Martienssen-Zitat ungenau?

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magier0815

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Martienssen aeussert sich an einer Stelle in "Schoepferischer Klavierunterricht" (glaube ich) etwa wie folgt:

„Die technische Unterweisung von aussen nach innen muss ersetzt werden durch eine Unterweisung von innen nach aussen. Das Konzept einer Technik als mechanische Funktion muss ersetzt werden durch ein Konzept von Technik als eine eminent kreative Funktion.“

Dies Zitat ist die Uebersetzung einer Uebersetzung. Kennt jemand das im Original und kann mir das genau sagen? Ich brauche es woertlich.

Vielen herzlichen Dank!
 
Aber sicher doch:

"An die Stelle der technischen Schulung von außen nach innen hat die Schulung von innen nach außen zu treten. Die Auffassung der Technik als einer mechanischen Funktion muß abgelöst werden von der Auffassung der Technik als einer in eminentem Sinne schöpferischen Funktion"


C.A. Martienssen, Schöpferischer Klavierunterricht, Wiesbaden 1987, S. V (Vorwort)
 
Das ist grossartig. Vielen herzlichen Dank!!!
 
Sehr gerne :)
 
Bei Martienssen ist insbesondere das Konzept des "schöpferischen Klangwillens" (was gleichbedeutend ist mit audiomotorischem, statt visuell-motorischem, Musizieren) wichtig und relevant.

Sehr vieles andere in seinem Buch ist jedoch zum Teil kaum verständliches Gelaber über angebliche 3 Grundtypen (statisch, ekstatisch, expansiv) mit angeblichen 3 dazugehörigen Technik-Ansätzen. Man muss es ihm nachsehen - er entstammt einer Zeit, wo "Typenlehren" "in" waren und irgendwie so eine "wissenschaftliche" Aura verbreiteten.

Vereinfacht und sehr allgemein gesagt muss die Entwicklung von "Technik" darin bestehen, dass der Körper und insbesondere natürlich die am unmittelbarsten aktiven Körperglieder der Arme immer freier, angemessener und spontaner auf die Erfordernisse dessen, was das Ohr bzw. der Klangwille vorgeben, reagieren können. Dass die resultierenden Bewegungen bei unterschiedlich gearteten Musiken unterschiedlich aussehen, ist klar - es ist aber irrig, daraus verschiedene "Technik-Typen" zu separieren.
 
Wie waren denn diese Techniktypen dargestellt?
 
Sehr vieles andere in seinem Buch ist jedoch zum Teil kaum verständliches Gelaber über angebliche 3 Grundtypen (statisch, ekstatisch, expansiv) mit angeblichen 3 dazugehörigen Technik-Ansätzen. Man muss es ihm nachsehen -

Ich möchte da vorsichtig widersprechen!
Ich habe zu viele extrem unterschiedliche Pianisten gehört (und auch unterrichtet) um noch an eine allgemeinverbindliche "Technik" zu glauben.
In der Tat ist der Schreibstil von Herrn Martienssen sehr gewöhnungsbedürftig und die Begrifflichkeit etwas angejährt. Aber der Schritt, den Martienssen hier vollzogen hat, nämlich anzuerkennen, dass es verschiedene Wege nach Rom gibt und nicht nur seine allein seeligmachende Methode (sic!) ist im Umfeld der damaligen Szene sehr tolerant und an sich positiv.
Daneben habe ich es immer ganz nett und auch nützlich gefunden für Schüler und bei der Betrachtung und Beschreibung von Pianisten diese Typen als Tendenz zu verwenden.
Dabei sind die Begriffe 'statisch, extatisch und expansiv' m. E. wirklich unbrauchbar.
Aber dass es Pianisten gibt, die eher von der Fingeraktivität ausgehend spielen (Horowitz, französische Schule [Cortot, Casadesus, ...], Perahia, viele Pianisten aus Asien) und solche, die eher vom der Aktivität des 'Hinterlandes' ausgehen (Gilels, russische Schule, ...) ist wohl kaum abzustreiten.
(Die merkwürdige und etwas hilflose Idee des expansiven Stils war der Tatsache geschuldet, dass Martienssen die singuläre Gestalt Busonis nicht zuordnen konnte).
Fast alle guten Pianisten verkörpern natürlich Mischformen!
Irgendein Methodiker (ich habe den Namen erfolgreich vergessen!) ging dann noch viel weiter und verlangte, dass man die Pianisten wie die Sänger bereits in der Ausbildung nach Fächern einteilen sollte und deren Repertoire dann entsprechend einseitig gestaltet sein sollte, sozusagen der/die Dramatische spielt nur die großen Bekenntnis-Werke von op. 111 aufwärts und die/der Soubrette nur nette leichte Werke wie Mendelssohn LoW. Das ist spielverderberischer Quatsch.

