Reaktionen auf Neue/zeitgenössische Musik

Wir leben doch in der paradoxesten Zeitepoche die es je gab. Nie zuvor hatten die Menschen auf so viel Kultur Zugriff als heute. Die Musikwissenschaft, ja die gesamte Kunstwissenschaft erschließt uns immer wieder „neue“ Kunstwerke längst verschollener Zivilisationen. Und dennoch habe ich oft das Gefühl, dass es keine Epoche vor uns gab, die ihre eigene Kultur so abgelehnt hat wie wir es heute tun. Allerdings muss ich hier nun sofort noch einräumen, dass das auch mit der geographischen Lage des jeweiligen Individuums zu tun hat. Ein Einwohner von Paris, Berlin oder Wien hat sicherlich mehr Aussichten mit der Zeitgenössischen Kunst in Berührung zu kommen als ein Provinzler. Das Brüsseler „Ars Musica Festival“ lernte ich ja dann auch nur während meiner Studentenzeit dort kennen.

Man sollte sich allerdings auch bewusst sein, dass die Kunst im Allgemeinen, und die Musik im Speziellen, doch eine ganz andere Position in den letzten 200 Jahren in unserer Zivilisation eingenommen hat. Man müsste sich zum Beispiel überlegen, ob unsere Denkweise nicht noch auf den Schienen des ausgehenden 19ten Jahrhunderts verharren und ob der Kunst Zug uns nicht schon längst überrollt hat?

Im Früh-Mittelalter gehörte die Musik nicht zur Kunst sondern zur Wissenschaft und hat sich erst später in der Kunst annsiedeln können. Zudem wahren die meisten Künstler angestellte, entweder der Kirche oder eines Herrscherhauses. Als solches ist der Künstler natürlich angehalten, Werke zu schaffen die den Zuspruch des Brotgebers erhalten. Ausnahmen wie ein Don Gesualdo oder vielleicht noch ein Frescobaldi sind eher selten. Als dann die Französische Revolution die alte Ordnung über den Haufen blies, wurden die Karten neu gemischt und verteilt. Das Künstlertum wurde, lange vor dem 20ten Jahrhundert „liberalisiert“. Der Künstler, der auf freiem Fuß steht, hat nun die Möglichkeit für seine „Brüder“ oder für seine „Kinder“ zu arbeiten. Der in der romantischen Zeit hochstilisierte „Elfenbeinturmkünstler“ hat konsequent die zweite Möglichkeit gewählt und damit das immer mehr rasante Abheben des Künstlers bewirkt.

Der Künstler redet nicht mehr in einer vom Publikum wahrgenommener Sprache sondern in seiner eigener. Und wie froh ist doch ein Kritiker heute, wenn er in dieser Sprache Spurenelemente findet, mit denen er was anfangen kann und die ihm erlauben, seinen Zeitgenossen eine halbwegs brauchbare Rezension zu liefern ohne die Gefahr zu laufen, ein „eingebildeter A…kriecher des Künstlers zu sein“ der so schreiben muss um ernst genommen zu werden, oder, andere Variante, mittleidig als Ewiggestriger belächelt zu werden. Ein Künstler herrscht heute quasi despotisch ohne jegliches wenn und Aber.

Und doch, und das ist der springende Punkt, wird die Abrechnung irgendwann einmal folgen. Die Kunstgeschichte wird irgendwann den Weizen von der Spreu trennen.

Ästhetisch befindet sich diese Neueste Musik in der Aporie (Zitat Gomez)

Ich weiß nicht so recht ob diese Aussage stimmt. Ich denke das große Problem ist einfach die in meinem vorigen Beitrag angeprangerte „zu dichte Zeitnähe“. Es ist uns unmöglich über die ganz junge Musik zu urteilen und noch unmöglicher ist es irgendeine Evolution vorher zu sehen. Heute sind wir gerade mal im Stande die Evolution „Ars Antiqua-Ars Nova-Ars Subtilior“ zu verstehen. Global gesehen, steht es uns nicht zu, solche Urteile zu fällen. Als Kritiker kann man schon dem Künstler auf die Finger klopfen, man kann einzelne Werke als genial oder entartet brandmarken, man hat aber wohl kaum die Befugnis dem Künstler Anweisungen zu erteilen, es sei dann, man bestellt ein ganz spezifisches Werk.

Zu klären gilt übrigens noch ob sich nicht grundsätzlich jede Kunst jeder Epoche in einer Aporie befindet? Ich bin kein ganz großer Freund der Evolutionstheorie in der Musik. Ich vertrete eher den Standpunkt, dass jede Epoche den jeweils höchsten Standard erreicht um ihre Anliegen in der Kunst auszudrücken. Jedes Werk, das diesem Anspruch gerecht wird ist ein „Absolutes Meisterwerk“, und als solches erübrigt sich jeglicher Vergleich mit einem anderem einfach aus. Es macht wenig Sinn, die „Messe Notre-Dame“ mit der H-Moll Messe zu vergleichen, oder Bachs Johannes-Passion mit der von Arvo Pärt. Diese Werke kommen aus Grund verschiedenen Epochen und sagen, selbst bei gleich bleibenden Universalthemen, verschieden Sachen aus.

