Kultur und Krieg

Warum soll ein Massenmörder nicht die feinsinnige Schönheit von Mozart erkennen?
@Muck womöglich hat das cineastische Gründe: der faszinierend böse Hannibal Lecter hört gern die Goldbergvariationen - zack Bach diskreditiert ;-)
Da ist auch keines. Weder warme Mäntel, Kaffee & Kuchen noch Mozarts Quartette sind diskreditiert.
 
@Martin49 @Alter Tastendrücker
bei eisigen Temperaturen hatten SS-Schergen wie auch KZ Schergen einen warmen Mantel getragen - ist es euch nicht unerträglich gewesen, beim Schneefall vor drei/vier Tagen ebenfalls einen warmen Mantel zu tragen?
Kleiner Unterschied: körperliche Grundbedürfnisse, die das Überleben sichern, gegenüber kulturdefinierender Kunst.

Also nein, der schiefe Vergleich beeindruckt mich nicht.

Die Sonne scheint ja auch auf uns alle. Wer würde ihr das vorwerfen? Das Universum ist indifferent. Ist es Musik auch?
 
Die Sonne scheint ja auch auf uns alle. Wer würde ihr das vorwerfen? Das Universum ist indifferent. Ist es Musik auch?
Das kommt offensichtlich auch darauf an, wer sie geschrieben, gespielt oder gerne gehört hat, bzw. das eigene Wissen über diese Jemande.

Wenn ein Nazischerge Schuberts Unvollendete liebte, wird das Stück dann dadurch irgendwie schlechter?
Spricht irgendwas dagegen, dass ein kommunistischer Terrorherrscher (z.B. Lenin oder Stalin) die "Ode an die Freude" mögen kann ... und viel entscheidender die Frage, muss ich dieses Stück dann deswegen schrecklich finden?

Den Umstand, dass es ein solcher Mensch eventuell ebenfalls wertschätzte, kann ich für schrecklich halten ... aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er es eben auch gut fand und auch nichts an der Qualität der Musik.

Am Ende bleibt wohl die Erkenntnis, dass auch die Nazis Kinder dessen waren, was wir "unsere Kultur" nennen ... natürlich waren denen unter Umständen die selben feingeistigen Dinge wichtig, wie uns.
Und genauso natürlich haben wir damit ein kleines Problem, da wir diese Menschen, ihre Taten und ihr gesamtes Dasein am liebsten negieren würden. Natürlich zeckt es, wenn man dann auf etwas stößt, was man selbst auch hat ... z.B. die liebe zu Mozart oder Bach oder ein Gefühl von "hach .. schön" beim Ablick eines Landschaftsbildes von Caspar David Friedrich.
Es bleibt nicht ausgeschlossen, dass es Heinrich Himmler da ähnlich ging.
Und dagegen kann man auch leider nichts machen ausser sich von seiner eigenen Kultur komplett zu verabschieden.
 
@Martin49 Monet & Co. ließen sich von Nazis rauben, ja sogar die Nofretete (die tief unter der Erde in Merkers zusammen mit sehr viel Nazigold von den Amerikanern "befreit" wurde) - oh der arme Monet, dem wurde ja durch Raub Gewalt angetan. Die kulturverdächtigenden Moralapostel fragen in diesem Kontext erstaunlicherweise nicht, was der Nazi beim betrachten von z.B. Impressionisten empfunden hat. Müsste heute uns allen nicht übel werden, wenn wir ein solches Gemälde mit Wohlgefallen betrachten?
Die Silcher-Melodie zu "ich weiß nicht, was soll es bedeuten" hatte kurze 1000 Jahre lang einen anonymen Textdichter. Nieder mit der Loreley?
"kleiner grüner Kaktus" und "ich wollt ich wär ein Huhn" waren sehr beliebt in den kürzesten 1000 Jahren, in diesen Jahren auch bedeutend erfolgreicher und häufiger aufgeführt als Mozarts Streichquartette.
...dann wäre da noch Carmina Burana... oh, wie kann man das reinen Gewissens mit Wohlgefallen anhören?
Die Sonne scheint ja auch auf uns alle. Wer würde ihr das vorwerfen? Das Universum ist indifferent. Ist es Musik auch?
wie schlaubergerisch different ist der Rezipient? So different und gebildet, dass er wegen Mozarts Quartetten moralisches Bauchweh kriegt, aber Carmina Burana schön findet, grünen Kaktus & Huhn genießt, den Dichter der Loreley kennt (immerhin) und - wenn überhaupt - konstatiert, dass der Kölner Dom als Kulisse für preussische Aufmärsche, Naziparaden und Fassenachts- & Silvestertrubel eher unbeeindruckt weiterhin an seinem Platz weilt... ;-)
Kleiner Unterschied: körperliche Grundbedürfnisse, die das Überleben sichern, gegenüber kulturdefinierender Kunst.
hierzu instruktiv: Stepan Trofimowitsch Werchowenskis Rede über sixtinische Madonna, ein paar Stiefel und Petroleum (Dostojewski, Dämonen) --- ernst gemeinte Lektüreempfehlung!
 
