Lässt sich ein hoher Anspruch an die Musik mit technisch einfacher Musik vereinbaren?

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Hallo,

Im Zuge meines anderen Threads, in dem es darum geht welche Qualifikationen genau vonnöten sind um didaktisch sinnvoll Musik vermitteln zu können, wurde mir beim Lesen des Threads bewusst, dass es im Prinzip nicht die eine Antwort an sich darauf gibt.
Es hängt, wie mit allem im Leben, mit dem eigenen Anspruch zusammen.
...genau diesen Anspruch, würde ich gerne mit euch Diskutieren.

Als zugegebenermaßen provokanten Einstieg in die Thematik, habe ich "Top 100 German Single Charts gegoogelt". Hier sind die Lyrics des zweiten Platzes (09.02.21)

Du Bitch gehst mir am Arsch vorbei, Arsch vorbei
Platin Casino, ich bin hardcore reich
Multimillionärin und der Hals voll Ice
Freak-Bitch, diese eine, die dei'm Papa schreibt
Baby, ich trag' so viel Make-up, Make-up
Damit du sehen kannst, warum dein Freund wieder spät kam, spät kam
-Katja Krasavice, Friendzone

Dies ist natürlich kein neues Phänomen. Die Thematik ob Musik jetzt gefährlich sei oder nicht wurde schon vor 15 Jahren zu meinen Schulzeiten liebend gerne in Aufsätzen erörtert. Der Unterschied dazu ist jedoch, dass es sich um kein Randphänomen mehr, sondern um die Pop(uläre) Musik der Gesellschaft heutzutage, handelt.

Ein andere Beispiel ist das Lied "Warum" von Gzuz aus Hamburg mit knapp 59 Millionen Aufrufen.
Technisch kein Beethoven, darüber müssen wir nicht diskutieren.

Heut kann ich machen, was ich will
Und selbst die Soko ist jetzt still (pscht)
Woll'n kein'n Stress, weil sie mein'n, dass ich hochentzündlich bin
Press' den Motor bis ans Limit
Trag' die Felgen nicht mal ein (ja)
Häng' mit Jungs, die nicht lang fackeln
Sondern Messerstich verteil'n (frag' mich, warum)

Wenn ich hier im Forum stöbere, fällt mir auf, dass ein hoher Anspruch an die Musik herrscht. Es geht teils darum möglichst das letzte Quäntchen aus seinem Spielen herauszuholen. Musik wird minutiös genau analysiert und wahrgenommen.
Wie seht ihr diese Entwicklung der Charts bzw. Mainstreammusik heutzutage?

Ist es einfach nur ein Unding, welches keiner tieferen Analyse Wert ist; die normale Entwicklung der rebellierenden Jugend, wie es sie schon immer gab oder haben gar Provokationen, im künstlerischen Bereich, ihren Sinn innerhalb einer funktionierenden Demokratie?

Lässt sich diese Musik überhaupt mit einem ernsthaften Anspruch an Musik vereinbaren;
Anhand welcher objektiven Kriterien wird dieser Anspruch gemessen?
Was macht einen Yann Thiersen oder Ludvico Einaudi mit ihrer minimal Music anspruchsvoller als einen Gzuz?

Ich freuen mich auf den Interessanten (nicht nur) musikalischen Diskurs :)
 
Musik ist dann wertvoll, wenn ihre künstlerischen Mittel in einem ausgewogenen Verhältnis zum musikalischen Ergebnis stehen. Das wusste auch z.B. Hermann Hesse, als er im Steppenwolf die "sparsame" aber höchst kunstvolle Musik Mozarts den seiner Meinung nach vielen überflüssigen Tönen im Werk von Brahms entgegensetzte. Komplexität ist meiner Meinung nach kein Kriterium für besonders kunstvolle Musik, auch wenn das hier im Forum sicherlich viele anders sehen. Wie gesagt steht für mich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag im Vordergrund.

Zu deiner Frage der Chart-Musik: In der Tat ist diese Musik in künstlerischer Hinsicht zu einem Großteil vollkommen wertlos. Ein Professor von mir sagte, es gebe für ihn die Trennung zwischen U-Musik und E-Musik nicht - es gebe nur die Unterscheidung zwischen Musik, die von Herz zu Herz gehen soll und geht, und derjenigen Musik, die gemacht wird, um damit schnell Geld zu verdienen. Chart-Musik ist also in erster Linie letzteres. Und die vielen provokativen, sexistischen und diffamierenden Texte v.a. im Gangsta-Rap dienen dazu, sich bei Jugendlichen interessant zu machen, um an deren Geld heranzukommen. Die musikalische Substanz ist dementsprechend dünn.