Wenn wir über Neueste Musik diskutieren möchten, täten wir sicherlich gut etwas Ehrfurcht und Bescheidenheit an den Tag zu legen. Der Künstler hat sich immerhin in einem Jahrlangen Lernprozess Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse an gearbeitet die er, in einem Arbeitsprozess anwendet der wiederum manchmal eine ganz beachtliche Zeit in Anspruch nimmt. Die Summe dieser Arbeit, in einem Atemzug in Schutt und Asche zu legen mit einem zertrümmerndem „Ich mag das nicht“ ist, m. E. mehr als Unfair. Nicht jedes Kunstwerk ist schuld an unserer Ratlosigkeit. Ein Gesualdo Madrigal ist nicht der geeignetster Eisnstiegseweg zur Madrigalkunst: ebenso gibt es Neueste Musik die sich ganz von selbst offenbart und die man sich aneignen sollte bevor man komplexere Kunstwerke in Angriff nimmt. Und so geht es uns mit der Neuen Musik wie es dem Kleinen Prinzen mit dem Fuchs erging als letzterer ihn bat: „S'il te plaît... apprivoise-moi !“

Beste Grüße
PiRath
 
Ich kann hierzu nur sagen: Wer über den Zustand zeitgenössischer Musikschöpfung redet (und dabei womöglich gar das Fehlen einer "Terza pratica" beklagt), ohne dabei die hervorragenden Musiker des modernen Jazz (und auch einiger des avancierten Pop) zu erwähnen, läuft entweder mit Scheuklappen durch die Gegend oder ist schlicht uninformiert.

LG,
Hasenbein
 
Hasenbein:

So gesehen muss man dann auch über Schlager, Volksmusik und alle erdenklichen Pop Richtungen reden…

Ich meine schon, dass unterschieden wird zwischen zeitgenössischer klassischer Musik und den zeitgenössischen anderen Stilen, wie von Dir genannt. Und klar… die Übergänge sind fließend, das macht es ja auch spannend.



Hier gab es kürzlich das Spektakel Autosymphonic…. Bestimmt ambitionierte neue Musik, aber das sicher auch nicht generell uninformierte Publikum war eher gestresst….

Ich schließe mich Pierre an.. die Zeit wird’s weisen, was überlebt, und was nicht.
 
Guten Abend!

Eine Forumsnutzerin hat ihren Abscheu vor dem Geräusch
mit folgenden Worten geäußert:

Eine Serenade für Autohupe, Dudelsack und schrille Singstimme
werde ich mir freiwillig aber niemals antun.

Es wurde schon klargestellt, daß freie oder reihentechnisch
gebundene Atonalität nichts mit Geräusch zu tun hat.

Heute morgen hat Debbie als Beispiel die Gamelanmusik benannt,
die auf der Grundlage einer anderen Oktavteilung entstanden ist –
und damit die Behauptung von dem in allen Kulturen angeborenen
gleichen Harmonieempfinden als Zwecklüge entlarvt.

Fehlt bloß noch die Mär von den Kühen, die durch
Zwangsbeschallung mit Mozart bessere Milch geben.

Was nun das Geräusch betrifft: Sein Anteil in Neuer Musik
ist vergleichsweise gering. Ehe man das Geräusch mit den oben zitierten
Stereotypen herabzuwürdigen versucht, sollte man zumindest wissen,
worum es Künstlern gegangen ist, die sich ihm beschäftigt haben.

John Cages Musik hat wohl die größte Geräuschdichte. In seiner Musik
standen Geräusche gleichberechtigt neben fixierten Tonhöhen -
und beiden gleichberechtigt war die Stille (die sich bei genauerem Hören
auch als eine Ansammlung von Geräuschen erweist).

Vorweg ein paar Erläuterungen, ehe jemand angesichts dieses Stückes


Water Walk
(vorallem ab 4'40'')​


vom Untergang des Abendlandes schwadroniert.

Anfang der 50er Jahre hat Cage aufgehört, im traditionellen Sinne zu komponieren.
Er hatte schon vorher mit Zufallsoperationen gearbeitet, in den „Sixteen Dances“,
dem „Concerto for prepared piano and orchestra“ und der „Music of Changes“,
um seine Musik von Intentionen zu befreien. In letzter Konsequenz kassierte er
den Begriff des autonomen Kunstwerks. Seine späteren Werke sind Zeichenhandlungen.
Es gibt keine Hierarchie mehr unter den Instrumentalisten. In Cages Orchesterwerken
wird aleatorische Freiheit durch Zeitvorgaben begrenzt, innerhalb derer konzentriert
bestimmte Töne oder Klänge zu spielen sind – für ihn das Urbild der Zusammenarbeit
in einer enthierarchisierten Gesellschaft.