Da sterben Ukrainer (und russische Soldaten) auf dem Schlachtfeld, wo einst Städte und Vororte waren, und ich bemächtige mich ihres Kulturguts.
Nein, tust du nicht. "Bemächtigen" ist etwas anderes. Du nimmst keinem Ukrainer etwas weg. Du LERNST das Stück. Mehr nicht.

Angenommen, ich sagte, dass ich auf die russische Nationalhymne abführe ...
Würde mich gar nicht trauen, das kundzutun.
Mir gefällt sie. Mir hat sie schon vor Putin gefallen. Das Musikstück ändert sich nicht, wenn sich der Präsident ändert. Wer behauptet, dass einem die Musik nach dem Kriegsbeginn nicht mehr gefällt, lügt (evtl. belügt man sich selber dabei).
Es kann durchaus sein, dass man beim Hören der Hymne die Assoziation zum Staat und dann zum derzeitigen Krieg hat, was einem die Musik verleidet. Ich kann da gut differenzieren. Wenn jemand das nicht kann, ist das Problem aber immer noch die Assoziation und nicht die Musik selber.

Ich spiele die russische Hymne derzeit nicht in voller Lautstärke mit offenen Fenstern ab. Da könnte ein falscher Eindruck entstehen...
Das habe ich allerdings auch bisher nie gemacht. Insofern hat der Krieg meine Musikvorlieben nicht beeinflusst.

Wenn mir ein Stück gefällt, ist es für mich auch sekundär, woher der Komponist seine Inspiration hat. Insbesondere textlose Musik kann jeder Hörer für sich deuten, wie er will.
Wenn man sich gute Musik verweigert, verliert man nur. Es entsteht dadurch nichts Gutes. Beethoven wird seine Einstellung zum Krieg dadurch nicht ändern, die Welt wird nicht friedlicher oder sonstwie besser.
Nationalismus war in der Zeit, in der er entstanden ist, ja auch ein Streben nach Verbesserung der Zustände und sollte nicht naiv aus der heutigen Perspektive betrachtet werden.
 
Richard Wagners Musik ist ein Beispiel für solche Ängste, denn der Komponist war bekanntlich selbst Antisemit und wurde von den Nazis bis hinauf in die Führunsspitze geradezu verehrt. Trotzdem möchte ich auf diese großartige Musik nicht verzichten.
 
Wenn ein Nazischerge Schuberts Unvollendete liebte, wird das Stück dann dadurch irgendwie schlechter?
Spricht irgendwas dagegen, dass ein kommunistischer Terrorherrscher (z.B. Lenin oder Stalin) die "Ode an die Freude" mögen kann ... und viel entscheidender die Frage, muss ich dieses Stück dann deswegen schrecklich finden?

Den Umstand, dass es ein solcher Mensch eventuell ebenfalls wertschätzte, kann ich für schrecklich halten ... aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er es eben auch gut fand und auch nichts an der Qualität der Musik.