Es gibt aber innerhalb der Chart-Musik auch erfreuliche Ausnahmen: Billie Eilish halte ich für eine wirkliche Künstlerin, zumal sie ihre wirklich gelungene Musik selbst schreibt.
 
Dies ist natürlich kein neues Phänomen. Die Thematik ob Musik jetzt gefährlich sei oder nicht wurde schon vor 15 Jahren zu meinen Schulzeiten liebend gerne in Aufsätzen erörtert.

Und schon vor 70 Jahren (Rock'n'Roll) und schon vor 100 Jahren (Jazz). Und wahrscheinlich auch davor.

Wenn ich hier im Forum stöbere, fällt mir auf, dass ein hoher Anspruch an die Musik herrscht.

Es ist nicht unbedigt verwunderlich, dass in einem <Thema>-Forum ein gewisser Anspruch an <Thema> gestellt wird. :-)

Wie seht ihr diese Entwicklung der Charts bzw. Mainstreammusik heutzutage?

So wie früher auch: Der Großteil ist Mist.

Lässt sich diese Musik überhaupt mit einem ernsthaften Anspruch an Musik vereinbaren;
Anhand welcher objektiven Kriterien wird dieser Anspruch gemessen?

Interessante Frage. Wenn die Idee ist, dass die Jugend rebelliert, werden evtl auch überlieferte 'objektive Qualitätsmaßstäbe' über Bord geworfen, das gehört doch dazu. Wie kann ich ein Rebell sein, wenn ich mich an die Regeln halte!?

Und später wird das Genre zu Tode geritten, bis der nächste Trend kommt. Passiert oft genug.

Ich möchte da noch anmerken:
Ich kann mit dem allergrößten Teil der Popularmusik nix anfangen, war immer schon so. Zum Abhotten mitunter geeigent, aber nicht für die Erbauung.

Grüße
Häretiker
 
fällt mir auf, dass ein hoher Anspruch an die Musik herrscht. Es geht teils darum möglichst das letzte Quäntchen aus seinem Spielen herauszuholen. Musik wird minutiös genau analysiert und wahrgenommen.
Hoher Anspruch: teilweise vielleicht,
letztes Quäntchen: ojeh, dann hast Du nie gehört, wie ein ambitionierter Lehrer (Pianist, Professor) mit einem guten und leistungsbereiten Schüler/Studenten arbeitet.
 
Wenn Du Fußball spielst, dann willst Du auch Tore schießen bzw. dazu beitragen, dass die eigene Mannschaft gewinnt.

Also hängst Du Dich rein, beschäftigst Dich mit dem Spiel, übst Techniken, trainierst tüchtig.

Niemand würde da fragen: "Muss man wirklich so viel so übertrieben genau trainieren? Ist es nicht nur ein Spiel, ist nicht die Hauptsache ein bisschen Spaß und Bewegung?" Nein, jeder weiß und ist sich einig: Damit es ein gutes Spiel wird, muss sich jeder nach Kräften anstrengen.

Wir hier wollen nicht mit irgendetwas berieselt werden, sondern gute Musik hören und spielen, also haben wir den ganz normalen Anspruch und das ganz normale Engagement, das dafür Voraussetzung ist.

Und um die Frage im Threadtitel zu beantworten: Selbstverständlich, es lassen sich jede Menge Musiker und Komponisten nennen, die technisch simpel agiert haben und trotzdem auf höchstem Niveau Kunst geschaffen haben:

Federico Mompou
Chet Baker
Thelonious Monk
Nick Drake
Count Basie
...
 
...
B.B. King
Carlos Jobim (one note samba ;-)
Wer sagte noch: "Wenn du einen Ton weglassen kannst, lass' ihn Weg."? (die Langform von: "Play less, say more!")
...

Es sind immer nur die Ahnungslosen Anfänger, die zuerst an Technik denken, und "die Musik kommt später".
(Wobei, die Unfähigen sagen dann, es käme auf Technik nicht an, aber sie sind ja sooooo musikalisch ...)
 