Beim „Water Walk“ fallen die Konzentration und der große Ernst auf, mit denen Cage
seinen Unernst produziert: Die Aufeinanderfolge der einzelnen Aktionen ist zeitlich
genau festgelegt. Disziplin und Freiheit bedingen einander. Die Komik ist gewollt -
aber hinter ihr versteckt sich Cages Wunsch, die entstehenden Geräusche als Individuelles,
der Musik Gleichwertiges wahrnehmbar werden zu lassen und Musik in Leben zu überführen.
In diese buffoneske Atomsphäre bricht mit dem Herunterstoßen der Radioapparate etwas
Ernstes hinein, wobei Cages Zeichenhandlung zwischen neodadaistischem Ulk
und maschinenstürmerischem Ernst in der Schwebe bleibt.

Viel Freude beim Zuhören.

In einer Neujahrsansprache in einem japanischen Radiosender wünschte
Cage seinen Zuhörern "Happy New Ears".

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
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Liebe Debbie,

vielen Dank für Deine Antwort, der ich - wie Du Dir denken kannst -
leider nicht zustimme. Es gibt, wie schon gesagt, keine Verpflichtung,
Neue Musik zu mögen. Man sollte aber auch die Möglichkeit nicht ausschließen,
daß es Menschen gibt, denen diese Musik auch ohne Vorkenntnisse unmittelbar gefällt.

Lieber Gomez, ebenfalls danke für deine Antwort, die mal wieder äußerst lesenswert und lehrreich war! Allerdings hast du mich offenbar falsch verstanden!

Ich wollte nicht sagen, dass sich Neue Musik zwangsläufig musikalisch nicht aus- und vorgebildeten Hörern erschließen kann. Natürlich ist das möglich, aber bei festgefahrenen Hörgewohnheiten m.E. tendenziell unwahrscheinlich.

Ich selbst habe bei eher unterdurchschnittlichem auf die Musik bezogenen (Aus)bildungsstand bisher eher gute Erfahrungen mit der Neuen Musik gemacht! Ich kenne mich auf diesem Gebiet zwar wirklich kaum aus - aber das was ich bisher auf diesem Gebiet hörte, war zum größten Teil positive Hörerfahrung!

Die von mir in meinem vorherigen post als Beispiel angeführte und vor ca. 20 Jahren gehörte Gamelanmusik war damals für mich unzugänglich. Mittlerweile hat sich mein Hörrepetoire allerdings erweitert und damit auch mein Zugang zu als neu bzw. bisher unbekannt empfundener Musik. Als Beispiel führe ich mal wieder John Adams (minimal music) an. Ich höre gerade zum x-ten Male die Grand Pianola Music und finde sie immer wieder großartig ohne dies musiktheoretisch oder -geschichtlich begründen zu können. ....

LG

Debbie digitalis

Auch aus der von Rolf aufgestellten Liste kann ich viele Werke als für mich selbst hörens- und nachdenkenswert einstufen! - eine genaue Einstufung erfolg später!

LG Debbe digitalis




Gomez

.[/QUOTE]
 
Zur Vorgeschichte: Kupkovic ist Anfang der 70er Jahre in den Westen emigriert
und kam zunächst unter die Fittiche Karlheinz Stockhausens, dessen "Mixturen"
er uraufgeführt hat.

Zum Markenzeichen Kupkovics wurden Stücke, die aus nichts als der
bandschleifenartigen Wiederholung ein- und desselben Musikfetzens bestanden,
oft irgendeinem klassischen Musikstück entnommen.

Diese Resteverwertung fand in Avantgardekreisen verständnisvolles Kopfnicken.
Das den reaktionären Musikliebhabern attestierte Festhalten an vertrauten Mustern
wurde bei Kupkovic gewissermaßen auskomponiert.

"Souvenir" aus dem Jahr 1968 ist eines der geistvolleren Stücke aus dieser Zeit:
eine Kollektion virtuoser Albernheiten, die auf der Violine möglich sind,
wobei man hinzufügen muß, daß diese "Musik über Musik" im Ostblock noch
eine weitere Konnotation hatte. Obwohl es auch dort eine Avantgardeszene gab,
die den Anschluß an musikalische Entwicklungen im Westen suchte, galten offiziell
immer noch 'Massentauglichkeit' und 'Volkstümlichkeit' als ästhetische Maximen.
Kupkovic hat sie auf die Schippe genommen.