Zur Groborientierung:
Statischer (besser klassischer) Stil: eher Fingeraktivität, leichtere Tongebung, Perfektion, Präzision, ...
Extatischer (besser romantischer) Stil: eher Gewichtstechnik, massiverer Klang, nicht so perfektionistisch, Ausdruck, cantabile, ...
Zwischen diesen Polen lassen sich Pianisten ganz gut einordnen und vielleicht sogar eigene Präferenzen (beim Hören und Spielen) besser verstehen.
Dass man dennoch beim Unterrichten isolierte Fingeraktivität meiden sollte (schon aus gesundheitlichen Gründen wie Überlastungsfolgen bei [fast!] ausschließlicher Fingeraktivität) versteht sich hoffentlich von selbst!
 
Man sollte auch die Anatomie des Klavierspielers nicht außer Acht lassen (da sind wir ja fast wieder beim Sänger).
Wenn ich mit neiderfüllten Augen auf Horowitzens große schlanke Hände schaue, dann ist es logisch, dass er seine Kraft anders einsetzt als jemand, der gerade eine Oktave greifen kann und auch nicht viel Gewicht in der Hand mitbringt. Horowitz mußte aus den Fingern spielen, sonst hätte alles wie Breigrütze geklungen. Seine Feinheit hat er oft daraus gezogen, dass er nur mit dem letzten Fingerglied gespielt hat.
Ein großrahmiger Akkord klingt ganz anders, wenn man ihn mühelos greifen kann.
Ich vermeide in meinem Repertoire tatsächlich Werke, die mir anatomisch zu große Probleme bereiten.
Da könnte ich üben wie verrückt, der Klang würde nie so werden, wie ich ihn wollte...
Auch Horowitz hat das Gewicht wirken lassen, anders geht Klavierspiel gar nicht. Allerdings war sein Angelpunkt woanders als bei Kleinhändigen.
Was alle Pianisten einigen sollte, ist ein losgelöster elastischer Spielapparat.
 
Aber der Schritt, den Martienssen hier vollzogen hat, nämlich anzuerkennen, dass es verschiedene Wege nach Rom gibt und nicht nur seine allein seeligmachende Methode (sic!) ist im Umfeld der damaligen Szene sehr tolerant und an sich positiv.

Man sollte auch die Anatomie des Klavierspielers nicht außer Acht lassen ...
Auch Horowitz hat das Gewicht wirken lassen, anders geht Klavierspiel gar nicht. (...)
Was alle Pianisten einigen sollte, ist ein losgelöster elastischer Spielapparat.

Lieber Alter Tastendrücker, liebe Tastatula,

völlige Zustimmung!

Aber dass es Pianisten gibt, die eher von der Fingeraktivität ausgehend spielen (Horowitz, französische Schule [Cortot, Casadesus, ...], Perahia, viele Pianisten aus Asien) und solche, die eher vom der Aktivität des 'Hinterlandes' ausgehen (Gilels, russische Schule, ...) ist wohl kaum abzustreiten.

Hier aber möchte ich gern vorsichtig widersprechen. :003: Bzw. ergänzen.

Ich bin überzeugt, dass das "Hinterland" auch bei Horowitz und Co. eine sehr große Rolle spielt. Wie sagt Andras Schiff in der von @marcus verlinkten Masterclass (Mozart) so schön (sinngemäß): "Hier (klopft sich auf den Rücken und die Schulter) sitzt der General und das (zeigt auf die Finger) sind die Soldaten."

Das ist absolut immer so. Anders kann man nicht differenziert, lebendig und farbig Klavierspielen. Was allerdings unterschiedlich ist, ist die Art und Weise der Umsetzung, auch der sichtbaren Umsetzung. Der eine bewegt seine Arme in hohem Maße und man SIEHT die Impulse, die er mit dem Arm gibt. Bei dem anderen, z.B. auch bei Horowitz, sind diese Impulse so klein, dass man sie kaum sieht. Sie sind aber trotzdem da! Horowitz beherrscht die Reduktion der zum Klavierspiel nötigen Bewegungen in unglaublich hohem Maße - man staunt, mit wie wenig Bewegung so viel Farbenprächtiges erklingt. Das heißt aber nicht, dass die Impulse, die diese Bewegungen zur Folge haben, aus den Fingern kommen!