Am Ende bleibt wohl die Erkenntnis, dass auch die Nazis Kinder dessen waren, was wir "unsere Kultur" nennen ... natürlich waren denen unter Umständen die selben feingeistigen Dinge wichtig, wie uns.
Und genauso natürlich haben wir damit ein kleines Problem, da wir diese Menschen, ihre Taten und ihr gesamtes Dasein am liebsten negieren würden. Natürlich zeckt es, wenn man dann auf etwas stößt, was man selbst auch hat ... z.B. die liebe zu Mozart oder Bach oder ein Gefühl von "hach .. schön" beim Ablick eines Landschaftsbildes von Caspar David Friedrich.
Es bleibt nicht ausgeschlossen, dass es Heinrich Himmler da ähnlich ging.
Und dagegen kann man auch leider nichts machen ausser sich von seiner eigenen Kultur komplett zu verabschieden.
Absolute Zustimmung. Wir müssen uns damit abfinden, dass die sogenannten Unmenschen wohl doch sehr menschlich sind und daher sehr viel mit jedem von uns gemein haben. Es gibt auch Videos, die Putin als humorvollen, geselligen Menschen zeigen.
Aber der Gegner wird (ua in den Medien) zum Bösen hochstilisiert und mit der Zeit gräbt sich das ins (Unter)bewusstsein der Leute. Und dann kommt "Ja, die in XY. Aber BEI UNS kann es so etwas nicht geben!"
Doch, kann. Immer wieder und überall. Daher: Aufpassen, was die Politiker (und andere) bei uns so aufführen. Das berühmte "Wehret den Anfängen!"...
 
Trotzdem möchte ich auf diese großartige Musik nicht verzichten.
Ich beneide jene Leute, die sich diese Musik in einigen hundert Jahren eventuell wieder anhören können, ohne dabei an die kürzesten 1000 Jahre der deutschen Geschichte zu denken.

Wenn ich Wagner analysiere, erkenne ich die musikaische Leistung ... und die muss ich anerkennen ... störend wirkt einzig das Wissen um einige Überzeugungen des Komponisten sowie die Rezeptionsgeschichte seiner Musik insbesondere um das dritte Reich herum.
Das Heroische in Wagners Musik kann ich leider nicht losgelöst von dem Betrachten, was die Nazis draus gemacht haben. Es verursacht mir fast peinliche Gefühle.
Ich weiß jedoch, dass diese Gefühle mit der Musik eigentlich nichts zu tun haben, sondern eher in dem Mindset entstehen, mit dem ich diese Musik höre. Natürlich habe ich hier auch eine CD mit einigen Ouvertüren von Wagner liegen ... und einige davon finde ich sogar echt gut.
 
Es gibt auch Videos, die Putin als humorvollen, geselligen Menschen zeigen.
Und es wäre unsinnig, wegen solcher Videos zum Lachen in den Keller zu gehen.

Wenn wir alles ablehnen, nur weil auch "böse" Menschen das tun, dann ist unser aller Leben bald sehr trist und grau.
Man kann es ja beliebig fortsetzen ... auch die übelsten Despoten und Schlächter kochten mit Wasser und haben braun gekackt.
 
Das Heroische in Wagners Musik kann ich leider nicht losgelöst von dem Betrachten, was die Nazis draus gemacht haben. Es verursacht mir fast peinliche Gefühle.
Valery Gergiev zelebriert ja gerade in Moskau den Ring. Die ersten 3 Abende wurden schon aufgeführt. Am 17. April folgt nun noch die Götterdämmerung, zum Schluss die brennende Götterburg Walhall. Walhall, Endzeit, in Moskau?!
 

@Kaltstoff Dass jemand anders den Ton druntergelegt hat, ist dir aber schon klar, oder?

Ich meine eher so etwas:
 
Ich beneide jene Leute, die sich diese Musik in einigen hundert Jahren eventuell wieder anhören können, ohne dabei an die kürzesten 1000 Jahre der deutschen Geschichte zu denken.

