im Bereich absoluter Musik entgegentraten,
wie in den späten Klavierstücken Listzs.

Wagner und Verdi müssen nicht gerade der Vergessenheit entrissen werden

Als letzte Frage interessiert mich sehr, warum du Wagner nicht magst.

Liebe Lichtgestalt, Finsternis umgibt Dich. Getrübt trügt Dich Dein Blick!
Ich meinte doch nur: Richie und Jupp bedürfen keiner besonderen Fürsprache,
müssen nicht der Vergessenheit entrissen werden, weil sie nämlich auf allen (Subventions-)Bühnen
und Kanälen dieser Welt omnipräsent sind und eine ganze Verwertungsindustrie an ihnen hängt.
Wenn doch ein Teil dieser Aufmerksamkeit Büchner und Hebbel zuteil würde (letzterer scheint
nur noch ein Fall fürs Germanistik-Oberseminar zu sein)! Das war der Sinn meines Stoßseufzers.

Gerade "Tristan" und "Parsifal" sind für mich etwas absolut Besonderes!!!

Wenn Du jetzt noch den "Ring" dazugibst, stimme ich Dir voll und ganz zu.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
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Was Wagner genommen und weiterentwickelt hat, zündet spätestens ab dem "Lohengrin"
in einem wahren Feuerwerk der Ideen - in Instrumentation, Harmonik, Satztechnik,
natürlich auch in der formalen Disposition.
exakt!

und wenn man hier (was man bei jedem Komponisten tun müsse, da keiner die Musik neu erfunden hat) auf das durchaus negativ konnotierte Schlagwort "eklektisch" verzichtet, dann kann man sehen, dass die einen mehr, die anderen weniger "Neukombinationen" gebracht hatten - ob das relevant ist oder nicht, muss hier nicht entschieden werden. ;)


Die Pointe ist nur: Wagner konnte mit solchen Stilmitteln
offenbar nix anfangen, wenn sie ihm im Bereich absoluter Musik entgegentraten,
wie in den späten Klavierstücken Listzs.
na ja: muss bzw. musste irgendwer "absolute Musik" komponieren? Chopin z.B. hatte kein Interesse, Sinfonien oder Opern zu verfassen - Wagner hat (von Jugendsünden abgesehen) auf das verzichtet, was ihm nicht lag (eine solche Vorgehensweise ist doch eigentlich ein Segen: das erspart uns mißratene Quartette oder Sinfonien vom Wagner :):) ). Entscheidend ist das, was der Komponist als Werkkatalog vorlegt - und das kann verschieden ausfallen.


...aber was grämt dich die "Verwertungsindustrie"? ist sie eine Sünde, welche von großen Komponisten erschaffen wurde?? wohl nicht...
 
Einiges relativiert sich jetzt zum Glück.... Denn -zugespitzt- welcher Komponist wäre sonst kein Eklektiker, es sei denn er komponiert Sonaten für Autohupe, Klapperkiste und Co. ....(Wahrscheinlich wäre da die Sonatenform schon viel zu eklektizistisch.....) :)
 
das erspart uns mißratene Quartette oder Sinfonien vom Wagner :):) ).

Gibt es doch:

1832 wurden von ihm aufgef.: Konzert-Ouvertüre d im Gewandhaus, Ouvertüre zu Raupachs König Enzio im Leipziger Theater, Konzert-Ouvertüre C im Gewandhaus, Symphonie C im Prager Kons. unter Dionys Weber. (MGG Bd. 14, S. 90)


Kann davon eigentlich heutigentags noch irgendetwas hören?

Grüße,

Friedrich
 
Ist in diesem Zusammenhang eigentlich die Faust-Ouvertüre eine Ausnahme, oder gehört sie auch zu den "mißratenen" Werken?
Mir gefällt die Ouvertüre sehr gut, aber sonderlich oft gespielt wird sie wohl nicht, wenn ich da richtig informiert bin.

lg marcus
 
Ist in diesem Zusammenhang eigentlich die Faust-Ouvertüre eine Ausnahme, oder gehört sie auch zu den "mißratenen" Werken?
sie war mal in Russland ein sehr beliebtes Werk - halt eine von vielen romantischen Konzertouvertüren - - gäbe es nur diese und andere derartige Werke, also keine Opern und keine Wesendoncklieder, so wäre fraglich, ob man den Wagner heute kennen würde
 