Natürlich ist auch das Repertoire eines Pianisten maßgeblich für technische Anforderungen. Bach erfordert anderes als Liszt. Horowitz kann Scarlatti UND "Vers la flamme" auf höchstem Niveau spielen. Gilels allerdings ist aus meiner Sicht ebenso sehr präzise wie auch Volodos und viele andere.

Liebe Grüße

chiarina
 
@chiarina, ja, das sehe ich genauso. Abhängig von der Schwere der aktiven Körperteile bestimmt sich das Maß, das einzusetzen ist. Die Art der Bewegung ist gleich, nur die Amplitude verschieden, bis hin zur Fastnichtwahrnehmbarkeit.
 

zunächst: @chiarina ein klasse Beitrag!

Ich erlaube mir ein paar präzisierende Ergänzungen:
Horowitz beherrscht die Reduktion der zum Klavierspiel nötigen Bewegungen in unglaublich hohem Maße - man staunt, mit wie wenig Bewegung so viel Farbenprächtiges erklingt. Das heißt aber nicht, dass die Impulse, die diese Bewegungen zur zur Folge haben, aus den Fingern kommen!
Weil Horowitz fantastisch spielen konnte, könnte man nun meinen, Reduktion der Bewegung sei das A und O - und das ist in dieser oberflächlichen Betrachtungsweise falsch! (die ich dir nicht unterstelle, nicht missverstehen)
Alle großen Könner (Horowitz, Rubinstein, Perlemuter, Richter, Argerich, de la Rocha, Pollini usw) beherrschen dort, wo es vertrackt wird, die Elimination unnötiger Bewegungen!
wo man pianistisch/technisch "nichts besonderes zu tun hat", da gibt es Unterschiede: viele bewegen sich da "dirigierend" (Rubinstein, Gould), manche kaum (Horowitz, Perlemuter)
Aber dort, wo es vertrackt wird, da sieht man keine Unterschiede in der Bewegung: man kann sich ja dank YT anschauen, wie z.B. Skrjabin op.8 Nr.12 gespielt wird (!!!)

Und wenn man verständig und genau hinschaut, kann man erkennen, dass Horowitz & Co. immer "aus den Armen" spielen (kein Fingergefuchtel) - sehr schön zu sehen bei Horowitz in den Passagen in Etincelles und Soiree de Vienne.
 
Gut formuliert - das ist das Entscheidende!

Zwar sind selbstverständlich die Finger bei entsprechenden Stellen, die das erfordern (aka "Laufwerk") auch aktiv, aber niemals die "Initiatoren" der Bewegung, und, genau, es findet kein "Gefuchtel" statt. Insbesondere auch kein Zurücklegen von horizontalen Distanzen durch "Langen" mit den Fingern (etwas, was Anfänger bzw. schlecht Unterrichtete häufig gänzlich falsch auffassen) - Distanzen werden IMMER per Arm zurückgelegt.
 
Natürlich spielt und bewegt sich jeder individuell unterschiedlich, klar.

Und ein Lehrer sollte so fit in der Materie sein, dass er erkennt, wenn die Bewegungen eines Schülers zwar im Detail anders aussehen, aber dennoch grundlegend "healthy" und zweckmäßig sind. Es kann nicht darum gehen, Bewegungen des Lehrers optisch zu kopieren. Völlig klar.

Ich finde es erheblich zweckmäßiger (als Typen von Spielern zu erstellen), sich anzuschauen, welche Art von Musik welche Art von Bewegungsabläufen erfordert. Es ist doch klar, dass Bach / Scarlatti / Haydn / Mozart typischerweise eher erfordern, dass man Fingeraktivität im Gesamtkonzert der Bewegungen mehr wahrnimmt, und bei Chopin oder Skrjabin die zusammenfassenden Schwünge der Arme prominenter sind. Und jemand, der meist erstere Komponisten spielt (bzw. dem so etwas "mehr liegt"), wird dem Beobachter natürlich als ein anderer "Techniktyp" erscheinen als jemand, der bevorzugt Musik des zweiten Typus spielt.

Die pädagogische Aufgabe muss lauten, dass dem Schüler all die verschiedenen Mittel zuverlässig zur Verfügung stehen und er sie mit der Zeit flexibel und audiomotorisch gesteuert anwendet. (Wobei es sich wohlgemerkt nicht um getrennte Arten von Choreographien handelt, sondern um ein Kontinuum.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber dort, wo es vertrackt wird, da sieht man keine Unterschiede in der Bewegung: man kann sich ja dank YT anschauen, wie z.B. Skrjabin op.8 Nr.12 gespielt wird (!!!)