Wenn ich Wagner analysiere, erkenne ich die musikaische Leistung ... und die muss ich anerkennen ... störend wirkt einzig das Wissen um einige Überzeugungen des Komponisten sowie die Rezeptionsgeschichte seiner Musik insbesondere um das dritte Reich herum.
Das Heroische in Wagners Musik kann ich leider nicht losgelöst von dem Betrachten, was die Nazis draus gemacht haben. Es verursacht mir fast peinliche Gefühle.
Ich weiß jedoch, dass diese Gefühle mit der Musik eigentlich nichts zu tun haben, sondern eher in dem Mindset entstehen, mit dem ich diese Musik höre. Natürlich habe ich hier auch eine CD mit einigen Ouvertüren von Wagner liegen ... und einige davon finde ich sogar echt gut.
Das verstehe ich gut, denn ich habe selbst sehr lange gebraucht, mich von solchen Vorbehalten nicht mehr einschränken zu lassen.
Barenboim selbst hat zu diesem Umdenken beigetragen, als er sich nämlich dafür eingesetzt hat, dass Wagner unter seinem Dirigat in Israel gespielt werden sollte. Er ist als Jude jeglicher Nähe zu NS-Ideologien unverdächtig.
Hier sei auch Leonard Bernsteins Tristan und Isolde nicht vergessen, auch wenn das nicht in Israel aufgeführt wurde, soviel ich weiß.
Viel mehr schreckt mich da das Les Preludes von Franz Liszt, woraus sich die Gröfazkis für ihre Sondermeldungen bedienten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kurze Klarstellung: Das mit der Jammerei über die Moralapostelei, das ist Dein eigenes Problem. Für Dein Unbehagen sind weder die Leute verantwortlich, die einen ethischen Standpunkt vertreten, noch ich, dem es hier um Empfindungen und Assoziationen geht.
ok, ich will das auch mal, es wirkt so seriös - eine nur fast so kurze Klarstellung:
Dass ein SS-Scherge am Abend eines Tages, an dem er im Vernichtungslager Menschheitsverbrechen begangen hat, sich Beethoven auflegt und daselbe hört wie ich, daselbe empfindet wie ich? Eine furchtbare, unmögliche Vorstellung!
Das hat Max Frisch in seinem Tagebüchern fassungslos kommentiert: der KZ Scherge, der abends - nach getaner (Tötungs-)Arbeit - mit Kollegen Streichquartette von Mozart und Beethoven spielt und sich als guter deutscher Bildungsbürger geriert!
warum partout Mozart und Beethoven in diesem Kontext anführen?
warum nicht das Meisterquartett (vormals Comedian Harmonists) oder diverse Operetten (die während sehr kurzer 1000 Jahre populär waren)?
Genau darauf habe ich verwiesen, und das auch polemisch (kulturverdächtigende Moralapostel) - denn umgekehrt ist auch die Auswahl dessen, was als pars pro toto gewählt wird, sehr heikel um nicht zu sagen sehr polemisch: der wohlbestallte Schweizer Architekt, der 1935 sein Kleines Tagebuch einer deutschen Reise publizierte (es enthält bewundernde Passagen über eine rassekundliche Ausstellung in Berlin) wählt für sein Dilemma keinen Goethe oder Schiller (also keine Literatur), keinen Dürer oder Menzel (also keine Malerei). keinen Schinkel oder Bonatz (also keine Architektur), sondern Streichquartette...
 
Das war jetzt ne Frage. Kommt noch ne Antwort?
 
Das war jetzt ne Frage. Kommt noch ne Antwort?
wer soll wem antworten?

aber ok, nehmen wir zum drittenmal deine pathetische Überlegung:
Dass ein SS-Scherge am Abend eines Tages, an dem er im Vernichtungslager Menschheitsverbrechen begangen hat, sich Beethoven auflegt und daselbe hört wie ich, daselbe empfindet wie ich? Eine furchtbare, unmögliche Vorstellung!
Warum Beethoven? Warum nicht Bach? Warum nicht ich wollt´ ich wär´ ein Huhn? Carmina Burana?
Oder ist "Beethoven" in deiner Überlegung als Chiffre gemeint, so a la "der Nazi hört klassische Kunstmusik"? Und falls das so sein sollte, warum Beethoven und nicht Bach oder Schumann als Pars pro toto?
Und warum Musik? Warum eine solche Überlegung nicht auch hinsichtlich anderer Künste anstellen?

Ohne zu wissen, was du da zum Ausdruck bringen wolltest, kann man nur konstatieren, dass dir nicht behagt, wenn einigen Nazis das gefällt, was auch dir gefällt - - kann dadurch das, was dir gefällt, diskreditiert sein?
 
Olivier Messiaen
Quatuor pour la fin du temps.
 
Richard Wagners Musik ist ein Beispiel für solche Ängste, denn der Komponist war bekanntlich selbst Antisemit und wurde von den Nazis bis hinauf in die Führunsspitze geradezu verehrt. Trotzdem möchte ich auf diese großartige Musik nicht verzichten.
Wagners Musik geht mir glatt am A.... vorbei. Da wird beim Anhören tief ausgeschnitten. :017:
Merkel-neu-3-DW-Kultur-Oslo-jpg.jpg
 

Zurück
Top Bottom