[...] und wenn man hier (was man bei jedem Komponisten tun müsse, da keiner die Musik neu erfunden hat)
auf das durchaus negativ konnotierte Schlagwort "eklektisch" verzichtet

Also, erstens: isses nicht prinzipiell und auch bei mir nicht negativ konnotiert;
zweitens ist "eklektisch" zur Beschreibung einer bestimmten künstlerischen Entwicklung angemessen.
In Abgrenzung zu Komponisten, die guten geregelten Unterricht erhalten und sich sehr geradlinig
entwickelt haben (Musterbeispiel: Mendelssohn Bartholdy), gibt es Leute wie Wagner und Messiaen,
deren entschieden komplexere Entwicklung doch auch benannt werden muß: Ihre Musiksprache
hat sich aus der Assimilation subjektiv ausgewählter (!) Wesenselemente fremder Musik entwickelt.

Im Detail: Mozart ist für seine Zeit eine Ausnahme. Er empfing durch seinen Vater geregelten Unterricht.
Anders als die Mär vom Götterliebling es will, war Mozart (vom Vater zum Komponieren gezwungen)
zwar begabt, aber kein Wunderkind. Er hat sich das jeweils Neue, wie es alle Kinder tun,
durch Nachahmung erobert, und das zumindest hat ihm sein Vater nicht zum Vorwurf gemacht.
Mozart hat durch Stiladaptionen der Komponisten, die er auf seinen Europareisen kennenlernen durfte
und die ihn beeindruckten, das Handwerk gelernt. Der wichigste Komponist für seine frühe Zeit
ist vermutlich Johann Christian Bach. In Salzburg orientierte er sich an der Kirchenmusik Michael Haydns.
Für den erwachenden Musikdramatiker wurde die Begegnung mit Josef Mysliveček ganz wichtig.
Ich nenne nur drei Namen, die Liste ist entschieden länger. Die Mühsal, aus den divergenten Schreibweisen,
über die er souverän verfügte, eine persönliche Sprache zu entwickeln, läßt sich bei Mozart
in ganzen Werkgattungen nachverfolgen (Streichquartett und Divertimento, Serenade und Symphonie,
vorallem auch seine Schwierigkeiten, diese Gattungen auseinanderzuhalten).

Wagner ist für seine Zeit auch noch nicht ganz typisch; aber als Urbild des modernen Künstlers
wird seine Herangehensweise typisch. Irgendein Spaßvogel hier im Forum hatte mal behauptet,
daß Wagner Autodidakt gewesen sei. Das ist sachlich unzutreffend und in höherem Sinne richtig.
Wagner hat akademischen Tonsatzunterricht erhalten, der seinen künstlerischen Appetit nicht stillen konnte.
Was Wagner zur Realisation seines musikalischen Ausdrucksbedürfnisses fehlte, hat er als junger Mann
aus Klavierauszügen und Partituren seiner älteren Zeitgenossen herausgelesen oder in Aufführungen
aus der Musik herausgehört. Das Entscheidende dabei ist zweierlei: die Fixierung auf Details
und die subjektive Auswahl (eklego (griech.) = auswählen), wie zum Beispiel den Balladentonfall
aus Marschners "Vampyr", das Urbild des Tristan-Akkords aus Spohrs "Alchymist",
die Disposition großer Formteile und Details der Instrumentation bei Meyerbeer,
Alterationsharmonik, Instrumentation und die Technik der Motivtransformation bei Liszt etc.,
die Liste würde sehr lang, wenn jemand auf Vollständigkeit bestünde. All das ist nicht nur
kein Vorwurf an die Adresse Wagners; aus Wagners Eklektizismus sprechen vielmehr
ein wacher künstlerischer Geist und ausgesprochene Sensibilität. Wie es so schön heißt:
Man kann gar nicht anspruchsvoll genug sein in der Auswahl seiner Vorbilder.