Sein weiteres Schaffen zeigt aber auch, wohin das Komponieren "in Anführungszeichen"
führt: zum Verlust der Anführungszeichen. Kupkovic komponiert heute tonale Musik,
aus der sich jeder Rest von Ironie verflüchtigt hat, so schlicht und volkstümlich,
wie kein Parteifunktionär es von ihm vor 1989 verlangt hätte. Er ist ein Renegat
und hält die musikalische Entwicklung der letzten hundert Jahre für einen Irrtum.
Daraus erwachsen für ihn Probleme. Der spielerische Umgang mit dem Material
ist ihm abhandengekommen. Der verfremdende Umgang mit älterem Material,
wie ihn Strawinsky in seinen formalistischen oder polystilistischen Werken
der 20er bis 40er Jahre gepflegt hatte, ist in Kupkovics Arbeiten nicht zu entdecken.
Kupkovic vermeidet sogar die spätromantische Alterationsharmonik und strukturiert
seine Musik mit braven I-IV-V-Kadenzen; er vermeidet die entwickelnde Variation
und bevorzugt wörtliche Reprisen. Offenbar fürchtet er, mit komplexerer Harmonik
und Satztechnik in gefährliche Nähe zu den Anfängen der Moderne zu gelangen,
die er scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Hier drei Klavierstücke (deren Entstehungsjahr ich nicht ermitteln konnte):

Ladislav Kupkovic: Lístok 1-3 für Klavier

.
 
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Guten Abend!
Heute morgen hat Debbie als Beispiel die Gamelanmusik benannt,
die auf der Grundlage einer anderen Oktavteilung entstanden ist –
und damit die Behauptung von dem in allen Kulturen angeborenen
gleichen Harmonieempfinden als Zwecklüge entlarvt.

Lieber Gomez,

ich wollte nichts "entlarven", sondern habe nur einen musikalischen Eindruck, den ich vor gut zwanzig Jahren empfunden habe wiedergegeben! Seitdem habe ich eine ganze Menge äußerst unterschiedlicher Musik gehört, die ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte. DAher glaube ich auch, dass ich heute Gamelan-Musik ganz anders empfinden würde als damals.

Die Erwähnung dieses frühen Hörerlebnisses mit der Gamelanmusik sollte lediglich verdeutlichen, dass enge Hörgewohnheiten umfassendere Hörerlebnisse wahrscheinlich einigermaßen einschränken!

LG

Debbie digitalis
 
Oh je, liebe Debbie,

mein Satzbau!

Nicht Du bist das entlarvende Subjekt, sondern die Gamelanmusik:

die auf der Grundlage einer anderen Oktavteilung entstanden ist –
und [die] damit die Behauptung von dem in allen Kulturen angeborenen
gleichen Harmonieempfinden als Zwecklüge entlarvt.

Ich wollte Dir nichts unterstellen - obwohl es in meinen Augen nicht unehrenhaft ist,
die Mär vom angeborenen Harmonieempfinden als Zwecklüge zu entlarven.

Herzliche Grüße,

Gomez
 
Nicht Du bist das entlarvende Subjekt, sondern die Gamelanmusik:



Ich wollte Dir nichts unterstellen - obwohl es in meinen Augen nicht unehrenhaft ist,
die Mär vom angeborenen Harmonieempfinden als Zwecklüge zu entlarven.
Gomez

Lieber Gommi,

die Mär vom angeborenen Harmonieempfinden in Frage zu stellen ist keinesfalls unehrenhaft!!!

Die Gamelanmusik vor zwanzig Jahren war für mich eine wirklich großartige Erfahrung! Ebenso wenige Jahre später die Begegnung mit chinesischer Musik, die ich damals (und auch heute noch nicht wirklich) in mein musiktheoretisches Wissen und Empfinden einordnen kann! Allerdings glaube ich, dass ich mittlerweile hinsichtlich musikalischer Begegnungen weltoffener und weniger durch die eigene Kultur eingeschränkt bin....Natürlich ist es äußerst schwierig, ganz neuen musikalischen Gestaltungen vorraussetzungslos positiv zu begegnen!!!

LG

Debbie digitalis
 

Ich schiess mal zwischenrein. Theorie hin und her - es ist doch ganz simpel: Seid gestresst und im Alltag verfangen - dann geht nur das Gewohnte, sei es in Kunst, Musik, Literatur. Entspannt Euch, öffnet Euch und ihr entdeckt einen Schatz. Lest Bücher, die Euch vorher kryptisch erschienen, hört Musik, die vorher "nur Kling-Klang-Klong" war und erfreut Euch an Bildern, die Ihr bislang als Kleckserei abgetan habt. Lösen - öffnen - genießen - Heutzutage geht das meist nur im Urlaub ...;-) ***

*** Vielleicht mit ein Grund für die zur Sommerszeit jährlich neuen Musikhits aus fernen Ländern???? Mit fremden Harmonien, die aber schnell von Lieschen Müller geträllert werden? Sofern die Sonne scheint und die Sorgen weit weg sind?
 