Lieber rolf,

"Elimination unnötiger Bewegungen" trifft es noch besser! :super:Aber zu obigem Zitat erlaube ich mir ein paar präzisierende Ergänzungen. :003:

Bei virtuosen Passagen sieht man natürlich deutlich weniger Unterschied in den Bewegungen verschiedener Pianisten, weil sie sich schlicht nicht erlauben können, überflüssige Bewegungen zu machen - zu wenig Zeit.

Trotzdem sieht man Unterschiede, auch bei Skrjabins op. 8 Nr. 12. Hier mal ein Vergleich von Kissin und Horowitz:

, schön zu sehen ab 1:47



Man sieht deutlich, wie unterschiedlich Kissin und Horowitz den Arm einsetzen:

Kissin nutzt bei z.B. den Oktavsprüngen links den ganzen Arm einschließlich Schultergürtel und Körpergewicht, während Oberarm und Schulter von Horowitz sehr viel ruhiger ist.

Das liegt daran, dass Horowitz eher von oben kommt und den Schwung des fallenden Arms nutzt, während Kissin mehr vorfühlt (mehr Tastenkontakt, mehr an der Taste) und den ganzen Arm in einem starken Impuls nach vorne in die Tasten bringt. Die Schwerkraft wird bei Horowitz mehr genutzt, dafür muss Kissin mehr Masse von ihm selbst (Arm, Schulter, Rücken, Körpergewicht) in die Tasten bringen, was man auch sieht. Solche Dinge haben oft auch Auswirkungen auf die Richtung der ausgeführten Ellipsen.

Beides ist möglich, beide haben einen tollen Klang. Ob man Akkorde eher von oben spielt oder die Schubwirkung einer Vorwärtsbewegung des Arms nutzt, ist unterschiedlich und hängt neben den musikalischen Anforderungen von den Gewohnheiten, den motorischen Fähigkeiten und anatomischen Gegebenheiten ab. Mit welcher Bewegung klingt es besser? Womit hat man die beste Kontrolle? Man kann aber m.E. nicht sagen, dass die Art zu spielen, die technische Umsetzung des Notentextes und der inneren Klangvorstellung, bei schwierigen Stellen von Pianist zu Pianist immer genau gleich ist.

Liebe Grüße

chiarina
 
@chiarina Die beiden zeigen einen ganz anderen Unterschied, weshalb manches sehr anders auszusehen scheint: H sitzt tief, K sitzt hoch - da ist dann der Ansatz von SchwungBewegungen "optisch" anders, weil je nach Sitzhöhe die Winkel differieren (je höher man sitzt, umso öfter scheint der Arm ausgestreckt zu sein) -- die Bewegungsweisen sind aber prinzipiell weniger unterschiedlich, als deine Beschreibung vermuten lässt. (2 Exempel: die Akkordrepetitionen in der Etüde sind bei beiden eigentlich gleich, die brachialen Oktaven des Tschaikowski b-moll Konzerts im Finale zeigen ebenfalls, dass da alle prinzipiell dieselbe Bewegungstechnik anwenden, egal ob tief, mittel oder hoch sitzend)
Klar gibt es kleine Unterschiede bei schwierigsten Abschnitten, aber keine großen (d.h. keine grundsätzlich verschiedenen "Techniken")
 
@chiarina, das ist ein schöner Vergleich! Wenn man die Körper der beiden vergleicht, sieht man deutlich, wie unterschiedlich die Schwerpunkte liegen.
Kissin muß aus dem ganzen Arm spielen, sonst kann er diese ungeheure Energie nicht entwickeln. Horowitz hat so schwere Hände, dass er das nicht braucht. Kleine Scheibenwischer müssen sich mehr anstrenegen, die Scheiben sauber zu wischen als große. Das ist immer wieder spannend zu sehen.
Und eben allegemein: Es erstaunt mich immer wieder, wieviele Menschen, die Klavier gelernt haben, den Begriff "Handsatz" noch nie gehört haben, und sich auch nie der Tatsache bewusst waren, wie wichtig die Arm - und Körperführung beim Klavierspiel ist. Auch die Haltung des Oberkörpers und die Stabilität des Unterbaus sind wichtig beim Spiel.
Ein Organist könnte o.a. Skrjabinstück überhaupt nicht spielen, weil ihm die Stütze des Unterbaus komplett fehlt...
 

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