Reine Statistik und die hat erst mal überhaupt keinen Anspruch an Kunst, genau so wenig wie die Zahl der heute verkauften Brötchen.
Lässt sich diese Musik überhaupt mit einem ernsthaften Anspruch an Musik vereinbaren;
Ja.
Anhand welcher objektiven Kriterien wird dieser Anspruch gemessen?
Dazu muss man erst mal wissen, was Du mit "diese Musik" meinst. Rap ist ja nicht gleich Rap. Hier mal was zum Einlesen.
Zum Gangsterrap gehören als Stilmittel und auch als Qualitätsmerkmal zum Beispiel sexistische, homofeindliche und gewaltverherrlichende Texte. Aber das ist nur eines von vielen Qualitätsmerkmalen.

Micha, für mich ein Vollblutmusiker, der für Klassik über Jazz bis Pop brannte, hat sich in seinen letzten Jahren auch viel mit Rap beschäftigt, z.B. an dieser Nummer mitgewirkt und war begeistert von diesem Genre.

Was macht einen Yann Thiersen oder Ludvico Einaudi mit ihrer minimal Music anspruchsvoller als einen Gzuz?
Ist das so oder ist das bereits eine Wertung Deinerseits? Den Gzuz kenne ich nicht aber seine Kunst muss sich den spezifischen objektiven Kriterien genau so stellen wie die von TEY. Die Anzahl von Aufrufen, eine Platzierung in Charts oder der Verkaufswert eines Bildes gehören nicht dazu. Siehe nur mal die "Klassik-Charts".
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehe ich nicht so, es sei denn, es geht um die Kunst, aus Scheiße Gold zu machen. :-D
 
Gute Frage! Gehört Erfolg zu guter Kunst dazu? Und wenn ja, wie bemisst man den?
 

Das misst lediglich Zielgruppenkompatibilität. Also keine intrinsische Qualität, sondern eine extrinsische.
Ist extrinisische Qualität relevant?

Da muss man ja fast fragen, ob alleine intrinsische Qualität überhaupt eine Bedeutung hat.
Wenn ja, wofür?
Nur für den Elfenbeinturm?
Quasi als Selbstbefriediegung?

Ich habe persönlich zwar etwas gegen die Scheiße für die Millionen Fliegen und stehe auf diese intrinsische Qualität.

Aber wenn man ehrlich ist, steht es mit dieser geliebten Qualität, sofern sie niemanden mehr interessiert, wie mit dem Schrei im Wald, den niemand hört.
 
Wenn nur die extrinsische Qualität zählt, dann sind Ballermann-CDs und Arztromane von hoher Qualität. Dann geht mir die extrinsische Qualität am <beliebiges Körperteil einsetzen> vorbei.

Gar nicht so einfach. :-)

Ich habe jedenfalls die Erkenntnis gewonnen, dass i.A. (lies: nicht notwendigerweise immer) in punkto Musik mein Geschmack nicht massenkompatibel ist. Von daher habe ich nicht viel übrig für extrinsische Qualitäten.

Grüße
Häretiker
 
Gute Frage! Gehört Erfolg zu guter Kunst dazu? Und wenn ja, wie bemisst man den?
Und wann muss der spätestens aufgetreten sein bzw. darf er frühestens kommen?
Könnte man gar so weit gehen zu sagen, dass späterer Erfolg öfter mit höherer Relevanz korreliert? In der Kunst und Musik scheint das ab und zu vorzukommen.
Fragen über Fragen...
 
Wenn nur die extrinsische Qualität zählt, dann sind Ballermann-CDs und Arztromane von hoher Qualität. Dann geht mir die extrinsische Qualität am <beliebiges Körperteil einsetzen> vorbei.

Gar nicht so einfach. :-)

Ich habe jedenfalls die Erkenntnis gewonnen, dass i.A. (lies: nicht notwendigerweise immer) in punkto Musik mein Geschmack nicht massenkompatibel ist. Von daher habe ich nicht viel übrig für extrinsische Qualitäten.

Grüße
Häretiker
Ich bin da nicht so pessimistisch.
 
Das Problem beginnt, wenn man Kunst/Musik und „Markt“ miteinander vermengt. Auch wenn Verquickungen wohl unvermeidlich sind, hat das eine mit dem anderen nichts zu tun,

meint zumindest cb
 
Ich bin da nicht so pessimistisch.

Ja, besser als Ballermann-CDs. (Besitze trotzdem keinen der aufgeführten Tontraäger.)
Wäre die Frage:
Was hat diese Auflistung mit der Frage aus dem OP
"Wie seht ihr diese Entwicklung der Charts bzw. Mainstreammusik heutzutage?"
zu tun?
Einiges ist ja aus dem vorigen Jahrtausend! :-)

Grüße
Häretiker
 

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