Ihr Lieben,

ich danke euch für all die Antworten und plane schon seit ein paar Tagen zurückzuschreiben. Da ich momentan leider sehr wenig Zeit habe, muss ich aber schauen, wann sich das einrichten lässt... Gestern war ich nun unvernünftigerweise noch in der Philharmonie (A. Schiff hat Brahms, Widmann, Kurtag, Schumann und Beethoven gespielt - also auch 2 hörenswerte moderne Stücke, die ich mir nicht entgehen lassen wollte!), so dass ich nun heute schauen muss, wie ich mit meiner Zeit zurande komme. Ich lese aber mit und fange jetzt wenigstens einmal an, ein paar Gedanken aufzuschreiben (bei weitem nicht alle, die ich zu euren Antworten hätte... soviel Zeit habe ich gar nicht... :))

Noch einmal eine Bitte an diejenigen, die keinen großen Zugang zur Neuen Musik haben:
Scheut euch bitte nicht zu beschreiben, warum - auch wenn ihr vielleicht nicht die richtigen Worte trefft (z.B. atonal - Geräusch usw.), das kann man hier ja anschließend klären. Es interessiert mich wirklich, mit welchen Parametern man welche Probleme hat bzw. an was sich die Zuhörer dann doch entlanghangeln und durchhören.

Der Gedanke des "angeborenen Harmoniegefühls" ist ein interessanter Punkt - weiter oben habe ich schon etwas dazu geschrieben. Kurzversion: Es gibt sicherlich physikalische Phänomene, die naturgegeben sind - aber die Einteilung der Oktave in 12 Halbtöne sicher nicht, ebenso wenig wie die darauf beruhende Stufen- und Funktionstheorie, wie die Entwicklung der Musik in anderen Kulturen zeigt. Es gibt aber sicherlich eine Melodik und Harmonik (eine? viele!) jenseits der dur/moll-tonalen oder modalen Denkweise. Aber auch daneben gibt es viel Spannendes...

Was meiner bisherigen Ansicht und Erfahrung nach in irgendeiner Weise immer eine Rolle in Musik welcher Art auch immer spielt, sind Spannungsverhältnisse. Das klingt so trivial, ist es auf der einen Seite auch, aber auf der anderen Seite auch ebenso weittragend: Das ist das, was meiner Meinung nach angeboren ist - das Gefälle von Spannung zu Entspannung und die Steigerung von Entspannung zu Spannung. Weittragend sind die Möglichkeiten, mit welchen man dieses Grundprinzip umsetzen kann. Im Allgemeinen würde man wohl sagen, ein (einzelner) höherer Ton ist gespannter als ein tieferer, so dass der tiefere der Entspannungszustand ist. Man würde im allgemeinen sagen, dass eine Dominante gespannter ist als eine Tonika. Man würde wohl sagen, dass eine Anhäufung vieler schneller Notenwerte gespannter ist als langsame. Es gibt Intervalle, die wir als gespannter wahrnehmen als andere - Auseinanderlaufen zweier Stimmen kann sehr gespannt wirken, der Raum wird größer, es öffnet sich etwas, das Spannung erzeugt - Sprünge innerhalb einer Melodie erzeugen Spannung, Zurücklaufen und "Sprungausgleich" trägt zur Entspannung bei - und beliebig vieles mehr.
ABER: Mit all jenem Spannungs-Entspannungsgefühl kann man spielen - so kann man z.B. extra mit tiefen Tönen Spannung erzeugen, die hohen entspannend wirken lassen - man kann mit langen Notenwerten eine solche Spannung erzeugen, dass man froh ist, wenn wieder etwas mehr Bewegung ins Stück kommt - man kann zwei Stimmen so gegeneinander/ineinander laufen lassen, dass man das Auseinanderlaufen als entspannend wahrnehmen wird usw.

Man sieht aber vor allem, dass sich dieser Gedanke nicht nur auf tonale Musik beschränkt und insofern ein sehr ergiebiger und natürlicher (!) Motor für jede weitere Art von Musik ist, welcher ein in der Tat uns innewohnendes Grundprinzip anspricht.

liebe Grüße,
Partita
 
Nachdem nun offensichtlich mehrere von Euch meinen Beitrag so verstanden haben, als würde ich unter atonaler Musik eine Musik mit Geräuschen verstehen, muss ich mich doch noch einmal zu Wort melden. Natürlich kenne ich den Unterschied, wollte aber lediglich bekunden, dass mir beides nicht gefällt.

Unter atonaler Musik verstehe ich Kompositionen, die sich nicht mehr an den gewohnten Dur-/Moll-Tonleitern orientiert und überwiegend dissonante Intervalle enthalten. Dazu zählt z.B. die Dodekaphonie (z.B. 12-Tontechnik), als Vertreter fallen mir u.a. Schoenberg, Berg und Webern ein.
In der Schule haben wir diese Musik ausgiebig analysieren dürfen und uns auch selbst daran versucht. Zumindest damals haben wir die Struktur durchaus verstanden -gefallen hat es trotzdem niemandem aus meinem Kurs.

Vor einigen Jahren habe ich mit dem Chor Hindemiths Reqiem "When lilacs last in the door-yard bloom,d" gesungen. Aktiv gesungen hat die Arbeit damit Spaß gemacht, die Zuhörer haben mir trotzdem leid getan, denn entspannend war unser Gesang gewiss nicht. Ähnlich anstrengend erscheinen mir Boulez und Messiaen.