Im Stilpluralismus der Moderne ist diese Art der künstlerischen Entwicklung kaum noch
zu vermeiden. Es kommt aber selten vor, daß ein Komponist wie Messiaen in seinen musiktheoretischen
Schriften freimütig bekennt, sozusagen mit Taktangabe, aus welchen Werken er harmonisch, rhythmisch
bzw. satztechnisch welche Details übernommen hat (Messiaen rekurriert vorzugsweise auf
"Boris Godunow", "Pelleas" und "Sacre du printemps", bestimmte Klavierkonzerte Mozarts
und den gregorianischen Choral).

na ja: muss bzw. musste irgendwer "absolute Musik" komponieren?

Es ging nicht ums Komponieren, sondern ums Verstehen. Wagner war überfordert,
Liszts späte tonartfreie Klavierstücke zu verstehen, obwohl ihm deren Tonsprache
aus seiner eigenen Musik wenigstens ansatzweise hätte vertraut sein müssen.
Offenbar waren die dort verwendeten Mittel für ihn nur im Kontext sujetgebundener Musik faßbar,
nicht im Kontext absoluter Musik.

...aber was grämt dich die "Verwertungsindustrie"? Ist sie eine Sünde,
welche von großen Komponisten erschaffen wurde??

Die "großen Komponisten" haben für die Verwertungsindustrien ihrer Zeit
nie etwas anderes als Verachtung übriggehabt.


.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Es ging nicht ums Komponieren, sondern ums Verstehen. Wagner war überfordert,
Liszts späte tonartfreie Klavierstücke zu verstehen
, obwohl ihm deren Tonsprache
aus seiner eigenen Musik wenigstens ansatzweise hätte vertraut sein müssen.
Offenbar waren die dort verwendeten Mittel für ihn nur im Kontext sujetgebundener Musik faßbar,
nicht im Kontext absoluter Musik.
besonders viele eindeutige Quellen dazu haben wir nicht - überwiegend ein paar Äusserungen in den Cosima-Tagebüchern, und aus denen geht hervor, dass Wagner die wenigen späten und unpublizierten Klavierstücke Liszts mit ihren Intervallexperimenten nicht gemocht hatte, kurzum sie gefielen ihm vermutlich nicht; andere partienweise recht krass in Sachen Harmonik gearbeitete Sachen von Liszt mochte er sehr (Sonate, Mephistowalzer u.a.)
in einem Brief an von Bülow erklärte er, dass die scharfen harmonischen Gewürze kein Selbstzweck sein sollten - das kann man durchaus nachvollziehen, oder zumindest besteht kein zwingender Grund, das alles gegen Wagner ins Feld zu führen.
 
Wagner ist für seine Zeit auch noch nicht ganz typisch; aber als Urbild des modernen Künstlers
wird seine Herangehensweise typisch. Irgendein Spaßvogel hier im Forum hatte mal behauptet,
daß Wagner Autodidakt gewesen sei. Das ist sachlich unzutreffend und in höherem Sinne richtig.
Wagner hat akademischen Tonsatzunterricht erhalten, der seinen künstlerischen Appetit nicht stillen konnte.
Was Wagner zur Realisation seines musikalischen Ausdrucksbedürfnisses fehlte, hat er als junger Mann
aus Klavierauszügen und Partituren seiner älteren Zeitgenossen herausgelesen oder in Aufführungen
aus der Musik herausgehört. Das Entscheidende dabei ist zweierlei: die Fixierung auf Details
und die subjektive Auswahl (eklego (griech.) = auswählen), wie zum Beispiel den Balladentonfall
aus Marschners "Vampyr", das Urbild des Tristan-Akkords aus Spohrs "Alchymist",
die Disposition großer Formteile und Details der Instrumentation bei Meyerbeer,
Alterationsharmonik, Instrumentation und die Technik der Motivtransformation bei Liszt etc.,
die Liste würde sehr lang, wenn jemand auf Vollständigkeit bestünde. All das ist nicht nur
kein Vorwurf an die Adresse Wagners; aus Wagners Eklektizismus sprechen vielmehr
ein wacher künstlerischer Geist und ausgesprochene Sensibilität. Wie es so schön heißt:
Man kann gar nicht anspruchsvoll genug sein in der Auswahl seiner Vorbilder.
na ja, wenn man Eklektizismus derart positiv verstanden wissen will, dann bleibt der merkwürdige Umstand, dass die vermeintlichen Eklektiker Berlioz, Liszt und Wagner doch in ihrer Zeit und für ihre Zeit auffallend viel Neues hervorgebracht hatten ;) und genau das erstaunte ihre Zeitgenossen auch, ja es führte sogar zu unerquicklichen Zankereien mit langem Nachleben (Stichwort Zukunftsmusik)

zu Wagners Vorbildern und Anregungen gehörte übrigens auch Berlioz´ Instrumentationslehre