Geräusche gibt es hingegen bei experimenteller neuer Musik, als Stilrichtungen kenne ich Aleatorik und Futurismus - Google wird mit Sicherheit jede Menge weitere Stilrichtungen auswerfen. Hier ist nicht nur die Tonalität aufgehoben, auch die Harmonik ist komplett verschwunden, der Rhythmus eher zufällig, Instrumente werden in nicht herkömmlicher Weise behandelt oder durch Krachmacher ergänzt/ersetzt, statt gesungen wird geschrieen, geschnalzt oder sonst ein Geräusch produziert. Stockhausen, Cage oder Pratella gehören also ebenfalls nicht zu meinen Lieblingskomponisten. Werke von ihnen angehört habe ich aber trotzdem; gerade Cages unterschiedliche Versuche mit dem Umgang mit der Zeit sind durchaus interessant, wenn auch nicht angenehm in meinen Ohren (mit einer Ausnahme :D)

Natürlich kann diese Art von Musik interessant sein, der Entspannung dient sie zumindest mir nicht. Da ich Musik aber als Hobby, als Ausgleich zum Alltagsstress betrachte, möchte ich durch sie Entspannung erfahren. Dieses gelingt in meinem Fall aber lediglich mit der so genannten tonalen Musik und ganz besonders dann, wenn eine gesangliche Melodieführung erkennbar ist.
Jazzmusik, Techno, House etc. haben bei mir ebenfalls keine Chance, denn deren Rhythmus macht mich nervös. Nicht einmal der soziale Druck meiner Altersgenossen konnte mich dazu bewegen, mich dieser Musik auszusetzen.

Bleibt immer noch die Frage nach dem warum...
 
So, hier nun noch ein richtungsweisendes Werk der frühen Moderne, welches ein Komponist
geschrieben hat, der eigentlich als Spät(est)romantiker gilt. Es ist auch sein tollkühnstes Werk, wohl
auch das tollkühnste seines Librettisten. So brutal und blutrünstig ist nur eine Oper:
Elektra, op. 58 von Richard Strauss in
der genialen Interpretation von Gwyneth Jones (sie war zum Zeitpunkt der Aufführung 55 Jahre alt!).
Auch großartig ist die Leistung der Mutti von Elektra (wohl eher ein Vatertöchterchen als ein
Muttersöhnchen... :floet: ), namens Klytämnestra, eine Dame die Leonie Rysanek heißt.
Unglaubliche Gestalten!
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo partita und fisherman....wahrscheinlich ist es so, dass man sich reinhören kann, oder muss. Und ja, das ist mir oft zu anstrengend. Es gibt aber Musik, die mir verschlossen bleiben wird, dazu gehört auch der von allen Zwängen befreite Freejazz und einiges der Musik, die konstruiert wurde ( wie Mathe: . Spiegel, Krebs Umkehrung....) das kann ich nicht raushören, drum macht es nichts mit mir, gefühlstechnisch.
Die Klytemnästra dagegen funktioniert sofort, dank an den Wirbelwind.

Jetzt übe ich eine Weihnachtsfantasie die vor Harmonie nur so trieft. :-))
 
Natürlich kenne ich den Unterschied [...]

Dann kommen jetzt die nächsten Lernschritte:

Unter atonaler Musik verstehe ich Kompositionen, die sich nicht mehr an den gewohnten
Dur-/Moll-Tonleitern orientiert und überwiegend dissonante Intervalle enthalten.

Es gibt hochdissonante Musik, die sich an Dur-/Moll-Tonleitern orientiert (z.B.Bartók)
und atonale, aber dissonanz- und spannungsarme Musik (z.B. Josef Matthias Hauer).

Vor einigen Jahren habe ich mit dem Chor Hindemiths Reqiem
"When lilacs last in the door-yard bloom,d" gesungen.

Hindemiths Musik ist nicht atonal, sondern polymodal und zentraltönig.
Oft genug rekurriert Hindemith sogar (gegen seine Absicht) auf die
Funktionstonalität. Mit Messiaens oder Boulez' Musik kann man das
nun überhaupt nicht unter einen Hut bekommen.

Geräusche gibt es hingegen bei experimenteller neuer Musik,
als Stilrichtungen kenne ich Aleatorik und Futurismus

Mit Aleatorik wird die Hereinnahme von Zufallsoperationen
in den Kompositionsprozeß bezeichnet - oder die begrenzte Möglichkeit
zur Improvisation innerhalb einer Komposition (oder auch beides zugleich).
Über den Geräuschanteil solcher Musik ist damit noch nichts ausgesagt.
Je nach Vorgabe des Komponisten kann aleatorische Musik also
tonal und vor lauter Spannungsarmut sterbenslangweilig sein.

Natürlich kann diese Art von Musik interessant sein, der Entspannung
dient sie zumindest mir nicht. Da ich Musik aber als Hobby, als Ausgleich
zum Alltagsstress betrachte, möchte ich durch sie Entspannung erfahren.
Dieses gelingt in meinem Fall aber lediglich mit der so genannten tonalen Musik
und ganz besonders dann, wenn eine gesangliche Melodieführung erkennbar ist.

Vielleicht müßtest Du mal von Dir absehen, um etwas würdigen zu können,
das sich nicht sofort erschließt, und in Musik etwas anderes sehen als
ein Entspannungsmittel.
 
@Klimperline:
erstmal danke für die Klärung, dass du dich missverstanden fühltest. Ich hatte deinen Beitrag wirklich so verstanden, dass du da keine Grenze zwischen Atonalität und Geräusch gezogen hattest. Es ist aber auch nicht verkehrt, dass es so verstanden wurde, denn dadurch wurde es hier genauer beschrieben und ausgeführt, was sicherlich denjenigen Leuten zum Verständnis hilft, die sich mit diesen ganzen Begriffen nicht so auskennen.

Wie du schon richtig schreibst, besteht immer noch die Frage nach dem "Warum" :)
Ich zitiere nochmal die Fragen, die ich schonmal an dich gerichtet hatte (von denen du die erste bereits beantwortet hast, ich weiß):

Magst du nun nur keine Geräusche oder auch sowas wie Zwölftonmusik nicht? Warum? Hast du z.B. den Eindruck, dass sich dir die Struktur nicht so vermittelt wie bei einem dur/moll-tonalen Stück? Bezieht sich diese Schwierigkeit im Hören nur auf die Harmonik und Melodik oder auch auf die gesamte Form? Hättest du z.B. in tonaler Musik ein Problem damit, wenn du ein Stück vorgesetzt bekommst mit unklarer Form? Umgekehrt: Hilft es dir in zeitgenössischer Musik, wenn du glaubst, eine bestimmte Form erkennen zu können?

Die Fragen interessieren mich sehr und sind auch nicht nur an Klimperline, sondern an alle gerichtet! Antworten herzlichst willkommen!!

@Gomez: Herzlichen Dank für deine sehr informativen und bedenkenswerten Beiträge! Es ist denke für alle hilfreich, die Begrifflichkeiten einmal genauer definiert zu sehen und zum Einen die verschiedenen Möglichkeiten moderner Komposition zu sehen als auch die Grenzen zwischen Stilen, Techniken und "Zutaten" (z.B. Geräuschen :)) zu sehen. Es ist interessant für diejenigen, die diese Begrifflichkeiten nicht genau kennen, für diejenigen, die sich damit nie auseinander gesetzt haben und denen vielleicht auch gerade deshalb kein Zugang zur Neuen Musik möglich ist.

@Fisherman, netti + Klimperline: Ich verstehe euren Punkt, dass Musik vielfach nur noch zur Entspannung oder gar nebenbei gehört wird und dass wenige Leute dazu Neue Musik nehmen. (kleine Anmerkung, was mich persönlich betrifft: Ich kann mittlerweile auch Neue Musik zur Entspannung hören, einfach, weil ich den Zugang dazu bekommen habe und sie mittlerweile so normal finde wie eine Beethoven-Sinfonie).

Es stellt sich also mit diesem Thema verknüpft auch die große Frage nach der Funktion von Musik in unserer Gesellschaft (und nicht nur in unserer), das stimmt sicherlich. Vielleicht braucht man etwas Neugier und Wachheit, Lust und ein inneres Umtriebigsein, um die Erfahrung mit Neuer Musik wirklich zuzulassen. Ich kann nur jedem empfehlen, der etwas Energie und Neugier übrig hat, sich mit selbiger ans vorurteilslose, gespannte Hören von Neuer Musik zu begeben.

Zitat von Gomez:
Vielleicht müßtest Du mal von Dir absehen, um etwas würdigen zu können, das sich nicht sofort erschließt, und in Musik etwas anderes sehen als ein Entspannungsmittel.

Als Berufsmusiker können wir sowas leicht sagen, lieber Gomez, ich stimme dir natürlich völlig zu und weiß auch, dass dies nicht nur auf Berufsmusiker beschränkt ist. Und genau deshalb schreibt Gomez das hier auch!! Natürlich ist uns allen das bewusst, was fisherman, netti und Klimperline teilweise beschrieben haben, dass man in der heutigen stressigen Zeit Musik als oft Ausgleich und als Entspannung hernimmt (hört oder ausübt). Trotzdem: Herzlichste Einladung an alle, sich der unglaublich spannenden und definitiv nicht enttäuschenden Aufgabe zu stellen, vielleicht etwas Energie und Neugier zu investieren, Musik nicht nur als Entspannungsmittel zu sehen. Das ist kein Muss, das ist eine Einladung zu einem wunderbaren Fest, das man wahrnehmen (und gegebenenfalls mitgestalten!) kann oder aber eben aus zeitlichen Gründen eventuell leider auslassen muss. Aber es lohnt sich zu kommen! Ich bin jedenfalls gerne dort ;-)