...aber mal abgesehen von Berlioz´ Orchester, Liszts Thementransformation und Harmonik (zur Zeit der h-Moll Sonate, also um 1850 - davor hat der Liszt harmonisch nicht viel auffallendes geschrieben) wenn ich mir da Spohr, Meyerbeer, aber auch Weber anschaue: die Unterschiede zu Wagners Musikdramen in jeglicher Hinsicht sind weitaus größer oder auffälliger als ein paar Gemeinsamkeiten - - - anders gesagt: der Tristan ist seinen Nachfahren ähnlicher als seinen Vorfahren.
 
Lieber Gomez,

vielen Dank.

Grüße
orange

P.S. Vielen Dank natürlich auch an Rolf, der sich an dieser spannenden Diskussion beteiligt. Das hatte ich gestern in der Eile vergessen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
...um 1850 - davor hat der Liszt harmonisch nicht viel auffallendes geschrieben...

Vielleicht nicht viel, dennoch gibt es da ein bemerkenswertes, leider verworfenes und heute weitgehend (meiner Meinung nach zu Unrecht) ignoriertes Stück von 1834...

...dem er den Namen „Harmonies poétiques et religieuses“ gab. Dieses Stück ist absolut bemerkenswert, besonders wenn man bedenkt, dass es ein Frühwerk Liszts ist und sein erster Versuch, sich musikalisch religiös auszudrücken. Es vermittelt fast den Eindruck einer Improvisation. Liszt verzichtet ungewöhnlicher Weise auf die Angabe von Takt- oder Tonartvorzeichen. Über die Noten schreibt er die Anweisungen „Senza tempo“, „extrêmement lent“ und „avec un profond sentiment d’ennui“ (mit tiefer Empfindung von Kummer). Der Aufbau selber ist programmmusikartig und gibt einen kleinen Vorblick auf die späteren großen symphonischen Dichtungen. Auffällig sind ebenfalls die chromatischen und übermäßigen Harmonieintervalle sowie die rhythmische Komplexität und irregulären Metren, die ihrer Zeit weit voraus sind und schon an Bartók denken lassen...

Harmonies poétiques et religieuses S.154

Liszt hatte zur damaligen Zeit (wohl auch zu Recht) lediglich Angst vor dem Unverständnis des Publikums und distanzierte sich selbst 1853 noch immer von diesem Frühwerk, aber das nur am Rande...

Viele Grüße!
 
Vielleicht nicht viel, dennoch gibt es da ein bemerkenswertes, leider verworfenes und heute weitgehend (meiner Meinung nach zu Unrecht) ignoriertes Stück von 1834...
es gibt harmonisch mancherlei, was lange vor dem Tristan höchst erstaunlich war - allerdings sind das stets einzelne Stellen, also spezielle Besonderheiten quasi (da wäre eine rätselhafte Diabelli-Variation von 1822, ein absonderliches unisono-Sonatenfinale und zwei merkwürdige Preludes, u.v.a.) - aber das sagt nichts über die Tristanharmonik und eigentlich nimmt es sie auch noch nicht vorweg.
(wir hatten hier mal einen leider eingeschlummerten Faden über "verrückte Akkorde")
 
Deine Fragen erlauben mir, hoffentlich ein paar Mißverständnisse zu beseitigen.

Lieber Gomez,

das ist dir auch völlig gelungen! Herzlichen Dank!!!!!

gilt genauso für Wagner: Aus der schöpferischen Aneignung entsteht etwas Singuläres.
Was Wagner genommen und weiterentwickelt hat, zündet spätestens ab dem "Lohengrin"
in einem wahren Feuerwerk der Ideen - in Instrumentation, Harmonik, Satztechnik,
natürlich auch in der formalen Disposition.