Neugierige Grüße,
eure Partita
 
Noch einmal eine Bitte an diejenigen, die keinen großen Zugang zur Neuen Musik haben:
Scheut euch bitte nicht zu beschreiben, warum - auch wenn ihr vielleicht nicht die richtigen Worte trefft (z.B. atonal - Geräusch usw.), das kann man hier ja anschließend klären. Es interessiert mich wirklich, mit welchen Parametern man welche Probleme hat bzw. an was sich die Zuhörer dann doch entlanghangeln und durchhören.
(...)
Was meiner bisherigen Ansicht und Erfahrung nach in irgendeiner Weise immer eine Rolle in Musik welcher Art auch immer spielt, sind Spannungsverhältnisse. Das klingt so trivial, ist es auf der einen Seite auch, aber auf der anderen Seite auch ebenso weittragend: Das ist das, was meiner Meinung nach angeboren ist - das Gefälle von Spannung zu Entspannung und die Steigerung von Entspannung zu Spannung.
Hallo partita,

ich höre mich in diesem Semester durch allerlei Musik des 20.Jahrhunderts und ich habe ganz gemischte Gefühle für diese Musik, konkret denke ich jetzt an Musik von John Cage. Beim Hören erlebe ich oft Orientierungslosigkeit (d.h. es baut sich kaum eine Erwartungshaltung auf oder sie wird ständig enttäuscht), Komik und Anstrengung (wenn lange Zeit ein belastend lautes und dissonantes Klangbild vorherrscht).
Diese Musik löst viele Fragen in mir aus, die man vlt untergliedern kann in Fragen a) an das Stück selbst und Fragen b) über die Musik allgemein.
Zu a) zählen Fragen wie: Warum gibt Cage die Kontrolle über seine eigene Komposition teilweise ab, indem er mit Zufallsoperationen arbeitet? Warum intendiert er Intentionslosigkeit? Oder: Ist das Kunst?
Zu b) zählen Fragen wie: Warum klingt höchste Ordnung (z.B. bei Boulez) ganz ähnlich wie totales Chaos? Sind die "traditionellen" Werke eines Beethoven, Chopin etc weniger stark organisiert oder ist ihre Form der Organisation nur anders? Was kann ich überhaupt mit einem Stück anfangen? Hat es eine relativ klar umrissene Botschaft oder liegt das Ziel der Beschäftigung mit ihr "nur" darin ihre Strukturen und ihre Ausdrucksmittel zu begreifen? Welche Berechtigung haben mathematische Verfahren in einer Komposition? Will mich diese Musik bilden, mein Hören erweitern und meine Sinne für neue Eindrücke schärfen (tat sie das schon immer?). Was erwarte ich von Kunst? usw usf.

Ich glaube ein guter Teil der Ablehnung Neuer Musik resultiert aus einer alten Hörerwartung bzw. schlicht zu geringer Vertrautheit mit den Ausdrucksmitteln Neuer Musik.

und noch ein Tipp: Ich habe derzeit großen Spaß damit mich in Alfred Schnittkes "Historia von D. Johann Fausten" einzuarbeiten. Schnittkes Musik verarbeitet viele verschiedene Stile, indem sie sie in Zitate und Allusionen einbaut. Durch die oft vertrauten Tonfälle kann man sich leicht einhören.

lg marcus
 
Hallo, Marcus!

Warum gibt Cage die Kontrolle über seine eigene Komposition teilweise ab,
indem er mit Zufallsoperationen arbeitet? Warum intendiert er Intentionslosigkeit?

In seinen jungen Jahren hatte Cage ausdrucksstarke Musik komponiert
und verzweifelte regelmäßig an den Interpreten, die die Gefühlslage
seiner Musik nicht erfaßten/nicht richtig wiederzugeben vermochten.
Das ließ ihn generell an der Idee, Gefühle durch Musik wiederzugeben, verzweifeln.
Er hörte auf, seine Empfindungen durch Musik auszudrücken, was nicht bedeutet,
daß seine Musik aus dieser Zeit ausdruckslos sei.

Nach intensiver Beschäftigung mit den Transzendentalisten und dem Zen-Buddhismus
änderte sich Cages Verhältnis zur Musik und zu sich selbst als Künstler. Er akzeptierte
keine Hierarchien mehr, keine Hierarchisierung der Klänge (wie in der Harmonielehre)
und auch keine Qualifizierung von Klängen oder Geräuschen als schön oder weniger schön.
Das Operieren mit Zufallsoperationen erschien ihm als probatestes Mittel, sich beim Komponieren
von Überresten des eigenen Geschmacks freizumachen. Zuletzt entfernte sich Cage
so sehr von der Idee des autonomen Kunstwerks, daß er eigene Intentionen nur
als hinderlich empfinden konnte. In seiner Musik erprobte er anarchische Modelle
des Zusammenlebens, einer nicht von Hierarchien geprägten Zusammenarbeit.


Mit seinem berühmten Lächeln pflegte Cage auf diese Frage zu antworten:

"Sie müssen es nicht Kunst nennen, wenn Sie das stört."

HG, Gomez

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