So sehe ich das nämlich auch! :p

das muß Du mir bitte etwas näher erläutern. Soweit ich die Dinge bis jetzt kapiere (zugegebenermaßen noch nicht viel, s. die Diskussion im Opernfaden) ging es Wagner um die Einheit von Musik und Handlung, wobei Handlung (oft) »innere Handlung« ist, Musik also die psychischen Entwicklungen die sich in und zwischen den Aktueren vollziehen, ausdrücken soll. Wie soll so etwas rein "innermusikalisch", ohne Bezug auf die dramtische Grundlage funktionieren? Programmmusik, wenn es nicht grade um Wellingtons Sieg bei Waterloo geht, hat ja selten einen Bezug zu einem spezifischen dramatischen Geschehen, oder?

Lieber Friedrich,

hilft dir dieser Abschnitt aus Gomez' Beitrag schon weiter?

Natürlich - im "Tristan" und im "Parsifal" sind diese Abschnitte in den musikalischen Kontext
eingebunden bzw. aus ihm entwickelt. Die Pointe ist nur: Wagner konnte mit solchen Stilmitteln
offenbar nix anfangen, wenn sie ihm im Bereich absoluter Musik entgegentraten,
wie in den späten Klavierstücken Listzs.

Was ich meinte, ist, dass nach meine Empfinden auch jemand, der von der Handlung und dem Libretto keine Ahnung hat und auch die deutsche Sprache nicht verstünde, trotzdem die Seelenzustände und Entwicklungen verstehen würde! Weil die Musik diese beinhaltet und darstellt mit ihren eigenen Mitteln und so aus sich selbst heraus verständlich ist.

Hoffentlich habe ich mich ein bisschen klarer ausgedrückt!?!


Liebe Lichtgestalt, Finsternis umgibt Dich. Getrübt trügt Dich Dein Blick!

Wackelkontakt! :p

Wenn doch ein Teil dieser Aufmerksamkeit Büchner und Hebbel zuteil würde (letzterer scheint
nur noch ein Fall fürs Germanistik-Oberseminar zu sein)! Das war der Sinn meines Stoßseufzers.

Ach, das verstehe ich total!!!

Wenn Du jetzt noch den "Ring" dazugibst, stimme ich Dir voll und ganz zu.

Tu ich!!!

Ganz liebe Grüße

chiarina
 
...aber das sagt nichts über die Tristanharmonik und eigentlich nimmt es sie auch noch nicht vorweg...

Lieber Rolf,

das wollte ich auch gar nicht behaupten. Mir ging es lediglich um deine absolut richtige Aussage, dass Liszt vor 1850 nicht viel Auffallendes geschrieben hat. Dies wollte ich dahingehend ergänzen, dass es zwar vor 1850 wenig Auffälliges gab, dass aber dieses "Wenige“ dafür sehr bemerkenswert ist, um nicht zu sagen für die damalige Zeit revolutionär. Liszts harmonische "Auffälligkeiten" nach 1850 hatte er meiner Meinung nach schon früher im Kopf, nach 1850 traute er sich nur mehr.

Eklektizismus kann man vielleicht negativ auslegen, ich bin aber nicht der Meinung, dass das zwingend so sein muss. Ich würde zum Beispiel Szymanowski als Eklektiker bezeichnen, denn sein Stil ist eine äußerst deutliche Symbiose aus Einflüssen von Bach, Beethoven, Brahms, Schumann, Skjabin, Wagner, Reger, Mussorgski, Ravel, Debussy, Liszt, Chopin, Bartók, Strawinski und noch einigen anderen. Er nimmt sich von jedem was er braucht und mischt seine eigene Note hinzu. Seine gesamte dritte Schaffensperiode basiert auf der Symbiose von zwei unterschiedlichen, polnischen Stilen. Trotzdem halte ich ihn für einen der genialsten Komponisten aller Zeiten :p (ich weiß, damit lehne ich mich weit aus dem Fenster). Weder Szymanowski noch Wagner kopieren blind, sondern sie schaffen etwas Neues unter anderem mit vielleicht schon dagewesenen Elementen und das auf geniale Weise.

Viele Grüße!
 

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